Auf einer Miniatur der Großen Heidelberger Liederhandschrift, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden ist, kann man einen Mann erkennen, der auf einer Art Felsen sitzend ein Bein über das andere schlägt und auf das Knie des einen seinen Ellbogen stützt. Den leicht geneigten Kopf schmiegt er sanft in seine linke Handfläche. Sein Blick verliert sich im Nichts und bezeugt eine melancholische Ratlosigkeit, derer er in seiner meditativen Verharrung Herr zu werden versucht. Der Mann soll Walther von der Vogelweide darstellen oder besser gesagt das lyrische Ich des Reichstons, das beinahe zum Alter Ego des Autors geworden ist.
Der Reichston ist das vielleicht bekannteste Werk Walthers mannigfaltigen literarischen Schaffens, dessen erste Zeile "ich saz ûf eime steine" auch Nichtgermanisten zitieren können. Hieran sieht man, dass Walthers Reichston längst zu einem kulturellen Gemeingut geworden ist und in der älteren deutschen Literatur vom Bekanntheitsgrad her absolut auf einem Niveau mit den großen Epen „Parzival“ und dem „Nibelungenlied“ angesiedelt werden kann. Warum? Auf der einen Seite ist Walther „traditionsbildend“, da er als erster „das Thema Politik in die Lyrik einführt“, wobei er sich gleichzeitig auf Personen und Ereignisse der Zeitgeschichte bezieht und dabei auch den Zustand der menschlichen Gesellschaft erörtert, was in exemplarischer Manier an eben diesem Reichston nachvollzogen werden kann. Auf der anderen Seite offenbart Walther gleichsam sein gesamtes literarisches Genie, indem er Topoi und Metaphoriken schafft, die greifbar und mystisch zugleich seit Jahrhunderten fesseln und so zu einem großen Lesevergnügen beitragen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Skandierung der sog. Reichs- und Weltklage.
- Reichsklage
- 2. Analyse der äußeren Form des Reichstons...
- 3. Übersetzung
- 4. Textkritik
- 5. Der historische Kontext und Walthers Rolle
- 6. Interpretation
- a) Die Parallelität in der inhaltliche Gliederung der Sprüche im Reichston
- b) Das Bild des Denkers und des apokalyptischen Sehers
- c) Die Gütertrias êre, guot, gotes hulde als Tugendsystem für den mittelalterlichen Menschen
- d) Der Ordo-Gedanke in Walthers Reichston
- e) Die „gestörte Straßenverkehrsordnung”
- f) Walthers kunstvolle Verwendung von Stilmitteln im Zweiten Reichsspruch.
- g) Dativ oder Vokativ: Wer setzt Philipp den weisen auf?
- Schlussbemerkung: Der Reichston – viel mehr als ein politisches Programm
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit den ersten beiden Sprüchen aus Walthers „Reichston“ und untersucht deren metrisch-strophische Struktur, Übersetzung, Interpretation und den historischen Kontext. Ziel ist es, Walthers literarisches Genie und dessen politische Botschaften im Kontext des Mittelalters aufzuzeigen.
- Metrische Analyse und Interpretation der ersten beiden Sprüche des Reichstons
- Die Rolle des „lyrischen Ichs“ und Walthers Bezug auf die Zeitgeschichte
- Walthers Verwendung von Topoi und Metaphoriken in seinem Werk
- Der Reichston als Ausdruck des mittelalterlichen Weltbildes
- Walthers politische Botschaft und seine Kritik an der Gesellschaft seiner Zeit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Hausarbeit ein, stellt den „Reichston“ als ein zentrales Werk Walthers vor und erläutert die Bedeutung der beiden ersten Sprüche. Der erste Abschnitt analysiert die Skandierung der ersten Strophe des „Reichstons“. Die Übersetzung der ersten Strophe folgt in Kapitel 3, während Kapitel 4 sich mit der Textkritik auseinandersetzt. In Kapitel 5 werden der historische Kontext und Walthers Rolle in der damaligen Gesellschaft beleuchtet. Kapitel 6 befasst sich mit der Interpretation der beiden Sprüche.
Schlüsselwörter
Die Hausarbeit konzentriert sich auf die Analyse der ersten beiden Sprüche des Reichstons von Walther von der Vogelweide. Zentrale Schlüsselwörter sind daher: Reichston, Skandierung, Übersetzung, Interpretation, Textkritik, Historischer Kontext, Mittelalter, Politik, Gesellschaft, Lyrik, Topoi, Metaphoriken, Tugendsystem, Ordo-Gedanke.
- Arbeit zitieren
- Timo Effler (Autor:in), 2004, Die ersten beiden Sprüche in Walters Reichston. Metrisch-strophische Analyse, Übersetzung, Interpretation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55663