Der Kampf um Anerkennung und die polnische Solidarno-Bewegung


Hausarbeit, 2005

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Kampf um Anerkennung
1.1 Hegel und die Neuinterpretation
1.2 Drei Stufen der Anerkennung

2. Die polnische SolidarnoĞü Bewegung
2.1 Konfliktverlauf
2.2 Hintergrundanalysen

Schlussbetrachtung

Bibliographie

Anhang Tabelle: Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse

„ Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch der Nein sagt! “

Albert Camus

Einleitung

In diesen Tagen jährt sich die Gründung der SolidarnoĞü-Bewegung zum 25. Mal. Danziger Werftarbeiter lösten durch ihren Streik einen Umsturz aus, der das politische System in Polen veränderte und den Zusammenbruch der kommunistischen Welt im Osten einleitete.1 Wie konnte es geschehen, dass nach einer jahrzehntelangen repressiven Diktatur Menschen ihr Leben riskierten, ohne dass zunächst Aussicht auf Erfolg bestand? Was bringt Menschen dazu, ihr Leben für eine Idee, für ein Ideal, für die Freiheit aufs Spiel zu setzen? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Antworten auf solche Fragen. Eine Antwort, die heute weit verbreitet ist, lautet, dass gesellschaftliche Konflikte bzw. Kämpfe, in aller Regel Interessenskonflikte sind. Aufruhr, Protest und Widerstand werden mit ungleicher Verteilung von Lebenschancen oder Gütern erklärt.2 Dieses Verständnis geht auf die Philosophen Hobbes und Locke zurück. Beide, mit gewissen Abweichungen, betrachteten den Menschen als ein eigensüchtiges, nur auf den eigenen Vorteil bedachtes Wesen.3

Einen anderen Standpunkt, der in dieser Arbeit diskutiert werden soll, vertritt der deutsche Philosoph Hegel. Dieser glaubte, dass der Mensch in erster Linie ein Wesen ist, das in seiner Würde anerkannt werden möchte. Deshalb betrachtete er den Verlauf der Menschheitsgeschichte als einen Kampf um Anerkennung.4 Dabei hat Hegel zwei Versuche unternommen eine Theorie zu entwickeln, die gesellschaftliche Wandlungsprozesse auf einen Kampf um Anerkennung zurückführt. Der eine Ansatz leitet sich aus der Frage ab, wie sich Selbstbewusstsein konstituiert und der andere wie ein sittliches Gemeinwesen entsteht.5 Beide Ansätze sollen hier diskutiert werden.

Abschließend soll eine theoriegeleitete Analyse der SolidarnoĞü-Bewegung erfolgen. Es soll geprüft werden, ob die Streiks, die zur Gründung der unabhängigen Gewerkschaft führten, auf einem Kampf um Anerkennung gründeten. Geeignet ist dieser Protest, weil er zwar wegen wirtschaftlicher Motive - Preiserhöhung für Lebensmittel - begann, aber schnell klar wurde, dass es um mehr geht. Oder wie es ein Streikender ausdrückte: „Das Geld war der erste Antrieb, aber dann zeigte sich, daß es gar nicht darum ging.“6 Ein weiterer Punkt ist, dass es der vierte Protest solcherart war, schon 1956, 1970 und 1976 gab es Streiks in Polen, jedoch ohne Erfolg.7 Somit kann ebenfalls untersucht werden, was 1980 anders verlief.

Zuvor bedarf es jedoch einer Klärung der theoretischen Fundamente. Was versteht Hegel unter solch einem Kampf?

1. Kampf um Anerkennung

1.1 Hegel und die Neuinterpretation

Im 20. Jahrhundert interpretierte Alexandre Kojeve Hegels „Phänomenologie des Geistes“ neu. Im Folgenden wird dieser Interpretation gefolgt. Hegel leitet den Kampf um Anerkennung aus der Frage ab, wie sich Selbstbewusstsein konstituiert?8 Für ihn ist der Mensch ein Wesen, welches das Wort „ICH“ verwendet9, nur wie ist dies möglich?

Dass Selbstbewusstsein entstehen kann, hängt von einem Affekt ab, den wir erstmal mit Tieren gemeinsam haben und der uns doch unterscheidet. Für Hegel ist es Begierde.10 Man könnte auch von Bedürfnis sprechen. Durch die Begierde, z.B. Hunger, wird der Mensch sich seiner selbst bewusst. Und obwohl Tiere auch begehren, ist die Begierde bei Menschen etwas anderes. Denn während das Tier nur passiv konsumiert und ein Bestandteil der biologischen Welt ist, ist die menschliche Begierde eine aktive Tat auf ein Nichtseiendes bezogen. Dies kann man am deutlichsten an der Tatsache erkennen, dass Menschen ihre Nahrung zubereiten, also aus etwas Seiendem etwas Nichtseiendes erzeugen.11 Der Mensch ist also frei seine Welt zu verändern, Dinge zu produzieren, die es vorher nicht gab. In dieser ersten Erfahrung des Selbstbewusstseins bekommt der einzelne Mensch zum ersten Mal eine Idee von seiner Würde. Es ist zunächst nur eine Idee, da sie rein subjektiv erfahren wird. Damit diese Idee eine objektive Realität werden kann, bedarf es der Anerkennung seitens eines anderen Menschen. Oder wie es Kojeve ausdrückt:

„Um menschlich zu sein, muß der Mensch darauf ausgehen, sich nicht ein Ding zu unterwerfen, sondern eine andere Begierde (nach dem Dinge).“12 Anders ausgedrückt, begehrt der Mensch von anderen begehrt zu werden. An dieser Stelle wird auch deutlich, welchen Stellenwert Anerkennung in dieser Philosophie innehat. Der Mensch kann sich nur dann als Mensch erfahren, wenn ein anderer dies anerkennt. Es liegt also eine Nähe vor zu Aristoteles „zoon politicon“, der ebenfalls nur durch und mit anderen Menschen seiner Natur gerecht werden kann.

Wie wird nun diese erste Idee von der menschlichen Würde Realität? Hegels Philosophie stellt sich dar, als eine Geschichte des Selbstbewusstseins. Die Geschichte beginnt mit dem Aufeinandertreffen der ersten Menschen und dem daraus resultierenden ersten Kampf. Dabei muss man dies als ein Gedankenexperiment betrachten. Es muss zu einem Kampf kommen, weil jeder den anderen nicht als Mensch betrachtet. Die Gewissheit, dass sein Gegenüber ebenfalls ein Mensch ist, erwächst aus der Bereitschaft für seine Anerkennung zu kämpfen und letztlich zu sterben.13 Dies ist für Hegel die erste wahrhaft menschliche Eigenschaft. Nicht nur dass der Mensch nach einem, biologisch betrachtet, nutzlosen Gut strebt, als Beispiel lassen sich Flaggen, Orden und Titel anführen, er ist sogar bereit dafür zu sterben.14 In dieser Fähigkeit kommt die menschliche Freiheit zu ihrer Entfaltung, denn dass der Mensch z. B. zum Suizid fähig ist, erhebt ihn über die Natur, die auf Selbsterhaltung ausgerichtet ist. Und erst wenn beide Menschen diese Bereitschaft, sich auf einen Prestigekampf einzulassen, bekunden, offenbaren sie sich einander als Menschen. Dieser Kampf muss jedoch so enden, dass beide überleben. Denn wenn einer oder beide sterben, erhält niemand die gewünschte Würdigung. Dies bedeutet, dass zumindest einer sich der Angst vor dem Tode hingeben muss und als Konsequenz der Knecht des Siegers wird.15

An dieser Stelle wird kritisiert, dass Hegel nicht genau erläutert, warum der Kampf auf den Tod gehen muss. Denn die Tatsache der Gegenwehr würde ebenfalls verdeutlichen, dass beide sich als Personen mit einem bestimmten Wert betrachten und anerkennen.16 Ein anderer Vorschlag, wie Menschen sich der Fremdexistenz der anderen vergewissern können, kommt von Sartre. Sein Argument lautet, dass durch den Blick des anderen ich mir sowohl meiner Existenz als auch der meines Gegenübers bewusst werde.17

Hegel jedoch vertritt die Ansicht, dass es ein Kampf auf Leben und Tod sein muss. Mit dem Ende dieses ersten Kampfes beginnt die Menschheitsgeschichte und zugleich die Beziehung zwischen Herren und Knechten. Dabei entsteht eine Situation, die sowohl für die Sieger, als auch für die Besiegten unbefriedigend ist. Der Herr bekommt zwar seine Anerkennung, er bekommt sie jedoch von einem Sklaven, den er nicht als Menschen betrachtet. Und der Knecht schreckte vor dem Tode zurück und konstituierte sich nicht als menschliches Wesen.18 Die Geschichte ist erst dann zu Ende, wenn dieser Widerspruch zwischen Herren und Knechten aufgehoben ist und jeder Mensch seine Anerkennung erhält. Dabei kann nur der Knecht die Geschichte zum Abschluss bringen. Der Herr steckt in einem Dilemma, dem er nicht entfliehen kann. Seine Anerkennung kann er nur von einem anderen Herren erhalten. Dies erzeugt jedoch wieder die Ausgangssituation, dass entweder beide bzw. einer stirbt oder dass einer sich unterwirft und somit ein weiteres Herr - Knecht Verhältnis entsteht.19 Denn anerkennen bedeutet in diesem Stadium der Geschichte unweigerlich Knecht zu werden.

Der Sklave hat in dieser Hinsicht zwei Vorteile gegenüber dem Herrn, zum einen ist es die Fähigkeit andere anerkennen zu können und zum anderen die Arbeit im Dienste anderer.20 Seine Aufgabe besteht nun darin, im Laufe der Geschichte zu erreichen, dass er selbst anerkannt wird. Dies ermöglicht ihm die Arbeit im Dienste des Herrn. Denn für einen anderen Menschen zu arbeiten, also Dinge zu erzeugen, die man vordergründig selbst nicht konsumiert, ist für Hegel eine weitere menschliche Eigenschaft.21 In dieser Arbeit entdeckt der Knecht seine Würde wieder. Und mit dieser seiner Arbeit verändert der Knecht die Gesellschaft und letztlich sich selbst. Die Veränderungen und Entwicklungen, die im Laufe der Geschichte erfolgten, führt Hegel auf die Arbeit der Knechte zurück. Mit der Errichtung einer Gesellschaftsform die ihm seine verlorene Anerkennung wiedergibt und der Unterschied zwischen Herren und Knechten getilgt ist, ist auch der Geschichtsprozess beendet.

In groben Zügen ist dies die Theorie eines Kampfes um Anerkennung, wie sie in der Phänomenologie des Geistes ausgearbeitet ist. In Hegels Philosophie stellt sich Arbeit nicht nur als eine Tätigkeit dar, für die man entlohnt wird. Der Mensch erfährt sich vielmehr als ein mit einem Wert ausgestattetes Wesen, welches frei ist. Arbeit ist mit einer moralischen Selbsterfahrung verknüpft.22

Trotz der durchaus überzeugenden These ergeben sich insbesondere Schwierigkeiten, wenn mit dieser Theorie konkrete Ereignisse analysiert werden sollen. Zum einen bleibt unklar, was genau passieren muss, damit Menschen für ihre Würde kämpfen. Wenn der Wunsch nach Anerkennung ein Grund ist, wieso Menschen revoltieren und sich gegen erlebte Ungerechtigkeit auflehnen, was gibt dann den Ausschlag? Dies bleibt leider unbeantwortet. Zum anderen ergeben sich Probleme aus dem „Elend des Historizismus“, wie es Karl Popper bezeichnet. Diese Theorie beansprucht eine objektive Aussage geben zu können, womit die Menschheitsgeschichte endet. Popper erläutert in fünf Argumenten, warum eine objektive Geschichtswissenschaft einen falschen Weg darstellt.23 Also eine Prognose, wo uns solch ein Kampf hinführt, erweist sich als schwer haltbar.

Eine Theorie die den Kampf um Anerkennung als Erklärungsmuster für Widerstand und Protest verwendet, müsste demnach erklären, was genau missachtet wird, so dass Menschen sich auflehnen. Ebenso müsste sie offen lassen, worin das Ende der Geschichte besteht.

1.2 Drei Stufen der Anerkennung

Bevor Hegel seine Theorie aus der Frage ableitete, wie sich Selbstbewusstsein konstituiert, ging er der Frage nach, wie ein sittliches Gemeinwesen entsteht. Demnach entsteht ein sittliches Gemeinwesen als Stufenfolge eines Kampfes um Anerkennung. Drei Stufen spielen dabei eine Rolle, Liebe, Recht und Solidarität.24 Dieses Modell blieb unausgearbeitet. Axel Honneth greift es wieder auf und modifiziert es, so dass es unserer heutigen Zeit angemessen begründet wird.

[...]


1 Schuller, Konrad: Drei Männer, drei Welten. Solidarnosc Kämpfer heute, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.08.05, S. 3.

2 Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt a.M. 2003, S. 258.

3 Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? München 1992, S. 226.

4 Ebd. S.206.

5 Honneth: Kampf um Anerkennung, S. 107.

6 Tatur, Melanie: Solidarnosc als Modernisierungsbewegung. Sozialstruktur und Konflikt in Polen, Frankfurt a.M./ New York 1989, S. 17.

7 Ebd. S. 101.

8 Kojeve, Alexandre: Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens, Frankfurt a.M. 1975, S. 53.

9 Ebd.

10 Ebd. S. 54.

11 Ebd. S. 56f.

12 Kojeve, S. 57.

13 Ebd. S. 58.

14 Ebd. S. 187.

15 Ebd. S. 59.

16 Honneth: Kampf um Anerkennung, S. 81f.

17 Honneth, Axel: Die Gleichursprünglichkeit von Anerkennung und Verdinglichung. Zur Sartres Theorie der Intersubjektivität, in: Bernhard N. Schumacher: Klassiker Auslegen. Jean-Paul Sartre. Das Sein und das Nichts, Berlin 2003, S. 136 und 145f.

18 Kojeve, S. 63f f.

19 Ebd. S. 64.

20 Ebd. S. 66f.

21 Ebd. S. 67.

22 Fukuyama, S. 270.

23 Nach Popper hat das stetige Wachsen des menschlichen Wissens starken Einfluss auf die Geschichte. Da es nicht absehbar ist, welche Entwicklungen in den Wissenschaften folgen werden (z.B. Genetik), können wir auch nicht wissen, wie sich die menschliche Geschichte entwickeln wird. Vgl. Karl Popper: Das Elend des Historizismus, Tübingen 1965, S. XI.

24 Honneth: Kampf um Anerkennung, S. 151.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der Kampf um Anerkennung und die polnische Solidarno-Bewegung
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in Politische Theorie und Ideengeschichte
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V54390
ISBN (eBook)
9783638496100
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kampf, Anerkennung, Solidarno-Bewegung, Einführung, Politische, Theorie, Ideengeschichte
Arbeit zitieren
Damian Münzer (Autor:in), 2005, Der Kampf um Anerkennung und die polnische Solidarno-Bewegung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54390

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