Flow-Erfahrungen im Sportunterricht. Eine Bereicherung für den Unterricht?


Seminararbeit, 2020

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen und Begriffsdefinitionen
2.1 „Flow“
2.2 Motivation und Anreiz
2.3 Leistungsmotiv

3. „Flow-Erleben“ in der Schule

4. „Flow-Erleben“ im Sportunterricht

5. Resümee und Ausblick

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang

Abkürzungsverzeichnis

AFP Anforderungs-Fähigkeits-Passung

SU Sportunterricht

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zweck- und tätigkeitszentrierte Anreize in Heckhausens erweitertem kognitiven Motivationsmodell (nach Rheinberg 1989, S. 104)

Abbildung 2: Motivationsspruch auf Instagram von „6amsuccess“

Abbildung 3: Motivationsspruch auf Instagram von „6amsuccess“

1. Einleitung

Läuf t bei dir “ – Das Jugendwort des Jahres 2014 dient in der Umgangssprache einiger Ju- gendlicher der neidfreien Anerkennung einer Leistung und pointiert den reibungs- und mühe- losen Ablauf einer anspruchsvollen Aufgabe. „Laufen“ indiziert hier den Fluss einer Handlung, der ohne Stau oder Stocken zum Ziel führt. Dabei bezieht sich die Formulierung auf den „Flow“-Zustand, der in der Psychologie allgemein einen konzentrierten Schaffensrausch meint, in den man sich verliert. Der emeritierte Professor für Psychologie an der University of Chicago Mihály Csíkszentmihályi gilt als Schöpfer des „Flow“-Begriffs und als Koryphäe der Glücksfor- schung. In seinen Studien zum „Flow-Erleben“ untersucht er zahlreiche Lebensbereiche, um Merkmale, Voraussetzungen und Hindernisse des „Flow“-Zustandes zu erforschen. Dabei fo- kussiert er sich unter anderem auf (Extrem-)Sportler1, die durch ihre Tätigkeit in eine ekstati- sche, fast schon hypnotische Trance versinken und vollkommen in ihrer Aufgabe aufgehen. Seiner Auffassung nach bedarf es klarer Zielsetzungen, einer völligen Konzentration auf das Handeln, einer omnipräsenten Kontrolle über die Tätigkeit und einer Passung von Anforderung und Fähigkeit jenseits von Angst oder Langeweile in scheinbarer Mühelosigkeit, um ein „Flow“- Gefühl zu erlangen (Csíkszentmihályi, 2010, S.69). Dieses Gefühl birgt ein großes Potential für die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit eines Menschen und gilt als ein wichtiger Faktor für das Empfinden von Glück. Demnach ist es ein erstrebenswertes Ziel für ein zufriedenstel- lendes Leben und eine wünschenswerte Eigenschaft für Schüler und Lehrer im Schulunter- richt. Dadurch wird die Frage aufgeworfen, was genau einen „Flow“ ausmacht und wie man „Flow“-Zustände begünstigen kann. Kann man sie im schulischen Alltag aktiv forcieren? Wenn ja, welche Chancen ergeben sich für Schüler und Lehrer? Wenn nicht, warum nicht? Die vor- liegende Arbeit setzt sich mit diesen Fragen auseinander und betrachtet die Möglichkeiten für den Unterricht am Beispiel des Sportunterrichts. Auf den ersten Blick birgt das Fach Sport auf der Grundlage der Untersuchungen von Csíkszentmihályi ein immenses Potential für Erpro- bungen und soll daher analysiert werden. Die Ergebnisse können dazu beitragen, den Sport- unterricht in seiner grundlegenden Ausrichtung zu verändern und die gewonnenen Erkennt- nisse und Erfahrungen mit dem „Flow“-Gefühl auf andere Bereiche des schulischen Lebens zu übertragen.1

Zunächst wird der Begriff „Flow“ definitorisch ausgeschärft und die inhärenten Fassetten Mo- tivation, Tätigkeitsanreize versus Folgeanreize sowie Leistungsmotiv beleuchtet. Dann soll der „Flow“ in einen schulischen Kontext eingebettet und mögliche Chancen und Hindernisse be- nannt werden. Im weiteren Verlauf wird dezidiert auf den Sport eingegangen, ein Resümee gezogen und ein Ausblick gestaltet.

2 . Theoretische Grundlagen und Begriffsdefinitionen

Um ein einheitliches Verständnis von den verwendeten Begriffen zu gewährleisten, soll an dieser Stelle Definitionen vorgestellt werden, die den „Flow“ in der Psychologie von der miss- verständlichen Nutzung im Sprachgebrauch und den Verallgemeinerungen abgrenzt. Des Weiteren sollen Zusammenhänge mit Begriffen wie Motivation, Tätigkeitsanreizen versus Fol- geanreizen und Leistungsmotiv hergestellt werden.

2.1 „Flow“

Der Anglizismus „Flow“ (deutsch: „das Fließen, Strömen“) wurde in der Psychologie erstmals von Csíkszentmihályi verwendet und beschreibt einen mentalen Zustand absoluter Vertiefung, maximaler Konzentration auf einen Gegenstand und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit, die scheinbar automatisch abläuft und die erfahrende Person von ihrer Lebenswelt abkoppelt, sodass zeitliche und räumliche Einflüsse in die Peripherie abdriften. Der Zustand entwickelt sich in einem komplexen Geschehen zwischen Überforderung (Angst) und Unterforderung (Langeweile) und befähigt eine Person zu einem tranceähnlichen Fokus (Csíkszentmihályi, 2010). Erstmals trat die „absorption“ – also das restlose Aufgehen in einer Tätigkeit – bei Woodworth (1918) auf, der sie in Alltagsbedingungen beobachtete. Das Phänomen des „Ver- weilen[s] in einem Zustand des glücklichen Unendlichkeitsgefühls“ (Scheuerl, 1979, S.31) wurde bereits 1959 in der Spieltheorie entdeckt, das jedoch eher als Grundlage für die Sucht- forschung verwendet wird. Csíkszentmihályi spezifizierte als erster den besonderen Zustand des „Flows“ in seinen Forschungsprogrammen und gilt daher als Begründer der Flow-Theorie (Heckhausen, 2018). In diesen Programmen führte er eine qualitative Forschung anhand von Interviews mit Felskletterern, Tänzern, Chirurgen und Schachspielern durch und beschrieb elementare Erlebnis- und Bedingungskomponenten des „Flow-Erlebens“ (Zusammengefasst nach Csíkszentmihályi, 1975; Rheinberg & Vollmeyer, 2019):

1. Man fühlt sich optimal beansprucht und hat trotz hoher Anforderung das sichere Ge- fühl, das Geschehen noch gut unter Kontrolle zu haben (Balance zwischen Anforde- rung und Fähigkeit auf hohem Niveau).
2. Handlungsanforderungen und Rückmeldungen werden als klar und interpretationsfrei erlebt, so dass man jederzeit und ohne nachzudenken weiß, was jetzt als richtig zu tun ist.
3. Der Handlungsablauf wird als glatt erlebt. Ein Schritt geht flüssig in den nächsten über, als liefe das Geschehen gleitend wie aus einer inneren Logik. (Aus dieser Komponente rührt wohl die Bezeichnung „Flow“)
4. Man muss sich nicht willentlich konzentrieren, vielmehr kommt die Konzentration wie von selbst, ganz so wie die Atmung. Es kommt zur Ausblendung aller Kognitionen, die nicht unmittelbar auf die jetzige Ausführungsregulation gerichtet sind.
5. Das Zeiterleben ist stark beeinträchtigt; man vergisst die Zeit und weiß nicht, wie lange man schon dabei ist. Stunden vergehen wie Minuten.
6. Man erlebt sich selbst nicht mehr abgehoben von der Tätigkeit, man geht vielmehr gänzlich in der eigenen Aktivität auf (so genanntes Verschmelzen von Selbst und Tä- tigkeit). Es kommt zum Verlust von Reflexivität und Selbstbewusstheit.

Die Anforderungs-Fähigkeits-Passung (Komponente 1; kurz: AFP) stammt aus der Leistungs- motivationsforschung und kann als individuelle Herausforderung erlebt werden (Heckhausen, 1989). Die restlichen Komponenten wurden von Csíkszentmihályi eingeführt. Der „Flow“-Zu- stand wird meistens als freudvoll erlebt, auch wenn er vermehrt während der Arbeit und beim Lernen auftritt (Csíkszentmihályi, 1991). Rheinberg (1999) fasst in einem Artikel den „Flow“ zusammen:

Im Flowzustand können wir effizient agieren, ohne die einzelnen Aktivitätsschritte im- mer wie- der bewußt [sic!] und willentlich starten, koordinieren und zielbezogen über- wachen zu müssen. Statt dessen [sic!] laufen die Dinge flüssig „wie von selbst“ – als Wechselspiel zwischen dem gerade bewirkten Effekt und dem nächsten Aktionsschritt, der von diesem Effekt stimuliert und bestimmt wird. Von daher überrascht nicht, wenn Flowzustände eher von Experten als von Novizen einer Aktivität berichtet werden.

Demnach tritt die Automatisierung der Handlungskomponenten – und damit der „Flow“-Zu- stand – bei komplexen Aktivitäten wie Musizieren und Skifahren erst ein, wenn die Handlung routinisiert ist. Rheinberg (ebd., S.2) erweitert diese Aussage jedoch um den Begriff des „No- vizenflow[s]“, der bei „einfach strukturierten, gleichwohl anspruchsvollen Aktivitäten [möglich ist]“. Dieser Aspekt eröffnet die pädagogische Perspektive auf das „Flow-Erleben“ und dient als Grundlage für weiterführende Überlegungen. 2006 ergänzt Rheinberg sein Verständnis von „Flow“-Voraussetzungen um eine Erfolgskomponente: Handelnde bleiben nur im „Flow“- Zustand, sofern sie fehler- und unterbrechungsfrei agieren können und die Tätigkeit erfolgreich bleibt. Riedl (2014) versteht „Flow“ als die Qualität eines erregenden Erlebnisses, das – ähn- lich wie das Verständnis von Csíkszentmihályi – abhängig von der Stärke einer Erregung und der Schwierigkeit der Aufgabe ist. Er betont dabei den intrinsischen Motivationscharakter bei „Flow“-Erfahrungen und deckt sich mit den Ergebnissen der Interviewstudie von Csíkszent- mihályi, wonach vordergründig die Ausführung einer Tätigkeit „Flow“-Zustände bedingt und nicht das Ergebnis (Riedl, 2014). Csíkszentmihályi (2010) hatte dieses Phänomen bei Künst- lern beobachtet, die während der Erstellung eines Werkes in eine tranceähnliche Kondition eintauchten, das Interesse jedoch sofort verloren, sobald das Werk vollendet wurde und sich stattdessen auf ein neues Projekt konzentrierten. Heckhausen (2018, S.439) unterstützt diese Annahme und nennt „leistungsmotivationale Tätigkeitsanreiz[e]“ lediglich als „Unterform des Flow-Erlebens, die sich in leistungsbezogenen Handlungskontexten einstellen kann“.

Einen anderen Ansatz zur Definition von „Flow“ liefert Plöhn (1998), der den Fokus auf die absolute Konzentration legt, die in anderen Publikationen eher als Voraussetzung, nicht als Schlüsselfaktor gesehen werden. Riedl (2014) geht darüber hinaus auf die Neugierde als „Flow“-Voraussetzung ein. Folglich kann man schließen, dass es keine allumfassend gültige, scharfe Definition von „Flow“ gibt, sondern dass der Fokus je nach Publikation und Untersu- chungsinteresse variiert. Für die weiteren Überlegungen werden die sechs Komponenten nach Csíkszentmihályi als „Flow“-Verständnis vorausgesetzt.

Neben der definitorischen Variation gilt es, „Flow“ und „Flow-Zugang“ zu differenzieren. In den o.g. Definitionsversuchen wird lediglich der „Flow“ als Zustand beschrieben. Die genannten Zugänge sind von Individuum zu Individuum unterschiedlich konstituiert und lediglich subjek- tive Erfahrungen. Diese werden fälschlicherweise objektiviert und als „Universalrezept“ aus- gelegt. Einige Publikationen von Csíkszentmihályi entziehen sich wissenschaftlicher Prägnanz und dienen durch plakative, schillernde Titel eher als Selbsthilfebuch zu persönlichem Glück und Weiterentwicklung anstatt den „Flow“ in seiner psychologischen Bedeutung wissenschaft- lich aufzuarbeiten (ein Beispiel ist „Flow – Das Geheimnis des Glücks“ (2007) und „Kreativität – Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden“ (2010) von Csíkszent- mihályi). Des Weiteren muss der Begriff „Flow“ in seiner inflationären Verwendung in Werbung und Presse kritisch betrachtet werden, weil er zusehends verwässert und sinnentleert wird. Hier wird er idiomatisch als gesellschaftliche Konformität ausgelegt („ to go with the flow “) und steht somit in keinem Zusammenhang zu der psychologischen Begriffsverwendung. Ebenso ist die überaus positive Konnotation des „Flow“-Begriffs als dogmatischer Weg zu Glück, Erfolg und Produktivität zu hinterfragen, weil „Flow“-Zustände je nach Situation auch Gefahren mit sich bringen können. So leiden soziale Kontakte unter der Abkapselung und Vertiefung in eine Arbeit oder Sucht. Darüber hinaus kommt es bei Extremsportlern wie Bergsteigern und Motor- radfahrern zu einer bedenklichen Selbstüberschätzung und Rauschzuständen, die tödlich en- den können (Csíkszentmihályi, 2010).

2.2 Motivation und Anreiz

Um „Flow“ in seiner Gesamtheit zu erfassen, muss man sich mit den motivationalen Hinter- gründen einer Tätigkeit auseinandersetzen, da diese das Erlangen eines „Flows“ maßgeblich beeinflussen. Wie wird man motiviert? In den sozialen Medien – vor allem auf YouTube und Instagram – beschäftigen sich unzählige Kanäle mit der universellen Motivation, sein Leben zu verbessern, schöner, reicher, gesünder und erfolgreicher zu werden. Dabei gehen sie sel- ten auf explizite Handlungsaufforderungen ein, sondern vermitteln ein oberflächliches Gefühl von Unterstützung. Motivierende Sprüche und Musik sollen Menschen in einen Zustand hand- lungswilliger Ekstase versetzen (Vgl. Abb. 1 & 2). Doch ist es wirklich so banal? Reichen Zitate aus, um genügend Motivation aufzubringen und schlussendlich in einen „Flow“ zu geraten?

Sicherlich ist es komplexer. Motivation wird von Brandstätter et. al. (2018) in die Bestandteile Leistungsbereitschaft, Zielgerichtetheit und Eifer unterteilt. Der Duden (2017) definiert sie als „Gesamtheit der Beweggründe, Einflüsse, die eine Entscheidung, Handlung o. Ä. beeinflus- sen, zu einer Handlungsweise anregen“. Weiterhin wird „Ursache“ als Synonym aufgelistet. Motivation ist also der Ursprung für unsere Handlungen und der Hintergrund unserer Entschei- dungen. Sie kann in allgemeine und spezifische Motivation unterschieden werden: allgemeine Motivation umfasst nach Niermeyer und Seyffert (2016) den Willen, etwas zu erreichen und zu gestalten, während spezifische Motivation eine klare Zielgerichtetheit aufweist. Sie bestimmt den Einsatz, den Individuen für die Erreichung eines Ziels aufbringen. Dieses Ziel wird subjek- tiv als positiv respektive wünschenswert empfunden.

Eng verwoben mit der Motivation zu einer Tätigkeit ist der immanente Anreiz, den der Vollzug ebendieser liefert. Diese Anreize befinden sich an unterschiedlichen Zeitpunkten des Hand- lungsverlaufs. In den meisten Fällen wird ein Individuum zu einer Handlung motiviert, wenn am Ende der Tätigkeit eine Belohnung (Folge für die Zukunft) erfolgt. Dieser Anreiz wird in vielen Abhandlungen „extrinsische Motivation“ genannt. Handlungen, bei denen der Erfolg in der Ausführung selbst liegt und die daher keinen leistungs- oder erfolgsbezogenen Hinter- grund aufweisen, werden unter dem Begriff „intrinsische Motivation“ zusammengefasst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbil d un g 2: Zweck- und tätigkeitszentrierte Anreize in Heckhausens erweitertem kognitiven Motivationsmodell (nac h Rheinberg 1989, S. 104).

[...]


1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird in dieser Arbeit nur die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist selbstverständlich eingeschlossen.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Flow-Erfahrungen im Sportunterricht. Eine Bereicherung für den Unterricht?
Hochschule
Universität Münster  (Bildungswissenschaften)
Veranstaltung
Pädagogische Diagnostik im Kontext der Begabungsförderung und des selbstregulierten forschenden Lernens
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
15
Katalognummer
V542745
ISBN (eBook)
9783346161079
ISBN (Buch)
9783346161086
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Flow erleben, Flow, Schule, Sportunterricht
Arbeit zitieren
Christoph Niemann (Autor:in), 2020, Flow-Erfahrungen im Sportunterricht. Eine Bereicherung für den Unterricht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/542745

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