Literalitätsförderung - ein Beitrag zur sprachlichen Frühförderung von Kindern mit Migrationshintergrund


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung3

2. PISA und Sprachförderung
2.1. Tests
2.2. Sprachliche Fördermaßnahmen vor PISA
2.3. Sprachliche Fördermaßnahmen nach PISA
2.3.1. Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen
2.3.2. Sprachförderung an der Schnittstelle zwischen Elementar und Primarbereich
2.3.3. Schwierigkeiten an der Schnittstelle Elementar und Primarbereich

3. Literalität
3.1. Aspekte von Literalität
3.2. Anbahnung von Literalität
3.3.Situation von Migrantenfamilien im Hinblick auf Literalität
3.4.Bedeutung der Erstsprache

4. Neue Formen der sprachlichen Frühförderung
4.1.Family Literacy

5. Fazit

6.Literatur

1. Einleitung

Die PISA-Studie aus dem Jahre 2000 hat in Bezug auf die getestete Sprachkompetenz vor allem im Bereich der Lesekompetenz den deutschen Schülerinnen und Schülern ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. So erreichten 23% der 15-Jährigen lediglich die unterste von 5 Lesekompetenzstufen, das heißt, sie können einfache Texte oberflächlich verstehen und besitzen elementare Lesefertigkeiten. Mit diesen Fähigkeiten gehören sie jedoch in unserer Informationsgesellschaft zur Risikogruppe zukünftiger Arbeitsloser und Sozialhilfeempfänger, weil sie aufgrund ihrer mangelhaften Textkompetenz nur schwer Zugang zu einer qualifizierten Aus- und späteren Fortbildung haben. Auch Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Erstsprache gehören zu dieser Gruppe. Es ist jedoch auffällig, dass fast die Hälfte der Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund diese erste Lesekompetenzstufe nicht überschreiten.

Für das schlechte Abschneiden der Jugendlichen an deutschen Schulen wurden zwei Hauptursachen ausgemacht: Erstens gäbe es hierzulande einen besonders hohen Anteil an Kindern, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, und zweitens würden Kinder in Deutschland in der Zeit vor ihrem Schulbesuch zu wenig gefördert.

Diese Erklärungsansätze werden im Folgenden aufgegriffen und relativiert. Sie bilden dennoch den Ausgangspunkt für Überlegungen, wie sinnvolle Frühförderung im vorschulischen und familiären Rahmen gestaltet werden kann. Dazu werden exemplarisch einige Ansätze vorgestellt und auf ihre Wirksamkeit überprüft.

Dabei spielt der Begriff der Literalitäts-Erziehung eine zentrale Rolle. Dieser wird erläutert und seine besondere Bedeutung für Kinder nicht deutscher Herkunft dargelegt. Kindergarten und Familie als für Kinder prägende vorschulische Institutionen rücken dabei in den Mittelpunkt frühkindlicher sprachlicher Frühförderungsangebote – für Kinder sowohl mit deutscher als auch mit einer anderen Muttersprache. Dieses soll exemplarisch verdeutlicht werden am Ansatz der sog. „Family Literacy“, einem systemischen Ansatz zur vernetzten Leseförderung.

2. PISA und Sprachförderung

Die Tatsache, dass es in deutschen Schulklassen einen hohen Anteil an Kindern mit einer anderen Muttersprache als Deutsch gibt, ist nicht erst seit den Ergebnissen der PISA-Studie bekannt. Dem daraus resultierenden größeren Förderungsbedarf dieser Gruppe von Schülerinnen und Schülern wurde in den 1980er Jahren noch durch eine verstärkte Ausbildung von DaZ-Lehrkräften Rechnung getragen. In den vergangenen Jahren trat er zugunsten anderer bildungspolitischer Entscheidungen und aus Gründen der Kostenersparnis wieder in den Hintergrund. Die Tatsache, dass Deutschland sich, ähnlich wie Frankreich oder England, zu einem Einwanderungsland entwickelt hat, fand in bildungspolitischen Maßnahmen keinen ausreichenden Niederschlag. Dass der Anteil von 15-Jährigen, die in diesen Ländern auf der untersten Stufe von Lesekompetenz zu verzeichnen sind, deutlich niedriger ist als in Deutschland, hängt also offensichtlich mit der besseren Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund zusammen.[1]

Der Fokus der Kritik auf den vorschulischen Bereich, also vornehmlich Kindertageseinrichtungen und ihre Bildungsaufgaben, setzt diese Institutionen inzwischen einem erheblichen Qualitätsdruck aus. Es besteht zwar die Gefahr, dass dadurch von Kritik am Schulsystem und seiner dreigliedrigen Struktur abgelenkt werden soll. Aber sicherlich ist die Lebensphase von Kindern im Vorschulalter sowohl entwicklungspsychologisch als auch gesellschaftlich ein wichtiger Bereich, um soziale Unterschiede und die daraus resultierenden möglichen Ungleichheiten bei Kindern möglichst früh zu erkennen und aufzugreifen.

2.1. Tests

Die PISA-Studie hat neben den getesteten und für unzureichend befundenen Lesekompetenzen bei Schülerinnen und Schülern vor allem gezeigt, dass der Schulerfolg der Kinder und auch ihre Sprachbeherrschung in besonders hohem Maße vom Bildungshintergrund der Eltern abhängig ist. „Seit Jahren ist zu beobachten, dass die Sprachbeherrschung vieler einheimischer Kinder rückläufig und insgesamt stark vom sozialen Milieu bestimmt wird, aus dem die Kinder kommen. (...) Zugleich kommen immer mehr Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse in die Schule, weil sie zu Hause eine andere Muttersprache sprechen und sich im Deutschen zwar verständlich machen, sich aber nicht regelgerecht ausdrücken können.“[2]

Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, die mangelhaften Sprachkenntnisse noch vor Beginn des Schulbesuchs zu beheben, um den betroffenen Kindern bessere Startbedingungen zu verschaffen. Um den Förderbedarf zu ermitteln, werden Kinder im Vorschulalter in Sprachstandserhebungen durch unterschiedlich aufgebaute Tests geprüft, um dann in der verbleibenden Zeit bis zum Schulbeginn durch gezielte Fördermaßnahmen schulfähig gemacht zu werden. Auf die methodischen Ansätze und Vorgehensweisen dieser Testverfahren kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden. Es scheint mir aber von Bedeutung, dass diese Tests lediglich die Sprachbeherrschung in der deutschen Sprache prüfen. Welches formale und inhaltliche Niveau Kinder mit Migrationshintergrund in ihrer Muttersprache haben, wird nicht abgefragt. Auf die Bedeutung der Muttersprache wird an anderer Stelle noch einmal zurückgekommen.

2.2. Sprachliche Fördermaßnahmen vor PISA

Wie bereits oben erwähnt, ist das Nebeneinander von Kindern mit deutscher und anderer Muttersprache in Kindergärten und Schulen kein neuer Zustand. Und so ist bereits in den 1990er Jahren Literatur zur Bewältigung dieses Neben- und Miteinanders erschienen, die sich unter dem Oberbegriff der interkulturellen Erziehung unter anderem natürlich auch mit dem Erwerb der deutschen Sprache beschäftigte.[3] Hauptintention dieser Materialzusammenstellungen war aber, dem gesellschaftlichen Klima dieser Zeit entsprechend, eher die Förderung eines respektvollen Umgangs miteinander und der Abbau von Berührungsängsten und Vorurteilen. Es ist trotzdem erstaunlich, dass viele der vorgeschlagenen Aktivitäten, zum Beispiel das Singen von Liedern und das gemeinschaftliche Begehen von Feiertagen aus anderen Kulturen, auch heute unter dem Blickwinkel der ausdrücklichen Sprachförderung angeregt werden. Davon, die Sprachbeherrschung deutscher und ausländischer Kinder zu testen, war man zu diesem Zeitpunkt allerdings noch weit entfernt.

2.3. Sprachliche Fördermaßnahmen nach PISA

Heute werden in den einzelnen Bundesländern sowohl für die Ermittlung des Förderbedarfs schulpflichtiger Kinder als auch für die Maßnahmen selbst unterschiedliche Wege beschritten. In Niedersachen, Bremen und Hamburg beispielsweise werden, nachdem die Mädchen und Jungen im Jahr vor ihrer Einschulung auf ihre Deutschkenntnisse hin geprüft wurden, besondere Maßnahmen zwischen Test und Schulbeginn angeboten. Sowohl speziell ausgebildete Fachkräfte als auch abgeordnete Grundschullehrer werden damit betraut und das Förderangebot findet oft in den Kindergärten, in einigen Fällen aber auch in der Grundschule statt. In Bayern wiederum erfolgt der Test erst bei der Anmeldung zur Schule, um die förderbedürftigen Kinder dann zunächst in eigenen Sprachlernklassen zu unterrichten.

2.3.1. Sprachliche Förderung in Kindertagesstätten

Sprachförderung gehört inzwischen zumindest vom Anspruch her zu einem Gesamtkonzept frühkindlicher Förderung. Viele der nachfolgend beschriebenen Anregungen und Ideen beziehen sich im Alltag sowohl auf Kinder mit deutscher als auch mit einer anderen Muttersprache und kommen ihnen gleichermaßen zu Gute. Dieses liegt einmal daran, dass „die Sprachstände deutscher Kinder sinken und zu Sorge Anlass geben. Dies bezieht sich sowohl auf den Reichtum des Wortschatzes als auch auf die zur Verfügung stehende sprachliche Differenzierung und Ausdrucksfülle.“[4] Zum anderen gehört ein Miteinander verschiedener Kulturen und Sprachen inzwischen zum Alltag der meisten Kinder in deutschen Kindertagesstätten, so dass zumindest der multikulturelle Aspekt sprachlicher Integration allen Kindern nutzen kann.

Bereits in den 1970er Jahren wurden vonseiten der Bildungskommission Empfehlungen heraus gegeben, wie in Kindergärten die Sprachentwicklung von Vorschulkindern gefördert und der Leselernprozess vorbereitet werden könne.[5] Heutzutage richtet sich das Augenmerk eher auf Angebote und Anregungen für Erzieherinnen in Kindertageseinrichtungen, die sprachliche Förderung von Kindern mit einer andren Muttersprache in den Kindergartenalltag zu integrieren. So hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen eine Schriftenreihe zum Thema „Miteinander sprechen lernen“ herausgegeben, in der Erzieherinnen und Erzieher theoretisch zum Spracherwerb und praktisch zu gezielter Sprachförderung für Kinder mit einer anderen Muttersprache fortgebildet werden.[6] Die Hinweise in diesen Broschüren sind sehr wertvoll und geben den Betreuungspersonen eine Einstimmung in die emotionale Situation und Bedürftigkeit, in der sich Kinder nicht deutscher Herkunft befinden. Auch hier finden sich viele Beispiele für Reim-, Kreis- und Fingerspiele, um Kinder (inzwischen allerdings gewinnbringend für diejenigen mit deutscher und anderer Muttersprache) zum Gebrauch von Sprache anzuregen Dass interkulturelle und bilinguale Erziehung dazu einen wichtigen Beitrag leisten kann, wird durch aktuelle Publikationen zur Bedeutung des Kindergartens als Sozialisationsinstitution für Kinder mit Migrationshintergrund deutlich.[7] Der Kindertageseinrichtung als Bindeglied zwischen kulturellem Hintergrund der eigenen Herkunft und dem Leben in Deutschland einerseits, aber auch als Schnittstelle zwischen Familie und Schule andererseits wird ein großer Einfluss beigemessen. Inzwischen können Erzieherinnen und Erzieher mit regelrechten Sprachprogrammen im Baustein-System[8] arbeiten, in denen sie methodisch und inhaltlich angeleitet werden, Sprachförderung für deutsche Kinder und solche mit anderer Muttersprache in den Kindergarten- und auch Schulalltag zu integrieren. Denn die Materialien wenden sich inhaltlich und methodisch differenziert und mit der Aufforderung zur Reflektion des eigenen Handelns an Menschen, die als „FachpädagogInnen in Kindergärten, Schulkindergärten, Schulkinderhäusern, Hortgruppen, Hausaufgabenhilfen und Grundschulen gleichermaßen“[9] tätig sind.

[...]


[1] vgl. Apeltauer, Ernst: Beobachten oder Testen? Möglichkeiten zur Erfassung des Sprachentwicklungsstandes von Vorschulkindern mit Migrationshintergrund. Flensburg 2004

[2] Merkel, Johannes: Warum das Kind von hinten aufzäumen? Grundsätze zur Sprachförderung im Elementarbereich, insbesondere von Kindern mit anderer Muttersprache. http://www.kindergartenpaedagogik.de/1296.html (27.2.2006)

[3] vgl. Naegele, Ingrid M./Haarmann, Dieter (Hg.): Darf ich mitspielen? 3. Auflage. Weinheim 1991 oder

Bayam, H. u.a.: Von “Ampel” bis “Zimmermann”. Weinheim 1990

[4] Schlösser, Elke: Wir verstehen uns gut. Münster 2001, S. 18

[5] Koch, Katja: Vorschulische Sprachfördermaßnahmen – ein Ansatzpunkt für die Kooperation zwischen Grundschule und Kindergarten? In: Panagiotopoulou, Argyro/Carle, Ursula: Sprachentwicklung und Schriftspracherwerb. Baltmannsweiler 2004, S. 46

[6] Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit (Hg.): Wie Kinder sprechen lernen. Entwicklung und Förderung der Sprache im Elementarbereich. Düsseldorf 2001

Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit (Hg.): Wer spricht mit mir? Gezielte Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund. Düsseldorf 2001

[7] vgl. Dieckhoff, Petra: Wir verstehen uns prima. Interkulturelle Erziehung im Kindergarten. Stuttgart 2002

[8] vgl. Schlösser, Elke: Wir verstehen uns gut. Spielerisch Deutsch lernen. Münster 2001

[9] ebd. S. 14

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Literalitätsförderung - ein Beitrag zur sprachlichen Frühförderung von Kindern mit Migrationshintergrund
Hochschule
Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V54172
ISBN (eBook)
9783638494366
ISBN (Buch)
9783656619932
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literalitätsförderung, Beitrag, Frühförderung, Kindern, Migrationshintergrund
Arbeit zitieren
Mareke Dreyer (Autor:in), 2006, Literalitätsförderung - ein Beitrag zur sprachlichen Frühförderung von Kindern mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54172

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