Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ergebnisse der PISA-Studie
3. Die Entwicklung des Selbstkonzeptes
3.1 Einflüsse durch die Eltern
3.2 Schulische Einflüsse auf das Selbstkonzept
3.2.1 Einflüsse der LehrerInnen bezüglich des Mathematikunterrichts
3.2.2 Einflüsse auf das Selbstkonzept durch Mathematikbücher
4. Zusammenfassende Überlegungen
1. Einleitung
Die Lebensbedingungen von Mädchen und Frauen in unserer Gesellschaft unterlagen in den letzten Jahrzehnten tief greifenden Veränderungen, nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht, sondern auch aus politischer und bildungspolitischer Sicht. So war z. B. das Recht auf Bildung jahrtausendelang nur Männern vorbehalten. Erst durch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht um 1800 wurde Frauen zumindest das Recht auf „Grundbildung“ gewährt (vgl. Richter 1996). Allerdings konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht von gleichberechtigten Bildungschancen von Frauen und Männern gesprochen werden, denn die Bildung von Mädchen und Jungen wurde strikt nach Geschlechtern getrennt und die Lehrpläne unterschieden sich. So war es den Mädchen vorbehalten, beispielsweise am Hauswirtschaftsunterricht teilzunehmen, wohingegen die Jungen den Werkunterricht besuchten. Gründe dafür lagen zum Teil in der gesellschaftlichen Stellung der Frauen, deren Lebensbereiche hauptsächlich auf die Familie beschränkt waren. Diese Geschlechterrollentypisierung wurde in Deutschland erst in den sechziger Jahren mit der Einführung der Koedukation beseitigt und schlug sich zu Beginn der siebziger Jahre auch endgültig in den Lehrplänen nieder (vgl. Srocke, B. 1989; Richter, S. 1996).
Mit der Einführung der Koedukation wurde also eine gewichtige Grundlage für die Chancengleichheit in der Bildungslaufbahn von Jungen und Mädchen geschaffen. Deshalb ist es umso verwunderlicher, dass es trotz dieser Chancengleichheit dennoch Geschlechterdifferenzen z. B. im mathematischen und naturwissen-schaftlichen Bereich gibt (vgl. Meuche 1997; Conrads 1992; Richter 1996). So werden in unserer Gesellschaft Naturwissenschaften und Technik nach wie vor als männliche Domänen angesehen. Zusätzlich sind Mädchen und Frauen in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern in den Leistungskursen der Sekundarstufe II im Vergleich zu Männern unterrepräsentiert und legen sich auch bei der Studien- und Berufswahl eher auf „frauentypische“ Berufe fest, „die zum Teil erheblich schlechtere soziale Chancen bieten, als solche im naturwissenschaftlich- technischen Bereich“ (Conrads, H. 1992, S. 9).
Aus diesen Beobachtungen ergibt sich die Fragestellung, warum sich Mädchen und Frauen weniger für Mathematik engagieren und in der Mathematik und den Naturwissenschaften unterrepräsentiert sind. Traditionell wurden solche Geschlechterunterschiede mit Begabungsunterschieden erklärt, wobei die Frage nach der Intelligenzhöhe eine der ältesten in der Geschlechterforschung ist (Richter 1996; Broome 1998; Jahnke-Klein 2001). Allerdings wurden solche Erklärungsversuche in den letzten Jahren stark diskutiert, denn „selbst wenn man geschlechtsspezifische Begabungsunterschiede etwa im mathematischen und/oder räumlichen Denken unterstellen würde, könnten die (allenfalls geringen) Begabungsvorteile der Jungen und Männer bei den großen Überlappungen in diesen Fähigkeitsbereichen keinesfalls die extrem niedrigen Patizipationsraten der Mädchen und Frauen erklären. Die Geschlechtsunterschiede bestehen auch dann noch, wenn die Begabungsvariable konstant gehalten wird.“ (Broome, P. 1998; S. 10) Die geringen Geschlechterunterschiede in speziellen Fähigkeitsbereichen, z. B. beim räumlichen Vorstellungsvermögen, können nicht die ausgeprägte Unterrepräsentanz von Mädchen und Frauen im MNT-Bereich erklären (Dresel et al 2001 S. 272), unterschiedliche Sozialisationserfahrungen müssen mitverantwortlich sein.
Aus diesen Gründen soll innerhalb dieses Rahmens der Frage nachgegangen werden, ob eventuell das geminderte Selbstkonzept der Mädchen in Bezug auf die Mathematik ein Grund für die Geschlechterdifferenzen sein könnte. Denn obwohl sich die Biografien junger Menschen beider Geschlechter ähneln, werden sie sich im Laufe der Zeit geschlechtsspezifisch verändern. Demzufolge muss es verschiedene, auf den ersten Blick nicht sichtbare Faktoren in der Kindheit und Jugend geben, die über Generationen hinweg heute noch die Geschlechterpolarität aufrechterhält.
Dabei Das Hauptaugenmerk soll dabei auf dem Lehrerverhalten und dem Schulbuch im Mathematikunterricht liegen, um durch die Kenntnis der möglichen Gründe für Geschlechterdifferenzen, Ansatzpunkte für eine gleichberechtigte Gestaltung der Lernbedingungen im Mathematikunterricht für Jungen und Mädchen zu erhalten.
2. Ergebnisse der PISA-Studie
Dass es auch heute noch Geschlechterunterschiede in den Basiskompetenzen gibt, zeigte zuletzt die internationale Schulleistungsstudie PISA (Programme for International Student Assessment) von 2000 und 2003. Hierbei wurden weltweit ca. 180.000 Jungen und Mädchen im Alter von 15 Jahren getestet. Dabei wurden neben der Lesekompetenz auch mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen geprüft (Baumert 2001). PISA zeigte, dass Mädchen im Bereich der Lesekompetenz einen eindeutigen Vorsprung in allen untersuchten Ländern haben, jedoch im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, dabei besonders im Problemlösen größere Schwierigkeiten haben als Jungen. Allerdings ist zu erwähnen, dass die höheren Leistungen der Jungen in Deutschland 2003 nur gering ausfielen und als statistisch nicht signifikant gelten. Zusätzlich zeigte sich besonders in Deutschland bei Pisa 2003, dass große Geschlechtsspezifische Unterschiede in motivationalen und emotionalen Selbsteinschätzungen im Bereich Mathematik anzutreffen sind.
Ein großer Teil der Mädchen zeigt eine größere Angst gegenüber dem Fach Mathematik, viele verfügen über ein geringes Selbstkonzept und zeigen weniger Freude, Interesse und Motivation an diesem Fach, als Jungen (Baumert 2001). Dies mag eine Erklärung dafür sein, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Studien- und Berufswahl in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereichen überdurchschnittlich stark ausgeprägt sind.
Deshalb werde ich werde im Folgenden den Aspekt des Selbstkonzeptes der Mädchen berücksichtigen und aufzeigen, wie es sich während ihrer Erziehung entwickelt und welchen Einfluss es auf die mathematisch-naturwissenschaftlichen Leistungen haben kann. Dazu werde ich einleitend den Begriff des Selbstkonzeptes erklären, um diesen in den nachfolgenden Kapiteln zu verwenden.
3. Die Entwicklung des Selbstkonzeptes
Das Selbstkonzept ist das Selbstbild einer Person. Es umfasst das gesamte Gefüge von Einstellungen, Urteilen und Bewertungen einer Person über ihre Eigenschaften, Fähigkeiten und ihr Verhalten. „Dazu gehören im Einzelnen persönliche Erinnerungen, Annahmen über die eigenen Fähigkeiten, Eigenschaften, Motive und Wertvorstellungen, positive und negative Bewertungen der eigenen Person und damit verbunden das Selbstwertgefühl, aber auch Überzeugungen darüber, wie man von anderen gesehen wird.“ (Jahnke-Klein 2001; S. 39).
Aber was genau bedeutet der Begriff des Selbstvertrauens/Selbstkonzept? Marianne Horstkemper geht von drei Dimensionen des Selbstkonzeptes aus, welche in spezifischer Weise das Bild der eigenen Person darstellen und im Laufe des Lebens modifiziert und verfestigt werden. Laut Horstkemper umfasst das Selbstkonzept:
das Bewusstsein, als Person liebenswert und akzeptiert zu sein (Selbstwertgefühl),
die Einschätzung, Leistungsanforderungen erfolgreich bewältigen zu können (positives Leistungsselbstbild),
ein relativ angstfreies Erleben von Leistungssituationen (geringe Leistungsangst) (Jahnke-Klein 2001; S. 39)
Um den verschiedenen Anforderungen der Umwelt gerecht zu werden, müssen Menschen unter anderem lernen zu unterscheiden, wo ihre Stärken und wo ihre Schwächen liegen. Denn das Wissen über die eigene Person ist eine wichtige Vorraussetzung für menschliches Handeln. Allerdings entspricht dieses Wissen nicht immer ganz der Wirklichkeit.
Daran beteiligt ist die Ausprägung des Selbstkonzeptes, welches eine gewichtige Rolle spielt, wenn es um subjektive Ursachenzuschreibungen für Ereignisse geht. So tendieren Menschen mit einem hohen Selbstkonzept dazu, ihre Leistungsergebnisse positiver einzuschätzen als Menschen mit niedrigem Selbstkonzept, auch wenn objektiv keine Leistungsunterschiede feststellbar sind (Horstkemper, M. 1991). Dies wiederum zieht eine negative Entwicklung mit sich, da Menschen, die glauben einer Aufgabe nicht gewachsen zu sein, vermutlich auch dementsprechende Leistungen zeigen werden (allerdings weitgehend unabhängig von ihrem Leistungspotenzial). Denn diese Menschen werden ihre Anstrengungen bei der Bewältigung einer Aufgabe reduzieren, da sie glauben dieser nicht gewachsen zu sein. Dadurch werden sie in ihren Leistungen weiter einbrechen, was wiederum ihre schlechte Meinung über sich bestätigt „und geraten somit in einen für ihr Selbstbild fatalen circulus vitiosus“ (Broome, P. 1998; S. 14). Zu diesen Personenkreisen zählen beispielsweise Mädchen, die ihr Fähigkeitspotenzial nicht in entsprechende Schulleistungen umsetzen können. In zahlreichen Studien zur Attributionsforschung wurde mehrfach nachgewiesen, dass ein großer Teil der Mädchen ihre Misserfolgserlebnisse mit internen Gründen (z. B. mangelnde Begabung) erklären und sich in Leistungssituationen als hilflos und ängstlich erleben. Viele Jungen tendieren eher dazu, Misserfolge mit externen Gründen zu erklären (z. B. schwierige Aufgabe).
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