Mobile 'Alleskönner': Das Handy der dritten Generation als Vorreiter einer mobilen Informationsgesellschaft


Magisterarbeit, 2005

130 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Einführung in das Thema
1.2 Forschungsinteresse und relevante Forschungsfelder
1.3 Zentrale Forschungsfragen und aktueller Forschungsstand
1.4 Die Rolle der Experteninterviews im Gesamtkontext der Arbeit
1.4.1 Begründung der Methodenauswahl
1.4.2 Auswahl der Experten
1.4.3 Konzeption des Leitfadens
1.4.4 Kontaktaufnahmen und Interviewdurchführung
1.4.5 Auswertung der Experteninterviews
1.5 Aufbau der Arbeit

2 Das Handy der dritten Generation auf dem Weg zu einem mobilen Medium-‚Alleskönner’
2.1 Das Handy in der Medienforschung
2.2 Spezifische Eigenschaften mobiler Medien der 3G
2.3 Zwischenfazit

3 Rahmenbedingungen für die Entwicklung mobiler Dienste und Applikationen unter Berücksichtigung des Konvergenzprozesses
3.1 Konvergenz der mobilen Kommunikationstechnologien
3.1.1 Konvergenz der Übertragungsplattformen
3.1.1.1 Der Sprung von der 2. zur 3. Mobilfunk-Generation
3.1.1.2 Drahtlose Übertragungstechnologien im Nahbereich
3.1.1.3 Breitband-Standards
3.1.1.4 Zwischenfazit
3.1.2 Konvergenz der mobilen Endgeräte
3.1.2.1 Mobile Endgeräte der 3G als mobile ‚Alleskönner’
3.1.2.2 Zwischenfazit
3.2 Konvergenz der Angebote/Dienste
3.2.1 Konvergenz der Inhalte
3.2.2 Konvergenz der (Medien-)Funktionen
3.3 Medienkonvergenz aus Sicht der Handynutzer
3.3.1 Nutzerbedürfnisse vs. technologische Entwicklungen
3.3.2 Aktuelle Erkenntnisse über die Nutzung von mobilen Diensten
3.3.3 Einfluss der Nutzergratifikationen auf die Konzeption mobiler Dienste der 3G
3.4 Konvergenz der Branchen
3.4.1 Herausforderungen für die Contentanbieter
3.4.2 Herausforderungen für die Technologieanbieter
3.4.3 Content-Partnering im Rahmen der dritten Mobilfunk-Generation
3.5 Zusammenfassung

4 Erfolgreiche und zukünftige Anwendungsszenarien mobiler Dienste der dritten Generation
4.1 Mobile Dienste und Anwendungen rund um eine multimedial erweiterte Kommu-nikation
4.1.1 Kommunikationsdienste im Bereich ‚one to one’
4.1.2 Kommunikationsdienste im Bereich ‚one to many’
4.1.3 Kommunikationsdienste im Bereich ‚many to many’
4.2 Mobile Unterhaltung
4.2.1 Mobile Audiodienste
4.2.1.1 Klingeltöne
4.2.1.2 Das Handy als ‚Musikbox’
4.2.2 Mobile Videos
4.2.3 Mobile Spiele
4.3 Mobile Informationsdienste
4.3.1 Mobile Informationsdienste auf Basis klassischer Medienangebote
4.3.1.1 Technische Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Verbreitung mobiler Medienangebote
4.3.1.2 Nutzerbedingte Rahmenbedingungen für die Entwicklung mobiler Informationsdienste
4.3.1.3 Aktuelle Strategien für die Konzeption mobiler Informationsdienste aus Anbietersicht
4.3.1.4 Zwischenfazit
4.3.2 Mobile Informationsdienste auf Basis von Location Based Sevices
4.3.2.1 LBS als Pull-Dienste in den Bereichen Navigation und Telematik
4.3.2.2 LBS als Tracking-Dienste
4.3.2.3 LBS als Notrufdienste
4.3.2.4 Zwischenfazit
4.4 Mobile Marketing
4.4.1 Das Handy als mobiler Werbekanal
4.4.1.1 Technologiebedingte Rahmenbedingungen
4.4.1.2 Rechtliche Rahmenbedingen
4.4.1.3 Vom Push- zum Pull-Modell
4.4.1.4 Mobile Marketing in der Praxis
4.4.2 Orts-, zeit und kontextgebundene Dienste als Zukunftsvision des Mobile Marketing
4.4.2.1 Voraussetzungen für die Akzeptanz von kontextspezifischen Werbebot-schaften
4.4.2.2 Ortsgebundene personalisierte Werbung auf Bluetooth-Basis
4.4.2.3 Zwischenfazit

5 Interpretation der gewonnenen Erkenntnisse anhand der Forschungsfragen
5.1 Forschungsfrage 1
5.2 Forschungsfrage 2
5.3 Forschungsfrage 3
5.4 Forschungsfrage 4
5.5 Forschungsfrage 5
5.6 Thesen für die Zukunft des Handys als mobiles Medium

6 Fazit
6.1 Zukünftige Herausforderungen und Ausblick
6.2 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Abb.: Telekommunikationsdienste

2. Abb.: Relevante Forschungsfelder (FF)

3. Abb.: Formen von Experteninterviews

4. Abb.: Struktur des Leitfadens

5. Abb.: Struktur der Arbeit

6. Abb.: Das Handy als neues Medium

7. Abb.: Leistungsmerkmale mobiler Endgeräte der dritten Generation

8. Abb.: Spezifische Leistungsmerkmale der dritten Mobilfunkgeneration

9. Abb.: Evolutionsschritte der Medienkonvergenz nach Latzer

10. Abb.: Konvergenz als Antrieb für die Schöpfung mobiler Mehrwertdienste

11. Abb.: Felder der technischen Konvergenz

12. Abb. Evolution der mobilen Übertragungstechnologien

13. Abb.: Entwicklungstendenzen bei mobilen Endgeräten

14. Abb.: Konvergenz der Angebote

15. Abb.: Funktionale Konvergenz in der mobilen Kommunikation

16. Abb: Arrangement bei der mobilen Kommunikation

17. Abb.: Nutzung mobiler Dienste

18. Abb.: Uses- & Gratifications-Ansatz

19. Abb.: Neue multimediale Wertschöpfungskette

20. Abb.: Technologie vs. Nutzen

21. Abb.: Entwicklung der Telekommunikationsbranche

22. Abb.: Struktur von Kapitel 4

23. Abb.: Theoretische Abgrenzung mobiler Informationsdienste

24. Abb.: Entwicklung des mobilen Fernsehens

25. Abb.: Einflussfaktoren auf die Auswahl mobiler Informationsdienste

26. Abb:. Stärken und Schwächen des Handys als Marketing-Tool

Tabellenverzeichnis

1. Tab..: Zusammensetzung der befragten Experten

2. Tab.: Faktoren für eine Partnering-Strategie

3. Tab.: Derzeitige und geplante mobile Dienste der regionalen Verlage

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„Wir werden uns Bilder und Grafiken auf unser Handy laden, mit dem Handy fotografieren und das Bild gleich als elektronische Postkarte verschicken können. Wir werden mit dem Handy Restaurant- und Hotelrechnungen bezahlen, uns mit der Datenbank der Firma verbinden lassen, im Internet surfen, dort gleich einkaufen und Verträge abschließen. [...] Von der Bezeichnung ‚Mobiltelefon’ werden wir uns jedoch bald verabschieden müssen, denn als reines mobiles Telefon, durch das man spricht, vielleicht Textnachrichten oder E-Mails verschickt, hat es bald ausgedient“ (Reischl/Sundt 1999: 12f.).

1.1 Einführung in das Thema

Das Telefon und seine mobile Version - das Handy - haben in unserer alltäglichen Kommunikation inzwischen einen festen Platz gefunden. Weltweit telefonieren heute mehr als eine Milliarde Menschen mobil (vgl. IZMF 2005). Damit wird sogar die Anzahl der Festnetzanschlüsse übertroffen (vgl. Reichwald et al. 2002: 5). In Deutschland gab es im Jahr 2004 rund 64,8 Mio. Mobilfunkteilnehmer, was einer Mobilfunkpenetration von 78,5 Prozent entspricht (vgl. Büllingen/Stamm 2004: 22, 37, 64).

Die Möglichkeit, immer und überall kommunizieren zu können, hat das Handy zu einer alltäglichen, von der Forschung aber vergleichsweise wenig beachteten Technologie werden lassen. Dabei stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung, die unsere Kommunikations-, Lebens- und Arbeitsgewohnheiten mindestens ebenso fundamental verändern wird wie das Automobil oder das Fernsehen (vgl. Büllingen 2003).

Um die Chancen und Risiken dieser Entwicklung analysieren zu können, muss zunächst das zugrunde liegende Verständnis des Begriffs Telekommunikation erläutert werden. Nach Zerdick bezeichnet Telekommunikation im weitesten Sinne „die Übertragung von Daten jeglicher Art (Text, Grafiken, Bilder, Audio, Video, Stimme und alle möglichen Kombinationen) in analoger oder digitalisierter Form über verschiedene Netze“ (Zerdick 2001: 61). Im engeren Sinne umfasst der Telekommunikationsmarkt die Bereiche Netzinfrastruktur, d.h. alle Leistungen, die sich auf die Ausstattung der Telekommunikationsinfrastruktur beziehen, sowie Telekommunikationsdienste, die Abbildung 1 im Überblick dargestellt (vgl. Zerdick 2001: 62):

1. Abb.: Telekommunikationsdienste

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nach der European Information Technology Observatory (EITO) [1] zählen zu den Telekommunikationsdiensten neben dem klassischen Telefonservice auch Dienste des Mobilfunks, der Datenkommunikation und des Kabelfernsehens (vgl. Zerdick 2001: 63). Obwohl dass Telefondienste den TK-Markt derzeit immer noch dominieren (vgl. vgl. Zerdick 2001: 63), ist in den letzten Jahren eine Entwicklung zu beobachten, die mit einer Neuorientierung der Telekommunikationsunternehmen von Anbietern traditioneller Sprachtelefonie zu Anbietern verschiedenster Sprach-, Informations- und audiovisueller Dienste einher geht. Dieser qualitative Sprung wird vor allem durch die technologischen Innovationen vorangetrieben:

- Verbesserte Netztechnologien wie der neue Mobilfunkstandard UMTS (Universal Mobile Telecommunications System), der bis zu 384 kB pro Sekunde überträgt und neben der klassischen Sprachübermittlung auch die Übertragung mobiler Multimedia- und Internet-Anwendungen ermöglicht (vgl. Oertel et al. 2001: 3);
- Verbesserte Endgeräte im Sinne von UMTS-fähigen Handys (auch Handys der dritten Generation (3G) genannt), welche eine Vielzahl an Funktionen bieten: Versenden von Fotos oder E-Mails, Musik- und Video-on-demand, Termin- und Reiseplanung oder sogar Einkaufen und Bezahlen per Handy.

Auf der Basis der neuen Technologie UMTS hoffen die Netzbetreiber, dass Datendienste wie Rundfunknachrichten, Videoclips oder Musikdownloads über das Handy bald eine ebenso große Verbreitung erlangen wie heute der Short Message Service (SMS) (vgl. Büllingen 2003). Um die dritte Mobilfunkgeneration voranzutreiben, bezahlten die sechs größten Telekommunikationsunternehmen in Deutschland[2] im Jahr 2000 rund 50 Milliarden Euro für die UMTS-Lizenzen (vgl. VATM 2005).

Die euphorischen Prognosen, die in dieser Zeit entstanden, sind in einer Umfrage der Hamburger PR-Agentur Ad Publica Public Relations im Jahr 2002 wiedergegeben. So sollten nach Auskunft der befragten Fachjournalisten im Jahr 2004 MMS-Bildversand, Music-on-demand und Mobile Commerce (je 35,3 Prozent) breiten Markterfolg erzielen. Für das Jahr 2005 sahen die Journalisten den Durchbruch von Video-on-demand voraus (52,9 Prozent) (vgl. Ad Publica Public Relations 2002). Die Erfahrungen aus den letzten fünf Jahren zeigen dagegen, dass sich die Realisierung von mobilen Diensten und Anwendungen[3] der dritten Generation schwieriger gestaltet als zuerst erwartet. Bei T-Mobile z.B. machen mobile Datendienste derzeit nur 17 Prozent des Umsatzes aus, nahezu 14 dieser 17 Prozentpunkte werden alleine von SMS generiert (vgl. FAZ 2005: 18).

Bisher wurde angenommen, dass vor allem der langsame Aufbau der UMTS-Netze sowie der Mangel an UMTS-fähigen Handys die erfolgreiche Umsetzung der neuen mobilen Dienste bremsen. Die Ursachen wurden dementsprechend in der technologischen Entwicklung und Verbreitung gesucht. Die Praxis zeigt dagegen, dass der Schlüssel zum Erfolg neuer Angebote oder Dienste oftmals nicht in der Technologie oder in der Applikation steckt, sondern vielmehr in ihrer kundenorientierten Entwicklung und Anwendung. So erweisen sich die ersten mobilen Datendienste als unattraktiv für die Endkunden vor allem aufgrund fehlender Inhalte und mangelnder Bedienerfreundlichkeit, erklärt Rene Obermann, Vorstandschef von T-Mobile: „Statt geschlossener Portale mit begrenztem Inhalt müssen wir auf dem Handy die freie Internetwelt verfügbar machen, mit schneller Übertragungsrate zu attraktiven Preisen“ (FAZ 2005: 18).

Somit ist nach einer ersten Phase der Euphorie bei den Netzbetreibern zunächst Ernüchterung eingetreten. Die bisherigen Geschäftsmodelle reichen nicht aus, um die Investitionen in die UMTS-Lizenzen zu erwirtschaften (vgl. Reichwald et al. 2002: 319). Die Telekommunikationsanbietern benötigen daher innovative mobile Datendienste, die von ihren Kunden nachgefragt werden und so neue Umsätze generieren (vgl. Reichwald et al. 2002: 5). Damit die entsprechende Nachfrage nach mobilen Diensten der 3G tatsächlich entsteht, brauchen die Mobilfunkbetreiber also attraktive Inhalte, um genügend Kunden für UMTS zu gewinnen.

Da Beschaffung und Angebot von Inhalten nicht zu den Kernkompetenzen der Netzbetreiber zählen, sind sie auf die Dienste Dritter– der so genannten Contentanbieter[4] - angewiesen (vgl. Oltmanns: 2001; Stumpf at al. 2004: 7). Die Kernkompetenzen der Contentanbieter liegen in der Bereitstellung von Inhalten zur Befriedigung der Nutzerbedürfnisse nach Unterhaltung und Information (vgl. Schumann/Hess 2000: 1). Bei der Konzeption mobiler Dienste verfolgen die Contentanbieter das Ziel, bestehende Angebote zu vernetzen, indem sie geeignete Inhalte im Sinne einer Mehrfachverwendung auch für mobile Endgeräte verfügbar machen (vgl. Geisselbrecht/Fotschki 2001: 237). Besonders Medienunternehmen erhalten somit eine Chance, ihre Erlösabhängigkeiten von den stagnierenden, traditionellen Mediensegmenten wie Print oder Rundfunk zu reduzieren.

1.2 Forschungsinteresse und relevante Forschungsfelder

Mit der technologischen Entwicklung des Handys rückt das Thema ‚Mobile Kommunikation’ und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft in den Mittelpunkt der Diskussionen (vgl. Reichwald et al. 2002: 5). Heute stellt das Mobiltelefon bereits das reichweitenstärkste Medium dar. Einer aktuellen Umfrage von BBDO, Deutschlands führender Unternehmensgruppe für marktorientierte Kommunikationslösungen, zufolge würden sogar deutlich mehr Menschen (31 Prozent) lieber auf ihren Fernseher verzichten, als auf ihr Mobiltelefon (12 Prozent) (vgl. Giordano/Hummel 2005: V). Demzufolge besteht das Ziel dieser Arbeit darin, wissenschaftlich fundierte Ansätze für die Entwicklung des Handys zu einem mobilen Medium-‚Alleskönner’ aufzuzeigen. Darüber hinaus wird auf seine Bedeutung sowohl für Wirtschaft und Gesellschaft als auch für die Kommunikationswissenschaft eingegangen.

Der Schwerpunkt liegt jedoch nicht auf der Entwicklung der Technologie oder der Infrastruktur, sondern vielmehr auf der Gestaltung nutzerorientierter mobiler Dienste und Applikationen der 3G. Dies beruht auf der bereits angesprochene Annahme, dass ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Entwicklung mobiler Multimediadienste darin liegt, einen Zusatznutzen für die Kunden zu erbringen, indem ihre Bedürfnisse schon in der Konzeptionsphase berücksichtigt werden (vgl. Oertel et al. 2001: 5).

Um das Forschungsinteresse zu präzisieren, müssen zuerst die relevanten Forschungsfelder für diese Arbeit identifiziert werden. Viele kommunikationswissenschaftlichen Arbeiten orientieren sich dabei systematisch am Frageraster der Lasswell-Formel. Mit seiner Frage „Who Says What in What in Which Channel to Whom with What Effect?“ (Lasswell 1948: 37, zit. nach Schmidt/Zurstiege 2000: 59) bezieht sich der bekannte Politologe Harold D. Lasswell auf jeden der fünf grundlegenden Forschungsbereiche der Kommunikationswissenschaft[5]. Demzufolge soll die Medienforschung („In Which Channel“) das zentrale Forschungsfeld dieser Arbeit bilden, da das Forschungsinteresse auf die Entwicklung des Handys zu einem multimedialen Medium fokussiert ist.

Die Entstehung eines neuen Mediums geht jedoch weit über seine Bedeutung als ein reiner Distributionskanal hinaus. So führen technologische Innovationen wie UMTS oder DVB-H (s. dazu Kap. 3.1) zur Entwicklung von neuen Hybriddiensten (z.B. das mobile Fernsehen) oder zu Veränderungen der Mediennutzung. Solche Einflüsse zeigen deutlich, dass die Lasswell-Formel in ihrer Beschränkung auf fünf Elemente zu einfach ist, um kommunikative Prozesse vollständig erklären zu können.

Um potenzielle Wechselwirkungen einzubeziehen, schlägt Klaus Merten im Jahr 1974 vor, von der eindimensionalen Lasswell-Formel zu einer zweidimensionalen Matrix überzugehen. Dadurch zeigt er, dass die Frage nach den Wirkungen von Kommunikation in jedem einzelnen Fragebereich auftritt und somit alle Forschungsbereiche in wechselseitiger Beziehung stehen und nur so analysiert werden können (vgl. Schmidt/Zurstiege 2000: 58-62; 67). Deswegen wird im Rahmen dieser Arbeit das Handy im Hinblick auf die Lasswell-Formel als Teil eines gesamten Systems dargestellt, das aus vier Komponentenebenen besteht – mobile Technologien, Anbieter mobiler Dienste und Anwendungen, deren Nutzer sowie die mobilen Dienste[6] selbst – wobei letztere aus dem Zusammenwirken aller anderen Faktoren hervorgehen (vgl. Schmidt/Zurstiege 2000: 170).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.: Relevante Forschungsfelder (FF)

Quelle: Eigene Darstellung

Die in Abbildung 2 dargestellten Forschungsfelder werden hier ausschließlich in Bezug auf das Forschungsinteresse dieser Arbeit analysiert, da jede weitere Perspektive den Rahmen dieser Arbeit überschreitet.

1.3 Zentrale Forschungsfragen und aktueller Forschungsstand

Insbesondere das Mobiltelefon als Hybridmedium sowie damit verbundene Wandlungsprozesse (Stichworte: Mobile Business […] bis hin zum Fernsehen auf dem Handy) werden die Kommunikationswissenschaft herausfordern, sie jedoch allemal zu einer kritischen Bestandaufnahme des ihr zur Verfügung stehenden theoretischen und methodischen Instrumentariums drängen“ (Höflich/Gebhardt 2005a: 17).

Auf der Basis der oben dargestellten Forschungsfelder lassen sich auch die zentralen Forschungsfragen präzisieren. So ergeben sich vier Fragenkomplexe, die sich auf die mobilen Technologien, die Anbieter, die Nutzer von mobilen Diensten der 3G sowie auf die mobilen Diensten und Anwendungen selbst beziehen:

Mobile Technologien (Übertragungsstandards und Endgeräte)

- Welche Übertragungsstandards werden sich für die Verbreitung mobiler Dienste der 3G durchsetzen?
- Wird sich der mobile ‚Alleskönner’ zukünftig durchsetzen oder wird das Handy eher ein reines Kommunikationsmedium bleiben?
Handynutzer
- Wovon hängt die Akzeptanz neuer mobiler Angebote ab?
- Wird die Entwicklung des Handys zu gravierenden Veränderungen des Nutzerverhaltens führen?
Anbieter mobiler Dienste und Anwendungen (Netzbetreiber, Endgerätehersteller und Contentanbieter)
- Wird die Gestaltung mobiler Dienste und Anwendungen der 3G nur im Rahmen von Kooperationen der beteiligten Branchen realisierbar sein?
Entwicklung mobiler Dienste und Anwendungen der dritten Generation
- Welche Anwendungsfelder für mobile Multimediadienste werden sich zukünftig durchsetzen und warum?

Bisher haben sich die Antworten auf diese Fragen in der einschlägigen Literatur meist auf technische Details statt auf Nutzen- und Wertschöpfungsaspekte konzentriert (vgl. Reichwald et al. 2002: 6). Ein Beispiel dafür ist die Studie „Der Einfluss offener Standards auf das Dienstangebot im Mobilfunk der 3. Generation“, die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) im Jahr 2004 entstand.

Auch wenn auf Anbieterseite bereits seit einigen Jahren intensive Entwicklungsarbeit im Bereich mobiler Multimediadienste und Applikationen geleistet wird, muss man insgesamt von einer noch sehr frühen Marktphase sprechen, bei der die wichtigsten Innovationspotenziale nur in Ansätzen erkennbar sind (vgl. Bülligen/Stamm 2004: 3). Daher liegen wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über diesen neu entstehenden Bereich bisher kaum vor.

Erste Schritte in dieser Richtung wurden von dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gemacht. So ist im Auftrag des Bundesministeriums im Jahr 2001 die Studie „Entwicklung und zukünftige Bedeutung mobiler Multimediadienste“ in Zusammenarbeit verschiedener Institutionen[7] entstanden. Die Schwerpunkte dieser Studie liegen einerseits auf der Sichtweise der kleineren Anbieter in der Wertschöpfungskette und andererseits auf der Analyse der konkreten Nutzungsmöglichkeiten mobiler Multimediadienste aus der Perspektive der Anwender.

Des Weiteren rief das Bundesministerium die Initiative MobilMedia mit einem Schwerpunkt auf Technologie-Förderung ins Leben. Unter dem Motto "Deutschland wird mobil" unterstützt sie innovative Unternehmen dabei, mobile Anwendungen zu entwickeln und zu vermarkten und steht außerdem als Netzwerk für Wissensaustausch zur Verfügung. Kern dieses Netzwerks sind die ‚Members of MobilMedia’, die zentrale Fragestellungen und Inhalte erarbeiten und somit den Übergang zur mobilen Informationsgesellschaft aktiv mitgestalten. MobilMedia führt in diesem Umfeld regelmäßige Befragungen zur Nutzung von mobilen Diensten und Anwendungen sowie Experteninterviews durch und veröffentlicht die gewonnenen Erkenntnisse in Studien[8].

Als Beratungsunternehmen für Management und Technologie veröffentlicht auch Detecon Consulting Berichte und Studien über die langfristige Entwicklung wegweisender Telekommunikationstechnologien und -märkte sowie deren Auswirkungen auf die Unternehmensorganisation und auf bestehende Geschäftsprozesse. Mit Prognosen und Tendenzen rund um die Informationstechnik, das Internet und den Mobilfunk beschäftigt sich auch Berlecon Research. Von diesem Unternehmen stammt z.B. der „Basisreport: Mobile Marketing“, der zum ersten Mal das elektronische Versenden von Werbebotschaften zur Kundenbindung hinsichtlich Strategie, Inhalt und Ergebnisse analysiert.

Bei allen oben aufgezählten Studien handelt es sich überwiegend um Forschungsprojekte, die ein wirtschaftliches Interesse verfolgen: „Auch wenn sie sich einem Kommunikationsthema widmen, so handelt es sich mehrheitlich jedoch nicht um Arbeiten, die von der dafür zuständigen Disziplin, der Kommunikationswissenschaft, ausgehen“ (Höflich/Gebhardt 2005a: 10). Im Gegensatz zu diesen Studien besteht das Ziel dieser Arbeit darin, wissenschaftlich belegte Erkenntnisse in Bezug auf die Bedeutung des Handys zu erarbeiten. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht ist der Autorin bisher nur die Forschungsarbeit von Joachim Höflich (2001, 2003, 2005), Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt, bekannt. In seinen aktuellen Forschungen konzentriert dieser sich schwerpunktmäßig auf die zunehmende Mediatisierung des Alltags und auf die Privatisierung des öffentlichen Raums, zu der das Mobiltelefon deutlich beiträgt (vgl. Höflich/Gebhardt 2005a).

Im Unterschied zu Höflichs Forschungsarbeit ist der Gegenstand dieser Arbeit die Entwicklung des Handys in einem Gesamtsystem, das aus mehreren Aspekten besteht. So steht die Entwicklung von mobilen Endgeräten im engen Zusammenhang mit den Nutzerbedürfnissen und -erwartungen, die wiederum die Entwicklung von mobilen Diensten und nicht zuletzt die Anbieterstrategien beeinflussen. Es lässt sich der Schluss ziehen, dass diese Arbeit durch die Kombination traditionell isoliert behandelter Kommunikationsthemen zu einem Neuansatz führt, bei dem insbesondere Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Einzelprobleme zur Darstellung kommen. Da die Fachliteratur nur wenig Orientierungsmöglichkeiten bietet, mussten für die Zwecke dieser Arbeit alternative Informationsquellen gefunden werden, die im Folgenden näher beschrieben werden.

1.4 Die Rolle der Experteninterviews im Gesamtkontext der Arbeit

Wie schon erwähnt, ist einer der Beweggründe für diese Arbeit die Tatsache, dass das Handy bisher kaum als eigenständiges Medium in der Kommunikationswissenschaft wahrgenommen wurde. Eine Beschränkung dieser Arbeit auf die Analyse der Fachliteratur reicht daher nicht aus, um die Forschungsfragen zu beantworten. Deshalb wurde eine empirische Untersuchung durchgeführt.

1.4.1 Begründung der Methodenauswahl

Unabhängig vom Thema spiegelt jede empirische Untersuchung die Perspektive des Untersuchungsgegenstandes wider. So stellt z.B. eine Nutzerbefragung die Ansicht der Nutzer zu einem bestimmten Problem dar, und eine Expertenbefragung – die Einschätzung der Experten dazu. Deswegen muss bei der Auswahl der empirischen Methode zuerst die Auswahl der dargestellten Perspektive begründet werden. In Bezug auf das Thema dieser Arbeit lässt sich sagen, dass es sich bei der Nutzung und Anwendung von Diensten der 3G zum großen Teil um Zukunftsszenarien handelt, die noch keine Massenverbreitung gefunden haben. Daher würde eine Nutzerbefragung kaum fruchtbare Ergebnisse liefern, weil die meisten Nutzer bisher nur wenige Erfahrungen mit der Nutzung mobiler Dienste und Anwendungen der dritten Generation machen konnten. Eine Expertenbefragung könnte dagegen sehr wohl relevante Informationen liefern in Bezug auf die Erfolgsfaktoren, die über die zukünftige Entwicklung der Mobilen Kommunikation entscheiden.

Aus Sicht der empirischen Forschung liegt ein grundsätzliches Problem bei leitfadenorientierten Experteninterviews darin, dass ihrer forschungspraktischen Bedeutung „ein auffälliger Mangel an methodischer Reflexion“ (Bognar/Menz 2004: 11) gegenüber steht. Für diesen Mangel sind im Wesentlichen drei Gründe zu nennen: Erstens die Tatsache, dass die Offenheit und die Nicht-Beeinflussung des Interviewpartners, die bei qualitativen Methoden erforderlich sind, meistens nicht überprüfbar sind (vgl. Bognar/Menz 2004: 11f). Auf dieses Problem wird bei der Begründung der Expertenauswahl eingegangen. Zweitens besteht in der Literatur keine Übereinstimmung darüber, was unter dem Begriff des Experteninterviews genau zu verstehen ist (vgl. Bognar/Menz 2004: 12). Welche Bedeutung die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Experteninterviews im Forschungsdesign haben, wird bei der Vorstellung des Leitfadens erläutert. Drittens ist die Auswertung der Experteninterviews noch umstritten, obwohl in den gängigen Lehr- und Handbüchern Experteninterviews als Methode der empirischen Sozialforschung beschrieben werden (vgl. Meuser/Nagel 2005: 72). Deswegen wird bei der Darstellung der Vorgehensweise explizit auf die Auswertungsprobleme von leitfadenorientierten Experteninterviews eingegangen.

1.4.2 Auswahl der Experten

Im Unterschied zu anderen Formen des offenen Interviews steht bei Experteninterviews nicht die Gesamtperson im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, sondern das Expertenwissen zu einem konkreten Forschungsfeld (vgl. Meuser/Nagel 2005: 72f.). Folglich verleiht die Bezeichnung ‚Experte’ dem Interviewten einen relationalen Status, der auf das spezifische Forschungsthema begrenzt ist (vgl. Meusel/Nagel 2005: 73). Für die Forschungszwecke dieser Arbeit werden solche Personen als Experten bezeichnet, die

- Teil des Handlungsfeldes sind, das den Forschungsgegenstand ausmacht,
- über einen privilegierten Zugang zu Informationen verfügen oder
- in der Lage sind, von außen – im Sinne eines Gutachters – relevante Stellung zum Handlungsfeld zu nehmen (vgl. Meusel/Nagel 2005: 73).

Um der Vielfalt des Untersuchungsgegenstandes gerecht zu werden, wurden für die empirische Erhebung Experten nach allen drei Kriterien ausgewählt.

1. Tab..: Zusammensetzung der befragten Experten[9]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an die von den Experten zur Verfügung gestellten Informationen

Es ist jedoch zu beachten, dass einige der Experten mehr als eine dieser drei Kriterien erfüllen, da sie sowohl in der Praxis tätig sind bzw. ein Teil des Handlungsfeldes sind, als auch als Berater über einen privilegierten Zugang zu Informationen verfügen. Zwei der befragten Experten sind Wissenschaftler, die im Bereich der mobilen Kommunikation forschen, und darüber hinaus eine unabhängige Stellung zum Handlungsfeld einnehmen. Die restlichen fünf Experten sind in der Wertschöpfungskette der mobilen Kommunikation tätig und/oder erfüllen dort eine Beratungsfunktion (s. Tabelle 1).

Da es sich bei der Auswahl der Experten bezüglich der Anzahl nicht um eine statistisch relevante Gruppe handelt, wird auch kein Anspruch auf Repräsentativität der Ergebnisse erhoben. Die Relevanz der durch die Experteninterviews gewonnenen Erkenntnisse ergibt sich vielmehr aus der Heterogenität der Experten und somit aus der Einzigartigkeit ihres Expertenwissens.

1.4.3 Konzeption des Leitfadens

Wie am Anfang dieses Kapitels erwähnt, besteht in der Methodenkritik keine Einigkeit darüber, was unter dem Begriff des Experteninterviews zu verstehen ist. Eine Möglichkeit, die in der Methodendebatte dominanten Formen von Experteninterviews zu differenzieren, besteht darin, sie von ihrer Funktion her zu betrachten (vgl. Bognar/Menz 2004: 12). Danach unterscheiden Bognar und Menz drei Formen: das „explorative“, das „systematisierende“ und das „theoriegreifende“ Experteninterview (vgl. Bognar/Menz 2005: 37ff; 2004: 12f.):

Abb.: Formen von Experteninterviews

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bognar und Menz 2005: 37ff; 2004: 12f.

Da es sich aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht bei dem Handy als mobilem Medium um ein unerforschtes Feld handelt, können die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Experteninterviews zur Herstellung einer ersten Orientierung dienen und somit als „explorativ“ bezeichnet werden. Andererseits liefert schon die aktuelle Berichterstattung erste Informationen über die Entwicklung des Handy zum mobilen ‚Alleskönner’. Daher ist es sinnvoller, diese Informationen als Basis für die Experteninterviews zu nutzen und mit den Fragen an die Experten vor allem problematische oder lückenhafte Stellen anzusprechen. Somit sind die durchgeführten Experteninterviews eher als „systematisierend“ denn als „explorativ“ zu bezeichnen.

Um eine thematische Vergleichbarkeit der Expertenaussagen zu gewährleisten, wurde zuerst ein allgemeiner Leitfaden entwickelt, der alle wichtigen Forschungsfragen berücksichtigt und in Fragenkomplexe unterteilt ist:

4. Abb.: Struktur des Leitfadens[11]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieser Leitfaden wurde anschließend an jeden einzelnen Interviewpartner angepasst, indem die jeweiligen Berufskenntnisse und -erfahrungen berücksichtigt wurden. So lag der Schwerpunkt bei Gesprächen mit Experten aus der Technologiebranche auf der Bedeutung der technologischen Entwicklung für die Verbreitung mobiler Dienste, bei den Wissenschaftlern dagegen auf den Auswirkungen dieser Entwicklung auf die zwischenmenschliche und öffentliche Kommunikation. Deswegen ist der Leitfaden lediglich als ein Orientierungsrahmen für die Experteninterviews zu betrachten, der eine freie Wahl der Reihenfolge der Fragen nicht ausschließt.

1.4.4 Kontaktaufnahmen und Interviewdurchführung

Ursprünglich wurden 10 Experten per Email über das Forschungsvorhaben informiert. Das Anschreiben verwies auf die Forschungsziele der Arbeit und enthielt neben der Bitte um ein Interview auch das Angebot, ein Exemplar der Arbeit zur Verfügung zu stellen. Alle angeschriebenen Experten haben Interesse an der Arbeit gezeigt, doch kamen am Ende drei der Interviews aufgrund beruflicher Umstände nicht Zustande. Von den anderen sieben Interviews wurden vier telefonisch geführt, zwei persönlich und eins – per Email. Die Dauer der Interviews variierte von 30 bis 90 Minuten.

Die meisten Fragen blieben während der Interviews im Kern unangetastet oder wurden nur dann leicht umformuliert, wenn ein logischer Übergang vom letzten Gedanken nötig war. Die Reihenfolge der Fragen wurde dagegen öfter geändert, um den schlüssigen Ablauf des jeweiligen Gesprächs zu gewährleisten.

In den meisten Fällen wurden die Fragen ausführlich beantwortet. Manchmal konnten auch Problemstellungen angesprochen werden, die im Leitfaden nicht vorgesehen waren. Wenn sie einen relevanten Bezug zu dem Forschungsinteresses darstellten, wurden sie anhand von Nachfragen vertieft und in die Auswertung aufgenommen.

1.4.5 Auswertung der Experteninterviews

Im Bereich der qualitativen Datenanalyse hat die Zahl der Verfahrenstechniken in den letzten Jahren stark zugenommen (vgl. Bognar/Menz 2004: 23). Dies gilt jedoch nicht für die Auswertung von Experteninterviews: „In der – spärlich vorhandenen – Literatur zu ExpertInneninterviews werden vorwiegend Fragen des Feldzugangs und der Gesprächführung behandelt“ (Meuser/Nagel 2005: 71). Deswegen versuchen Wissenschaftler wie Meuser und Nagel sowie Bognar und Menz, anhand der qualitativen bzw. interpretativen Sozialforschung ein praxisnahes Auswertungskonzept zu entwickeln, das auf die Rekonstruktion von Denkmustern gerichtet ist (vgl. Bognar/Menz 2004: 23). Damit ist gemeint, dass die Auswertung von Experteninterviews nicht an der Häufigkeit von Äußerungen je Interview orientiert ist, sondern an „thematischen Einheiten, an inhaltlich zusammengehörigen, über die Texte verstreuten Passagen“ (Meuser/Nagel 2005: 81). Folglich soll weder der Text noch der Interviewpartner als Einheit betrachtet werden, sondern die thematische Vergleichbarkeit der Expertenaussagen:

„Das Ziel ist vielmehr, im Vergleich mit den anderen ExpertInnentexten das Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten, Aussagen über Repräsentatives, über gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster zu treffen“ (Meuser/Nagel 2005: 80).

Darüber hinaus nennen die oben genannten Autoren mehrere Schritte bei der Auswertung von Experteninterviews. Diese Schritte, die vom Inhalt her bei Meuser und Nagel und bei Bognar und Menz übereinstimmen, werden auch für die Empirie dieser Arbeit übernommen (vgl. Bognar/Menz 2004: 23ff; Meuser/Nagel 2005: 83-91). So wurden in einem ersten Schritt die auf Tonband aufgenommenen Interviews transkribiert[12]. Da der Gesprächverlauf bei keinem der Interviews Abweichungen vom Forschungsthema vorweist, sind alle Interviews vollständig wiedergegeben worden. Ausgeschlossen werden nur die für den Inhalt nichtrelevanten Gesprächsfüller und Pausen. Eine weitere Paraphrasierung der Interviews war nicht notwendig, da die meisten ExpertInnen aufgrund ihrer Berufserfahrung gewohnt sind, Perspektiven zu erläutern und sich wissenschaftlich auszudrücken (vgl. auch Meuser/Nagel 2005: 87).

In einem zweiten Schritt wurden Passagen, in denen es um gleiche oder ähnliche Themen innerhalb eines Interviews ging, zusammengestellt und mit Überschriften versehen. Die Überschriften wurden gezielt an den zentralen Forschungsfragen angepasst und geben dadurch die Struktur des Leitfadens wieder. Somit wird eine thematische Vergleichbarkeit der Überschriften in allen Interviews gewährleistet. Der nächste Schritt bestand darin, aus den Überschriften Kategorien zu bilden, indem die dazu gehörigen Themen abgelöst vom jeweiligen Text systematisiert wurden. Dadurch konnten Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Expertenaussagen erkannt und somit „das Gemeinsame im Verschiedenen“ gefunden werden: „Ziel ist eine Systematisierung von Relevanzen, Typisierungen, Verallgemeinerungen, Deutungsmustern“ (Meuser/Nagel 2005: 88). Erst nach einer Generalisierung der Expertenaussagen wurde ihre „legitimatorische“ Deutung (vgl. Bognar/Menz 2004: 25) für die Zwecke dieser Arbeit möglich.

An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die Struktur dieser Arbeit nicht dem typischen Aufbau einer empirischen Arbeit (wo der empirische Teil getrennt vom theoretischen dargestellt wird) folgt. Vielmehr wird hier eine Symbiose aus Theorie und Empirie angestrebt, die eventuelle thematische Wiederholungen umgeht. Die empirischen Ergebnisse erfüllen dabei nicht nur eine Ergänzungs-, sondern vor allem eine Kontrollfunktion. So werden die aus der Analyse der Sekundärliteratur und der aktuellen Berichterstattung abgeleiteten Informationen anhand der generalisierten Expertenaussagen präzisiert und vertieft. Im Kapitel 5 werden sie dann anhand der Forschungsfragen noch einmal überprüft. Schließlich werden daraus (Hypo-)Thesen für die Zukunft aufgestellt.

Bei der Interpretation der Expertenaussagen wird im Rahmen der Arbeit explizit darauf hingewiesen, ob es sich um eine mehrheitlich vertretende These handelt oder eher eine Ausnahme. Auf eine Anonymisierung der Experten konnte verzichtet werden, da keiner diesen Wunsch geäußert hat. Alle Aussagen lassen sich namentlich zuordnen. Meistens geschieht dies durch einen Verweis auf die Nummer, mit der das Interview im Anhang versehen ist, sowie die genaue Seite, an der die authentische Aussage zu lesen ist[13]. Somit kann der Leser die Ergebnisse besser zuordnen, weil ihm der Hindergrund der Argumentation (bzw. die Person des Experten) bekannt ist.

1.5 Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit lässt sich methodisch in drei Schritte einteilen. Zuerst wird im Rahmen einer umfassenden Analyse der Literatur der Sachstand aufgearbeitet und daraus ein theoretisches Rahmenkonzept entwickelt (Kap. 2 und 3.). Auf dieser Basis werden der Forschungsbedarf und die daraus entstehenden relevanten Forschungsfragen erläutert und präzisiert. In einem zweiten Schritt werden die Experteninterviews und die Analyse ausgewählter Beispiele aus der Praxis als qualitativer Input genutzt (Kap. 4). Schließlich werden die empirisch und analytisch gewonnenen Erkenntnisse anhand der Forschungsfragen überprüft (Kap. 5). Daraus werden dann thesenartige Rückschlüsse zur Verfeinerung des theoretischen Konzepts sowie zur Generalisierung auf übergreifende Abstraktionsebenen abgeleitet. Abbildung 6 zeigt den Aufbau der Arbeit im Überblick:

5. Abb.: Struktur der Arbeit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung

Einleitend wird die Bedeutung spezifischer Charakteristika mobiler Endgeräte für die Entwicklung von mobilen Mehrwertdiensten dargestellt (Kap. 2). Ständige Erreichbarkeit, Identifikation, Lokalisierung und Personalisierung sind für ein Medium neue Eigenschaften, die zu berücksichtigen sind.

Anschließend wird auf die Bedeutung der digitalen Konvergenz für die Entwicklung des Handys eingegangen (Kap. 3). Dabei dienen die bereits dargestellten Systemkomponenten – mobile Technologien, Anbieter, Nachfrager und mobile Dienste – als Beschreibungsdimensionen. Zuerst wird die Konvergenz der mobilen Übertragungsstandards und Endgeräte erläutert (Kap. 3.1). In einem zweiten Schritt wird gezeigt, dass sie zu einer Konvergenz der Inhalte und Funktionen führt (Kap. 3.2). Durch die neuen technischen Möglichkeiten können z.B. traditionelle mobile Dienste mit zusätzlichen interaktiven und multimedialen Elementen – sei es in Form von Daten, Tönen oder Bildern – kombiniert (vgl. Rawolle 2002: 77) und auf moderne Endgeräte wie z.B. Smartphones übertragen werden.

Wenn UMTS sich im Massenmarkt durchsetzt und das multimediafähige Handy zum Alltagsgegenstand wird, dann werden sich für die Nutzer weitreichende Möglichkeiten ergeben, die potenziell nicht nur das Mediennutzungsverhalten, sondern auch Teile des Freizeit- und Arbeitslebens nachhaltig beeinflussen werden. In diesem Zusammenhang erscheint eine genaue Analyse der Bedürfnisse und Erwartungen der Nutzer als Grundlage für die Akzeptanz von neuen mobilen Diensten und Anwendungen der 3G notwendig (Kap. 3.3).

Für die beteiligten Branchen bedeutet die technologische und inhaltlich-funktionale Konvergenz die Entstehung einer neuen multimedialen Wertschöpfungskette, die eine Re-Orientierung ihrer bisherigen Strategie erfordert. Danach liegt das tatsächliche Potenzial mobiler Technologien nicht in der Ausstattung alter Prozesse mit neuen Geräten, sondern in der Möglichkeit, neue Dienstleistungsmodelle aufzubauen, die die Eigenschaften mobiler Endgeräte ausschöpfen und dadurch einen Mehrwert für mobile Nutzer bieten (Kap. 3.4).

Schließlich bietet die Konvergenz in allen ihren Ausprägungen ein enormes Potential an zukünftigen Anwendungsfeldern. Im Mittelpunkt der Diskussion des 4. Kapitels ist daher die Identifikation von erfolgsversprechenden Anwendungsszenarien mobiler Dienste und Applikationen der dritten Generation. Zuerst werden mobile Dienste und Anwendungen rund um eine erweiterte multimediale Kommunikation dargestellt (Kap. 4.1). Neben der Übertragung von Daten, die durch die Nutzer selbst erzeugt werden, wie z.B. SMS, MMS oder E-Mails, steht die Nachfrage nach Inhalten, die auf Mobilfunkplattformen angeboten werden, wie z.B. Spiele, Musik- und Videodateien im Vordergrund. Solche Dienste werden im Bereich der ‚Mobilen Unterhaltung’ dargestellt (Kap. 4.2). Anschließend wird auf eine besondere Art mobiler Informationsdienste eingegangen, die aus der Konvergenz der Dienstleistungen der Mobilfunk- und Medien-Branchen entstehen (4.3). Solche Konvergenzdienste sind z.B. klassische Medienangebote, die an die mobile Nutzung angepasst sind, wie kurze Nachrichtenblöcke, Konzert- oder Sporteregnisse sowie Wetter- oder Börsendienste (Kap. 4.3.1). Eine andere Art von Schlüsselfunktion haben bestimmte kleine Anwendungen, die nicht unbedingt hohe Umsätze generieren, die aber von vielen Nutzern zukünftig als unverzichtbar im Alltag empfunden werden. Als solche werden insbesondere ortsgezogene Dienste (Location Based Services) gesehen wie z.B. Verkehrsinfos, deren Mehrwert unmittelbar mit der mobilen Nutzung verknüpft ist (Kap. 4.3.2).

Eine mögliche strategische Stoßrichtung ist außerdem darin zu sehen, den Aufbau mobiler Dienste nicht als isolierte Vorhaben zu betrachten, sondern die Dienste miteinander zu vernetzen (vgl. Rawolle et al. 2002: 337). In diesem Zusammenhang wird am Ende der Bereich ‚Mobile Marketing’[14] als Querschnittsthema dargestellt. Da das Handy nicht nur eine Lokalisierung sondern auch eine Identifizierung der Handynutzer ermöglicht, wird es in naher Zukunft möglich werden, die jeweiligen Nutzerbedürfnisse individuell, standortbezogen und situativ zu befriedigen. Demzufolge entdecken immer mehr Unternehmen aus dem Mediensektor, Markenartikler und Handelsunternehmen das Mobiltelefon als neuen Absatzkanal und als Medium zur direkten Kommunikation mit ihren Zielgruppen (Kap. 4.4).

In Kapitel 5 werden die durch die Experteninterviews und aus der Praxis gewonnenen Erkenntnisse aus Kapitel 4 anhand der zentralen Forschungsfragen interpretiert und zusammengefasst. Darauf aufbauend werden Hypothesen zur Entwicklung des Handys und der mobilen Dienste und Anwendungen der 3G ausgearbeitet. Zum Schluss wird die Frage nach den Auswirkungen der zunehmenden Technologisierung und Mobilisierung für die Gesellschaft und die Kommunikationswissenschaft mit einer kritischen Reflexion erörtert (Kap. 6).

2 Das Handy der dritten Generation auf dem Weg zu einem mobilen Medium-‚Alleskönner’

„Das Handy wird immer mehr zum Universalwerkzeug, das jeder in allen Lebenslagen dabei hat und auch verwendet“ Manfred Breul, Bereichsleiter Telekommunikation, BITKOM (zit. nach Müller 2005b: 40).

Die Nutzung von Mobiltelefonen als reinen Instrumenten für interpersonelle computergestützte Kommunikation gehört bald der Vergangenheit an. Mittlerweile können moderne mobile Engeräte wie z.B. Smartphones allein nahezu alles, was bisherige Medien jeweils für sich bieten: Musik abspielen, Fotos verschicken, multimediale Daten übertragen, im Internet navigieren, etc. Ihre Vorteilhaftigkeit gegenüber anderen Medien ist jedoch nicht nur darin begründet, dass sie mehrere Medienfunktionen erfüllen können. Was das Handy zu einem Medium der ‚nächsten Generation’ macht, sind vielmehr einzigartige Leistungsmerkmale bzw. Eigenschaften, die kein anderes Medium bisher besitzt (vgl. Bauer et al. 2005: 60).

2.1 Das Handy in der Medienforschung

In kürzester Zeit ist das Mobiltelefon zu einem festen Bestandteil der Alltagskommunikation geworden. In der Medienforschung stellt es als neues mobiles Medium jedoch einen noch unerforschten Bereich dar: „Medien der interpersonalen Kommunikation sind nicht gerade das Gebiet, auf dem sich die Kommunikationswissenschaft bislang […] besonders profiliert hat. Ihre Domäne war und ist die öffentliche Kommunikation und die Massenmedien“ (Höflich/Gebhardt 2005a: 9; vgl. auch LFI 2: 1). Dafür gibt es vor allem zwei Gründe:

1. Das Handy war bis vor ein paar Jahren (vor der dritten Mobilfunkgeneration) nur ein Instrument für computergestützte individuelle Kommunikation;
2. Da das Handy erst mit der dritten Mobilfunkgeneration zu einem Medium geworden ist, wurde es bisher nicht als Gegenstand der Medienforschung betrachtet.

Einer der ersten Medienwissenschaftler, die darauf hinwiesen, dass das Mobiltelefon „(zumindest bislang) kommunikationswissenschaftlich vernachlässigt worden“ (Höflich/Gebhardt 2005a: 10) ist, ist Höflich. Ihm zufolge geht es dabei nicht nur allein um das Mobiltelefon an sich, sondern vielmehr darum, dass das Handy Ausdruck umfassender Entwicklungen der Mediatisierung, Mobilität und Individualisierung ist (vgl. Höflich/Gebhardt 2005a: 7). Darunter versteht Höflich eine zunehmende Mediatisierung des kommunikativen Alltags, die die Grenzen öffentlicher und privater Kommunikation verschiebt und zu Veränderungen des Mediengebrauchs führt (vgl. Höflich/Gebhardt 2005b: 136, 153). Das Handy entwickelt sich nämlich immer mehr zu einem „multimedialen Hybridmedium“ (Höflich 2005: 21), das die bisher voneinander getrennten Kategorien des Öffentlichen und Privaten zusammenbringt: „Mit dem Handy verliert das Telefonieren seine Intimität, das Private dringt in die Öffentlichkeit.“ (Burkart 2000: 218, zit. in Höflich/Gebhardt 2005b: 137). Im Rahmen des Leitfadeninterviews begründet Höflich diese Entwicklung so:

„In gewisser Hinsicht haben Sie Recht, wenn Sie vermuten, dass aus dem Telefon wieder mehr ein Massenmedium wird. Es liegt aber daran, weil genau genommen das Mobiltelefon im Kern schon längst kein Telefon mehr ist. Das ist was man allgemein als Hybridmedium bezeichnet […]. Denken Sie an das Stichwort UMTS und Digitales Fernsehen Digitalisierung ermöglicht überhaupt, dass das Handy zu einem neuen tragbaren Fernseher wird“ (LFI 2: 2).

Vor diesem Hintergrund steht das Handy geradezu exemplarisch für aktuelle Medienentwicklungen und ist schon deshalb ein zukunftsweisendes Forschungsfeld. Schon hier wird deutlich, dass das Mobiltelefon sowohl spezifische Eigenschaften als auch Gemeinsamkeiten mit anderen Medien vorweist (vgl. Höflich 2005: 21). Angesichts dieser medialen Gemeinsamkeiten und Differenzen plädiert Höflich für eine integrative bzw. interdisziplinär angelegte Kommunikationswissenschaft, die sich nicht allein durch den Gegenstandbereich öffentlicher Kommunikation bzw. Massenmedien definiert (vgl. Höflich/Gebhardt 2005a: 10). Dabei bezieht er sich auf die „Mediumstheorie“, die mit dem Namen Marshall McLuhan verbunden und von Joshua Meyrowitz (vgl. 1998: 106) weiter entwickelt worden ist (vgl. Höflich/Gebhardt 2005a: 11; Höflich 2005: 22). Danach ist die Entwicklung eines neuen Mediums immer verbunden mit der Frage, welchen Platz es im gesamten Mediensystem bzw. welche Funktionen (Ergänzung/Ersetzung) es im Vergleich zu anderen Medien einnimmt.

Um dies herauszufinden, müssen im Grunde genommen die Eigenschaften des Handys mit denen der klassischen Medien verglichen werden. Nach Schmidt und Zurstiege besteht jedes Medium aus vier Komponenten, die als ein System, d.h. nur in ihrem Zusammenwirken betrachtet werden dürfen (vgl. Schmidt/Zurstiege 2000: 170). Wenn demnach das Handy alle vier Komponenten verwirklicht, ist es auch als Medium zu bezeichnen (s. Abb. 6):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.: Das Handy als neues Medium

Quelle: Eigene Darstellung

Die oben dargestellten vier Komponenten bilden die Basis für die Entwicklung und die Nutzung des neuen mobilen Mediums (s. dazu Kap. 3). Sie geben jedoch noch keinen Aufschluss darüber, inwieweit das Handy in seinen Eigenschaften andere klassische Medien ergänzt oder vielleicht sogar ersetzt. Dafür muss die Definition von Massenmedien von Gerhard Maletzke zur Hilfe genommen werden. Danach ist unter Massenkommunikation die öffentliche (nicht individuell definierte Nutzer), indirekte (bei räumlicher oder/und zeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern) und einseitige (ohne Rollenwechsel zwischen Anbieter und Nutzer) Verbreitung von Aussagen an ein ‚disperses Publikum’[15] zu verstehen (vgl. Maletzke 1978: 32). Da das Handy (wie der Computer) ein interaktives Medium ist, das die zweiseitige Kommunikation (mit Rollenwechsel zwischen Anbieter und Nutzer) ermöglicht, kann es nicht (mehr nur) als Massenmedium bezeichnet werden (vgl. auch Höflich 2003: 76ff.; Schmidt/Zurstiege 2000: 175).

Deswegen unterteilen Reichwald, Meier und Fremutz die Leistungsmerkmale mobiler Endgeräte der dritten Generation in Internet- und Mobilitäts-Spezifika (vgl. Reichwald et al. 2002: 11):

Abb.: Leistungsmerkmale mobiler Endgeräte der dritten Generation

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: in Anlehnung an Reichwald et al. 2002: 11

Nach dem oben dargestellten Modell unterscheidet sich das Handy vom Internet jedoch nicht nur dadurch, dass es zusätzliche Mobilitäts-Merkmale vorweist. Die eigentlichen Mehrwerte entstehen vielmehr aus einer Kombination der Eigenschaften beider Medien. Des Weiteren bieten moderne Handys noch zwei Eigenschaften, die in dem oben dargestellten Model nicht aufgenommen worden sind – Nutzeridentifizierung (aufgrund ihrer SIM-Karte) und – lokalisierung (in Kombination mit Technologien wie GPS). Um sie im gesamten System des neuen mobilen Mediums aufzunehmen, wird ein erweitertes Modell der mobilen Eigenschaften vorgeschlagen (s. Abb. 7).

Da die meisten dieser Eigenschaften erst mit dem Handy zum Vorschein kommen[16], wird im Folgenden im Einzelnen auf sie eingegangen (s. Abb. 8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.: Spezifische Leistungsmerkmale der dritten Mobilfunkgeneration

Quelle: Eigene Darstellung

2.2 Spezifische Eigenschaften mobiler Medien der 3G

- Ubiquitous access

Der Begriff ‚ubiquitous access’ fasst die beiden Eigenschaften Orts- und Zeitunabhängigkeit zusammen. Da Anbieter von Online- und mobilen Diensten mittlerweile in der Lage sind, ihre Leistungsbereitschaft rund um die Uhr aufrecht zu erhalten, können Kunden mobile Dienste zu jedem beliebigen Zeitpunkt in Anspruch nehmen (vgl. Reichwald et al. 2002: 9). Außerdem sind mobile Dienste durch eine mobile Datenübertragung theoretisch vollkommen ortsungebunden[17]. Darüber hinaus sind solche Informationen ubiquitär, die permanent und überall verfügbar sind (vgl. Reichwald et al. 2002: 324f.). Für Schwotzer ist das schon Realität, die in der Zukunft noch häufiger anzutreffen sein wird: „wenn man überall Technik hat, die Informationen anbietet, dann ist es so, als ob man die ganze Zeit durch ein Meer von Informationen schwimmt“ (LFI 6: 1).

- Permanente Konnektivität

Die Möglichkeit, Nutzer mobiler Endgeräte in jeder Situation, an jedem Ort und zu jeder Zeit

kontaktieren zu können, wird durch die Konnektivität vervollständigt. Da Handybesitzer nahezu dauerhaft ihr Handy bei sich tragen, sind sie auch fast ständig und überall erreichbar (vgl. Bauer et al. 2005: 60). Eine permanente Verbindung zwischen dem mobilen Endgerät und dem Internet auf der Basis neuer paketorientierter Technologien bringt gleichzeitig zwei Vorteile: Man muss die Verbindung nicht immer wieder neu herstellen und man ist ständig erreichbar, und zwar ohne Zeitverzögerung (vgl. Reichwald et al. 2002: 12). Daher ermöglicht eine ständige Erreichbarkeit das Empfangen und Senden von Echtinformationen und somit – eine unmittelbare Reaktionsfähigkeit auf Ereignisse (vgl. Reichwald et al. 2002: 324f.).

Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht scheint jedoch eine ständige Konnektivität im Sinne von „andere erreichen“ und „selber erreichbar sein“ problematisch, wie Höflich feststellt: „Hier stößt man auf ein paradox anmutendes Erreichbarkeitssyndrom: Man will andere erreichen ohne selbst immer erreichbar zu sein“ (Höflich 2001: 7). Somit verwandelt sich die auf dem ersten Blick bequeme ‚Instant-Kommunikation’ in einen Erreichbarkeitsdruck: „Wieso hast du nicht zurückgerufen?“ oder “Wieso hast du auf meine SMS nicht geantwortet?“ (vgl. LFI : 19). Darüber hinaus könnte eine ständige Erreichbarkeit die Privatsphäre der Nutzer verletzen.

- Personal Sphere

Wenn der PC als „Personal Computer“ schon das jeweils Eigene ausdrückt, so gilt dies für das Handy umso mehr (vgl. Höflich 2001: 9). Somit befindet sich das Handy in der so genannten ‚Personal Sphere’[18] des Nutzers. Es bewahrt wichtige persönliche Daten auf wie z.B. Kontakte von Freunden, Fotos, Lieblingsbotschaften in Form von SMS oder auch Musik (vgl. Wiener 2005: 100). Besitzer von Handys bauen zu ihren mobilen Endgeräten oftmals auch eine derartig persönliche Beziehung auf, dass auch von einem persönlichen Accessoire gesprochen werden kann[19] (vgl. Reichwald et al. 2002: 12).

Vor allem Jugendliche tragen das Handy ständig bei sich und verstehen es als Statussymbol und Identitätsmarker (vgl. Höflich 2001: 15). Durch die Auswahl der Marke, der Farbe, der Größe, des Displaylogos oder des Klingeltons geben sie ihrer Persönlichkeit einen Ausdruck (vgl. Fortunati 2005: 239f.). Auch Erwachsene sehen das Mobiltelefon als persönliches Accessoire. Schließlich personalisieren sie ihr Handy, indem sie Kontakte, Nachrichten und Termine darin speichern (vgl. Bauer et al. 2005: 60).

- Identifizierung

Jeder Nutzer eines Mobiltelefons ist außerdem durch die SIM-Karte, die in jedem Handy integriert ist, eindeutig identifizierbar. Aus Anbieterperspektive ermöglicht die Identifizierung der Kunden eine direkte, personalisierte Nutzeransprache (vgl. Bauer et al. 2005: 60). Die Identifizierung bietet außerdem den Nutzern die Möglichkeit, mobile Transaktionen durchzuführen, wie z.B. personalisierte Buchungsdienstleistungen in der Tourismus- oder Finanzbranche (vgl. Müller et al. 2002: 357f.).

- Lokalisierung

Mit der heutigen Technologie lässt sich jedes Mobilfunkgerät – und somit auch sein Nutzer - nicht nur in Echtzeit identifizieren, sondern auch lokalisieren. Mittlerweile ist sogar das metergenaue Lokalisieren mit Hilfe von Technologien wie das Global Positionierung System (GPS) oder General Packet Radio Service (GPRS) möglich (vgl. Müller et al. 2002: 357). Der Vorteil dieser Technologie ist, dass Kunden somit ortsabhängige Dienste zur Verfügung gestellt werden können. Durch die Anpassung des Serviceangebots an den Aufenthaltsort des Kunden nimmt der Anbieter eine Selektion vor, die sonst durch den Konsumenten erfolgt. Dies erleichtert dem potentiellen Kunden die Orientierung, erhöht die Relevanz und Qualität des Angebots und steigert damit seine Zufriedenheit und Zahlungsbereitschaft (vgl. Bauer et al. 2005: 60).

- Personalisierung

In der Literatur werden die Begriffe Individualisierung und Personalisierung oft als Synonyme verwendet. In Wirklichkeit bezeichnet Personalisierung „die Individualisierung der Kommunikation mit den Abnehmern unter Einsatz neuer Internettechnologien im Sinne eines one-to-one-Marketing.“ (Reichert/Schaller 2002: 269). Nach Schwotzer und Geihs soll Personalisierung dazu dienen, „die Menge von Informationen für Nutzer auf persönliche Interessen zu reduzieren bzw. wenigstens danach zu priorisieren“ (Schwotzer/Geihs 2003: 8f.). Die Reduktion von angebotenen Informationen auf das Notwendige ist gerade bei Geräten mit limitierten Displays sowie teuren und relativ langsamen Datenverbindungen besonders wichtig. Da zudem für eine Personalisierung der Daten Nutzerprofile erforderlich sind, muss bei jedem System, das Profile bildet, der Datenschutz schon in der Planung beachtet werden (vgl. Schwotzer/Geihs 2003: 8f.).

- Kontextsensitivität

Mobile Dienste, die die aktuelle Situation eines Handynutzers berücksichtigen, d.h. Bezug zu dem lokalen, zeitspezifischen, aktions-/intentionsbezogenen (Verknüpfung des Ortes mit den Aktivitäten) und interessenspezifischen (Berücksichtigung der Nutzerpräferenzen) Kontext des Nutzers nehmen, können als kontextspezifische Dienste bezeichnet werden (vgl. Zobel 2001: 51). Je nachdem, „ob der Nutzer gerade unterwegs ist, einem Konzert lauscht oder an

einem wichtigen Meeting teilnimmt“, kann das Handy „’entscheiden’, ob es klingelt, nur den Vibrationsalarm auslöst oder Anrufer direkt an die Mailbox weiterleitet“ (Schwotzer/Geihs 2003: 9).

Eine Berücksichtigung des Nutzerkontextes kann außerdem wichtige Informationen über die potenziellen Nutzerbedürfnisse liefern, die in einem Kontext entstehen können, z.B.:

- geschäftlich unterwegs → Ich brauche keine Werbung, Staumeldungen vielleicht;
- privat unterwegs → Ich möchte unterhalten werden, Freunde treffen oder shoppen;
- auf Reisen → Was könnte mich in dieser Stadt interessieren, etc (vgl. Dorsch 2003: 6).

Langfristig sollen sogar solche Funktionen entwickelt werden, die es dem System erlauben, sich an die vorhandene Nachfrage nach Wissen selbstständig anzupassen, prophezeiet Schwotzer (vgl. Schwotzer/Geihs 2003: 17). Dazu muss jedoch zuerst ausgewertet werden, an welcher Stelle wie häufig Wissen zu welchen Themen nachgefragt wird. Ist die Nachfrage nach bestimmten Produkten oder Dienstleistungen an konkreten Orten besonders hoch, so sollten diese dort verstärkt angeboten werden – und umgekehrt (vgl. ebd.).

2.3 Zwischenfazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass moderne Handys aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften neue Räume für Mediennutzung erschließen. Aufgrund ihrer ständigen Erreichbarkeit können Handynutzer bspw. auch dort Medienbotschaften empfangen, wo andere Medien nicht zu Verfügung stehen (vgl. Giordano/Hummel 2005: VI). Da mithilfe mobiler Endgeräte außerdem der Ort (Lokalisierung) und der situative Kontext (Kontextsensitivität) des Nutzers berücksichtigt werden können, können letztlich auch Angebote gezielt an Kunden verschickt werden (vgl. Reichwald et al. 2002: 12; Reichwald/Schaller 2002: 279). Somit lässt sich die Frage „Welche Bedürfnisse hat mein individueller Kunde?“ erweitern auf „Welche Bedürfnisse, wann, wo und in welchem Kontext hat mein individueller Kunde oder wird mein individueller Kunde haben?“ (Schilcher/Deking 2002: 380).

Neben einzigartigen Eigenschaften weist das mobile Medium gleichzeitig auch eine Reihe von Einschränkungen auf. Die Größe mobiler Endgeräte erweist sich z.B. als ein Nachteil gegenüber dem Internet, weil die Ein- und Ausgabemöglichkeiten eingeschränkt sind (vgl. Melter/Sonntag 2005: 48). Schließlich, nachdem die spezifischen Leistungsmerkmale des Handys erläutert wurden, wird im folgenden Kapitel näher auf die vier Komponenten (nach Schmidt/Zurstige 2000: 170) eingegangen, die das Handy als mobiles Medium in sich integriert. Eine genaue Analyse ihrer Besonderheiten bei dem Handy ist deswegen notwendig, weil sie Aufschluss über die Stärken und Schwächen dieses Mediums in Bezug auf die Entwicklung mobiler Dienste und Anwendungen der 3G geben.

3 Rahmenbedingungen für die Entwicklung mobiler Dienste und Applikationen unter Berücksichtigung des Konvergenzprozesses

„Wir müssen uns eben von der klassischen Rollenverteilung verabschieden: Content, Internet, Telekommunikation, Multimedia wachsen zusammen“ (Dehn 2000: B4).

Die vier Komponenten – Kommunikationsinstrumente, Medientechniken, institutionelle Einrichtungen sowie Medienangebote bzw. mobile Dienste, die ein Mediensystem in sich bündelt, dürfen nach Schmidt und Zurstiege nur in ihrem Zusammenwirken betrachtet werden (vgl. Kap. 2.1: 9). So werden z.B. technisch realisierbare Funktionen ungenutzt bleiben, wenn die passenden Inhalte fehlen. D.h., dass sich bei einer Analyse von Medienangeboten oder mobilen Diensten vor allem die Frage stellt, „welche Möglichkeiten Kommunikationsinstrumente, Technologien und sozialsystematische Ordnungen eröffnen und welche Einflüsse sie auf die Mediennutzer ausüben“ (Schmidt/Zurstiege 2000: 170).

Um diese Frage für das Handy zu beantworten, müssen folglich alle vier Komponenten im Zusammenhang erläutert werden. Dies ist jedoch keine leichte Aufgabe, weil sie alle derzeit unter dem Einfluss eines grundlegenden Transformationsprozesses stehen. Dieser Prozess wird in der Literatur mit dem Begriff „Medienkonvergenz“ umschrieben (s. Abb. 9). Darunter wird ein Zusammenwachsen oder sogar eine zunehmende Verschmelzung der TIME-Branchen[20] und ihrer Technologien und Dienstleistungen verstanden. Latzer beschreibt sie als ein Phänomen, das „nach dem Einzug der digitalen Computertechnik (InforMATIK) in die TELEkommunikation (=TELEMATIK), nun auch die traditionellen Grenzziehungen zwischen den (digitalisierten) Medien und der Telematik verschwimmen (=MEDIAMATIK)“ (vgl. Latzer 1997: 61) lässt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

9. Abb.: Evolutionsschritte der Medienkonvergenz nach Latzer

Quelle: Latzer 1997: 61

Die Haupttriebkraft der Konvergenz kommt in Latzers Konzept aus der Telekommunikation (vgl. Latzer 1997: 15f). Deren neuen ‚Tele-Dienste’ befreien zunehmend die Gesellschaft von der räumlichen (Mobilkommunikation, Satellitentechnik), zeitlichen (Sprach-Mailbox, electronic mail), übertragungskapazitätsbedingten (Glasfaser), betriebstechnischen (intelligentes Netzmanagement) und körperlichen (virtual reality) Beschränkung. Diese Unabhängigkeit von Beschränkungen macht es wiederum den Dienst- oder Angebotsindustrien möglich, Sprach-, (Bewegt-)Bild-, Text- und Datenkommunikation zu kombinieren und mit größerer Flexibilität neue, beziehungsweise verbesserte alte Dienste anzubieten.

Entscheidend sind daher die inhaltliche Konvergenz sowie die Entwicklung von mobilen Diensten, die auf die jeweilige Nutzungssituation zugeschnitten sind. Deswegen wird im Folgenden ein erweitertes Modell der Medienkonvergenz vorgeschlagen, das alle relevanten Komponenten, die das Handy als mobiles Medium bündelt, in ihrem Zusammenwirken darstellt (s. Abb. 10).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

10. Abb.: Konvergenz als Antrieb für die Schöpfung mobiler Mehrwertdienste

Folglich soll die Medienkonvergenz nicht nur als eine wesentliche Ursache, sondern auch als entscheidende Triebkraft für die Schöpfung innovativer mobiler Dienste und Anwendungen der dritten Generation betrachtet werden. Aus diesem Grund wird im Folgenden etwas näher auf die einzelnen Konvergenzebenen und ihre Bedeutung für die mobile digitale Kommunikation eingegangen. Einen Anspruch auf Vollständigkeit dieser Ausführungen wird jedoch nicht erhoben, da die Komplexität der einzelnen Märkte, Technologien und Nutzerverhalten zu different ist (vgl. Seckler 2005: 21). Vielmehr sollen sie einer kritischen Darstellung der die Chancen und Risiken, die im Bezug auf die Entwicklung mobiler Mehrwertdienste entstehen, dienen. hinterfragt werden.

3.1 Konvergenz der mobilen Kommunikationstechnologien

Wir sollten vielleicht gar nicht vom Handy sprechen, sondern von mobilen Kommunikationstechnologien und schauen, wie unterschiedlich sich diese Technologien entwickeln und wie sie womöglich zusammenwachsen“ Höflich (LFI 2: 4).

Die Konvergenz der mobilen Technologien stellt die Basis für die Umsetzung mobiler Dienste der dritten Generation dar, denn ohne bestimmte technologische Gegebenheiten wäre die Entwicklung und die Verbreitung solcher Dienste unmöglich.

Als wichtigste Ursache der zunehmenden technologischen Konvergenz gilt die Digitalisierung, die zu einem "Verschmelzen von Informations-, Kommunikations- und Computertechnologie" (Ruhrmann/Nieland 1997: 18) führt. Neben einer Konvergenz der Übertragungsplattformen (z.B. Mobilfunk und Rundfunk) findet auch eine Konvergenz auf Ebene der mobilen Endgeräte statt, wie die Wissenschaftler Shannon und Weaver bereits erkannten (vgl. Shannon/Weaver 1998: 23).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

11. Abb.: Felder der technischen Konvergenz

Daher wird im Folgenden auf die in Abbildung 11 dargestellten Ausprägungen der technologischen Konvergenz und ihre Bedeutung für die Entwicklung mobiler Dienste etwas näher eingegangen.

3.1.1 Konvergenz der Übertragungsplattformen

3.1.1.1 Der Sprung von der 2. zur 3. Mobilfunk-Generation

Die Kommunikationstechnologien der zweiten Generation ‚Global System for Mobile Communications’ (GSM) führen zwar eine der erfolgreichsten Dienste in der mobilen Kommunikation ein – das Senden und Empfangen von SMS – aber für Multimedia-Dienste z.B. reichen ihre Kapazitäten nicht aus (vgl. Oertel et al. 2001: 86f.). Um dem Bedarf nach höherer Datenübertragung und Netzwerkeffizienz zu decken, wurde das ‚Universal Mobile Telecommunications System’ (UMTS) von der European Telecommunication Standardisation Initiative (ETSI) als Grundlage für einen weltweiten Standard bei der International Telecommunication Union (ITU) eingereicht (vgl. Stumpf et al. 2004: 3). Als Mobilfunk der dritten Generation soll UMTS einen Qualitätssprung im Vergleich zu früheren Technologien schaffen. Im Einzelnen ermöglicht UMTS:

- hohe Geschwindigkeit der Datenübertragung, 384 Kilobit in der Sekunde (sechsmal höher als beim ISDN-Anschluss),
- Leitungs- und paketvermittelte Übertragung,
- Unterstützung von Multimedia-Anwendungen (Internet, Video etc.) mit uneingeschränkter Mobilität,
- Unterstützung von Streaming- und ‚on Demand’-Diensten
- Kompatibel nicht nur zu anderen Mobilfunk- und Internet-basierten Netzen, sondern auch zu Breitbandnetzen.

Abbildung 12 stellt einen Überblick über die Entwicklung der mobilen Übertragungs-standards dar sowie über die entsprechenden Dienste, die sie mit sich bringen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

12. Abb. Evolution der mobilen Übertragungstechnologien

Mit Diensten der dritten Mobilfunkgeneration wie ‚Video on Demand’ oder ‚Rich Voice’ erhoffen sich die deutschen Netzbetreiber, die im Jahr 2000 für die UMTS-Frequenzen investierten 50 Milliarden Euro (vgl. VATM 2005) zurück zu gewinnen. Der offizielle Start der dritten Mobilfunkgeneration erfolgte jedoch erst vier Jahre nach dem Lizenz-Kauf. Zunächst schaltete T-Mobile im Januar 2004 das UMTS-Netz mit dem GSM-Netz zusammen, was als technischer Starttermin der neuen Technik gelten kann. Für T-Mobile -Vorstands-vorsitzenden Rene Obermann wird UMTS den Beginn einer neuen Multimedia-Ära setzen: „Mit dem neuen Netz fügen wir unserem Multimedia-Netzwerk einen weiteren wichtigen Baustein hinzu. […] Das ist mehr als UMTS. TM3 [T-Mobile Multimedia – Anm. der Verf.] steht für mobile Multimedia-Dienste auf Basis von GPRS, UMTS und WLAN" (T-Mobile 2004).

Der eigentliche Start für Privatkunden erfolgte dann bei Vodafone im Mai 2004: „UMTS ist für Vodafone die zentrale Innovation, die den Mobilfunk entscheidend voranbringt“ (Medien Bulletin 2005: 30). Mit Videotelefonie, TV auf dem Handy, Internet und Mobile Musik soll das UMTS-Handy in Zukunft ein genauso „alltägliches“ Medium werden, wie es der Nutzer bislang „vom Farbfernsehen im Wohnzimmer und Musik über CD in der HiFi-Anlage“ (ebd.) kennt.

Trotz solch hoher Erwartungen blieben von den ursprünglich sechs Lizenznehmern schließlich nur noch vier im Rennen – der Mobilfunk-Neueinsteiger Quam ist längst nicht mehr am Markt vertreten und auch mobilcom hat sein UMTS-Netz inzwischen an den Konkurrenten E-Plus verkauft (vgl. Büllingen/Stamm 2004: 30). Das Ausscheiden der zwei Netzbetreiber ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das mobile Multimedia-Geschäft später begonnen hat, sich langsamer entwickelt und viel geringere Umsätze bringt, als die Unternehmen ursprünglich kalkuliert haben. Nach Uwe Bergheim, Vorsitzender der Geschäftsführung von E-Plus, würde es „noch einige Jahre dauern, bis UMTS einen nennenswerten Beitrag zum Umsatz beisteuert“, denn „das UMTS-Geschäft ist ein Langstreckenlauf, kein Sprint“ (Eschenbach 2004: 26).

3.1.1.2 Drahtlose Übertragungstechnologien im Nahbereich

Die multimediale Vernetzung elektronischer Geräte wird nicht nur von den Mobilfunktechnologien der dritten Generation vorangetrieben, sondern auch vom Aufbau alternativer drahtloser Nahnetze wie Wireless-LAN (W-LAN) und Bluetooth (vgl. Oertel et al. 2001: 97f.).

Genau wie UMTS kann W-LAN den mobilen Zugriff auf Intra- oder Internet ermöglichen. Im Vergleich zu UMTS hat W-LAN jedoch eine begrenzte Reichweite: in geschlossenen Räumen von 30 bis 100 Meter, im Freien bis zu einem Kilometer weit (vgl. Medosch 2004: 31). Solche schnellen und öffentlich zugänglichen Datennetze wie W-LAN werden vor allem an so genannten Hot Spots wie auf Messen, in Warteräumen von Bahnhöfen und Flughäfen oder auch in Bibliotheken verstärkt nachgefragt. An diesen Orten besteht bisher meist nur die Möglichkeit, sich zum Beispiel per GSM-Mobiltelefon über relativ teure, langsame und instabile Verbindungen mit dem Intranet des eigenen Unternehmens oder dem öffentlichen Internet zu verbinden. W-LAN sollte deswegen die Übertragung von aufwendig gestalteten Webseiten und Multimedia-Präsentationen oder die Interaktion mit anderen Gesprächspartnern, z.B. über Telekonferenz-Programme, unterstützen. Da sie mit einer Abstrahlleistung von 35 mW in ihrer Sendeleistung 20- bis 30-mal niedriger als Mobilfunknetze liegen, werden sie außerdem zunehmend im medizinischen Bereich (z.B. in Krankenhäusern) eingesetzt (vgl. Brünen 2003: 21).

Die W-LAN-Technologie hat jedoch zwei Schwächen: Sie ist nicht flächendeckend und daher auch nicht wirklich mobil (vgl. LFI 1: 9), und sie bietet keinen ausreichenden Schutz vor Hackern, da sie meist öffentlich zugänglich ist (vgl. Rügheimer 2005: 144).

Bluetooth funktioniert dagegen im Ultrahochfrequenz-Bereich und sendet bei einer Reichweite von zehn bis maximal 100 Metern. Bluetooth-Technologien können verschiedenen Netztypen und Endgeräte wie z.B. Computer und Handys verbinden und vernetzten (vgl. Kaspar/Hagenhoff 2003: 5). Derzeit wird Bluetooth auch zunehmend als neue Plattform für ortsgebundene Informationen und Werbung eingesetzt (vgl. auch Kap. 4.4.2).

3.1.1.3 Breitband-Standards

Eine weitere Alternative für die Verbreitung von multimedialen mobilen Diensten stellen die Breitbandtechnologien bzw. Rundunknetze wie DVB oder DMB dar.

DVB-H steht für ‚Digital Video Broadcast-Handheld’ und ist ein Übertragungsstandard für digitales mobiles Fernsehen, das innerhalb des im September 1993 gestarteten DVB-Projektes entwickelt wurde (vgl. Oertel et al. 2001: 101). Als Breitband bietet DVB-H die Möglichkeit, eine hohe Anzahl von Nutzern mit ununterbrochenen und gleichzeitigen Diensten zu beliefern (vgl. Tilly 2004: 9). Dazu bietet der DVB-H Standard eine höhere Bildqualität als DVB-T, da die Bildauflösung an mobile Handsets angepasst ist (vgl. Buchwald et al. 2004: 8).

Das ‚Digital Multimedia Broadcasting’ (DMB) soll wie DVB-H Radio-, Fernseh- bzw. Videoangebote und Datendienste auf mobilen Endgeräten ermöglichen. DMB setzt auf das Hörfunkverfahren ‚Digital Audio Broadcasting’ (DAB) auf, das momentan von etwa 80 Prozent der Deutschen empfangen werden kann, und ist zudem auch relativ energiesparend (vgl. Stadik 2004: 4). Mit DMB soll daher gezeigt werden, dass auch außerhalb der Ballungsräume, in denen DVB-H zur Anwendung kommt, multimediale terrestrische Mediendienste empfangen werden können. Darum soll DBM nach Thomas Wächter, Leiter der Abteilung ‚Digitale Rundfunkplattformen’ im Geschäftsbereich Media&Broadcast bei T-Systems, nicht als Konkurrenz zu DVB-H gesehen werden, sondern vielmehr als Ergänzung und preiswerte Variante zur Flächendeckung: „Das System ist einfach und preiswert und verstellt DVB-H nicht den Weg“ (Stadik 2005: 10).

[...]


[1] Red. Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit sind alle Namen von Firmen- und Organisationen in kursiv wiedergegeben.

[2] Die sechs deutschen Netzbetreiber sind Telekom, Vodafone, O2, E-Plus, Quam und mobilcom.

[3] In der Literatur werden die Begriffe mobile Dienste (Services) und Anwendungen (Applikationen) häufig synonym verwendet. Um diese Uneinigkeit aufzulösen, wird im Rahmen dieser Arbeit auf die Begriffsdefinition von Stumpf (vgl. Stumpf et al. 2004: 7) zurückgegriffen. Danach stellen mobile Dienste die Funktionen, die von einem Dienstanbieter oder Netzbetreiber dem Nutzer zur Verfügung gestellt werden. Anwendungen oder Applikationen sind dagegen die Computerprogramme, die die Dienste ermöglichen, und für den Endnutzer meist unsichtbar sind (vgl. ebd.).

[4] Unter Contentanbietern werden im Rahmen dieser Arbeit vor allem die Medien- und Entertainment-Branchen verstanden, die schwerpunktmäßig mit der Bereitstellung und Verbreitung von Inhalten der (Massen-)Medien befasst sind (vgl. Zerdick 2001: 36; 50).

[5] Danach steht jede Frage für ein Forschungsfeld: „Who“ = Kommunikationsforschung, „says what“ = Aussageforschung, „in which channel“ = Medienforschung, „to whom“ = Rezipientenforschung, „with what effect“ = Wirkungsforschung.

[6] In Bezug auf das Handy spricht man anstatt von Medienangeboten von mobilen Diensten und Applikationen.

[7] Einige dieser Institutionen sind z.B. das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), das Sekretariat für Zukunftsforschung (SFZ) und das Institut Arbeit und Technik (IAT).

[8] Ein Beispiel wäre die Studie vom Jahr 2004: „Mobile Multimedia-Dienste. Deutschlands Chance im globalen Wettbewerb.“

[9] Eine vollständige Übersicht über die Forschungs- und Handlungsfelder der Interviewpartner mit einem kurzen Lebenslauf findet sich im Anhang.

[10] iVS steht für ‚Intelligente Netze und Management verteilter Systeme’.

[11] Eine vollständige Übersicht über die einzelnen Fragen im Leitfaden findet sich im Anhang.

[12] Alle transkribierten Interviews finden sich im Anhang.

[13] Wenn z.B. das Leitfadeninterview mit Betinna Horster als Erstes im Anhang nummeriert ist, wird es im Text als LFI 1 erscheinen.

[14] Red. Hinweis: Im Rahmen dieser Arbeit wird die englische Form ‚Mobile Marketing’ benutzt, da sie auch im deutschsprachigen Raum etabliert ist.

[15] Anstelle der „Masse“ benutzt Maletzke den Begriff „disperses Publikum“. Damit betont er die Tatsache, dass die Mediennutzer, die ein disperses Publikum bilden, über die Hinwendung zu Medien hinaus wenig miteinander gemein haben: Sie sind weder organisiert noch haben sie gemeinsame Verhaltensregeln (vgl. Höflich 2003: 78).

[16] Da die Interaktivität erstmal mit dem Internet in Verbindung gesetzt wird, wird sie im Rahmen dieser Arbeit nicht explizit dargestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie beim Handy eine untergeordnete Rolle spielt, sondern dass sie keine weiteren Erläuterungen in Bezug auf das Handy erfordert.

[17] In der Praxis sind auch technologische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, wie z.B. der Grad der Netzabdeckung (vgl. Reichwald et al. 2002: 10).

[18] Unter ‚Personal Sphere’ wird die Umgebung bezeichnet, welche sich in unmittelbaren Nähe eines Menschen befindet, zu dem er vertrauen Verhältnis hat (vgl. Reichwald et al. 2002: 12).

[19] Wenn das Handy z.B. verloren geht, geht der empfundene Verlust weit über den rein materiellen Wert hinaus (vlg. Wiener 2005: 100).

[20] Mit dem Begriff „TIME“-Branchen werden die Telekommunikations-, Informationstechnologie-, Medien- und Entertainment-Branchen gemeint.

Ende der Leseprobe aus 130 Seiten

Details

Titel
Mobile 'Alleskönner': Das Handy der dritten Generation als Vorreiter einer mobilen Informationsgesellschaft
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
130
Katalognummer
V55685
ISBN (eBook)
9783638505734
ISBN (Buch)
9783656801573
Dateigröße
1344 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mobile, Alleskönner, Handy, Generation, Vorreiter, Informationsgesellschaft
Arbeit zitieren
Pròlet Grigorova (Autor:in), 2005, Mobile 'Alleskönner': Das Handy der dritten Generation als Vorreiter einer mobilen Informationsgesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55685

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