"Karambolage" im Sendekonzept von ARTE


Magisterarbeit, 2005

142 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Die Entwicklung des Senders ARTE. RB.
1.1 Der Sender in den Jahren seiner Gründung
1.2 Europäische Expansion nach dem Sendestart
1.3 ARTE heute
1.3.1 Die Organisation des Senders
1.3.2 Das Programmdesign des Senders

2 Die Verbreitung von ARTE. MMB.
2.1 Überblick
2.2 Die Verbreitung in Deutschland
2.3 Die Verbreitung in Frankreich
2.4 Die Verbreitung in den ARTE-Partnerländern
2.4.1 Belgien
2.4.2 Österreich
2.4.3 Schweiz
2.4.4 Niederlande
2.4.5 Finnland
2.4.6 Polen
2.4.7 Spanien
2.5 Die Verbreitung in anderen Ländern
2.6 Fazit

3 Akzeptanz von ARTE in Deutschland und Frankreich. MMB.
3.1 Überblick
3.2 Gründe für die unterschiedliche Rezeption in Deutschland und Frankreich
3.3 Ausblick

4 Die Zielvorstellungen des Senders ARTE. RB.
4.1 Kultur – ein ganz besonderes Gut
4.2 Mettre la télévision au service de l’homme européen
4.3 So hab’ ich das noch nie gesehen

5 Die Sendung ‚Karambolage’. RB.
5.1 Claire Doutriaux – die Erfinderin
5.2 Das Konzept
5.3 Die Produktion
5.4 Welche Inhalte werden in ‚Karambolage’ vermittelt?

6 Wie werden die Inhalte in ‚Karambolage‘ filmisch gestaltet? RB.
6.1 Techniken der Filmanalyse – ein Exkurs
6.2 Analyse der Beispielsendung vom 10.10.2004
6.2.1 Das Sendeprofil
6.2.2 Der Gegenstand
6.2.3 Das Wort
6.2.4 Das Inventar
6.2.5 Das Symbol
6.2.6 Das Rätsel
6.3 Fazit

7 Kulturstandards und Stereotype in ‚Karambolage’. MMB.
7.1 Bedeutung der Kultursensibilisierung
7.2 Kulturstandard-Konzept
7.2.1 Definition von Kulturstandards
7.2.2 Konstruktionsprozess von Kulturstandards
7.2.2.1 Überblick
7.2.2.2 Fehlinterpretationen bei der Generierung von Kulturstandards
7.2.3 Grenzen des Kulturstandard-Konzepts
7.3 Kulturstandard versus Vorurteil und Stereotyp
7.4 Vermittlungsformen in ‚Karambolage’
7.4.1 Wie wird der Zuschauer für die jeweils andere Kultur sensibilisiert?
7.4.2 Fördert die Sendung nicht eher die Etablierung von Stereotypen und Vorurteilen, als damit aufzuräumen?
7.4.2.1 Überblick
7.4.2.2 Stereotypisierende Beiträge
7.4.2.3 Vermeidung der Stereotypisierung
7.4.2.4 Fazit
7.4.3 Inwiefern finden sich Aspekte des Kulturstandard-Konzepts in der Sendung wieder?
7.4.3.1 Überblick
7.4.3.2 Direkter Vermittlungsweg
7.4.3.3 Indirekter Vermittlungsweg
7.4.3.4 Humorvoller Vermittlungsweg
7.4.3.5 Vermittlung mittels Bild und Text
7.4.3.6 Fazit

8 Kritik und Aussichten. MMB.
8.1 Einschätzungen der Sendung ‚Karambolage’ in der Öffentlichkeit
8.1.1 Die Präsentation von ‚Karambolage’ bei ARTE
8.1.2 Pressestimmen in Frankreich
8.1.3 Weitere öffentliche Positionierungen in Frankreich
8.1.4 Pressestimmen in Deutschland
8.1.5 Andere öffentliche Stellungnahmen in Deutschland
8.2 Die Marktanteile der Sendung ‚Karambolage’
8.3 Alltagskulturelle versus wissenschaftliche Betrachtungsweise
8.4 Die Zukunft der Sendung bei ARTE

Fazit

Anhang
Anhang I Protokoll der Beispielsendung vom 10. Oktober 2004
Anhang II Protokoll des Telefoninterviews mit Maija-Lene Rettig von Martin Marcel Bauch

Literaturverzeichnis

MMB – Martin Marcel Bauch

RB – Romy Bretfeld

Einleitung

Das Streben nach einem gemeinsamen Europa stellt einen Schwerpunkt in der heutigen Gesellschaft dar. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen in Europa die Pläne zur Überwindung historisch gewachsener nationaler Grenzen. Mit der Schaffung eines gemeinsamen Marktes und transnationaler Verbindungen in Handels-, Agrar- und Verkehrspolitik wurden auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene bereits große Fortschritte hinsichtlich einer Integration Europas erzielt. Auf kulturellem Gebiet stellte die Gründung des europäischen Fernsehkulturkanals ARTE einen wichtigen Meilenstein zur Belebung des interkulturellen Dialogs in Europa dar.

Die Verwirklichung dieses einzigartigen Beispiels deutsch-französischer sowie europäischer Zusammenarbeit war mit ausgeprägten Problemen verbunden. Der Sendestart musste mehrmals verschoben werden, so dass fast zwei Jahre später als geplant, am 30. Mai 1992, der Startschuss für ARTE gegeben werden konnte. Die Gründe lagen in den unterschiedlichen politischen und rechtlichen Systemen der Gründungsstaaten sowie in ungleichen kulturellen Auffassungen. Bei der Entwicklung des europäischen Kulturkanals waren Kritiker und Gegner dieser deutsch-französischen Zusammenarbeit von Beginn an zur Stelle. Das politische Prestigeprojekt ARTE, welches laut Gründungsvertrag „das Verständnis und die Annäherung der Völker in Europa fördern“ soll, wurde eher misstrauisch und spöttisch von der Presse in Deutschland und Frankreich empfangen. Die Bezeichnungen reichten von „Blindenfernsehen“, „Bastard der Politik“, „Letztes Kind des Kalten Krieges“ bis zu „La langue de Goebbels“.[1] Mittlerweile jedoch, nach über 12 Jahren auf Sendung, ist ARTE aus der täglichen Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken und hat sich einen festen Platz im Bereich des Kulturfernsehens gesichert. ARTE zeichnet sich dabei durch seine Zielsetzung, alte Sehgewohnheiten zu durchbrechen und neue mediale Ausdrucksweisen zu kreieren, aus.

Das dreipolige und transnationale Unternehmen ARTE versucht dem europäischen Gedanken gerecht zu werden, indem eine enge Zusammenarbeit mit Rundfunkanstalten anderer europäischer Länder aufgebaut wird. Jedoch gibt es an der Basis, der Zentrale in Straßburg und den beiden Töchtern ARTE Deutschland TV GmbH und ARTE France, ebenfalls noch Bedarf einer Vertiefung der Zusammenarbeit. So werden viele Sendungen von den einzelnen Mitgliedern gefertigt ohne eine wirkliche, vor allem inhaltliche, deutsch-französische Zusammenarbeit darzustellen.

Mit der Entwicklung eines neuen Sendekonzepts, welches ARTE breiteren Zuschauergruppen zugänglich machen sollte, wurden einige neue Sendeformate in das Programm aufgenommen. Die Sendung ‚Karambolage’ von Claire Doutriaux stellt in dieser Entwicklung einen weiteren entscheidenden Schritt dar: Sie ist die erste deutsch-französische Sendung, die auch inhaltlich deutsch-französisch ist. Nach über zehnjährigem Bestehen des europäischen Kulturkanals ARTE ist dies die erste Sendung, die deutsch-französische Unterschiede und Gemeinsamkeiten thematisiert.

Die, jeden Sonntag von 20.00 Uhr bis 20.15 Uhr auf ARTE ausgestrahlte, Sendung setzt sich als Ziel, die französische und die deutsche Kultur einander näher zu bringen. Dabei wird von Details aus dem alltäglichen Leben ausgegangen, die im Laufe der Sendung innerhalb verschiedener Kategorien, wie etwa ‚Der Gegenstand’, ‚Das Ritual’ oder ‚Die Lautmalerei’, von Autoren beider Nationen präsentiert werden.

Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in die Entwicklung des Fernsehsenders ARTE liefern. Dabei wird, neben der Geschichte dieses Projektes, anhand der Empfangsmöglichkeiten und der Marktanteile aufgezeigt, inwieweit er als europäischer Kulturkanal etabliert und akzeptiert ist. Nach einer Vorstellung des Sendekonzepts und der damit verbundenen Ziele richtet sich das Hauptaugenmerk dieser Arbeit auf die Sendung ‚Karambolage’ als erste deutsch-französische Sendung auf inhaltlicher und produktiver Ebene bei ARTE. Ein enger Zusammenhang zwischen Präsentation des Senders und ‚Karambolage’ ist gegeben, da die Entwicklung einer so konstruierten Sendung einen Höhepunkt in der Geschichte und den Gründungszielen von ARTE darstellt.

Um diese These zu belegen, werden anfangs Hintergründe zur Produktion und Konzeption der Sendung dargestellt. Dies ist notwendig, um zu verstehen, aus welchen Gründen die Autorin die Sendung entworfen hat und welches Ziel sie bei ARTE verfolgt.

In weiteren Kapiteln wird geklärt, welche Inhalte in ‚Karambolage’ präsentiert und wie diese filmisch umgesetzt werden. Diese Erläuterung erfolgt anhand einer repräsentativen Untersuchung der Beispielsendung, vom 10. Oktober 2004. Es wird dabei die Frage aufgeworfen, ob bereits die Methoden der filmischen Umsetzung zur Entwicklung eines besseren Verständnisses für die andere Kultur beim Zuschauer beitragen können.

Weiterhin wird die Frage der kulturellen Annäherung noch einmal aufgenommen und anhand der Theorie der Kulturstandards und Stereotypen untersucht. Dazu wird das Konzept der Kulturstandards in Hinblick auf Stereotype und Vorurteile zunächst allgemein erklärt und ihre Bedeutung erläutert. Anschließend werden die sprachlichen Inhalte der Sendung ‚Karambolage’ im Hinblick auf die folgenden drei Fragestellungen untersucht:

Wie wird der Zuschauer für die jeweils andere Kultur sensibilisiert?

Fördert die Sendung nicht eher die Etablierung von Stereotypen und Vorurteilen, als damit aufzuräumen?

Inwiefern finden sich Aspekte des Kulturstandard-Konzepts in der Sendung wieder?

In Ergänzung dazu werden die ersten Reaktionen und Stellungnahmen der französischen und deutschen Öffentlichkeit zu ‚Karambolage’ präsentiert und unter Einbezug der Marktanteile bewertet.

Zusätzlich wird in einem Abschnitt der Unterschied zwischen alltagskultureller und wissenschaftlicher Betrachtungsweise in Bezug auf ‚Karambolage’ erläutert. Dabei werden Vorteile und Nachteile beider Sichtweisen in ihrer Umsetzung innerhalb der Sendung aufgezeigt und bewertet.

Den Abschluss der Arbeit bildet eine Vorausschau auf die Zukunft der Sendung bei ARTE und eine Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse.

Unser Dank gilt Thomas Gerlach von ARTE G.E.I.E. und Maija-Lene Rettig, stellvertretende Chefredakteurin von ‚Karambolage‘, für die freundliche Unterstützung bei der Materialrecherche. Außerdem danken wir auch Prof. Ulrike Brummert für die kritische Manuskriptdurchsicht.

1 Die Entwicklung des Senders ARTE

Im nun folgenden Kapitel wird die Entwicklung des Senders ARTE zusammengefasst, um ein anschauliches Bild von ihm zu vermitteln und ‚Karambolage’ innerhalb des Sendekonzepts, hinsichtlich seiner Bedeutung für ARTE, zu situieren.[2]

1.1 Der Sender in den Jahren seiner Gründung

Die Geschichte von ARTE beginnt mit der Gründung der französischen Fernseh-Programmgesellschaft La SEPT[3] in Paris am 27. Februar 1986. Durch ihr Konzept „als nationales französisches Kulturprogramm auf Inhalte der Hochkultur“[4] spezialisiert und „in Organisation und Programmation als Alternative zur steigenden Kommerzialisierung des Fernsehens und zur Stabilisierung der Produktion gedacht“[5], soll sie – zumindest auf französischen Wunsch hin – als Vorbild für den zu gründenden Europäischen Kulturkanal ARTE dienen.

Erste Vorstellungen, vor allem „zu Finanzierung und Inhalten des Programms“[6] werden am 4. November 1988 in der „Gemeinsamen Erklärung zum deutsch-französischen Kulturkanal“ zwischen der französischen Regierung und den deutschen Bundesländern formuliert. Tragende Kräfte bei diesem Projekt waren nicht, wie oft behauptet, der französische Präsident François Mitterand und Bundeskanzler Helmut Kohl, sondern der französische Minister für Kultur Jack Lang und der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth.[7]

Als eigentliche Voraussetzung zur Gründung von ARTE gilt jedoch der Zwischenstaatliche Vertrag vom 2. Oktober 1990, der von der französischen Regierung und den 11 alten Bundesländern unterzeichnet wird.

Die 6 Artikel des Vertrages schreiben die Eckdaten des gemeinsamen Projekts fest: Artikel 1 regelt das Problem der Aufsicht und legt die Selbstverwaltung der neuen Organisation in allen Bereichen (Programmplanung und -realisierung, Haushalt, Personal) fest. [...] Artikel 2 bestimmt die Übertragungswege des Programms, den Rundfunksatellit TDF sowie „zusätzliche Übertragungswege“ [...]. Artikel 3 regelt die Mehrwertsteuerfrage und verpflichtet den französischen Staat auch in diesem Punkt auf das deutsche Recht [...]. Artikel 4 legt die Bedingungen des Beitritts weiterer europäischer Staaten fest. [...] Artikel 5 bestimmt den Modus der Vertragsratifikation [...], Artikel 6 die Modalitäten der Vertragskündigung.[8]

Mit seinen Bestimmungen bildet der Zwischenstaatliche Vertrag nach französischem Recht, nach deutschem Recht und auch nach EU-Recht eine absolute Ausnahme in der europäischen Medienlandschaft. Die deutschen Bundesländer pochen auf ihr Recht der Rundfunkfreiheit und schließen den Bund komplett von jeglicher Entscheidungsfindung aus. Sie bestehen auf Staatsferne des Senders, was von französischer Seite akzeptiert wird, obwohl das den zentralistischen Grundsätzen in Frankreich widerspricht. In beiden Ländern wird die nationale Gesetzgebung verändert und geweitet, um das Projekt für beide Seiten zufriedenstellend zum Abschluß zu bringen. Das europäische Medienrecht hat überhaupt keinen Einfluß auf das Zustandekommen des Vertrages, denn es schreibt genau das Gegenteil dessen vor, was schlußendlich so zustande gekommen ist. Es schafft eigentlich Freiräume, die durch nationale Gesetzgebung einzuschränken sind.[9]

Ein weiterer Schritt zur Realisierung des Projekts Europäischer Kulturkanal ARTE ist die Gründung der ARTE Deutschland TV GmbH am 13. März 1991 mit Sitz in Baden-Baden. Sie ist die deutsche Koordinierungsstelle, an der die öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF zu je 50% beteiligt sind.

Nachdem nun also beide Länder ihre nationalen Pole geschaffen haben, kann es am 30. April 1991 zur Gründung des Europäischen Kulturkanals ARTE kommen. ARTE G.E.I.E. (Groupement Européen d’Intérêt Economique) ist eine Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung mit Sitz in Straßburg. ARTE France[10] und ARTE Deutschland TV GmbH sind gleichberechtigte Mitglieder. Der Vertrag regelt

die Gestaltung der deutsch-französischen Zusammenarbeit und des Programms [...] die Rechte und Pflichten der beteiligten Partner [...] am gemeinsamen Unternehmen [...], seine innere Organisation, die Verwaltungs- und Aufsichtsgremien, die Rechtsaufsicht, die Grundsätze der Programmerstellung, Ausstrahlungsquoten, die Erweiterung des Unternehmens, die Finanzierung und die Auflösung.[11]

Der eigentliche Sendestart von ARTE findet allerdings erst am 30. Mai 1992 statt, also über ein Jahr nach Vertragsabschluß. Der erste Präsident des ARTE-Vorstandes ist Jérôme Clément, sein Vizepräsident Dietrich Schwarzkopf. Willibald Hilf ist Präsident der ARTE-Mitgliederversammlung.

Am 1. Januar 1999 wird Jobst Plog erster deutscher Präsident des Senders.[12]

Nun stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen ARTE als Sender gestartet ist.

Oben genannte Verzögerungen beispielsweise ziehen sich durch die gesamte Entstehungsgeschichte von ARTE G.E.I.E. Dies begründet sich aus den verschiedenen Interessen der Partnerländer bzw. der Unterschiedlichkeit ihrer medienpolitischen Systeme.

Während Frankreichs zentralistisches Mediensystem in der Tradition direkter regierungspolitischer Einflußnahme steht, war die Festlegung der deutschen Position aufgrund der föderalistischen Organisationsstruktur des bundesdeutschen Rundfunksystems ein Koordinierungsseiltanz zwischen den Kultusministerien der einzelnen Bundesländer.[13]

Aus diesem Unterschied ergeben sich Probleme, wie sie schon bei der Bewertung des zwischenstaatlichen Vertrages geschildert wurden.

Zur Bewertung der drei Pole sei kurz gesagt, daß ARTE France seinen rechtlichen Status nie geändert hat und auch weitgehend unter staatlichem Einfluß der französischen Regierung bleibt, durch die Programmverbreitung in Frankreich allerdings aufgewertet wurde.

Einerseits ist ARTE Deutschland im wesentlichen eine Kontrollinstanz hinsichtlich der Zuliefer- und Finanzquoten und hat keinen Einfluß auf die Programmgestaltung. Andererseits glückte hier allerdings zum ersten Mal ein Versuch von Zusammenarbeit der ARD und des ZDF, woraus eine qualitativ hochwertigere Kooperation der deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erwachsen ist.

Die Zentrale in Straßburg erfüllt nur kooperative, nicht wie vorgesehen integrative Zwecke und ist vor allem in wichtigen Fragen wie Programmerstellung und Finanzierung gänzlich von den nationalen Polen abhängig. Dies begründet sich aus dem Unwillen der Partner wichtige Kompetenzen aus der Hand geben zu wollen.[14]

Auch in wichtigen Punkten, wie Gestaltung und Verbreitung des Programms, gibt es anfangs Schwierigkeiten. „Während in Deutschland die Verbreitung durch ein gut ausgebautes Kabelnetz gesichert war, konnte Frankreich in dieser Hinsicht nur begrenzte Reichweiten garantieren und mußte sich deshalb zur Bereitstellung einer terrestrischen Frequenz verpflichten“.[15]

Desgleichen existieren hinsichtlich des Kulturbegriffs sehr konträre Meinungen. Die Franzosen bevorzugen Kultur im engen, elitären Sinne mit einer begrenzten Themenpalette, „während die deutsche Seite [...] einen weiten Kulturbegriff verankern wollte, der auch das Alltagsleben, Wirtschaft, Politik, Nachrichten und Unterhaltung umfassen sollte.“[16]

Für ARTE selbst spielen solche theoretischen Unterscheidungen nur eine marginale Rolle. Für Claire Doutriaux[17] beispielsweise ist dies nicht die Basis der Diskussion, es sei vielmehr zu betonen, dass es gar nicht möglich ist einen gemeinsamen Kulturbegriff für ARTE zu finden, da die personellen Voraussetzungen in Deutschland und Frankreich vollkommen unterschiedlich sind und somit auch gänzlich verschiedene Interessen aufeinander treffen. Genauer gesagt heißt das:

ARTE, c’est une chaîne déséquilibrée. En France, c’était La SEPT comme petite entité de fabrication de programmes de télévision, souvent faites par des gens qui étaient des dissidents d’autres télévisions et qui donc y voyaient un enjeu très fort. Du côté allemand, ARTE n’a absolument pas les mêmes nécessités puisque c’est une chaîne de rediffusion, parfois de première diffusion. Enfin, c’est une chaîne filiale, satellite de l’ ARD et de la ZDF.[18]

Dietrich Schwarzkopf faßt zusammen:

In der Alltagspraxis hat man in Straßburg glücklicherweise rasch aufgegeben, eine gemeinsame Kulturdefinition für die Arbeit des Kulturkanals finden zu wollen [...] - nichts wäre schlimmer als die Heckenschere einer einheitlichen Kulturdefinition, mit der das Programm zurechtgestutzt würde.[19]

Die Festlegung keiner gemeinsamen Kulturdefinition könnte einerseits darauf hinweisen, dass schlicht keine Einigung gefunden wurde oder aber andererseits als Indiz für die Offenheit des Senders gegenüber den Kulturkonzepten anderer, vor allem europäischer, Länder betrachtet werden. Die Ausbreitung des Kulturkanals in Europa wird im folgenden Kapitel dargestellt.

1.2 Europäische Expansion nach dem Sendestart

Die Geschichte von ARTE nach dem Sendestart ist vor allem von der Aufnahme von europäischen Partnern bestimmt, entweder durch Assoziations-, Kooperations- und Koproduktionsverträge.

Die assoziierten Mitglieder sind mit beratender Stimme in den ARTE-Gremien vertreten. Sie verpflichten sich mit ARTE zum Programmaustausch und zur Umsetzung einer bestimmten Anzahl von Koproduktionen.

Das Ziel der Partner der Kooperationsabkommen ist es in allen Programmgenres Koproduktionen zu realisieren. Die Kooperationspartner sind mit beratender Stimme in der Programmkonferenz vertreten.

BBC und SVT sollen jeweils mit ihrer Arbeit für ARTE den Anteil europäischer Koproduktionen erhöhen.[20]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Europäische Partner von ARTE

Außerdem strahlt ARTE sein Programm seit Februar 2004 in 20 französischsprachigen Ländern Afrikas aus. Im November desselben Jahres startete „Cuny TV“ New York mit der Ausstrahlung eines wöchentlichen Sendeplatzes. Das bedeutet, dass seitdem etwa zwei Millionen amerikanische Haushalte die Möglichkeit haben, einmal pro Woche ARTE-Programme in französischer Sprache zu sehen.

Seit Oktober 2003 hat ARTE einen neuen Gesellschaftssitz in unmittelbarer Nähe des Europäischen Parlaments in Straßburg. Dieser Schritt kann als Zeichen dafür gesehen werden, dass sich ARTE einen festen Platz in der europäischen Medienlandschaft erobert hat und diesen auch sichern möchte.

Im folgenden Kapitel wird dargestellt wie der Sender zum heutigen Zeitpunkt gegliedert ist. Zu diesem Zweck wird sein Aufbau und sein Konzept zur Programmgestaltung beschrieben.

1.3 ARTE heute

1.3.1 Die Organisation des Senders

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[21]

Abb.2: Organigramm des Senders ARTE

ARTE ist ein dreipoliges Unternehmen. Es setzt sich aus der Zentralen Koordinationsstelle ARTE G.E.I.E. in Straßburg, ARTE France in Paris und ARTE Deutschland TV GmbH in Baden-Baden zusammen. Als vierter Pol können die europäischen Partner betrachtet werden[22]. ARTE beschäftigt 365 feste sowie viele freie Mitarbeiter und Journalisten und verschiedene Dienstleister. 71% des Personals sind französische und 26% deutsche Staatsbürger.

Die Zentrale in Straßburg entscheidet über Programmstrategie, Programmkonzeption und Programmplanung. Sie ist für die Ausstrahlung der Sendungen zuständig, für die Programmpräsentation und die Sprachbearbeitung der Programme. Außerdem ist sie für die Produktion der Informationssendungen, einiger Magazine und Themenabende (20% der gesamten Programmproduktion von ARTE) verantwortlich. Straßburg ist letztlich auch für die Koordination und Konzeption des Zusammenwirkens der Mitglieder zuständig.

ARTE France hat 215 feste und zahlreiche freie Mitarbeiter. Er liefert 40% der gesamten Programmproduktion von ARTE und setzt sich aus den Redaktionen und den Abteilungen Programmprojekte, Internationale Beziehungen und Kommunikation zusammen, denen der Vorstand übergeordnet ist, der wiederum vom Aussichtsrat kontrolliert wird. Der Präsident des Vorstandes ist Jérôme Clément.

Weiterhin hat ARTE France drei Tochtergesellschaften: ARTE France Cinéma und ARTE/COFINOVA, zwei Spielfilmproduktionsgesellschaften und ARTE France Développement, die audiovisuelle Verlags- und Produktionsgesellschaft. Unter dem Namen ARTE Éditions vermarktet ARTE France Bücher und Multimedia-Produkte, die im Zusammenhang mit seinen Programmen stehen.

Der Sender ist außerdem an den französischen Spartenkanälen Histoire und Festival, dem kanadischen Kulturfernsehen ARTV sowie TV5 und Canal France International beteiligt.

ARTE Deutschland TV ist eine GmbH, deren Gesellschafter zu je 50% die ARD und das ZDF sind. Sie produzieren oder erwerben die Programme die zu 40% als deutscher Anteil in das Programm von ARTE einfließen. Für die Programmvorschläge und ihre Realisierung sind im ZDF der ARTE-Koordinator und bei der ARD die jeweiligen ARTE-Beauftragten der Landesrundfunkanstalten verantwortlich. Weitere Gremien der ARTE TV GmbH Deutschland sind die Gesellschafterversammlung und die Geschäftsführung (Vorsitz: Klaus Wenger), mit den Abteilungen Programmkoordination und Grundsatzfragen, Programmverwaltung und Recht, Programm-Marketing und Presse sowie die Verwaltung.

Es läßt sich daraus erkennen, dass die Pole in Baden-Baden und Paris vollkommen verschieden organisiert sind. ARTE France ist durchaus ein eigenständiger Sender, wohingegen ARTE Deutschland eher eine Koordinationsstelle ist.

Der Vorstand von ARTE leitet den Sender und setzt sich aus vier Personen zusammen. Zur Zeit sind das der Präsident Jérôme Clément, der Vizepräsident Gottfried Langenstein, der Programmdirektor Victor Rocaries und der Verwaltungsdirektor Wolfgang Bernhard. Der Vorstand ist für Programm, Verwaltung und strategische Entwicklung und Koordinierung zuständig.

Die Mitgliederversammlung kommt vierteljährlich zu Versammlungen zusammen, in denen sie über Grundsatzfragen des Senders entscheidet, den Wirtschaftsplan verabschiedet und die Vorstandsmitglieder sowie die leitenden Angestellten der Zentrale ernennt. Sie setzt sich aus 12 Mitgliedern zusammen. Der Präsident ist Jobst Plog, sein Vizepräsident ist Rémy Pfimlin.

Ein weiteres Gremium von ARTE ist der Programmbeirat, der ebenfalls viermal im Jahr zusammentritt und, wie der Name schon impliziert, den Vorstand und die Mitgliederversammlung in Programmfragen berät.

Die Programmkonferenz schließlich kreiert die redaktionelle Linie von ARTE und erstellt Vorschläge zum Programmschema in ihren monatlichen Sitzungen in der Zentrale. Sie besteht aus vier Vertretern von ARTE G.E.I.E., zwei von ARTE France, zwei von ARTE Deutschland und jeweils einem Repräsentanten der europäischen Partner (mit beratender Stimme).

Das Herzstück des Programmablaufs ist die Sendeleitung. Sie arbeitet an der Vorbereitung und Durchführung der Programmausstrahlung. Ihre vier Abteilungen Senderdesign/ Programmankündigungen, Sendevorbereitung, Sendeablauf und Ausstrahlung arbeiten eng zusammen.

Die Sendeleitung hat auch in Zusammenarbeit mit der Münchener Agentur velvet mediendesign GmbH das neue Sendedesign geschaffen, in dem sich ARTE mit einem neuen Programmaufbau präsentiert, der im folgenden Kapitel erläutert wird.

1.3.2 Das Programmdesign des Senders

Seit 1. Januar 2004 präsentiert sich ARTE nun unter dem Slogan „So hab’ ich das noch nie gesehen“, der Ausdruck für die neue Programmgestalt ist.

Die Verteilung der Themenanteile jedoch ist trotz des neuen Programmdesigns gleichgeblieben. Es bleibt bei jeweils 30% für französische, deutsche und europäische und 10% für internationale Themen.[23]

Das neu designte Programm von ARTE ist von dem Slogan „So hab‘ ich das noch nie gesehen“ geprägt. Das heißt, dass sich das Programm an neugierige Zuschauer wendet, die, genau wie die Mitarbeiter des Senders, „Dinge aus einem neuen, ungewohnten und überraschenden Blickwinkel [...] betrachten“[24] wollen.

Dazu wurde das Programm umgestaltet, Neues hinzugefügt und alte Sendungen gekürzt. In den folgenden Abbildungen ist der schematische Aufbau des Nachmittags- und des Abendprogramms dargestellt.[25]

[...]


[1] Vgl. Wenger (2003), S.61.

[2] Vgl. ARTE-Chronik, (2004).

[3] La SEPT – La Société d’Edition de Programmes de Télévision.

[4] Gräßle (1995), S.224.

[5] Gräßle (1995), S.224.

[6] Merkel (1995), S.55.

[7] Vgl. Gräßle (1995), S.112/113.

[8] Gräßle (1995), S.190/191.

[9] Vgl. Gräßle (1995), S.190 ff.

[10] früher: La SEPT, umbenannt im August 2000.

[11] Gräßle (1995), S.196/197.

[12] Nähere Erläuterungen zur Struktur des Unternehmens ARTE finden sich im Kapitel 1.3.

[13] Merkel (1995), S.55.

[14] Vgl. Gräßle (1995), S.197ff.

[15] Merkel (1995), S.56; Auf die Themen Verbreitung und Rezeption soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Es wird in der Arbeit separat behandelt (Kapitel 2 und 3).

[16] Köppe (2001), S.22.

[17] Damals noch Redakteurin in der Programmredaktion Dokumentationen, Dokumentarfilme bei La SEPT.

[18] Hahn (1997), S.298.

[19] Hahn (1997), S.297.

[20] Vgl. ARTE Pressemappe (2004), S.38.

[21] Vgl. ARTE Pressemappe (2004), S.33-52; Meckel (1994), S.323; ARTE-Der Sender, 05.01.2005.

[22] Nähere Erläuterungen zu den europäischen Partnern finden sich in Kapitel 1.2.

[23] Vgl. Kammann (2004a), S.6.

[24] ARTE-Das Programmschema, (2005).

[25] ARTE Pressemappe, S.26, 27.

Ende der Leseprobe aus 142 Seiten

Details

Titel
"Karambolage" im Sendekonzept von ARTE
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Philosophische Fakultät)
Note
1,5
Autoren
Jahr
2005
Seiten
142
Katalognummer
V54402
ISBN (eBook)
9783638496186
ISBN (Buch)
9783638700412
Dateigröße
1369 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Karambolage, Sendekonzept, ARTE
Arbeit zitieren
Martin Marcel Bauch (Autor:in)Romy Bretfeld (Autor:in), 2005, "Karambolage" im Sendekonzept von ARTE, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54402

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