Ich und mein Magnum - Sport zwischen Individualisierung und Kollektivierung


Seminararbeit, 2003

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Durch die Aufklärung zur Erlebnisgesellschaft
1.1. Individualisierungsprozesse der Moderne
1.2. „Kein Individuum ohne Masse“ oder „von der ‘Pluralität’ der Person“

2. Sport als Mittler der Moderne
2.1. Der Körper als Zentrum des „Ichs“
2.2. Paradoxie der Einzigartigkeit
2.3. Der „Patchwork-Sportler“

3. Fazit

Literatur und Quellenangabe

1. Durch die Aufklärung zur Erlebnisgesellschaft

„Das Leben hat keinen Sinn außer dem, den wir ihm geben.“

Was in diesem Zitat von Thornton Wilder (1887-1975) zu Tage tritt, könnte in gewisser Weise als Leitspruch des modernen Menschen gelten. Nachdem der moderne Mensch nicht nur nach Heidegger „auf sich selbst geworfen“ ist, ist er auch selbst dafür zuständig, seinen Lebenssinn für sich selbst zu definieren. Die Entmystifizierung der Moderne geht einher mit der Freisetzung des Menschen und einem „Bedeutungsverlust vormals sicherheitsstiftender Wirklichkeits-konstruktionen“[1]. Eben jenen Bedeutungsverlust, der dem Menschen vormals durch den Glauben, klar definierte Geschlechterrollen und mehr oder weniger deutliche Stände- bzw. Schichtzugehörigkeit, Orientierung gab, gilt es nun in der säkularisierten Welt selbst mit neuen Werten und Sinnstiftungen zu kompensieren und so den individuellen Lebenslauf selbst zu organisieren und eigenverantwortlich eine Biographie zu gestalten.[2]

Dabei steht das Individuum im Zentrum des Geschehens, und jeder von uns muss - innerhalb der trotz allem natürlich immer noch vorhandenen Zwänge und Kontrollmechanismen - seinen eigenen Weg gestalten. Inwieweit dieser Weg dann noch wirklich der Ausdruck einer aktiven individuellen Gestaltung ist oder doch einfach eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger zufälligen ‘Entscheidungen’ gälte es im Einzelfall zu hinterfragen.

Ausgehend von der Aufklärung über die Industrialisierung bis in die heutige Dienstleistungsgesellschaft gab es verschiedene Phasen der Individualisierung. Diese hier zu bearbeiten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, weshalb ich mich darauf beschränken möchte, Individualisierungsprozesse der Moderne kurz darzustellen, um dann im Hauptteil dieser Arbeit den Sport als Mittler der Moderne vorzustellen. Der Körper als Zentrum des „Ichs“ steht auch im Zentrum der Betrachtung.

1.1 Individualisierungsprozesse der Moderne

Im Zentrum der Moderne steht das „Ich“. Was in dem Werbeslogan von Lagnese „Ich und mein Magnum“ zum Ausdruck kommt ist eben jene Ich-Bezogenheit, die kennzeichnend für unsere heutige Gesellschaft steht. Schulze nennt diese die „Erlebnisgesellschaft“, bei Willems heißt sie „Inszenierungsgesellschaft“ und bei Beck „Risikogesellschaft“.[3] Was allen dreien gemeinsam ist, ist die Charakterisierung unserer Gesellschaft mit einem gewissen „Event-Charakter“. Alles muss irgendwie neu, einzigartig individuell sein. Es genügt nicht mehr, einfach nur Eis zu essen, es muss etwas außergewöhnliches sein – „Ich und mein Magnum“. Individualität wird stilisiert und glorifiziert. Dass es sich bei eben jenem Eis um ein massenhaft hergestelltes Industrieprodukt handelt, will uns die Werbung vergessen machen. Es ist etwas außergewöhnliches, und so entscheidet sich der junge Mann im Magnum-Werbespot am Strand nicht für den Kondomautomat[4], sondern wählt ganz „Ich“ lieber das Eis. Auch das alte Sprichwort „der Esel nennt sich stets zuerst“, dass man als Kind noch lernt, um in Aufzählungen sich selbst nicht an den Anfang zu stellen, wird hier bewusst ignoriert. Das „Ich“ kommt zuerst.

Man hat die Wahl, und was man wählt, hat man selbst zu verantworten und für die eigene Biographie selbst zu begründen. Die Normalbiographie wird zur „Wahlbiographie“[5] - aber wichtig daran ist, dass man trotz größerer Freiheiten heutzutage im Vergleich zu früheren Zeiten dennoch in gesellschaftliche Zwänge eingebunden ist, und sei es nur der Zwang, die Entscheidung vor sich selbst zu rechtfertigen. Dass solche Entscheidungen auch zuweilen nur das Wählen des kleineren Übels sein kann, dass nicht einmal bewusst ‘gewählt’ sein muss, verdeutlicht Schwier am Beispiel des „vollmobilen Singles“, der „wohl weniger ein Ausdruck des Wunsches [...] nach Autonomie, Mobilität und Flexibilität [ist], als ein Indiz dafür, dass das kapitalistische Marktmodell im Zuge seiner Weitermodernisierung in die letzten Reservate von Subjektivität und Intimität eingedrungen ist.“[6]

Basierend auf dem Vorbild des amerikanischen Traums, der auch ein typisches Leitmotiv der Moderne ist, ist jeder seines Glückes Schmied, was aber auch bedeutet, dass Scheitern als persönlicher Fehler zu werten ist. Zwar ist es in der Selbstwahrnehmung des Individuums oftmals noch so, dass man für Erfolge selbst verantwortlich ist, aber für Misserfolge zumeist äußere Umstände verantwortlich zeichnen,[7] aber über den Individualisierungsprozess wird die Verantwortlichkeit für das Scheitern von Seiten der Gesellschaft mehr und mehr dem einzelnen zugeschrieben. Wie dieser dann damit fertig wird ist wiederum dem einzelnen überlassen. Das Burn-Out-Syndrom oder auch Depressionen sind typische Zivilisationskrankheiten, die mit dem Individualisierungsprozessen der Moderne mal mehr, mal weniger zusammenhängen.

1.2 „Kein Individuum ohne Masse“ oder ..‘von der „Pluralität“ der Person’

Um Individuum sein zu können, muss man in der Lage sein, sich selbst von anderen zu unterscheiden und sich ihnen gegenüber absetzen zu können. Daraus ergibt sich ganz leicht, was auch schon in der Überschrift dieses Unterkapitells festgehalten ist: „Kein Individuum ohne Masse“. Dies bedeutet aber, dass jemand diese Masse sein muss, gegenüber der man sich selbst herausstellen kann. Obwohl wir uns alle wohl spontan als Individuen bezeichnen würden, so bilden wir doch auch die Masse für das jeweils andere Individuum. Dies geschieht heute in verschiedenen Rollen. Waren früher die Rollen, die eine Person in ihrem Leben verkörperte noch relativ übersichtlich, so wechseln wir heute ständig zwischen verschiedenen Rollen hin und her und oft sind sie auch parallel. Wir sind Student, Dozent, Referent, Vater, Kunde, Freund, Konsument, um nur ein paar einfachere Kategorien zu nennen. Was dabei allerdings wichtig ist, ist die Möglichkeit des individuellen Handelns, auch wenn wir uns in festen Rollen befinden. Nur dadurch, dass ich –wenn auch meist nur unbewusst - anerkenne, dass die Person, die mir sozusagen als „Massenwesen“ Kassiererin gegenübersitzt das Potenzial zur Individualität besitzt, kann ich für mich selbst eben solche Rollen eingehen, ohne dadurch in eine Identitätskrise zu fallen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich als moderner Mensch selbstbestimmt die Möglichkeit habe, Rollen, die ich nun mal tagtäglich innehabe, auch abzulehnen, so habe ich nur dadurch die Möglichkeit, mich trotz allem als Individuum zu begreifen.[8]

[...]


[1] BETTE, Karl-Heinrich: Sport und Individualisierung. In: Spectrum der Sportwissenschaften. 5.Jg, H. 1, 1993, S. 36.

[2] Vgl.: SCHWIER, Jürgen: Sport und Individualisierung. Skript zur gleichnamigen Vorlesung. www.uni-giessen.de/~g51039/vorlesungX.htm

[3] Vgl.: SCHWIER

[4] und dem damit implizierten Sex mit der jungen Strandschönheit

[5] Vgl.: SCHWIER

[6] Vgl.: ebd.

[7] Was als Selbstschutzmechanismus u.U. auch seine Berechtigung hat

[8] Die Überschrift „Kein Individuum ohne Masse“ ist eine Unterüberschrift die Schimank verwendet in: SCHIMANK, Uwe: Individualität und Masse. In: Ders: Das zwiespältige Individuum. Zum Person-Gesellschaft-Arrangament der Moderne. Opladen 2002, S. 163.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Ich und mein Magnum - Sport zwischen Individualisierung und Kollektivierung
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Sportwissenschaft)
Veranstaltung
Aktuelle Themen der Sportsoziologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
13
Katalognummer
V55711
ISBN (eBook)
9783638505970
ISBN (Buch)
9783638765626
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Magnum, Sport, Individualisierung, Kollektivierung, Aktuelle, Themen, Sportsoziologie, Postmoderne
Arbeit zitieren
Matthias Trumpfheller (Autor:in), 2003, Ich und mein Magnum - Sport zwischen Individualisierung und Kollektivierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55711

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