Der Beginn des 21. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch einen grundlegenden Wandel, der alle gesellschaftlichen Bereiche zu durchdringen scheint. Neben den wirtschaftlichen Herausforderungen einer durch dieGlobal Playerinitiierte Globalisierung und den damit losgetretenen Umbrüchen in Produktion, Dienstleistung und Handel, in Beschäftigungs- und Sozialsystemen wird der Blick auch stärker auf die Bildung gelenkt, der zunehmend die Aufgabe der Zukunftssicherung zugewiesen wird. Als Nebenschauplatz und gewissermaßen als Auswuchs der Angst vor Nichtbildung oder besser vor Fehlbildung durch den vermuteten negativen Einfluss des Medienkonsums auf die Bevölkerung und stärker noch auf Kinder und Jugendliche wird immer wieder und aktuell wieder intensiv die Medienwirkung thematisiert. Dabei scheint in breitesten Kreisen der Gesellschaft Konsens darüber zu bestehen, dass Medien eine direkte Wirkung in Form von Verhaltensänderungen auf die Rezipienten haben und diesen auch negativ beeinflussen können. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen reklamiert für sich und bekommt auch von der Politik einen Bildungsauftrag zugewiesen. In der öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland: "Die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien für die Kultur in Deutschland" vom 18. April 2005 wird der Glaube an Wirkung ausdrücklich unterstrichen. Daneben wird das Thema in der Wissenschaft - wie nicht anders zu erwarten - sehr viel differenzierter, über die Zeit vielstimmiger und auch widersprüchlicher kommentiert.
Inhalt
1. Problemstellung und Zielsetzung
2. Medienwirkungsforschung
Annäherung an einen Begriff
- Historie und gesellschaftliche Relevanz
Das Stimulus-Response-Modell
- Grundannahmen und Menschenbild
Der Rezipient als aktiver Mediennutzer
Ansätze der postkommunikativen Medienwirkung
Agenda-Setting-Ansatz
Wissenskluftperspektive
Kultivierungshypothese
3. Mediennutzung verstanden als soziales Handeln
Uses-and-Gratification Ansatz
Dynamisch-transaktionaler Ansatz
Ko-Orientierung
„Third-Person“-Effekt
4 Medienwirkungsforschung ohne Wirkung?
Literaturliste
Erklärung
1.Problemstellung und Zielsetzung
Der Beginn des 21. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch einen grundlegenden Wandel, der alle gesellschaftlichen Bereiche zu durchdringen scheint. Neben den wirtschaftlichen Herausforderungen einer durch die Global Player initiierte Globalisierung und den damit losgetretenen Umbrüchen in Produktion, Dienstleistung und Handel, in Beschäftigungs- und Sozialsystemen wird der Blick auch stärker auf die Bildung gelenkt, der zunehmend die Aufgabe der Zukunftssicherung zugewiesen wird. Als Nebenschauplatz und gewissermaßen als Auswuchs der Angst vor Nichtbildung oder besser vor Fehlbildung durch den vermuteten negativen Einfluss des Medienkonsums auf die Bevölkerung und stärker noch auf Kinder und Jugendliche wird immer wieder und aktuell wieder intensiv die Medienwirkung thematisiert. Dabei scheint in breitesten Kreisen der Gesellschaft Konsens darüber zu bestehen, dass Medien eine direkte Wirkung in Form von Verhaltensänderungen auf die Rezipienten haben und diesen auch negativ beeinflussen können. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen reklamiert für sich und bekommt auch von der Politik einen Bildungsauftrag zugewiesen. In der öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland: "Die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien für die Kultur in Deutschland" vom 18. April 2005 wird der Glaube an Wirkung ausdrücklich unterstrichen. Daneben wird das Thema in der Wissenschaft – wie nicht anders zu erwarten – sehr viel differenzierter, über die Zeit vielstimmiger und auch widersprüchlicher kommentiert.In der vorliegenden Arbeit werde ich zunächst die Wirkungsforschung und die ihr zugrunde liegende Tradition in der geschichtlichen Perspektive herausarbeiten, um anschließend einige aktuelle Forschungsrichtungen näher zu beschreiben. Mit den so gewonnenen Einsichten wird anschließend der Frage nachgegangen, ob die Medienwirkungsforschung durch eigene Befunde am Ende trotz Paradigmenwechsel und „realistischer Wende“ (vgl.: MOSER 2000) nicht wirkungslos bleiben muss.
2.Medienwirkungsforschung
In periodisch wiederkehrenden Wellen wird in der Öffentlichkeit über die Medien und ihre Wirkung auf die Rezipienten diskutiert. Anlass dazu boten in jüngster Vergangenheit zunächst Meldungen aus den USA - doch nun auch aus Deutschland - über Gewaltexzesse an Schulen. Eine Google-Abfrage im deutschsprachigen Raum zum Begriff „Medienwirkung“ erbrachte 21500 Treffer; Yahoo liefert zum gleichen Thema 65000 Treffer Diese geradezu inflationäre Verbreitung und die auf breiter gesellschaftlicher Basis geführte Diskussion zum Thema macht es notwendig, zunächst in einem Längsschnitt den geschichtlichen Verlauf der Debatte zu beleuchten und deren Aktualität bis in unsere heutige Zeit hinein aufzuzeigen.
Annäherung an einen Begriff
Historie und gesellschaftliche Relevanz einer Medienwirkungsforschung Die Pädagogik steht seit ihren Anfängen in einem zwiespältigen Verhältnis zu technisch entwickelten Massenmedien. Bei genauerer Betrachtung der Debattenentwicklung wird deutlich, dass mit der Einführung von je neuer Medien in die Gesellschaft auch eine je spezifisch neue Medienschelte hinsichtlich ihrer verderblichen Wirkung einher geht. Buchdruck, Photo (Daguerrotypie), Film, Radio, Fernsehen und nun auch die Neuen Medien wurden und werden weiterhin verdächtigt, einen direkten Einfluss auf die Rezipienten auszuüben. Zwiespältig ist die Haltung der Pädagogik in so fern, als sie neben diesem Skeptizismus auch eine gegenteilige Position vertritt. Seit Comenius gibt es vor allem auch in der Reformpädagogik pragmatische Ansätze, die bildungspädagogische Möglichkeiten unterstreichen und neben der traditionellen Nutzung der zur Verfügung stehenden Medien und Institutionen wie Schulbücher, Schulbildstellen, Schulfernsehen, Lehrfilme, etc. auch einen handlungsorientierten Ansatz verfolgen.„Der Vorläufer der sich speziell mit den Massenmedien auseinandersetzenden Medienpädagogik ist, lange vor dem Film, die Pressekritik, deren Anfänge bereits im 17. Jahrhundert liegen (Ahasver Fritsch, Christian Weise) (vgl. Kurth 1944) und die sich vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Kritik der Massenpresse, der politischen Berichterstattung und ihrer ökonomischen Abhängigkeiten und politischen Verflechtungen äußert (vgl. Wittke 1875). (...) Ihr entsprach jedoch auch ein allgemeines Vorurteil gegenüber der Presse und den Journalisten, das auch bei den Pädagogen vorhanden war. Der allgemeine Vorwurf der „Entsittlichung und Verrohung“ bildete jedoch ein Grundmuster, wie es dann auch von der Medienpädagogik aufgegriffen wurde“ (HICKETHIER 1981, S. 27) (vgl. auch ROGGE 2000, KÜBLER 2003):. Interessant ist auch der Hinweis von HURRELMANN (1999), dass im 18. Jahrhundert Frauen verdächtigt wurden, für die „Lesesucht“ und für „übermäßig empfindsames Lesen“ besonders empfänglich zu sein.Mit der Einführung und Verbreitung der Kinematographie zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschärfte sich diese Auseinandersetzung ganz erheblich. Dieses Medium bot den Jugendlichen die Möglichkeit, „sich unbeobachtet und unbeaufsichtigt von Schule und Elternhaus auch miteinander zu unterhalten und zu amüsieren. Schon allein dieser Umstand war eine Herausforderung an die Schule, deren pädagogisches Ziel in der totalen Kontrolle und Überwachung der Heranwachsenden und in ihrer vollständigen Reglementierung lag. (...) Da über die Wirkung des Films noch keine Theorien vorlagen, spekulierten die Pädagogen deshalb selbst, sie nahmen wie allgemein üblich an, dass das, was dort auf der Leinwand zu sehen war, sich umstandslos als Bewußtsein in den Köpfen der Kinder festsetzte und ihre Normen und Wertvorstellungen prägte.“ (HICKETHIER 1981, S. 28)Das Fernsehen und nun die Neuen Medien mit ihrer starken Verbreitungsdynamik geben den Medienskeptikern ein neues und ein sehr weites Betätigungsfeld. So nimmt es nicht wunder, wenn die Zahl der Veröffentlichungen zum Thema so stark zugenommen hat, dass der einfache Student sich kaum noch zurecht findet. „Mehr als 5000 Studien gibt es inzwischen weltweit, die sich mit einem Thema auseinandersetzen: Medien und Gewalt.“ (GRIMM 2002, S. 1). “Vermutlich ist es heute wahrscheinlicher, in der Publikationsflut über den Cyberspace zu ertrinken, als sich daselbst zu verlaufen. Wer kann sie noch überblicken, die Publikationen zu den Neuen Medien?“ (WERBER 1999, S. 1).Berichte nicht nur über Schulmassaker sondern auch über eine zunehmende Bewaffnung und über eine hohe Gewaltbereitschaft in der Schülerschaft schüren jedenfalls die Diskussion zu Haus und in den Medien über den angeblich Einfluss von Horrorfilmen oder Computerspielen aus dem Bereich der Ego-Shooter auf die Heranwachsenden. „Erneut ein Schulmassaker in den USA, diesmal in einem Indianerreservat doch der Kontext scheinbar wie gehabt: Der Täter hatte Zugang zu Waffen (Großvater ist Polizist) und ist begeisterter Videospiele-Fan. Einem Bericht der "Seattle Times" zufolge soll es sich bei dem Todesschützen um den 15 Jahre alten Schüler Jeff Wiese handeln. Angestellte der Schule beschreiben Wiese als "verwirrten Jungen", der das ganze Jahr über lange schwarze Mäntel getragen habe“ (LAUFFER 2005)Die Vorstellung eines Wirkzusammenhangs von Medienrezeption und Verhalten bei Anderen ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet (vgl. Wolfgang Clements Forderung nach einem Verbot von gewaltverherrlichenden Computerspielen in der Aktuellen Stunde WDR3 am 29.04.02 als Reaktion auf den Schüler-Amoklauf in Erfurt). Der in den 60/70er Jahren vorgenommene Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen Theoriebildung der Medienwirkungsforschung scheint daran nichts wesentliches geändert zu haben. Doch vor dessen Beschreibung möchte ich zunächst das den gesellschaftlichen Vorstellungen nahekommende SR-Modell näher darstellen, weil esa) die anschließende Kritik an kausalen Wirkungsvorstellungen erleichtert, und weil es b) trotz seiner im Wissenschaftsbetrieb breiten Ablehnung in vielen Ansätzen latent weiter besteht
Das Stimulus-Response-Modell
Grundannahmen und Menschenbild
Wie in der historischen Betrachtung gezeigt, handelt es sich bei dem Stimulus-Response-Modell um eine Vorstellung von Medienwirkung, die in ihrer konkreten Ausformulierung aus dem frühen 20. Jahrhundert stammt. Doch bereits seit dem Auftauchen von massenhaften Druckerzeugnissen kulminiert diese Vorstellung in den Köpfen der Menschen.CHARLTON & NEUMANN-BRAUN nennen es „das einfachste Modell“, für MERTEN ist es „das klassische Wirkungsmodell“.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es gibt einen Sender (M), der eine Nachricht verschlüsselt über einen Kanal oder Medium an einen Empfänger (R ) mit der Erwartung eines Ergebnisses/einer Wirkung weitergibt (vgl.: SCHULZ 1989).Dieses Modell ist angelehnt an Vorstellung in den Naturwissenschaften, wonach Stimuli als gerichtete Größe eine beschreibbare Intensität besitzen. Daraus wurde gefolgert: Gleiche Stimuli haben gleich Wirkungen. „Völlig analog definierten Kommunikationsforscher Wirkung als Veränderung – als Veränderung des Wissens, der Einstellung und des Verhaltens.“ (MERTEN 1991, S. 91). Zunächst wurde dieses streng naturwissenschaftliche Modell von der Psychologie übernommen und dort zur Erklärung von unterbewussten Reflexen herangezogen. 1927 – so MERTEN weiter – hat Harold D. Lasswell dieses Modell dann in die Kommunikationswissenschaft eingeführt und damit die Wirkung von Propaganda zu erklären versucht. Das mit dieser Vorstellung von Medienwirkung korrespondierende Menschenbild, als einem recht simpel zu manipulierenden Wesen, das den vielfältigen Versuchen der Einflussnahme recht hilflos ausgesetzt ist, mag in der Werbewirtschaft herbeigesehnt sein, spricht den Menschen jedoch weitestgehend einen freien Willen ab und hebt damit eine signifikante Grenze zwischen Tier und Mensch auf.Wie wenig die Menschen in ihrem Verhalten elektronischen Schaltkreisen entsprechen, so wenig vermag m. E. ein solches Theoriemodell die menschliche Kommunikation hinreichend zu beschreiben. Dennoch ist diese sehr einfache Vorstellung von Kommunikation offenbar resistent gegen Veränderungen und lebt - trotz immer wieder fehlgeschlagener empirischer Untermauerung - in neueren Theorieansätzen vielfach weiter. „Obwohl die genannte Grundannahme des medien-zentrierten Ansatzes schon auf den ersten Blick recht unwahrscheinlich klingt und trotz vielfältiger Gegenbeweise, liegt die direkte Wirkungshypothese immer noch vielen Untersuchungen zugrunde.“ (CHARLTON/NEUMANN-BRAUN 1991, S. 45), (vgl. auch: MERTEN 1991).
Der Rezipient als aktiver Mediennutzer
Auch die von Lasswell aufgestellte Formel: Wer sagt was, warum, wie und mit welchem Effekt zu wem? (vgl.: CHARLTON/NEUMANN-BRAUN, 1992) war zu einfach und berücksichtigte weder die Einflüsse der interpersonalen Beziehungen noch die sog. defensive Selektivität der Rezipienten. Genauer unterscheiden die Autoren hier nach - formalen Merkmalen des Medienangebots und den Rezeptionsbedingungen während und nach der Rezeption; - subjektiven Voraussetzungen der Rezeption, wie die Persönlichkeit des Rezipienten und seiner je besonderen Verarbeitung. Aus dieser nun dem Rezipienten zugewandten Sicht scheinen sich – so zumindest auf den ersten Blick - die Befürchtungen der Medienskeptiker in ihr Gegenteil zu kehren:
„Die bisherige Frage der Medienwirkungsforschung – ´Was machen die Medien mit den Menschen?´ - kehrte sich zur Frage `Was machen die Menschen mit den Medien?´“ (WINTERHOFF-SPURK 2001, S. 22) (vgl. auch: SCHULZ 1989; BONFADELLI 2004b). So werden mit der Rezipientenorientierung einige Theorieansätze zwar perspektivisch umgedachten, bleiben jedoch weiterhin, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, in vielen Fällen dem SR-Model verhaftet
Ansätze der postkommunikativen Medienwirkung
Mit dieser Neuorientierung hinsichtlich der Forschungsrichtung „(...) und zwar weg von der Analyse des Medieneinflusses auf Einstellungen sowie Verhalten und hin zur Untersuchung kognitiver Wirkungsphänomene.“ (BONFADELLI 2004a, S. 2) rückt der Rezipient - wenn auch nicht konsequent so doch zunehmend - in den Blick. Die folgenden Ansätze und Theorien werden deshalb in eine Kategorie eingeordnet, die ich nach
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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- Quote paper
- B.A. Oskar Schäfer (Author), 2005, Medienwirkungsforschung: Am Ende des Holzweges?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54854
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