Robert Musil reagiert mit seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ auf die veränderte Situation des Menschen in der modernen Lebenswelt. Durch die stetig wachsende Effektivität der Wissenschaft und der Technik ist die Wirklichkeit, die den Menschen umgibt, einem immer schnelleren Veränderungsprozeß ausgesetzt. „Urträume der Menschheit werden verwirklicht“ (8, 1088) und dabei die alten Ordnungsvorstellungen in ihrem Fundament erschüttert. Die Menschheit wird immer mehr zum Produzenten ihrer Lebenswelt. Die Begriffe, die sie von sich bildet, reflektieren nicht mehr natürliche Gegebenheiten, sondern müssen sich dem beschleunigten Wandel der Verhältnisse, den sie selbst erzeugt, anpassen. Mit der schnell wachsenden Größe dieser Aufgabe wächst auch das Interesse an der Frage, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte, der der Mensch in der Moderne anscheinend nur noch staunend gegenüberstehen kann. Seine Unwissenheit zeigt sich in Ahnungen des Unheimlichen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die Systemtheorie der Gesellschaft
- 2.1 Kosmos oder Phrase – der Romananfang und die Begriffe Selektion, Komplexitätsreduktion und Kontingenz
- 2.1 Die Differenz von System und Umwelt und der Wirklichkeitsbegriff der Systemtheorie
- 2.3 Soziale Systeme als sinnverarbeitende Kommunikationssysteme
- 2.4 Gesellschaftliche Evolution als Prozeß der Verselbständigung der Kommunikation und Umstellung der Differenzierungsform
- 2.5 Der Verlust der gesellschaftlichen Einheit
- 2.6 Polykontexturale Gesellschaft und Veränderung der Semantik
- 2.7 Individuum und moderne Gesellschaft
- 2.8 Unfall oder Fall – polykontexturale Realitätskonstruktion und die ,,wilde' Kontingenz des Gefühls am Ende des ersten Kapitels des Romans
- 3. Gesellschaftsbeschreibung im Romankontext
- 3.1 Der Roman im Spiegel der Wirkungsabsichten Robert Musils
- 3.1.1 Das „geistig Typische“ und der „unmaßgebliche Mensch“
- 3.1.2 „Bildungsroman einer Idee“ – das nicht ratioide Gebiet als utopischer Gegenpol der Beschreibungen der modernen Gesellschaft im Roman
- 3.2 Die multiperspektivische Erzählweise als Ausdruck der Problematik der modernen Existenz
- 3.3 Hintergrund und Vordergrund – Orte der Gesellschaftsbeschreibung im Romangefüge
- 3.1 Der Roman im Spiegel der Wirkungsabsichten Robert Musils
- 4. Komplexität, funktionale Differenzierung, Evolution, Kontingenz – Brüchige Semantik als diffuser Hintergrund des Romans
- 4.1 Der „diffuse Hintergrund“ des Romans
- 4.2 Die Auflösung der einheitlichen Semantik
- 4.2.1 Vervielfältigung des Wissens und Ordnungsverlust
- 4.2.2 Funktionale Differenzierung und Pluralismus
- 4.2.3 Zusammenfassung
- 4.3 Wien und Kakanien als Paradigma der Gesellschaftsbeschreibung im Roman
- 4.3.1 Wien und Kakanien als Beschreibung einer Bewusstseinslage
- 4.3.2 „Wien“ unbestimmbare Komplexität
- 4.3.3 „Kakanien“
- 4.3.3.1 Die Bedeutung der Stadtbeschreibungen im „Kakanien“-Kapitel
- 4.3.3.2 Die „überamerikanische Stadt“ als Bild einer funktionalen Totalordnung
- 4.3.3.3 Der „Zug der Zeit“ als Bild gesellschaftlicher Evolution
- 4.3.3.4 „Kakanien“ zwischen Schein der Ordnung und Strukturwiderspruch
- 4.3.3.5 Die „Steinbaukastenstadt“ – Kontingenz und Entfremdung als Signum Kakaniens
- 4.3.3.6 Zusammenfassung
- 5. Der Diskurs der Uneigentlichkeit im MoE als Ausdruck der Verselbständigung des Sozialen
- 5.1 Der Mann ohne Eigenschaften
- 5.1.1 Ontologisierung der Gesellschaftskritik als Stoßrichtung im Denken Ulrichs
- 5.1.2 Der Möglichkeitssinn
- 5.1.3 Eigenschaftslosigkeit
- 5.1.4 Die Figurenkonstellation als Ausdruck der funktionalen Differenzierung
- 5.2 Die Welt von Eigenschaften ohne Mann
- 5.2.1 Kon- und Divergenz der theoretischen und literarischen Gesellschaftsbeschreibung
- 5.2.2 Konventionsdruck, Erlebnisvielfalt, mediale Aushöhlung des Erlebnisvermögens und das „Prinzip des unzureichenden Grundes“
- 5.2.3 Mode als Mechnismus leerlaufender Zeichenproduktion. Die Auflöung der Ganzheitsvorstellung
- 5.1.4 Die Entstehung der Welt von Eigenschaften ohne Mann
- 5.1 Der Mann ohne Eigenschaften
- 6. Die Parallelaktion – Sinnsuche und Produktion von Unordnung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ analysiert die komplexe Situation des Menschen in der modernen Gesellschaft und stellt dabei die Frage nach dem „rechten Leben“ in den Mittelpunkt.
- Die Systemtheorie der Gesellschaft: Der Roman erforscht die Auswirkungen der funktionalen Differenzierung und die Verselbständigung der Kommunikationssysteme auf die moderne Gesellschaft.
- Die Auflösung der einheitlichen Semantik: Der Roman thematisiert den Verlust von klaren Ordnungsprinzipien und die Entstehung einer multiperspektivischen, bruchstückhaften Wirklichkeit.
- Die Problematik der modernen Existenz: Der Roman zeigt die Herausforderungen und Konflikte, die sich aus der Vielschichtigkeit und der Kontingenz der modernen Lebenswelt ergeben.
- Wien und Kakanien als Paradigma: Der Roman verwendet Wien und das fiktive „Kakanien“ als Metaphern für die komplexe und unübersichtliche Moderne.
- Der Diskurs der Uneigentlichkeit: Der Roman untersucht die Auswirkungen der Verselbständigung des Sozialen auf die individuelle Identität.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung des Romans skizziert die Problematik der modernen Gesellschaft, die durch die rasante Entwicklung der Wissenschaft und Technik geprägt ist. Der Mensch steht vor der Herausforderung, sich in einer dynamischen und unübersichtlichen Welt zurechtzufinden.
Kapitel 2 stellt die Systemtheorie der Gesellschaft vor, welche die Verselbständigung der Kommunikation und die Entstehung neuer Formen der Differenzierung innerhalb der modernen Gesellschaft erklärt.
Kapitel 3 erforscht die Gesellschaftsbeschreibung im Romankontext und analysiert die multiperspektivische Erzählweise als Ausdruck der Problematik der modernen Existenz.
Kapitel 4 beleuchtet die brüchige Semantik der modernen Gesellschaft und zeigt, wie Wien und „Kakanien“ als Metaphern für die komplexe und unübersichtliche Moderne dienen.
Kapitel 5 untersucht den Diskurs der Uneigentlichkeit und die Auswirkungen der Verselbständigung des Sozialen auf die individuelle Identität.
Schlüsselwörter
Moderne Gesellschaft, Systemtheorie, funktionale Differenzierung, Kommunikation, Semantik, Kontingenz, Pluralismus, Wien, Kakanien, „Der Mann ohne Eigenschaften“, Uneigentlichkeit, Identität.
- Quote paper
- Jan Herchenröder (Author), 1999, Beschreibungen der modernen Gesellschaft in Musils "Der Mann ohne Eigenschaften", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55602