Förderung mathematisch interessierter und (hoch-)begabter Kinder. Sensibilisierung angehender Lehrer/innen

Forschungsprojekt


Forschungsarbeit, 2020

50 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Reflexion der ersten Sitzung

3. Begabungsmerkmale und begabungsstützende Persönlichkeitseigenschaften
3.1. Beobachtung eines Begabungsmerkmals
3.2. Beobachtung einer begabungsstützenden Persönlichkeitseigenschaft

4. Beobachtung eines Problembearbeitungsstils

5. Theoriegeleitete Analyse einer Einzelinterviewsitzung
5.1. Lehrerpersönlichkeit
5.2. Beobachtung eines Begabungsmerkmals
5.3. Beobachtung einer begabungsst ü tzenden Pers ö nlichkeitseigenschaft
5.4. Beobachtung eines Problembearbeitungsstils

6. Theoriegeleitete Konzeption einer kleinen Förderaufgabe
6.1. Begründung der Auswahl
6.2. Musterlösung
6.3. Reflexion der Durchf ü hrung (inklusive kommentierter Kinderlösung)
6.4. Überarbeitungsvorschlag und Zwischenfazit zur Auswahl und Durchführung der Förderaufgabe.28

7. Fazit

Eigenständigkeitserklärung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Mathematisch begabte Kinder erhalten im Regelunterricht unabhängig der Schulform zu wenig Aufmerksamkeit. Das unglaubliche Potential das in ihnen steckt wird nur in den seltensten Fällen erkannt und aktiv gefördert und gefordert. So ist zwar die Vokabel Differenzierung ein durchaus gängiger Begriff, jedoch findet diese meist nur „nach unten“ hin Anwendung – leistungsschwächere Schüler und Schülerinnen sollen vereinfachtes Material zur Förderung erhalten, doch überdurchschnittlich anspruchsvolle mathematische Probleme werden nicht angeboten. Somit wird ein leistungsstarkes Kind oft nicht individuell in seinen Stärken gestärkt, wenn gar seine Fähigkeiten eventuell nicht einmal bemerkt werden. Wer kennt nicht die Unterrichtssituation, in der die Lehrkraft froh ist verhaltensauffällige Schüler und Schülerinnen beschäftigt zu wissen. Währenddessen wird das Kind, das bereits das gesamte Material erfolgreich bearbeitet hat, mit ähnlichen Aufgaben besänftigt. Dem Problem mathematisch hochbegabten Kindern zu wenig Achtung zu schenken, soll das Projekt MIKADU – Mathematisch interessierte Kinder an der Bergischen Universität Wuppertal – entgegenwirken. Wie die Beschreibung verrät, ist es ein von der Universität durchgeführtes Projekt, angeleitet und durchgeführt von Doktoranden und wissenschaftlichen Mitarbeitern. MIKADU basiert auf der freiwilligen Mitarbeit der Kinder, wenngleich nicht jede/r interessierte Schüler und Schülerin teilnehmen kann. Die Fachlehrer und Fachlehrerinnen der von den Schülern und Schülerinnen besuchten Schulen schlagen mathematisch begabte Mädchen und Jungen vor, die sich anschließend mit einem Test für das Projekt qualifizieren können. Die Zielgruppe ist die der sechsten und siebten Klasse von Gymnasien und Gesamtschulen. In dem angesprochenen Test - dem so genannten Indikatortest - werden neben potentieller mathematischer Begabung auch mathematikspezifische Begabungsmerkmale und begabungsstützende Persönlichkeitseigenschaften untersucht. Eignen sich die Kinder für das Projekt können sie in den folgenden zwei Jahren im zwei Wochen Takt an den Angeboten teilnehmen.

Das Besondere dieses Projektes: Studenten und Studentinnen erhalten die Möglichkeit, an diesen Treffen zu hospitieren und als Verstärkung mitzuwirken. So unterstützen sie die Kinder bei der Bearbeitung der Aufgaben, bereiten unter anderem eigene mathematische Probleme vor und nehmen Beobachtungen zu Arbeitsweise und Begabungsförderung der Kinder in Einzelinterviews auf. Die Ergebnisse werden in einem Forschungsbericht festgehalten, der sich aus unterschiedlichen Aspekten zusammensetzt. Zunächst reflektieren die Studenten und Studentinnen ihren Ersttermin, in dem sie eine Reflektion gestalten - eine kritische Auseinandersetzung mit der Stunde, in dem sie ihre Erwartungen mit der realen Projektsituation abgleichen. Um die mathematische Begabung einzelner Kinder genauer zu untersuchen, eignet sich das Beobachten von mathematikspezifische Begabungsmerkmalen, begabungs-stützenden Persönlichkeitseigenschaften und Problembearbeitungsstilen. Diese werden entsprechend herausgearbeitet und anhand der Schüler- und Schülerinnenlösungen und den Unterrichtsgesprächen analysiert. Da sich die Kinder innerhalb einer Gruppenarbeit ganz unterschiedlich im Gegensatz zu einer eins zu eins Betreuung verhalten, erhält jede/r Student und Studentin die Möglichkeit eines Einzelinterviews. Auch hier folgt eine Untersuchung der mathematischen Begabung, die videoanalytisch festgehalten und ausgewertet wird. Zur Entwicklung der eigenen Lehrerpersönlichkeit reflektiert der/ die Student oder Studentin das eigene Auftreten und Handeln aus der Interviewsituation. Ebenfalls im Sinn der Lehrerausbildung gilt es zuletzt eine eigene Aufgabe zur Förderung mathematisch leistungsstarker Kinder zu konzipieren. Diese wird zunächst theoretisch vorgestellt. Anschließend wird eine Kinderlösung beschrieben und zuletzt ein Vorschlag zur Verbesserung der Aufgabe erarbeitet. Das Fazit beendet die Arbeit und fasst zusammen, was der / die Stundent oder Studentin aus dem Projekt in Bezug auf seine Lehrerpersönlichkeit an Erkenntnissen mitnimmt. Insgesamt sieht das Projekt vor allem vor, angehende Lehrer und Lehrerinnen dafür zu sensibilisieren in zukünftigen Unterrichtssituation mathematisch begabte Kinder angemessen zu fördern und eine entsprechende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Zuletzt ermöglicht es ihnen – durch die Auseinandersetzung mit den theoretischen Hintergründen mathematischer Hochbegabung – Indikatoren zu deuten und relevante Maßnahmen zur Begabtenförderung einzuleiten.

2. Reflexion der ersten Sitzung

Die Veranstaltung beginnt in einem anderen Setting als eine gewöhnliche MIKADU-Sitzung. Während normalerweise eine Lehrperson, die die Kinder wöchentlich betreut, die Moderation übernimmt, leitet eine Masterandin die heutige Sitzung. Um Beobachtungen für ihre Thesis sammeln zu können, beschäftigen sich die Kinder mit dem Thema „mathematische Zaubertricks“. Der organisatorische Ablauf der Stunde soll identisch bleiben: Die Kinder finden sich im Kursraum zusammen, packen ihre Materialien aus und nach einigen Minuten des verbalen Austausches beginnt die Stunde. Die Lehrerin begrüßt die Kinder und stellt das Thema im Sitzkreis vor. Nachdem offene Fragen geklärt sind beginnt die Arbeitsphase. Die Kinder finden sich dafür an Gruppentischen zusammen und lösen alleine oder in Partnerarbeit die gestellten Aufgaben. Die Studierenden dürfen dabei beratend zur Seite stehen. Zwischendurch ist eine Pause vorgesehen, deren Ende anschließend den letzten Teil der Arbeitsphase einleitet. Zum Schluss findet sich die Gruppe erneut im Plenum zusammen und anhand eines von den Kindern gewählten Moderators werden die Ergebnisse besprochen und festgehalten.

Bereits im Vorfeld wird mehrmals die Wichtigkeit betont mit den Kindern während des Projektes Kontakt aufzunehmen. Dies sei essenziell für das Vorhaben - Studierende sollen mathematisch interessierte Kinder dazu ermuntern im freiwilligen Setting Mathematik zu betreiben und durch die Interaktion als Vorbilder oder Unterstützer im Lernprozess zu dienen. Die Kontaktaufnahme stellt sich jedoch schwieriger dar als erwartet. Während jeder Studierende gewillt ist mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, sitzen diese recht desinteressiert an ihren Smartphones und spielen Handyspiele. Da die Schüler und Schülerinnen allerdings in ihrer Freizeit und teilweise direkt nach der Schule in die Universität fahren, dürfen sie selbstverständlich die Zeit vor Kursbeginn frei nach ihren Interessen gestalten. Die Hälfte der Gruppe kommt knapp vor Beginn der Stunde in den Klassenraum und weitere Kinder sorgen durch Zuspätkommen für Unterbrechungen. Dies wirkt sich negativ auf die Anmoderation der Masterandin aus, wird sie durch das Fehlen und Hinzustellen von Stühlen doch immer wieder gezwungen ihre Fragen zu wiederholen. Einige Jungs die bereits im Vorfeld unausgelastet wirkten, werden durch die fehlende Struktur zunehmend unruhiger und alberner. Zu diesem Zeitpunkt decken sich meine im Vorfeld ausgemalten Vorstellungen der Schülercharaktere mathematisch interessierter Kinder nicht mit der Realität. Offensichtlich hat sich auch die Masterandin den Einstieg anders vorgestellt, schaut sie hin und wieder hilfesuchend zur Projektleiterin. Sichtlich verärgert ermahnt diese die lauten Schüler und bittet um mehr Respekt. Anmerkung des Verfassers: Ich bin ü berrascht, was f ü r ein klischeehaftes Bild ich zu diesem Zeitpunkt von „ mathematisch interessierten Sch ü lern und Sch ü lerinnen “ habe, das sich nun revidiert.

Der thematische Inhalt der Stunde ist sehr interessant und auch die Einleitung der Studentin wäre unter anderen Umständen sicher gelungener. Nichtsdestotrotz hat es das Interesse der Kinder geweckt. Die Gruppenfindung verläuft leicht - entgegen den allgemeinen Erwartungen der Studierenden. Die Schüler und Schülerinnen finden sich an Tischen zusammen und nehmen das Hilfeangebot der Studierenden gerne an. Doch auch bei der Bearbeitung der Aufgaben spielt das Smartphone und der darin integrierte Taschenrechner eine große Rolle. Die Nutzung des Handys verleitet dazu schnell nach einer möglichen Lösung zu googlen, was im ersten Moment ein wenig erschreckt. An dieser Stelle ist ein ausgesprochenes Handynutzungsverbot während der Arbeitsphase zu erwarten - auch wenn die Kinder freiwillig zu diesem Projekt erscheinen. Zwei der zu Beginn sehr aufgedrehten Kinder werden in der Arbeitsphase begleitet. Da auch für die Kinder der erste Eindruck zählt, wird die strenge Bitte, das Suchen der Lösungen im Internet zu unterlassen, nicht geäußert. Irgendwann wird allerdings von einem Studenten darauf aufmerksam gemacht, dass sie es ohne Handy sicher auch schaffen. Interessanterweise legt man in diesem Setting seine autoritäre Lehrerpersönlichkeit vollkommen ab, um bei den Kindern Sympathie zu gewinnen. Die Arbeitsphase verläuft anschließend entgegen den Erwartungen äußerst produktiv. Beeindruckend ist die Tatsache wie angenehm die Interaktion mit zwei Schülern funktioniert. Diese Form der Wissbegierde und Faszination für die Aufgaben entsprechen den im Vorfeld gewünschten Erwartung. Die Ideenvielfalt der Kinder ist immens, sodass jede/r einzelne Schüler und Schülerin wertvolle Ansätze zum Lösen der Aufgabe entwickelt. Der sich zum Stundenbeginn etablierte, leicht negative Eindruck ist ab sofort nicht mehr präsent. Die Pause wird nicht von allen Schülern und Schülerinnen zum Essen oder Trinken genutzt. Für einen Schüler stellt sie wertvolle Zeit dar, um die Ratschläge eines Studenten zu verinnerlichen und der Lösung nachzueifern. Dies ist sehr zu bewundern und lässt die Feststellung zu, dass mit der Wahl dieses Projektes die richtige Entscheidung getroffen ist. Leider wird dieses Bild zum Stundenabschluss und der damit verbundenen Plenumsdiskussion erschüttert. Die Idee einen Moderator oder Moderatorin aus dem Schülerkreis zu wählen, kann sehr gutgeheißen werden - die Umsetzung scheitert jedoch erneut an der Aufgebrachtheit einiger Jungen. Zum allgemeinen Entsetzen handeln sie extrem respektlos und mokieren sich über die Kinder, die sich trauen ihre Lösungen vorzustellen. Mehrfach muss die Lehrerin eingreifen. Anmerkung des Verfassers: R ü ckblickend habe ich mir falsche Vorstellungen davon gemacht, wie mathematisch interessierte Kinder miteinander umgehen, auftreten und welche Charakterz ü ge sie aufweisen. Ich muss erneut feststellen, dass mein Bild von Stereotypen verzerrt ist. Dennoch überraschen die interessanten Lösungsvorschläge der Kinder und zum Abschluss entwickelt sich eine mathematische Diskussion, da nicht alle Teilnehmer mit den vorgestellten Lösungen einverstanden sind. Im Abschlussgespräch hätte eine transparentere und intensivere Besprechung der Aufgabenlösung seitens der Masterandin erfolgen müssen. Der Eindruck entsteht, dass nicht alle Kinder die Rechenschritte nachvollziehen können und somit teilweise nicht zufriedenstellend zurückgelassen werden. Doch gerade diese Phase der Stunde ist sehr wertvoll und wichtig, damit die Kinder ihre eigene Lösung reflektieren und mit der Musterlösung vergleichen können. Hier entstehen kognitive Fortschritte und wichtige mathematische Erkenntnisse.

Insgesamt kann zufrieden auf die erste Stunde zurückgeblickt werden, da das Bild von Mathematik begeisterten Kindern eher im Kopf hängen bleibt, als der nicht sehr respektvolle Umgang untereinander im Plenum. Für letzteren Punkt ist allerdings in den folgenden Stunden eine Verbesserung zu erwarten. Die Unruhe ist jedoch sicherlich der Situation geschuldet- schließlich ist es die erste Stunde nach den Ferien in der plötzlich fünf bis sechs unbekannte Erwachsene anwesend sind und die Stunde von einer „fremden“ Lehrerin geleitet wird.

3. Begabungsmerkmale und begabungsst ü tzende Per-s ö nlichkeitseigenschaften

Mathematische Begabung ist ein komplexer Begriff und stellt keine Beschreibung für einen normierten Ist-Zustand dar. Vielmehr ist die Begabung von mehreren Faktoren abhängig und kann ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. Erschwerend kommt hinzu, dass Wörter wie „Intelligenz“, „Talent“ und „Fähigkeit“ synonym verwendet werden und so den Begriff der Begabung als nicht eindeutig definiert erscheinen lassen (vgl. (Käpnick, 1998, S. 45)). An dieser Stelle setzt Käpnick an und fordert eine eindeutige Beschreibung des mathematischen Begabungsmerkmals. So „[…] verstehe er „mathematische Begabung“ dementsprechend als eine vorhandene hohe Leistungspotenz für mathematisches Tätigsein.“ (Käpnick, 1998, S. 46). Ebenfalls warnt er davor Begabung ausschließlich auf eine genetische bzw. angeborene Fähigkeit zu reduzieren. Dies birgt die Gefahr, im Kindes- und Jugendalter zu wenig auf „Interessen und Gewohnheiten“ mathematisch begabter Kinder einzugehen und keine Förderung dieses Potentials zu veranlassen (Käpnick, 1998, S. 47). Als realistische und mittlerweile empirisch belegte Ansicht gilt nach Käpnick das „Zweifaktorenmodell“ - ein „komplexer Prozeß von Wechselwirkungen zwischen genetischen Anlagen und Einflüssen aus der gesellschaftlichen Umwelt“ (Käpnick, 1998, S. 49). Die Dringlichkeit und Notwendigkeit der Förderung mathematisch begabter aber auch interessierter Kinder durch Institutionen, wie Schule und Universitäten, aber auch des Elternhauses und der Familie im Allgemeinen wird hier sehr deutlich. Darüber hinaus fällt auf, wie komplex die Thematik zu sein scheint und wie wenig normativ sie bis dahin festgehalten wurde. Um an dieser Stelle Abhilfe zu schaffen definiert Käpnick Begrifflichkeiten und Modelle, die eine Einordnung mathematischer Begabungen zulassen und genauer auf die Persönlichkeit von Kindern in Bezug auf mathematisches Potential eingehen. Das bedeutet nicht eine Abstufung von wenig- bis hochbegabt - ebenfalls findet man keine Bewertungen unterschiedlicher Persönlichkeitsmerkmale. Besonders hebt Käpnick die individuelle Stärke unterschiedlicher Begabungsmerkmale und persönlicher Fähigkeiten hervor, die in unterschiedlichen Situationen vorteilhaft oder eben nachteilig sein können. „[…] Problemaufgaben von Schülern [können] vielfach auf sehr verschiedene Weise gemeistert werden, und es hängt dann vom jeweiligen Standpunkt bzw. der jeweiligen Schwerpunktsetzung ab, welcher Lösungsweg als der „beste“ eingeschätzt wird.“ (Käpnick, 1998, S. 52).

Unterschiedliche Begabungsmerkmale arbeitet der Autor heraus und charakterisiert sie auf der Grundlage des Merkmalsystems von Krutetzki und Kiesswetter. Ebenso erkennt er in Persönlichkeitseigenschaften die Tatsache, dass sie Begabungen stützen, hervorheben oder besonders häufig im Zusammenhang mit bestimmten Merkmalen auftreten können. Die nun oft angeführten Begabungsmerkmale und begabungsstützenden Persönlichkeitseigenschaften werden im Folgenden genauer erklärt und behandelt. Dafür eignen sich Beispiele aus dem Seminar, die ausgewählte Merkmale und Persönlichkeitseigenschaften widerspiegeln.

3.1. Beobachtung eines Begabungsmerkmals

Begabungsmerkmale können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und treten in Kombination mit begabungsstützenden Persönlichkeitseigenschaften auf. Begabungsmerkmale meinen „mathematische und allgemeine geistige Fähigkeiten“ sowie „Besonderheiten des sozialen Verhaltens“ (Käpnick, 1998, S. 108). Käpnick beschäftigt sich in seiner Arbeit vornehmlich mit Grundschulkindern, speziell Dritt- und Viertklässlern. Im Folgenden werden die Begabungsmerkmale aufgezählt, die sich auf die Jahrgangsstufe der sechsten Klassen beziehen. Dieses Modell ist von den Autoren Krutetzki und Kiesswetter eingeführt aber größtenteils deckungsgleich mit dem von Käpnick.

- Speichern mathematischer Sachverhalte im Arbeitsgedächtnis unter Nutzung erkannter Strukturen
- Mathematische Sensibilität
- Mathematische Fantasie
- Selbstständiger Wechsel der Repräsentationsebene
- Selbstständiges Umkehren von Gedankengängen
- Strukturieren auf Musterebene
- Angeben von Strukturen
- Logisches Schlussfolgern

In dieser Arbeit werden insgesamt zwei Begabungsmerkmale näher beleuchtet und durch Beispiele veranschaulicht. Zunächst wird eines anhand einer Interviewsitzung einer Studentin beobachtet und belegt. Dafür gilt es das Verhalten des Kindes während der Sitzung hinsichtlich verbaler und nonverbaler Handlungen und Äußerungen zu analysieren. Das Stundenthema lautet „Indirekte Beweisführung durch Schülerinnen und Schüler“ und liefert den Kindern erste Berührpunkte mit Beweisen von mathematischen Zusammenhängen. So wurde das Spiel Mastermind eingeführt, welches das Aufgabenziel besitzt durch logische Schlussfolgerungen einen Farbencode herauszufinden. Anlehnend an das Spiel steht ein Aufgabenblatt bereit, in dem – auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse aus Mastermind – ebenfalls ein Code zu knacken ist (Siehe Abb. 5). Gelingen kann dies, in dem der Schüler die vorhandenen Informationen nutzt und so den logischen Code schlussfolgert. Die Interviewsitzung stellt eine eins zu eins Betreuung zwischen Lehrerin und Schüler dar. Das Spiel Mastermind ist ein ideales Spiel zu Überprüfung des Begabungsmerkmals „logisches Schlussfolgern“. Dieses Merkmal entspricht keinem der ursprünglich durch Käpnick oder Krutetzki und Kiesswetter angeführten Merkmale. Britta Sjuts, eine Doktorandin von Käpnicks, führt in ihrem Promotionsvorhaben das „logische Schlussfolgern“ ein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Während Grundschulkinder nur über die Fähigkeit des „induktiven Schließens“ verfügen, „[kommt in der formale-operationalen Phase] die Fähigkeit zum deduktiven Schlussfolgern und zum abstrakten Denken hinzu“ (Sjuts, 2017, S. 140). Sjuts erklärt, dass das Merkmal somit im Grundschulalter noch keine Relevanz besitzt, „im fünften und sechsten Schuljahr […] [durchaus] als wesentlicher Bestandteil mathematischen Tätigseins zu einem mathematikspezifischen Begabungsmerkmal [wird]“ (Sjuts, 2017, S. 140). Der interviewte Sechstklässler Schüler 2 spielt zu Beginn der Interviewsitzung das Spiel Mastermind. Er ist an der Reihe des „Ratenden“ und beginnt durch die Hinweise der Studentin Kombinationsmöglichkeiten zu schlussfolgern. So erhält er für seinen ersten Versuch einen schwarzen und einen weißen Pin. Dies impliziert, dass eine richtige Farbe an die richtige Stelle gesetzt wurde und eine weitere richtige Farbe existiert. Als er für seinen zweiten Versuch erneut einen schwarzen und einen weißen Pin erhält (Siehe Abb. 5) schlussfolgert er: „Ich glaube rot ist richtig“ (Siehe Tabelle 1, Nr.1). An seiner später folgenden Aussage „Das grün sollte lieber bleiben… denn das war offenbar richtig, also richtige Farbe…aber da war halt auch nur die Stelle richtig. Das Rot lass ich auch da…“ (Siehe Tabelle 1, Nr. 2), wird sein Gedankengang und somit die dahintersteckende Logik sichtbar. Er scheint zu diesem Zeitpunkt die Spielweise von Mastermind verstanden zu haben und weiß die Hinweise der Studentin effektiv umzusetzen. Ähnliche laut formulierte Schlussfolgerungen folgen. Diese unterstreichen seine Absicht logische Zusammenhänge erkennen und entsprechende Schlüsse ziehen zu wollen:

„Ich schließe aus, dass das Rot richtig ist (Anmerkung des Verfassers: Er meint damit, dass er ausschlie ß t, dass Rot falsch ist). Ich habe also alle…bei jedem habe ich die Stelle gewechselt außer beim Roten, deshalb müsste es Rot richtig sein…das Grüne scheint auch richtig zu sein“ (Siehe Tabelle 1: Transkript I, Nr.3).

Schüler 2 argumentiert sehr viel mit logischen Zusammenhängen und nutzt die vorangegangen Versuche der Farbkombinationen, um auf die Lösung zu schließen. Dennoch fällt im Laufe des Interviews auf, dass er nicht zum Ergebnis gelangt. An dieser Stelle lässt sich festhalten, dass er über die Absicht und teilweise auch Fähigkeit des logischen Schlussfolgerns verfügt, durch Unverständnis oder fehlende Übersicht jedoch die falschen Konsequenzen zieht. Im zweiten Teil des Interviews, beim Arbeitsblatt „der verflixte Zahlencode“ (Siehe Abb. 3) bestätigt sich diese Annahme. Es gilt angelehnt an das System von Mastermind einen Zahlencode herauszufinden. Die Aussage des Jungen „Die Zwei könnte richtig sein, die Sieben könnte richtig sein, weil sie hier gleich ist und hier auch eine richtige sind…ehm… es gibt aber auch noch zwei andere die an der falschen Position sind aber richtig…“ (Siehe Tabelle 1, Nr.4) veranschaulicht Schüler 2 hohe geistige Aktivität und die Frequenz logische Schlüsse zu ziehen. Doch hier gelangt er ebenfalls nur über Hilfestellung zur richtigen Lösung. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Junge zu Beginn ein hohes Potential logischen Schlussfolgerns erkennen lässt. Er arbeitet sich schnell in die Problematik ein und versucht logische Zusammenhänge zu erkennen. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich ein ausgeprägtes Merkmal feststellen. Dennoch gelangt er nicht zu adäquaten Schlussfolgerungen. Das kann zum einen auf fehlerhafte Denkmuster hindeuten, zum anderen stellt dies ein hohes Gefahrenpotential des Spiels dar und ist deshalb nicht so streng zu bewerten. Es ist offensichtlich nicht ganz trivial Ausprägungen von Begabungsmerkmalen zu messen. Leichter gestaltet sich an dieser Stelle das Erheben von begabungsstützenden Persönlichkeitseigenschaften.

3.2. Beobachtung einer begabungsst ü tzenden Pers ö nlichkeits-eigenschaft

Begabungsstützende Persönlichkeitseigenschaften sind Merkmale, die auch abseits der Mathematik bekannt sind. Käpnicks Interpretation der Begriffe bezieht sich allerdings ausschließlich auf die Persönlichkeit hinsichtlich mathematischer Begabung und sind auch so zu verwenden. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Eigenschaften aufgelistet (Käpnick, 1998, S. 119).

- Hohe geistige Aktivität
- Intellektuelle Neugier
- Anstrengungsbereitschaft, Leistungsmotiviation
- Freude am Problemlösen
- Konzentrationsfähigkeit
- Beharrlichkeit
- Selbstständigkeit
- Kooperationsfähigkeit

Das Modell der begabungsstützenden Persönlichkeitseigenschaften setzt sich aus mehreren Punkten zusammen, steht jedoch in einem Systemzusammenhang zu den Begabungsmerkmalen. Es existieren „Wechselbeziehungen und Querverbindungen, die individuell unterschiedlich ausgeprägt sein können“ (Käpnick, 1998, S. 118). Käpnick erklärt, dass Begabungsmerkmale, wie beispielsweise die Fähigkeit zum Strukturieren, nur durch stützende Persönlichkeitseigenschaften voll entfaltet werden können. Es bedarf einer hohen Konzentrationsfähigkeit, um die Fähigkeit zum Strukturieren überhaupt zum Einsatz bringen zu können. Bei mangelnder Fähigkeit zum Strukturieren, kann ein hohes Maß an Beharrlichkeit ausgleichend agieren (Vgl. (Käpnick, 1998, S. 118)). Es gilt Begabungsmerkmale und begabungsstützende Persönlichkeitseigenschaften in einer engen Beziehung zueinander zu betrachten. Dies veranlasst das vorherige Unterkapitel (Siehe 3.1) erneut aufzugreifen. Hier wird die Fähigkeit des logischen Schlussfolgerns eingeführt, wenngleich die Stärke der Ausprägung schwierig einzuordnen ist. Dennoch lässt das Merkmal Schlüsse auf begabungsstützende Persönlichkeitseigenschaften des Jungen zu. Grundsätzlich gilt es eine Eigenschaft herauszuarbeiten. Da die folgenden zwei jedoch in einer engen Wechselbeziehung stehen und einander bedingen, werden beide dargestellt. Schüler 2 beweist in seinen zahlreichen lauten Äußerungen ein hohes Maß an geistiger Aktivität. Die angeführten Zitate des Schülers deuten auf die komplexen Denkprozesse hin, die volle Konzentration bedürfen. Die zweite sehr auffallende Eigenschaft ist daher die Konzentrationsfähigkeit. Wäre diese nicht derart ausgeprägt, könnte Schüler 2 kaum über die gesamte Länge des Interviews in einem Monolog über die Aufgabe rätseln. Während der ersten Mastermind Partie ist zu beobachten, dass der Schüler gedanklich kurz abschweift. „Es gibt 37 Möglichkeiten. Also ich glaube, das könnte auch vielleicht nicht reichen.“ (Siehe Tabelle 1, Nr. 5). Die, wie man annehmen könnte, geringe Konzentrationsfähigkeit erweist sich in diesem Beispiel als eine erstaunlich hohe geistige Aktivität. Die Aufgabe fordert ihn zu dem Zeitpunkt nicht genug, weshalb er im Kopf die möglichen Kombinationen des Spiels ausrechnet. Auf Grund seiner trotzdem vorhandenen geistigen Anwesenheit ist von einer hohen Konzentrationsfähigkeit auszugehen. Die hohe geistige Aktivität beweist Schüler 2 in einer späteren Aussage erneut. „Also hier kommt die Drei vor und hier ist sie auch darin. Ehm… Also die Drei könnte an der falschen Stelle sein. Die Acht ehm auch. Die Vier auch. Aber die Eins nicht.“ (Siehe Tabelle 1, Nr. 6). Innerhalb kurzer Zeit schlussfolgert er die vollständige Lösung. Dies ist kognitiv als sehr anspruchsvoll zu bewerten, da eine ganzheitliche Übersicht des Problems gedanklich vorliegen muss. Über den gesamten Zeitraum der Sitzung verliert sich der Schüler kaum in Gedanken. Als ihm zum Ende hin Süßigkeiten von der Studentin angeboten werden, greift er zu, beschäftigt sich binnen weniger Sekunden jedoch mit der Aufgabe und setzt seine Arbeit fort. Die Fähigkeit den Fokus schnell auf das mathematische Problem zurückzuführen wird in dieser Situation verdeutlicht. Als zum Ende des Interviews die Dozentin das Zimmer betritt, lässt sich der Schüler nicht von seiner Arbeit abbringen und schreibt seine Lösung zu Ende auf.

Wird ein Kind von zwei Erwachsenen beobachtet, kann es in der Regel auf Grund von Aufregung oder Unkonzentriertheit nicht besonders gut arbeiten. Schüler 2 hingegen beweist nach einer Stunde des konzentrierten Arbeitens die geistige Aktivität und den Blick für das mathematische Problem.

4. Beobachtung eines Problembearbeitungsstils

Kinder lösen auf unterschiedlichste Weise Problemaufgaben. Dabei bevorzugen manche eine strenge immer gleich auftretende Vorgehensweise, während andere Schülerinnen und Schüler sich durch Ausprobieren und Herantasten verschiedener Lösungsmöglichkeiten auszeichnen. Käpnick beobachtet, dass sich die angesprochenen Vorgehensweisen recht häufig kategorisieren lassen und benennt die unterschiedlichen Typen „Hartnäckiges Probieren“, „Systematisches Vorgehen“, Intuitives Vortasten“ und „Abwechselndes Überlegen und Probieren“ (Käpnick, 1998, S. 250). Es ist anzumerken, dass nicht jedes Kind eindeutig in eines der Muster einzuordnen ist. So lässt sich die „Kennzeichnung von Vorgehensweisen beim Problemlösen […] nicht einfach strukturieren […].“, weshalb so genannte Mischtypen existieren (Fuchs, 2006, S. 92). Im Folgenden wird der Versuch vorgenommen einen Schüler in eine der Kategorien der Problembearbeitungsstile einzuordnen. Dies geschieht auf der Grundlage einer Beobachtung die festhält, wie das Kind eine Aufgabe löst. Verglichen werden die festgehaltenen Merkmale mit einer Tabelle, die unterschiedliche Aspekte einzelner Problembearbeitungsstile aufzeigt (Siehe Abb. 3 und Abb. 4). Die zu lösende Aufgabe ist dieselbe, wie im Kapitel 3.1 und befasst sich mit dem Spiel Mastermind. Das zu beobachtende Kind ist Kalle. Zu Beginn der Bearbeitung ist Kalle eindeutig dem Problembearbeitungsstil „Abwechselndes Überlegen und Probieren“ zuzuordnen. So sucht er von Anfang an bewusst nach Lösungsmustern, in dem er Zahlen wegstreicht und Bezug auf die schwarzen und weißen Punkte nimmt. Diese verraten welche Zahlen bloß richtig, oder aber auch an der korrekten Position stehen. Seine Informationsaufnahme und -verarbeitung (Vgl. Abb. 4) läuft dahingehend strukturiert ab und ehe er in die Probierphase übergeht, verschafft er sich ein ausreichendes Bild der vorliegenden Informationen. Auffallend ist, dass er sich bis auf das Wegstreichen und sehr überschaubare Herausschreiben von Zahlen keine weiteren Notizen macht (vgl. Abb. 6). Besonders anfangs wirkt es, als löse der Schüler die Aufgabe sehr schnell, da er eine hohe geistige Aktivität, eine ausgeprägte intellektuelle Neugier sowie Begeisterungsfähigkeit für die Aufgabe aufbringen kann. Hinzukommend unterschreibt die Intensität seiner selbstständigen Arbeitsweise die Einordnung in den Problembearbeitungsstil „Abwechselndes Überlegen und Probieren (Vgl. Abb. 4). Das Modell und auch die Tabelle beinhaltet unteranderem zur Kategorisierung den Aspekt der emotionalen Selbstregulation und unterscheidet hier zwischen zwei Typen A und B. Kalle, der Typ B zuzuordnen ist, sticht mit seinem temperamentvollen und teilweise unausgeglichenen Verhalten heraus. Und so soll sich seine Art und Weise der Aufgabenbearbeitung ab einer gewissen Zeit plötzlich stark verändern: seine anfängliche Strukturiertheit sowie das gewissenhafte Analysieren mit anschließender Probierphase weicht mit zunehmender Abnahme der Konzentration einem hartnäckigen Probieren. Als er sich der Aufgabe zu Beginn annimmt, wartet er eine recht lange Zeit, bis er das erste Mal eine mögliche Lösung von der Lehrerin überprüfen lässt. Im Verlauf der Stunde und somit auch nach steigender Anzahl seiner Fehlversuche fällt auf, dass seine strukturierte Arbeitsweise stark nachlässt. Allmählich verliert er seine Strategie „aus dem Auge“, die zuvor erarbeiteten Informationen scheinen überflüssig und Kalle ruft im Sekundentakt mögliche Lösungen in den Raum. Dass hier kein mathematischer Zusammenhang mehr vorliegt und es sich um ein zufälliges Erraten der Lösung handelt, fordert eine Neueinordnung des Problembearbeitungsstils. „Hartnäckiges Probieren“ (Vgl. Abb. 3) überwiegt nun und wird durch seine abnehmende mathematsche Sensibilität bestätigt. So werden nun kaum mehr originelle und kreative Lösungen hervorgebracht und es fehlt an wohlüberlegten, übersichtlich dargestellten Ergebnissen. Fuchs zuvor dargestellte Mischform der Problembearbeitungsstile lässt sich somit auch bei Kalle erkennen. Insgesamt lässt sich sein mathematischer Enthusiasmus, ähnlich wie seine logische Überlegungskraft in einer abnehmenden Kurve im Laufe der Stunde skizzieren. Der Wechsel beider Bearbeitungsstile hat jedoch nichts mit seiner grundlegenden mathematischen Kompetenz, eher mit seiner Fähigkeit die Konzentration aufrechtzuhalten gemein. Daher tendiert Kalle vom Typ eher zum Stil des „Abwechselnden Überlegen und Probieren“. Wie Fuchs erklärt, bestätigt das Beispiel Kalles die Schwierigkeit, Kinder eindeutig bestimmten Stilen zuzuordnen. Vielmehr, besonders durch das hohe Maß der Heterogenität und Individualität der Schülerinnen und Schüler, spräche es den Kindern zu, jedem eine individuelle Einordnung zuteil werden zu lassen und von Kategorisierungen basierend auf vier bis fünf Stilen abzusehen. Noch interessanter scheint nun ein späteres Kapitel dieser Ausarbeitung. Hier wird ein weiterer Versuch unternommen ein Kind in eines der Stile einzuordnen. Möglicherweise gelingt dies einfacher - oder aber auch schwerer. Letzteres würde Fuchs These unterstreichen. Im Folgenden werden die Durchführung und Erkenntnisgewinnung eines Einzelinterviews beschrieben. Die bereits angeführten Punkte „Begabungsmerkmal“, „Begabungsstützende Persönlichkeitseigenschaft“ und „Problembearbeitungs-stil“ werden dort noch einmal auf der Basis des zuletzt beschriebenen theoretischen Einstiegs aufgegriffen.

5. Theoriegeleitete Analyse einer Einzelinterviewsitzung

Im Rahmen des Seminars und der zu leistenden Schülerbeobachtung erhält jede/r Student und Studentin die Möglichkeit ein Kind zu interviewen. Das Interview findet in einem separaten Raum statt. Dies sorgt für eine ruhigere Lernatmosphäre, verglichen mit dem von 15 Kindern besetzten Kursraum. Die zu erledigenden Aufgaben der Interviewsitzung basieren auf den gleichen Arbeitsblättern, wie die der regulären Unterrichtsstunde. Der besondere Unterschied beider Situationen ist der Betreuungsschlüssel. Während in der zweiwöchig stattfinden MIKADU Einheit mehrere Lehrer, Lehrerinnen sowie Studenten und Studentinnen anwesend sind, erhält das Kind während des Interviews eine individuelle Betreuung. Dennoch soll die Sitzung bewusst keiner Nachhilfestunde ähneln: die/ der Student bzw. Studentin soll bewusst zurückhaltend und moderierend, höchstens fragend agieren. Ziel ist es, den/ die Schüler oder di Schülerin die Aufgaben möglichst alleine in ihrem/ in seinem eigenen Stil lösen zu lassen und dabei Beobachtungen zu unterschiedlichsten Eigenschaften und Merkmalen festzuhalten. Die Sitzung wird mithilfe einer audiogestützten Videoaufzeichnung erfasst. Die Sequenzen werden anschließend analysiert und als Beweisinstrument wissenschaftlicher Erkenntnisse verwendet. In den vorherigen Kapiteln sind bereits Begriffe wie Begabungsmerkmal, begabungsstützende Persönlichkeitseigenschaft und Problembearbeitungsstile eingeführt und beschrieben. Diese gilt es ein weiteres Mal zu untersuchen. Darüber hinaus dient die Sitzung allerdings nicht nur der Erkenntnisgewinnung möglicher Schülermerkmale. Auch die Lehrerpersönlichkeit ist in diesem Kapitel von Bedeutung. Wie agiert die Lehrkraft in bestimmten Situationen; wie ist die Reaktion auf bestimmte Vorkommnisse oder Fragen? Kann sie mit Stille oder Unruhe ausgehend vom Verhalten des Schülers bzw. der Schülerin umgehen? Die herausgearbeiteten Verhaltensweisen kann die Lehrkraft zur Optimierung ihrer eigenen Lehrerpersönlichkeit nutzen. Die beschriebenen Aspekte gilt es in den folgenden Kapiteln zu untersuchen. Die zu lösende Aufgabe des Kindes fällt in die Thematik mathematischer Zaubertricks. Die Aufgabenstellung fordert dazu auf mehrmals hintereinander sechsseitige Würfel zu würfeln. Dabei werden Augenzahlen nach einer bestimmten Gesetzmäßigkeit notiert und verbleibende Würfel erneut gewürfelt. Zum Ende ist die Magierin in der Lage mit Hilfe weniger Hinweise die Summe aller geworfenen Augenzahlen zu benennen. In der Sitzung hat sich Schüler 1, ein Schüler der sechsten Klasse, mit dem Würfelaufgabenblatt beschäftigt. Dieses befindet sich in den Anlagen dieser Ausarbeitung (Siehe Abb. 11 und Abb. 12).

5.1. Lehrerpers ö nlichkeit

Die Lehrerpersönlichkeit wird im Studium ausgebildet und ist ein wichtiges Instrument für das erfolgreiche Lehrerdasein. Durch pädagogische Vorerfahrungen, wie z.B. Nachhilfe-Unterricht, Vertretungsstellen oder das Arbeiten im offenen Ganztag prägen sich Merkmale der Lehrerpersönlichkeit ebenso aus. In diesem Kontext steht die so genannte Feedbackkultur und der damit verbundene Umgang mit Fehlern. In der Forschung rückt diese Thematik zunehmend in den Fokus und zeigt die Wichtigkeit eines angemessenen Umgangs mit Fehlern, aber auch mit Lob und Kritik auf. Die Autoren Weckend, Schatz und Zierer erklären: „Lernen heißt Fehler machen. Daher sollten Fehler nicht als etwas gesehen werden das es zu vermeiden gilt.“ (Weckend, Schatz, & Zierer, 2019, S. 28). Noch wichtiger als die hier angesprochene Defizitorientierung, ist die Form der Kritikäußerung. Rückmeldung sollten nicht auf „der Ebene des Selbst“ erfolgen, da Schülerinnen und Schüler die Kritik folglich auf ihre Persönlichkeit beziehen, anstatt auf ihr Handeln (Weckend, Schatz, & Zierer, 2019, S. 28). Im Folgenden wird beobachtet, wie der Student in der Interviewsitzung Kritik äußert, bzw. dem Schüler Schüler 1 Feedback erteilt. Das Ziel ist dabei nicht die Bewertung der Feedbackäußerung, sondern lediglich die Art und Weise der Ausführung zu beleuchten. Auffallende motivationale Aspekte werden ebenfalls aufgezeigt, da diese im engen Kontext mit der Stärkenorientierung stehen. Zu Beginn „lockert“ der Student die angespannte Situation auf, indem er sich bei Schüler 1 für die Teilnahme am Interview bedankt (Siehe Tabelle 3, Nr. 1). Schüler 1 beginnt recht zügig die Aufgabenstellung vorzulesen und es wird deutlich, dass der Schüler diese nicht verstanden hat. Um zu signalisieren, dass Schüler 1 keinen Fehler begangen hat, sondern die Aufgabenstellung sehr schwer formuliert ist, greift der Student die Problematik auf. Mit der Aussage „Klingt erstmal wie Chinesisch. Hast‘ wahrscheinlich nicht so viel jetzt mitbekommen, ne?“ (siehe Tabelle 3, Nr. 2) signalisiert der Student auf eine humorvolle Art, dass der Schüler nichts falsch gemacht hat. An dieser Stelle wird darauf geachtet, dass die nicht Kritik auf der „Ebene des Selbst“ erfolgt. Kurz darauf äußert Schüler 1 eine weitere Frage, auf welche der Student erneut mit einer positiven Form des Feedbacks reagiert: „[…] ja, guter Einwand“ (siehe Tabelle 3, Nr. 3). Ein Lob ist ein Signal der Anerkennung bzw. ein „Ausdruck von Bewunderung“ und zieht erwiesenen Maßen „motivationsförderliche Effekte“ nach sich (Bartels, Pieper , & Busch, 2019, S. 46). An dieser Stelle reagiert der Student auf eine für den Schüler unklare Situation mit einer Würdigung seiner Frage. Dies kann dazu beitragen, dass der Junge eine positive Sichtweise zu verständnisklärenden Fragen entwickelt. Zum Ende des Interviews unterläuft dem Schüler ein Fehler, der dem Studenten rechtzeitig auffällt. Um eine „Fehlerfortpflanzung“ zu vermeiden, stellt er dem Jungen eine Verständnisfrage. „Da hast du gerade die Würfel umgedreht, ne? […] Hast du dann mit beiden nochmal gewürfelt?“ (siehe Tabelle 3, Nr. 4). Der Student täuscht vor, als sei er - bezogen auf diese Situation - ebenso unwissend wie der Schüler. In dem er die Frage derart äußert, lenkt er die Aufmerksamkeit darauf, dass er sich selbst unentschlossen ist und somit auf einer Ebene mit dem Schüler steht. Der Verbesserungsvorschlag „Das kann man ja dann vielleicht noch irgendwie darein quetschen“ (siehe Tabelle 3, Nr. 6) sorgt dafür, dass dem Fehler keine große Relevanz beigemessen wird und im Anschluss problemlos mit der Aufgabe fortgesetzt werden kann. Als Zeichen Schüler 1 guter Mitarbeit erhält der Schüler zum Ende ein Lob. „Also mir hat’s großen Spaß gemacht. Das war sehr interessant dir einfach nur zuzuschauen. […] du hast das ja auch echt super hingekriegt.“ (siehe Tabelle 3, Nr. 7). Somit wird das Interview von einer zu Beginn vorgenommenen Motivation und der positiven Kritik zum Abschluss umschlossen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Student das Werkzeug des Feedbacks sinnvoll angewendet hat. Dabei wurde darauf geachtet Kritik nicht auf der „Ebene des Selbst“, sondern auf der des Sachverhalts anzubringen. Gegebenenfalls ist eine Optimierung im Ausdruck Die genaue Definition von Begabungsmerkmalen und eine wissenschaftlich fundierte Einleitung ist im Kapitel 3 beschrieben. Nun gilt es mathematische Be-gabungsmerkmale eines weiteren Kindes mit Hilfe des Einzelinterviews zu untersuchen. Nach umfassender Analyse des Videomaterials sticht ein Merkmal besonders hervor. Die Fähigkeit zum Strukturieren auf der Musterebene ist eines der Merkmale, für dessen Definition nicht Käpnick, sondern andere Autorinnen verantwortlich sind. Nadine Ehrlich – später orientiert sich Mandy Fuchs ebenfalls an diesem Modell – erklärt, dass der Strukturierungsbegriff „gekennzeichnet ist durch das Erkennen, Nutzen und Bilden von Strukturen“ in Bezug auf mathematische Sachverhalte (Ehrlich, 2015, S. 113). Wird nun die Vokabel „Muster“ im Zusammenhang des Strukturierungsmerkmals verwendet, so kann ein „Muster […] bspw. mithilfe einer Tabelle, einer Zahlenfolge, einer Zeichnung oder verbal dargestellt werden […]“ (Ehrlich, 2015, S. 117). Schüler und Schülerinnen, die eine starke Ausprägung des Begabungsmerkmals Strukturieren auf der Musterebene erkennen lassen, sind also zu Folgendem in der Lage. Sie können mithilfe von z.B. Linien und ähnlichen Mustern innerhalb ihrer Notizen einen mathematischen Sachverhalt klarer strukturieren. Gesetzmäßigkeiten oder Wiederholungen in Form einer immer wiederkehrenden Logik können so beispielsweise herausgestellt werden. Unter der Zuhilfenahme von Skizzen oder Mustern können Auffälligkeiten besonders dann hervorgehoben werden, wenn eine Verbalisierung der Beobachtungen schwerfällt. Schüler 1 nutzt diese Strukturierungsmöglichkeit ebenfalls. Um Herauszufinden, wie die Magierin den Würfeltrick anwendet, notiert er sich zu Beginn die gewürfelten Augenzahlen. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich für den Jungen noch keine Logik erkennen. Der Schüler notiert die Augenzahlen eines Durchgangs nebeneinander und wechselt für nachfolgende Würfe die Zeile. So entsteht eine Dreiecksform, die einen besseren Überblick verschafft (Siehe Abb. 8). Schüler 1 braucht einige Minuten um den Sachverhalt zu verstehen und das Problem effektiv angehen zu können. Dann stellt er fest, dass bestimmte Augenzahlen addiert eine identische Summe ergeben: „Diese Zahlen hier werden glaub ich…äh ergeben glaub ich immer das Gleiche zusammen.“ (Siehe Tabelle 2, Nr. 1). Seine These untermauert er mit mehreren Linien, die waagerecht durch zwei seiner Dreiecksformen verlaufen (Siehe Abb. 1). Zu diesem Zeitpunkt verfolgt er noch eine falsche Annahme, erkennt jedoch, dass „[…] diese Zahlen […] zusammen immer das Gleiche [ergeben]“ (Siehe Tabelle 2, Nr. 2). Erstmals zieht er - zeitgleich zu seiner Aussage - diagonale Linien. Diese Linien ergeben in Summe der Einträge die Zahl Sieben (Siehe Abb. 1). Das Verhalten das Schüler 1 im Folgenden aufzeigt ist in Ehrlichs Dissertation wiederzufinden. Sie erklärt, dass einige Kinder aufbauend auf ihrer herausgefundenen Struktur alle folgenden Aufgab Schema lösen. (Vgl. (Ehrlich, 2015, S. 119)). Werden nun einmal die Muster in Abb. 8 und Abb. 10 miteinander verglichen, bestätigt sich die Annahme der Autorin. In allen Dreiecksformen von Schüler 1 Anordnungen lassen sich Diagonale Linien auffinden. In jedem Fall ergeben die Einträge die Summe Sieben. Für Schüler 1 ist eine Verletzung dieser Tatsache ein Indikator dafür, dass „irgendwas […] falsch gelaufen [ist]“ (Siehe Tabelle 2, N r . 4 ). An dieser Aussage wird deutlich, dass die Strukturierung auf der Musterebene für den Schüler eine Form des Beweises darstellt. Zuletzt fällt auf, dass der Junge die Würfel, die laut Aufgabe liegen zu lassen, sind separat kennzeichnet. Diese Zahlen sind jeweils zu Beginn jeder zweiten Zeile in den Dreiecksformen wiederzufinden. Indem er diese umrahmt, hebt er sie hervor (Siehe Abb. 9). Für Schüler 1 ist die Kennzeichnung durch die „Einrahmung“ das Merkmal, das die jeweilige Zahl vom Gesetz der stets Sieben ergebenen Diagonale ausschließt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Schüler 1 über eine hohe Ausprägung der Strukturierung auf der Musterebene verfügt. Dieses Begabungsmerkmal sorgt bei dem Schüler dafür, dass es im Problemlöseprozess als unterstützendes Werkzeug dient. Zusätzlich offenbart es Fehler, die Schüler 1 selbst unterlaufen sind und regt zu Verbesserungen der Lösung an. Wie bereits erwähnt können Begabungsmerkmale und begabungsstützende Persönlichkeitseigenschaften korrelieren. Im Folgenden gilt es Schüler 1 Verhalten hinsichtlich begabungsstützender Persönlichkeitseigenschaften zu analysieren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Diagonale Linien

5.3. Beobachtung einer begabungsst ü tzenden Pers ö nlichkeits-eigenschaft

Eine wissenschaftlich fundierte Definition der Begrifflichkeit ist im Kapitel 3 bereits ausgeführt. In diesem Abschnitt gilt es eine ausgeprägte Eigenschaft die begabungsstützend wirkt in Schüler 1 Verhalten wiederzuerkennen. Dafür wird das Interview erneut herangezogen. In dieser Arbeit ist bereits die „hohe geistigen Aktivität“ als Eigenschaft aufgegriffen (Siehe 3.2) und ein theoretischer Einstieg geleistet worden. Während der Analysearbeiten ist aufgefallen, dass Schüler 1 in dieser Hinsicht ebenfalls eine starke Ausprägung aufweist. Diese These soll nun anhand mehrerer Beispiele belegt werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Förderung mathematisch interessierter und (hoch-)begabter Kinder. Sensibilisierung angehender Lehrer/innen
Untertitel
Forschungsprojekt
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
50
Katalognummer
V541632
ISBN (eBook)
9783346219626
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hochbegabung, mathematik, intelligente kinder, inselbegabung, autismus, mikadu
Arbeit zitieren
Sebastian Voss (Autor:in), 2020, Förderung mathematisch interessierter und (hoch-)begabter Kinder. Sensibilisierung angehender Lehrer/innen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/541632

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