Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Vorurteile
2.1 Was sind Vorurteile?
2.2 Die Entstehung von Vorurteilen
2.2.1 Die drei Ebenen der Vorurteile
2.3 Wie können Vorurteile abgebaut werden?
3 Inklusion und Exklusion
3.1 Von der Exklusion zur Inklusion – Ein Überblick
3.1.1 Exklusion
3.1.2 Segregation
3.1.3 Integration
3.1.4 Inklusion
3.2 Systemtheorie nach Luhmann
3.3 Exklusionsrisiken
3.4 Inklusionskritik
4 Vorurteile, Inklusion und Exklusion
4.1 Der Zusammenhang von Vorurteilen, Inklusion und Exklusion
4.2 Anforderungen an die pädagogische Praxis
4.3 Anti-Bias Education
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Inklusion gilt mehr denn je als eine wichtige Zukunftsaufgabe. Im umfassenden Sinne wird sie als Orientierung im Bildungsbereich verstanden, die auf Bildungsgerechtigkeit abzielt und den Anspruch hat, Heterogenität wertzuschätzen und Barrieren abzubauen. Es ist sehr wichtig, dass Inklusion praktisch wird, um nicht als Phrase zu enden. Dabei ist es von zentraler Bedeutung vorurteilsbewusst zu agieren, wie im Verlauf der Arbeit deutlich werden wird (vgl. Wagner 2013c, S. 10). Das ist allerding gar nicht so einfach, da der menschliche Verstand sogenannte Kategorien zum denken benötigt. Wenn sich diese Kategorien gebildet haben, sehen wir sie als Grundlage für das normale „Vorausurteil“ an. Unser komplettes geordnetes Leben beruht darauf, weshalb es äußerst schwierig, quasi unmöglich ist, diesen Prozess zu vermeiden (vgl. Allport 1971, S. 34). Zudem ist Inklusion nur durch die gleichzeitige Exklusion möglich. Das zeigt, dass Inklusion und Exklusion stark zusammen hängen, was im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden wird (vgl. Hillebrandt 2004, S. 126). Es ist schwierig eine vollständige Inklusion, bzw. eine vollständige Exklusion zu erreichen (vgl. Ahrbeck 2014, S. 27).
Vorurteile gehören quasi zu unserem Leben dazu und können nur schwer vermieden werden, haben aber trotzdem auf irgendeine Art und Weise einen Einfluss auf Inklusion und Exklusion. Fraglich ist hierbei welche Bedeutung Vorteile für Inklusions- und Exklusionsprozesse haben und vor allem was das für die pädagogische Praxis bedeutet. Daher beschäftigt sich die folgende Hausarbeit mit der Beantwortung dieser Frage. Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich nicht lediglich auf die schulische Inklusion bezogen, sondern Inklusion im weiten Sinne verstanden wird. Der Begriff soll allgemein gehalten werden, zur Verdeutlichung verschiedener Begriffe werden dennoch einige Beispiele herangezogen. Anfangs wird veranschaulicht was Vorurteile überhaupt sind. Anschließend beschäftigt sich die Hausarbeit damit, wie Vorurteile entstehen und wie sie abgebaut werden können. Das dritte Kapitel gibt zu Beginn einen kurzen Exkurs über die verschiedenen Begriffe der Exklusion, Segregation, Integration und Inklusion. Hierbei soll geklärt werden, was die einzelnen Begriffe bedeuten. Damit der Zusammenhang von Inklusion und Exklusion verstanden werden kann, gibt die Systemtheorie von Niklas Luhmann einen wissenschaftstheoretischen Zugang. Anschließend sollen einige Exklusionsrisiken erläutert werden, weil einige Gruppierungen ein höheres Risiko haben ausgeschlossen zu werden, als andere. Da Inklusion häufig scharf kritisiert wird geht es zum Abschluss des dritten Kapitels darum, einige Kritikpunkte deutlich zu machen und zu veranschaulichen, dass Inklusion nicht nur positive Aspekte beinhaltet. Im letzten Kapitel soll der Zusammenhang von Vorurteilen, Inklusion und Exklusion veranschaulicht werden, damit die anfangs gestellte Frage beantwortet werden kann. Wichtig ist hierbei, was die soziale Arbeit und somit die pädagogischen Fachkräfte unternehmen können, damit Menschen vorurteilsbewusster agieren. Als Beispiel zur Verdeutlichung wird der Anti-Bias Ansatz von Louise Derman-Sparks vorgestellt.
2 Vorurteile
2.1 Was sind Vorurteile?
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über den Vorurteilsbegriff gegeben werden. Grundsätzlich ist anfangs zu sagen, dass Vorurteile von Stereotypen unterschieden werden müssen, was aber nicht Ziel dieser Hausarbeit ist, weshalb sich in dieser Ausarbeitung lediglich auf Vorurteile konzentriert wird. In der Literatur lässt sich keine einheitliche, übereinstimmende Definition des Vorurteilbegriffs vorfinden. Begriffsbestimmungen und Definitionen beruhen aber meist auf der Einstellung und der Haltung eines Menschen, da der Terminus hauptsächlich in der Sozialpsychologie verwendet wird. In diesem Kontext werden Vorurteile als negative Einstellung und Haltung wahrgenommen. Vorurteilsdefinitionen können in Ausnahmefälle durchaus positive Aspekte beinhalten. Obwohl die negative Komponente der Vorurteile umstritten ist, ist diese Perspektive in der Vorurteilsforschung dominierend (vgl. Heym 2008, S. 15).
Gordon W. Allport hat mit seinem Buch „The nature of prejudice“ 1954 ein wegweisendes Werk für die Vorurteilsforschung präsentiert (vgl. Fehser 2013, S. 12). Allport nennt die wahrscheinlich kürzeste Definition des Vorurteils: „Von anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denken“ (Allport 1971, S. 20). Es ist offensichtlich, dass sich diese Begriffsbestimmung auf die negative Komponente des Vorurteils bezieht. Für eine völlige Klarheit ist sie jedoch zu kurz. Das New English Dictionary bietet in seiner Definition sowohl ein negatives als auch ein positives Vorurteil an. Hier heißt es, dass es ein zustimmendes oder ablehnendes Gefühl gegenüber einer Person oder Sache ist. Vorurteile bringen immer eine gewisse Voreingenommenheit mit sich, die entweder positiv oder negativ sein kann. Wird sich beispielsweise mit ethnischen Gruppen beschäftigt, sind Vorurteile zumeist negativ konnotiert. Sie sind, wie eben erläutert, häufig verallgemeinernd und voreingenommen. Als Beispiel nennt Allport folgendes: „Wenn wir einen Neger als Nachbar meiden, oder Mr. Greenbergs Zimmerreservierung ablehnen, passen wir unser Handeln einer kategorialen Verallgemeinerung gegen eine Gruppe als ganze [sic] an“ (Allport 1971, S. 21). Individuelle Unterschiede werden wenig oder gar nicht beachtet. Ein ethnisches Vorurteil ist demnach immer eine unbegründete Vorstellung von einer Gruppe: „Ein ethnisches Vorurteil ist eine Antipathie, die sich auf eine fehlerhafte und starre Verallgemeinerung gründet. Sie kann ausgedrückt oder auch nur gefühlt werden. Sie kann sich gegen eine Gruppe als ganze [sic] richten oder gegen ein Individuum, weil es Mitglied einer solchen Gruppe ist.“ (Allport 1971, S. 23) (vgl. Allport 1971, S. 20ff.)
In aktuellen bzw. modernen Ansätzen der US-amerikanischen und europäischen Vorurteilsforschung werden im Gegensatz zu der klassischen sozialpsychologischen Vorurteilsforschung, die ihren Fokus auf intra-personale Erklärungen legt, Vorurteile als Intergruppen-Phänomene verstanden. Moderne Forschungen untersuchen vor allem Gruppenprozesse und beziehen die Einflüsse des gesellschaftlichen Kontextes auf die Entstehung, Äußerung und Kontinuität von Vorurteilen mit ein (vgl. Heym 2008, S. 15f.).
Abschließend ist zu sagen, dass Vorurteile eine kognitive, eine affektive und auch eine verhaltensbezogene Dimension haben, wie im Folgenden erläutert werden wird. Sie sind als Einstellung erlernbar, können aber auch verändert werden, obwohl eine Veränderung bei tief verankerten Einstellungen äußerst schwierig ist (vgl. Fehser 2013, S. 13).
2.2 Die Entstehung von Vorurteilen
Hier soll der Frage näher auf den Grund gegangen werden, wie Vorurteile überhaupt entstehen. Zur Erklärung dieses Phänomens soll das „Drei-Komponenten-Modell“ herangezogen werden. Dieses Modell unterteilt Vorurteile in drei Ebenen: die kognitive Komponente, die affektive Komponente und die Verhaltenskomponente (vgl. Heym 2008, S. 16).
2.2.1 Die drei Ebenen der Vorurteile
Laut Gipser ist ein Vorurteil ein globales Urteil. Ein „emotionell gefärbtes allumfassendes Urteil über Personen, Gruppen und Umstände“ (Gipser 2012, S. 117). Mittlerweile sind Vorurteile Bestandteil unserer Kultur geworden und üblicherweise als Spezialfälle von Einstellungen zu verstehen. Diese Einstellungen werden erworben und sorgen für stabile Tendenzen im Bezug zu unseren Gefühlen, unserer Wahrnehmung und unseren Verhaltensmustern. Wenn Vorurteile als besondere Einstellung definiert werden, kann zwischen den drei folgenden Aspekten jeder Einstellung unterschieden werden (vgl. Gipser 2012, S. 117).
Der erste Aspekt ist die kognitive Ebene der Einstellung. Diese Ebene umfasst die Wahrnehmung, Bilder und Ansichten über ein bestimmtes Objekt. Laut Gipser dient die Einstellung der Denkökonomie und steuert somit das Verhalten in konkreten Situationen. Diese Funktion ist insofern nützlich, da niemand über das gesamte objektive Wissen verfügen kann, das notwendig wäre, um sich in einer neuen Situation zurechtzufinden. Jeder Mensch ist so gesehen genötigt, neue Situationen auf der Grundlage von gemachten Erfahrungen zu interpretieren. Er wird sich an bereits erworbenen Verallgemeinerungen orientieren oder von nahestehenden Personen Kategorien übernehmen, damit er einer neuen Situation Struktur verleihen kann. Es handelt sich hierbei um einen allgemeinen Vorgang. Das kognitive Schema bezeichnet man in diesem Fall als „Stereotyp“ oder „Klischee“. Solche Reaktionen regulieren die Orientierung in unbekannten Umgebungen, die zu Verängstigung und Unsicherheit führen könnten (vgl. Gipser 2012, S. 117).
Bei der affektiven Ebene geht es um den emotionalen Bestandteil von Vorurteilen. Hierzu können negative Gefühle wie Neid, Hass oder Misstrauen zählen, aber auch feindselige und ablehnende Haltungen gegenüber bestimmten sozialen Gruppen (vgl. Heym 2008, S. 16).
In dem affektiven Aspekt „gehorcht“ die Einstellung nicht mehr, wie es bei der kognitiven Ebene der Fall war, der Denkökonomie, sondern sitzt tief in den unbewussten Orientierungen der Menschen. Durch die Verwurzelung im Bereich des Unbewussten kann die Tatsache erklärt werden, dass Einstellungen und Vorurteile nicht ohne Weiteres durch rationale Argumentation korrigiert oder abgelegt werden können (vgl. Gipser 2012, S. 117f.).
Die dritte Ebene ist der Verhaltensaspekt der Einstellung, d.h. dass Einstellungen eine Verhaltensbereitschaft beinhalten. Die Korrelation zwischen Vorurteilen und Verhalten konnte jedoch bisher durch die Vorurteilsforschung nicht genau bewiesen werden. Daher ist bislang fraglich, ob beispielsweise eine Änderung der Einstellung ausreicht, um eine Änderung des Verhaltens herbeizuführen. Sicher ist nur, dass Einstellungen – und dementsprechend auch Vorurteile – eine Verhaltensbereitschaft erzeugen. In welchem Ausmaß die Verhaltensbereitschaft das eigentliche Verhalten erzeugt hängt von den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen ab (vgl. Gipser 2012, S. 118).
Durch diese drei Ebenen wird die Entwicklung von Vorurteilen von der Kategorisierung bis hin zu emotionalen Ablehnung und Diskriminierung von sozialen Gruppen transparent. Die drei Komponenten bilden in der Realität ein zusammengehörendes Ganzes und sind eng miteinander verbunden (vgl. Heym 2008, S. 17).
2.3 Wie können Vorurteile abgebaut werden?
Um das erste Kapitel abzuschließen ist es nun interessant herauszufinden, wie Vorurteile abgebaut werden können, da Menschen jeden Tag aufgrund bestimmter Vorurteile daran gehindert werden, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Aus diesem Grund wurden Gesetze erlassen, die den Menschen gleiche Rechte geben sollen. Ihnen soll geholfen werden die Hindernisse, die ihnen in den Weg gelegt werden, zu überwinden. Diskriminierung im Beruf und in der Ausbildung aufgrund von Glauben und Religion, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung gilt nach europäischer Gesetzgebung als gesetzeswidrig. Zudem verbietet sie Diskriminierung aufgrund von ethnischer Herkunft im Arbeitsleben, in der Ausbildung oder auch auf anderen Gebieten des täglichen Lebens, wie beispielsweise Bildung oder Wohnung- und Gesundheitswesen. Durch diese Regeln können diskriminierte Menschen vor Gericht gehen, wodurch ein gewisser Schutz gegen Diskriminierung und Belästigung gegeben ist. Die Europäische Union unterstützt einige Projekte durch die Finanzierung von Forschungsaufträgen oder Organisationen im Kampf gegen die Diskriminierung. In der Praxis erweisen sich solche Maßnahmen allerdings eher als beschönigend. Vorurteile effektiv und nachhaltig abzubauen bedeutet, dass grundlegende Verfahren in der Gesellschaft verändert werden müssen und die Bildung reformiert werden muss. Bereits im frühen Kindesalter könnte präventiv angesetzt werden, damit Vorurteilen entgegengewirkt werden kann. Kinder haben nämlich keine Vorurteile, sie erwerben sie erst im Laufe ihres Lebens. Was genau das für die pädagogische Arbeit bedeutet, wird im Verlauf der Hausarbeit geklärt werden. Viele Gruppen und Initiativen, die gegen Diskriminierung und Vorurteile kämpfen, setzen auf die Methoden des Theaters. Durch das Theater kann das Selbstbewusstsein gestärkt werden und selbstbestimmte Verhaltensmuster entwickelt werden. Einstellungen und Verhaltensmuster, die auf Erfahrung von Unterdrückung beruhen, können dadurch verändert werden. Durch Übungen, Spiele und Techniken kann Frauen und Männern geholfen werden ein kritisches Bewusstsein ihrer eigenen Situation in ihrem Leben zu entwickeln. Durch diese Methode zum Abbau von Vorurteilen wird persönliches und soziales Leben analysiert und rekonstruiert. Respekt und Akzeptanz von anderen Ansichten, Gruppen und Gefühlen haben dabei einen zentralen Stellenwert (vgl. Gipser 2012, S. 140ff.).
Küpper nennt weitere interessante Möglichkeiten die zum Abbau von Vorurteilen beitragen können. Durch eine kleine quantitative Eigenstudie fand sie heraus, dass die meisten der Befragten der Meinung waren, dass Vorurteile am besten durch Aufklärung abgebaut werden können. Wie Gipser bereits sagte, haben Kinder keine Vorurteile und erwerben diese erst im Laufe ihres Lebens. Auch Küpper ist der Meinung, dass bereits im Kindergarten- und Schulkindalter. Bereits in diesen jungen Jahren sollte eine solche Aufklärung stattfinden, sodass sich Vorurteile nicht verfestigen können. Ein weiterer wichtiger Faktor war laut Ansicht der Befragten die persönliche Einstellung. Offenheit, Interesse, Respekt, Empathie und Toleranz seien laut Küpper wichtige Faktoren zum Abbau von Vorurteilen. Weiterhin wurden Öffentlichkeitsarbeit, politische Interventionen/Gesetze, Integration und Inklusion genannt (vgl. Küpper 2016, o.S.). Es scheint demnach so, als ob Inklusion dazu beitragen kann Vorurteile abzubauen. Bereits hier werden erste Zusammenhänge deutlich.
3 Inklusion und Exklusion
3.1 Von der Exklusion zur Inklusion – Ein Überblick
Wenn man die Äußerungen aus der Politik in Wort und Schrift oder aus der Fachwelt verfolgt fällt auf, dass der Begriff Integration heutzutage fast nur noch in Verbindung mit der gesellschaftlichen Eingliederung von Bürger/innen mit Migrationshintergrund benutzt wird. Dagegen setzt sich der Begriff Inklusion für Menschen mit Behinderung zunehmend durch. Häufig scheint es so, als seien die Begriffe Inklusion und Integration beliebig austauschbar. Oft wird sogar davon gesprochen, dass die Inklusion die Integration ablöst (vgl. Frühauf 2012, S. 11f.). Daher sollen im Folgenden vorerst die Begriffe Exklusion, Segregation, Integration und Inklusion differenziert werden. Die Begriffe sollen dabei möglichst allgemein gehalten werden, d.h. dass sich nicht lediglich auf die schulische Inklusion bezogen wird, da Inklusion in allen Lebensbereichen relevant ist.
3.1.1 Exklusion
Exklusion bedeutet „Aussonderung“ oder „Ausschluss“ (vgl. Ahrbeck 2014, S. 22). Bestimmte Menschen oder Personengruppen werden ausgeschlossen und haben keinerlei Zutritt zu jeglichen Angeboten der Bildungs- und Erziehungssysteme (vgl. Frühauf 2012, S. 15). Meist geschieht diese Ausgrenzung sogar gegen den Willen der Betroffenen. Auf der anderen Seite sind die „Ausgrenzer“ unter sich. Schon im Alltag weist die positive Bedeutung des abgeleiteten Adjektivs „exklusiv“ (im Sinne von außergewöhnlich, einem geschlossenen Kreis zugehörig) darauf hin, dass mit Ausgrenzung meist eine Abwertung einhergeht (vgl. Schuhmacher 2017, S.17). Mitte der sechziger Jahre hat der Exklusionsbegriff zunehmend an Popularität gewonnen. Zu dieser Zeit kam der Begriff vor allem in der politischen Rhetorik zur Anwendung. Jules Klanfer war im Jahre 1965 einer der Ersten, der den Begriff in Bezug auf soziale Ausgrenzung und Armut verwendete. In Deutschland setzte sich der Begriff erst zu Beginn der neunziger Jahre durch. Sieht man von der konkreten Begriffsbildung ab wird deutlich, dass vor dem Populärwerden des Exklusionsbegriffs in Deutschland bereits analoge Begriffe existierten. Ein Beispiel hierfür ist der Begriff der Randgruppe. Im fachlichen, theoretischen, sozialpolitischen und öffentlichen Diskurs ist die Verwendung des Exklusionsbegriffs jedoch häufig unklar, da keine einheitliche Definition existiert (vgl. Meyer 2012, S.6ff.). Bereits hier werden parallelen zu dem Vorurteilsbegriff deutlich. Sind Vorurteile Schuld an der Exklusion? Wenn die Menschen ihre Einstellung ändern würden, wäre der Exklusionsbegriff noch notwendig?
3.1.2 Segregation
Die Segregation, oder auch Separation genannt, war in Deutschland schwerpunktmäßig etwa von den sechziger Jahren bis zu den achtziger Jahren relevant, spielt aber auch heute noch eine wichtige Rolle. Was Segregation bedeutet wird an dem Beispiel der Schule deutlich: Alle Kinder werden nach bestimmten Kriterien unterschiedlichen Orten des Bildungssystems zugeordnet. Kinder sollen nach dem Verständnis unseres Schulsystems nach ausgewählten Leistungskriterien bestimmten Schulformen zugeordnet werden. Als Messlatte werden hierfür die sogenannten Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen) als entscheidend für den Zugang zu allgemeinen Schulformen angesehen. Weicht man von der Norm ab werden die Kinder in einer Sonderinstitution beschult (vgl. Frühauf 2012, S. 15). Die Kinder und Jugendlichen werden nach bestimmten Kriterien, aber auch nach sozialen Milieus je in eigene Institutionen gruppiert. Bezieht man das System der Segregation auf unser Schulsystem gibt es Gruppierungen die in Gymnasium, Realschule, Hauptschule und Sonderschule aufgeteilt sind. Selbst in der Sonderschule wird das System erneut gegliedert: Förderschulen, Lernhilfeschulen, Schulen für geistig Behinderte oder Schulen für Kinder und Jugendlichen mit Mehrfachbehinderungen. Dieses System fokussiert sich nicht nur auf die Schule, sondern kann auf viele weitere Lebenslagen bezogen werden (vgl. Hinz 2004, S. 48).
3.1.3 Integration
Integration stammt von dem lateinischen Wort „integrare“ ab, was so viel wie „ergänzen, wiederherstellen“ bedeutet. Integration formuliert die Wiederherstellung des Ganzen, was die Eingliederung in ein Ganzes, oder die Anpassung bzw. Angleichung in ein Ganzes bedeutet (vgl. Robeck, 2012, S. 6). Die Integrationsbewegung begann etwa Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre und kann als eine Weiterentwicklung der segregierenden Systeme der Behindertenhilfe verstanden werden. Durch diese Bewegung wurden die speziellen Lern- und Lebensorte in Frage gestellt. Das Leitbild der Normalisierung spielt bei der Integration eine große Rolle. Der zentrale Gedanke dabei ist, dass Menschen mit beispielsweise einer geistigen Behinderung nicht angepasst werden müssen, sondern dass sich die Normalisierung vielmehr auf die Ermöglichung von bestimmten Lebensstandards und -rythmen bezieht, die auch für nicht behinderte Menschen erstrebenswert sind (vgl. Frühauf 2012, S. 16).
Integration ist in Deutschland mittlerweile zu einem zentralen Schlagwort im Bezug auf Migration geworden. Das Konzept verspricht Teilhabe, fungiert in der deutschen Migrationspolitik dennoch laut Georgi eher als Exklusionsmechanismus. Der Grund hierfür sieht sie in dem Integrationsbegriff an sich, der einem problematischen Gesellschaftsmodell aufsitzt. Die zu integrierende Gruppe oder das zu integrierende Individuum wird einer homogenen deutschen Mehrheitsgesellschaft gegenübergestellt (vgl. Georgi 2015, S. 25). Hinz macht deutlich: „Es gibt eine (Gruppe), die integriert wird, und eine, in die integriert wird, (…) eine der Normalen und Eigentlichen und eine der Anomalen und Nichteigentlichen – und eine, die gefördert wird, und eine, die lernt“ (Hinz 2007, S.83). Demnach werden zwar die Grenzen der Normalität aufgeweicht, Menschen mit einer Beeinträchtigung bleiben jedoch immer noch etwas Besonderes (vgl. Feyerer 2009, o.S.). Selbst heute verbleiben Menschen mit einer schweren Behinderung als Restgruppe in den Institutionen, obwohl die mittlerweile gesetzlich verankerten Leitideen der Selbstbestimmung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle gelten. Das zeigt, dass wir von einer integrativen Gesellschaft auch heute noch weit entfernt sind (vgl. Frühauf 2012, S. 20f.).
3.1.4 Inklusion
Inklusion lässt sich aus dem lateinischen herleiten und bedeutet so viel wie „Einbeziehung“, „Eingeschlossenheit“ und „Dazugehörigkeit“ (vgl. Nuding 2013, S.3). Der Inklusionsbegriff ist der jüngste der Begriffe und wird erst ab dem Jahr 2000 verstärkt in die deutsche Diskussion mit eingeführt (vgl. Hinz 2012, S. 40). Inklusion soll für eine optimierte und qualitativ erweiterte Integration stehen. Heutzutage werden die Begriffe Inklusion und Integration häufig synonym verwendet (vgl. Feyerer 2009, o.S.). Der Inklusionsgedanke besagt, dass die Verschiedenheit von Menschen wertvoll und begrüßenswert ist. Die UN-Behindertenrechtskommission soll dafür Sorge tragen, dass Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung geschützt sind und als Teil der Gesellschaft angesehen und anerkannt werden (vgl. Ahrbeck 2014, S. 33). Inklusion hat sich längst aus dem engen Verständnis, wie es die UNESCO-Konvention über die Rechte von Menschen mit einer Behinderung im Jahr 1994 formuliert hat, heraus entwickelt. Sie ist zu einer allgemeinen sozialpädagogischen Anforderung geworden, wenn es um soziale Teilhabe geht. Dabei wird sich nicht lediglich auf Menschen mit Behinderung fokussiert (vgl. Miller 2015, S. 106). Inklusion bemüht sich alle Dimensionen von Heterogenität zu beachten. Dabei kann es um Geschlechterrollen, unterschiedliche Fähigkeiten, ethnische Herkunft, Nationalitäten, Rassen, soziale Milieus, körperliche Bedingungen oder Religion gehen. Ein charakteristisches Merkmal von Inklusion ist, dass sie sich gegen dichotome Vorstellungen wendet, also Vorstellungen, die jeweils zwei Kategorien haben: Männer und Frauen, Deutsche und Ausländer, Behinderte und Nichtbehinderte, Reiche und Arme etc. Dabei spricht sie sich gegen jede gesellschaftliche Marginalisierung und Diskriminierung aus (vgl. Hinz 2012, S. 33f.). Die Vision einer inklusiven Gesellschaft besteht darin, dass sie alle Menschen aufnimmt, sie gleichberechtigt behandelt und anerkennt, ohne jegliche Diskriminierung. „Andersartigkeit“ soll in allen gesellschaftlichen Bereichen als Bestandteil akzeptiert und toleriert werden. Das gilt für das Wohnungswesen, den Arbeitsmarkt, Kultur, Politik, Ehe, Familie etc. (vgl. Ahrbeck 2014, S. 63). Aber was hat Inklusion mit Vorurteilen zu tun? Kann durch Inklusion Vorurteile abgebaut werden?
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