Rahel Varnhagen und die Berliner Salons


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Biografie Rahel Varnhagens
1.1 Erziehung und Bildung Rahels

2. Stellung der Juden in der Romantik

3. Stellung der Frauen in der Romantik
3.1 Rahel in der Rolle der Frau im Bezug zu den Männern

4. Die Salonkultur und andere Gesellschaften
4.1 Ziele Rahels und Gründe für ihr Schreiben
4.2 Möglichkeiten Rahels, ihre Ziele mithilfe ihres Salons durchzusetzen

5. Identitätskrise
5.1 Rahels Inneres und Äußeres

6. Rahels Einstellung zur Religion
6.1 Gründe für ihren Religionswechsel
6.2 Rahels Verhalten als Christin

7. Analyse des Briefes an Ludwig Robert vom 29. August
7.1 Inhalt
7.2 Stil und Besonderheiten
7.3 Tagebucheintrag vom 2. März 1823 als Ergänzung/ Bestätigung

8. Rahels Bekenntnis zurück zum Judentum am 2. März
8.1 Inhalt
8.2 Bekenntnisanalyse und Vergleich/Unterschiede zum Brief

Literaturverzeichnis

Anhang I

1. Biografie Rahel Varnhagens

Rahel Levin wird am 19. Mai 1771 als ältestes Kind eines jüdischen Kaufmanns, Bankiers und Juweliers in Berlin geboren. Ihr folgen vier weitere Kinder. Die Familie Levin ist sehr wohlhabend und gehört zu den 500 Schutzjuden der jüdischen Oberschicht, die es zur Zeit Friedrich II. in Berlin gibt. Sie besitzen deshalb für Juden ungewöhnlich viele Rechte.

Als 1790 jedoch Rahels Vater stirbt, gerät die Familie in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Das Geschäft geht an Rahels Bruder Markus. Rahel kümmert sich um ihre kleineren Geschwister und übernimmt deren Erziehung, da sich ihre Mutter dazu nicht in der Lage fühlt.

Rahel ist von ihrer Familie finanziell anhängig.

1790 eröffnet sie ihren ersten Salon im elterlichen Haus in der Dachstube. Er ist die Weiterführung der Abendgesellschaft des verstorbenen Vaters. In ihrem Salon treffen Menschen jeden Standes zusammen, um sich über Literatur, Natur und Kunst zu unterhalten. Unter den Gästen befinden sich auch bekannte Romantiker wie Brentano, Schleiermacher, die Gebrüder Humboldt und Tieck.

Da Rahel schon in ihrer Jugend häufig krank ist, reist sie im Sommer 1795 zur Kur nach Teplitz.

Im Winter lernt sie den Grafen von Finckenstein kennen. Die Beziehung scheitert jedoch trotz Verlobung nach fünf Jahren, da Rahel von seiner Familie nicht akzeptiert wird und Finckenstein nicht bereit ist, ein Doppelleben zu führen. Um sich abzulenken, fährt Rahel 1800 nach Paris und bleibt dort bis zum April 1801. 1802 lernt Rahel den spanischen Gesandtschaftssekretär Don Raphael d`Urquijo kennen und erlebt eine zweite unglückliche Liebesbeziehung. Schon nach eineinhalb Jahren erfolgt der Bruch.

Als sie 1806, aufgrund Napoleons Einzugs in Berlin, ihren ersten Salon auflösen muss, geht es auch ihrer Familie finanziell immer schlechter. Rahel muss ihren Lebensstandard einschränken.

1808 lernt sie ihren zukünftigen Mann Karl August Varnhagen kennen, der jedoch schon bald zu einem Medizinstudium in eine andere Stadt aufbricht. Zudem zieht Rahel als nun 37-jährige nach schweren Konflikten mit ihrer Mutter aus der gemeinsamen Wohnung aus und mietet sich eine eigene. Nach der Krankheit und dem Tod ihrer Mutter 1809, zieht sie 1810 erneut um und ändert ihren Familiennamen. Von nun an nennt sie sich Robert (vgl. auch Gründe für ihren Religionswechsel).

Als Preußen Frankreich 1813 den Krieg erklärt, reist Rahel nach Prag. Dort lebt sie wieder auf, denn alles ist neu und fremd für sie. Eine neue Aufgabe findet sie in der Pflege und Versorgung von Kriegsopfern.

Im Jahr 1814 lässt Rahel sich durch Schleiermacher evangelisch taufen. Wenig später heiratet sie mit 43 Jahren Varnhagen. Daraufhin folgt sie ihm nach Wien, wo Varnhagen als preußischer Gesandter am Wiener Kongress teilnimmt. 1819 kehrt sie nach Aufenthalten in Frankfurt und Kahlsruhe, wo sie Freunde besucht, mit Varnhagen nach Berlin zurück. Der liberal eingestellte Varnhagen hat bereits nach den Karlsbader Beschlüssen seinen Posten verloren. Jedoch kann Rahel ihren zweiten Salon eröffnen, in dem nun auch über Politik gesprochen wird. Er erreicht jedoch nie den Erfolg, den ihr erster Salon hatte.

In den letzten Jahren ihres Lebens ist Rahel sehr einsam. Immer wieder wird sie schwer krank. Sie besitzt kaum noch Widerstand und macht keine Ausflüge mehr. Kurz nach dem Tod ihres Bruder und dessen Frau 1832, stirbt Rahel am 7. März 1833 an einem Nervenschlag.

1.1 Erziehung und Bildung Rahels

Dieses Thema gilt als noch relativ unerforscht. Zum einen wird Rahel als ein Mädchen mit überdurchschnittlicher Ausbildung dargestellt[1]. Zum anderen wird jedoch häufig betont, dass sie kaum Bildung besitze und sich alles selbst aneignen musste.

Sie selbst sagt über sich „Mir wurde nichts gelehrt; ich bin wie in einem Wald von Menschen gewachsen.“[2]

Es steht jedoch fest, dass Rahel nie zur Schule gegangen ist. Rahel kann als Kind kein Deutsch und unterhält sich mit ihrer Familie, die ebenfalls kaum Bildung besitzt, im Jargon (Judendeutsch).

Rahel ist Kind von orthodoxen Juden. Ihre Eltern leben streng nach dem jüdischen Glauben und lassen ihren Kindern die übliche Bildung ihres Standes zukommen. In der Familie besitzt Rahels Vater eindeutig die größte Autorität. Rahel kommt damit nicht zurecht und sucht Verständnis bei ihrer Mutter, doch diese lässt sich von ihrem Mann unterdrücken.

Rahel empfindet ihre Jugend als gepeinigt[3]. Erst nach dem Tod ihres Vaters kann sich die freiheitsliebende Rahel besser entfalten. Rahel sieht Bildung als ein Lebensziel an und versucht sich möglichst viel selbst beizubringen. Es besteht ein regelrechter Wissensdrang. Doch vieles, was Rahel liest, kann sie sich nicht merken (vgl. auch den Brief an David Veit vom 18. November 1793 im Anhang). „[…] jeder Geringste kann daher mehr lernen als ich […]. Es ist wahr, dass ich immer an das wesentliche denke […].“

Ihr ganzes Wissen bezieht sie aus Büchern, die sie ohne Anleitung selbstständig liest. Denn wenn andere ihr Unterricht geben, lernt sie nicht viel (vgl. auch den Brief an David Veit vom 18. November 1793 im Anhang). „[…] nun sprechen sie Stunden lang ohne allen Zusammenhang für mich, ich höre aber doch mit größten Anstrengung zu […].“

Zu allem, was sie liest, stellt sie Überlegungen an. Besonders Goethe beeinflusst sie. In Goethe fühlt sie sich verstanden. Sie verehrt ihn. Häufig wird gesagt, dass sie Goethe liest wie andere die Bibel. Rahel beginnt einen regelrechten Goethekult zu entwickeln.

Sie selbst erzieht sich zum Denken, zur „gebildeten Persönlichkeit“, denn „auf das Selbstdenken kommt alles an“[4].

Die ständige Weiterbildung ist Rahel sehr wichtig. Ihre modernen Ansichten über Bildung spiegeln sich in ihrem Fortschrittsglauben wider. Rahel liest viele wichtige Werke, macht sich Anstreichungen und Randbemerkungen und lässt sich durch die Literatur inspirieren. Oft kritisiert sie sogar, was bekannte Autoren geschrieben haben und verbessert sie. Neben der Wissenschaft interessiert sich Rahel für Philosophie und Natur. Nebenbei lernt sie Italienisch und Französisch. Zudem hat Rahel Musik- und Klavierunterricht, interessiert sich für das Theater, liebt Opern und nimmt Tanzunterricht.

Die deutsche Schrift lernt Rahel erst als Erwachsene, bis dahin schreibt sie in hebräischen Buchstaben. Besonders mit der Orthografie hat sie Probleme (Vgl. auch den Brief an David Veit vom 18. November 1793 im Anhang). „Ich mag mir wirklich noch so viel vornehmen, auf die Orthographie, während ich lese, Acht zu geben […], so lese ich gar nicht, sondern sehe nun nur wieder, wie die Wörter geschrieben sind […].“

Schon als junges Mädchen hat Rahel einen Kreis von Schauspielerinnen und Adligen, von akkultierten Jüdinnen und jungen Intellektuellen um sich. Häufig wird sie als „echte[s] Kind […] der Aufklärung, [das] das Sentimentale und Schwärmerische ausdrücklich ablehn[t]“[5] bezeichnet.

2. Stellung der Juden in der Romantik

Juden zählen zu Beginn der Epoche der Romantik zu den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Außenseitern. Sie gelten als Sündenböcke und werden grundsätzlich für alle Schulden, Konkurse und Diebstählen in den Gemeinden verantwortlich gemacht. Sie müssen stets hohe Abgaben bei Geburten, Todesfällen, Hochzeiten oder beim Bau von Häusern zahlen. Während der Eroberungskriege Friedrich II. sind Juden sogar zu sinnlosen Zwangskäufen verpflichtet, um die Kriege zu finanzieren. Unter den Juden befinden sich jedoch auch reiche Bankiers, die Friedrich II. den Krieg freiwillig finanzieren. Deshalb verlangt Friedrich II. Achtung und Toleranz gegenüber den Juden. Zu diesen gehören auch die Schutzjuden, die mehr Rechte und Freiheiten als die „normalen“ Juden hatten.

Als Schutzjuden werden die Juden bezeichnet, deren Lebensbedingungen durch einen Schutzbrief und einige Privilegien stark verbessert sind. Bestimmte Rechte und Bedingungen bei der Niederlassung, die Befreiung von einer Unzahl von Einschränkungen und Abgaben sowie bildungsmäßige und berufliche Integration war nur diesen wohlhabenden Juden möglich. Allerdings haben auch die Schutzjuden kein Staatsbürgerrecht.

Der Schutzbrief kann nur an den ältesten Sohn übertragen werden. Töchter sind ganz ausgeschlossen.

Auch Rahels Familie gehört zu den Schutzjuden Friedrich II., die nur etwa 1 bis 2 Prozent der gesamten jüdischen Bevölkerung ausmachen. Ab 1812 gelten Schutzjuden nicht mehr als Fremde, sondern als Einländer und Preußische Staatstaatsbürger.

Die meisten Juden sind in ihrer Berufswahl jedoch zu dieser Zeit sehr eingeschränkt. Handwerkliche und landwirtschaftliche Berufe sowie staatliche Ämter sind ihnen komplett verschlossen. So werden die Juden immer mehr zum Geld- und Kredithandel, der den Christen verwehrt ist, gedrängt. Viele Juden sind sehr arm und verdienen als Kleinhändler, Hausangestellte, Hausierer und Bettler ihr Geld.

Bis 1810 haben sich aufgrund der vielen Einschränkungen bereits 10% der Juden in Berlin taufen lassen. Erst 1812 wird mit dem Emanzipationsedikt eine staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden erreicht. Die Juden sind nun von den Sonderabgaben und den Berufseinschränkungen befreit und haben jetzt das Recht, sich in der Stadt oder auf dem Land niederzulassen. Von nun ab gibt es keine abgrenzten, ausschließlich den Juden zugewiesenen Wohngebiete mehr. Zudem werden den Juden Bürgerrechte und Gewerbefreiheit eingeräumt und sie werden vom Leibzoll befreit.

In der Bevölkerung gibt es nach dem Emanzipationsedikt von 1812 immer mehr Bürger, die ihre Judenfeindlichkeit ausdrücken. Sie wollen nicht akzeptieren, dass ihnen die Juden nun fast gleichgestellt sind. Bis zu diesem Zeitpunkt galten die Juden als Sündenböcke und konnten für alles verantwortlich gemacht werden. Viele Bürger haben Hass auf alles Fremde und haben Abneigungen gegen Minderheiten (in dem Fall die Juden). Viele Handwerker und Gewerbebetreiber fürchten nun die jüdische Konkurrenz und auch der Adel hat Angst, sein Land zu verlieren.

Ab 1812 sind Juden auch zum Militär zugelassen.

Jedoch wird 1815, nach dem Sturz Napoleons, das Emanzipationsedikt teilweise wieder rückgängig gemacht. Eine erneute Judenverfolgung, die so genannten Hep-Hep-Stürme, brechen 1819 in ganz Deutschland aus.

Juden können sich nur durch Assimilation emanzipieren. So sind viele Juden dazu gezwungen, ihre historische und religiöse Identität aufzugeben.

3. Stellung der Frauen in der Romantik

Auch in der Epoche der Romantik hat die Frau noch die unterprivilegierte Stellung unter dem Mann einzunehmen. Sie lebt sehr eingeschränkt und hat kaum Entfaltungsmöglichkeiten. Durch die von Männern gemachten Gesetze und Konventionen sind die Frauen sehr eingeengt. Frauen sind traditionell für die Kindererziehung, Krankenpflege, die Haus- und Heimarbeit verantwortlich.

Sie besitzen kaum Bildung, da es Frauen verwehrt ist, eine Schule zu besuchen. Auch Universitäten stehen ihnen nicht offen. In intellektuellen Vereinigungen sind Frauen nicht zugelassen. Wenn möglich, sollen sie auch keinen Beruf ausüben. Frauen sind nur für das Private zuständig und haben mit der Politik nichts zu tun.

Die Männer erwarten von den Frauen unbegrenzte Unterwerfung. Viele Männer haben Vorurteile gegenüber Frauen. Sie müssen artig, fein und zurückhaltend sein und eine „psychologische und ästhetische Sensibilität“[6] besitzen. Glück außerhalb der Ehe ist nicht möglich.

Gerade in der Epoche der Romantik spielt die Frauenemanzipation aber eine große Rolle. Immer mehr junge, vorwiegend jüdische Frauen, lehnen sich gegen die alten Traditionen auf, die noch ihre Mütter akzeptiert haben. Sie akzeptieren ihre vorgeschriebene Rolle als Hausfrau und Mutter nicht mehr und fordern mehr Bildung und Freizeit. Sie kämpfen für die Befreiung aus der sozialen Abhängigkeit und fordern Chancengleichheit. Viele Frauen wünschen sich einen Beruf und Selbstbestimmung. Das rege Teilhaben an der Kultur sowie mehr Freiheiten sind den Frauen sehr wichtig. Zudem möchten sie später nicht wie üblich mit bereits fünfzehn Jahren heiraten, um mehr von ihrem Leben zu haben. Jedoch trauen sich nur sehr wenige Frauen, sich für diese Ziele einzusetzen. Die Mehrheit bleibt still.

3.1 Rahel in der Rolle der Frau im Bezug zu den Männern

In ihrem Leben als Frau wird Rahel von den Männern häufig die Rolle als Vertraute, Ratgeberin und Muse zugeteilt, doch damit ist sie nicht zufrieden. Auch dass Rahel häufig von den Männern als geistreich und gescheit bezeichnet wird, reicht ihr nicht aus. Der Vergleich mit einem weiblichen Genie kränkt sie eher, als dass sie sich freut.

Von anderen wird sie wiederum gar nicht anerkannt, da sie ihr eigentliches Inneres nicht kennen. Ihr Verhalten erscheint ihnen daher oft unverständlich. Nach ihrer Heirat mit Varnhagen wird sie nur noch als Gattin Varnhagens gesehen. Dies macht Rahel auch in vielen Briefen deutlich. Ein Beispiel ist der Brief vom 5. November 1826 an Pauline Wiesel (vgl. auch Anhang).

„Paris liebte ich am meisten: aber ich müßte nicht, wenigstens zu Anfang nicht, als Frau von Varnhagen dort sein zu müssen: mit einem Wort: frei! […] Ich lebe sehr eingeschränkt, weil ich einem Verhältniß bin: und jedes erwürgt geradezu.“

In der Gesellschaft wird sie nur noch mit ihrem Mann geduldet. Die Rolle, die Rahel nun als Gattin spielen muss, gefällt ihr zwar nicht, doch sie muss sich damit zurecht finden. Rahel ist gezwungen, sich ein zweites Leben aufzuschminken.

Zwar sind die Zwänge, die Rahel als Ehefrau hat, nicht allzu groß, doch fühlt sie sich dennoch nicht wohl. Dies wird auch in einem Brief, den sie Ende 1815 an ihre Schwester schreibt, deutlich („Freiheit, Freiheit! Besonders in einem geschlossenen Zustand, wie die Ehe!“).

4. Die Salonkultur und andere Gesellschaften

Gerade in der Epoche der Romantik gibt es eine große Kultur an Gesellschaften, die in den verschiedenen Ständen jedoch unterschiedlich ausgelebt wird.

Die Aristokraten feiern im Hof ihre Feste, die höheren Beamten haben ein bis zwei Mal pro Jahr Gesellschaften und die reichen Kaufleute, sowohl Christen als auch Juden, feiern Bälle, Mittagbrote und Soireen. Es gibt Konzerte, Vorträge und auch das Theater wird besucht.

Den ersten jüdischen Salon eröffnet Henriette Herz. Ihr folgen Rahel Varnhagen, Fanny Lewald, die oft einen größeren Kreis von Gästen um sich hat, und Bettina von Arnim. Der Salon gibt den Frauen die Möglichkeit, sich von ihren häuslichen Pflichten zu lösen und mündig zu werden. Viele Frauen wollen so ihre Gleichberechtigung einfordern. Anders als die christlichen Häuser Berlins, boten die jüdischen geistige Geselligkeit, die auch ungeladenen Besuchern offen stand. In den jüdischen Salons werden die Kleidungssitten und Verhaltensweisen der Zeit auf ihre eigene Art und Weise geprägt. Die Eigenart liegt vor allen darin, dass die Rangordnung in der Kleidung nicht erkennbar war. Diese Freiheit und Ungezwungenheit zieht die unterschiedlichsten Gäste an. Die liberale Gastlichkeit ist ein Zeichen für die Umstrukturierung der bestehenden sozialen Formen in der Gesellschaft. In den Salons werden anspruchsvolle Gespräche geführt. Lesungen aus neuen literarischen Werken, wissenschaftliche Darlegungen und Berichte über ferne Weltgegenden erhöhten die Attraktivität der Zusammenkünfte. Neu ist außerdem, dass Frauen öffentlich mit debattieren konnten. Frauen sind hier nicht nur Hausmütter, sondern stehen im Mittelpunkt. Mit ihrem Tun und Handeln wollen die Betreiberinnen der Salons etwas in ihrer Religion verändern und einen besseren Lebensstandard der Juden im Allgemeinen erreichen. Die Mitglieder suchen einen Ort, an dem sie ihr Leid, ihre religiösen Erfahrungen und öffentliche Neuigkeiten austauschen können. In einer solchen Gemeinschaft bekommen sie zugleich Schutz und Hilfe. Die Salons sprechen nicht nur die Juden an, sondern auch Nichtjuden, die bisher dem Judentum bestenfalls gleichgültig gegenüber standen. Viele Gäste hegen sogar eine große Abneigung gegenüber den Betreiberinnen, sind jedoch gezwungen, mit ihnen auszukommen, da sich der Salon zu einem zentralen Treffpunkt entwickelt. Die so erreichte Öffnung kann nicht genug in ihrer Bedeutung für den Emanzipationsprozess der Juden in Deutschland hervorgehoben werden.

Auch Moses Mendelsohn trifft sich mit Freunden in seinem Arbeitszimmer, um mit ihnen philosophische Streitgespräche zu führen und um die deutsche Literatur zu würdigen. Diese Treffen finden allerdings am Vormittag statt und sind daher keine Konkurrenz für die Salons. Von 1804 bis 1806 öffnet die Herzogin von Curland ihre Türen für zahlreiche Gäste. Die Gespräche sind jedoch anders als bei Rahel, politisch. Allerdings erstirbt 1806, mit dem Einzug Napoleons, das gesellschaftliche Leben in Berlin. Berlin wird mit dem Einzug der Franzosen zur eroberten Stadt. Es wird notwendig, auf politische Ziele hinzuarbeiten. Das gesellschaftliche Leben steht zu dieser Zeit eher im Hintergrund.

Zu Beginn des Jahres 1811 wird die christlich-deutsche Tischgesellschaft von Adam Müller und Achim von Arnim gegründet. Sie ist gegen die liberalen Tendenzen gerichtet und schließt Frauen, Franzosen, Philister und Juden aus. Mitglieder dieser Tischgesellschaften verkehren trotz starker Abneigung gegenüber Frauen und Juden in den jüdischen Salons und sind teilweise sogar mit dessen Betreiberinnen befreundet. Die Mitglieder, Adlige und bürgerliche Romantiker, zu denen auch Clemens Brentano zählt, sind patriotisch gesinnt und vertreten nationaldeutsche und antijüdische Positionen. Bei ihren wöchentlichen Treffen versammeln sich die Mitglieder in einem eigens dazu bestimmten Lokal. Dort werden Abhandlungen vorgelesen und antijüdische Reden gehalten. Nach dem Krieg treten die Frauen jedoch wieder mehr in den Vordergrund.

4.1 Ziele Rahels und Gründe für ihr Schreiben

Vor allen Dingen setzt sich Rahel für die Emanzipation der Frau ein. Jegliche Einschränkungen der Frau sollen aufgehoben werden und allen Frauen soll Chancengleichheit im politischen und formalrechtlichen Sinn geboten werden. Die häufige Empörung Rahels über die Einschränkungen wird besonders in ihren Liebesbeziehungen, in denen sie sich nicht unterordnen kann, deutlich. Sie selbst sieht sich als Rebellin und versucht auch andere Frauen zu überzeugen, dass sie etwas für ihre Emanzipation tun müssen (vgl. zum Beispiel den Brief an ihre Schwester Rose im Anhang). „[…] geh an Orte, wo neue Gegenstände, Worte und Menschen dich berühren… Wir Frauen haben dies doppelt nöthig […].“

Diese Briefe stehen jedoch im Kontrast zu den Ratschlägen, die Rahel ihren Freundinnen gibt. Diese sollen, um ihre Ziele zu erreichen, ihren Männern gegenüber Unterwürfigkeit und Schmeichelei zeigen[7].

[...]


[1] Thomann Terwarson, Heidi, Rahel Levin Varnhagen. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek,

1988, S. 23.

[2] Thomann Terwarson, Heidi a.a.O., S. 19

[3] Neumann, Gerda, Große Frauen der Welt. Rahel Varnhagen. „Wer charmant geboren ist…“, Würzburg, 1980,

S. 122

[4] Sölle, Dorothee und Kopetzki, Annette, Frauen. Porträts aus zwei Jahrhunderten. Rahel Varnhagen, Stuttgart,

1981, S. 37.

[5] Thomann Tewarson a.a.O., S.27

[6] Sölle und Kopetzki a.a.O., S. 45.

[7] Stern, Carola, Der Text meines Herzens. Das Leben der Rahel Varnhagen, Reinbek, 1994, S.130

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Rahel Varnhagen und die Berliner Salons
Hochschule
Universität Siegen  (Geschichte)
Veranstaltung
Jüdisches Leben im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
33
Katalognummer
V55150
ISBN (eBook)
9783638501798
ISBN (Buch)
9783638646093
Dateigröße
1608 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Unter besonderer Berücksichtigung der Stellung des Judentums in der Epoche der Romantik.
Schlagworte
Rahel, Varnhagen, Berliner, Salons, Jüdisches, Leben, Jahrhundert, Deutschland
Arbeit zitieren
Anika Barton (Autor:in), 2005, Rahel Varnhagen und die Berliner Salons, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55150

Kommentare

  • Gast am 28.2.2013

    Es wird viel zu viel der Hauarbeit preisgegeben, wenn man das e-book kauft, ist nicht mehr viel Text vorhanden

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Titel: Rahel Varnhagen und die Berliner Salons



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