Im Zusammenhang mit dem irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein trat in den letzten Jahren und Monaten immer wieder ein Fragenkomplex auf: Ist Saddam Hussein ein Tyrann? Darf er getötet werden? Unter welchen Voraussetzungen ist der Widerstand gegen einen Tyrannen zulässig oder sogar verdienstvoll und - wie wird der Tyrann überhaupt definiert? Die Diskussionen zu diesem Thema sind keine Besonderheit unserer Zeit. Schon seit der Antike setzen sich Philosophen, Juristen, Staatstheoretiker und Politiker mit der Frage nach der Zulässigkeit des Tyrannenmordes auseinander. Im Spätmittelalter herrschte zum Beispiel über Jahrzehnte hinweg ein Streit über die „Tyrannenmordtheorie“ des Pariser Universitätstheologen Jean Petits, die Justification du duc de Bourgogne.In der Justificaton rechtfertigt Jean Petit den Mord an dem Herzog Ludwig von Orléans, welcher auf Betreiben seines rivalisierenden Cousins Johann von Burgund am 7.11.1407 begangen wurde, als Tyrannenmord. In der heutigen Forschung ist man sich darüber einig, dass diese Ermordung nicht als Tyrannenmord qualifiziert werden kann. Unter den Zeitgenossen Petits herrschte hierüber und über die gesamte von Petit entwickelte Theorie jedoch kein Konsens. Es gab sowohl Befürworter, als auch Gegner der Theorie und demnach wurde sie zum Gegenstand etlicher Diskussionen. So wurde in Paris im Jahr 1413 sogar eigens eine Synode zur Prüfung der Rechtfertigungsschrift einberufen. Die Äußerungen und Argumente, die die Gegner Petits dort hervorgebracht haben, sollen Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Hierbei möchte ich folgender Fragestellung nachgehen:
Unterstützten die Gersonisten mit einigen der Äußerungen, die sie während der Pariser Synode gegen Petits Tyrannenmordlehre vorbrachten, diese Theorie, deren Verurteilung sie doch eigentlich intendierten? Wenn ja, wie lässt sich das erklären?
Dementsprechend werde ich nun zunächst Petits Theorie in ihren wesentlichen Grundzügen vorstellen und im Anschluss daran auch beurteilen. Daraufhin folgt ein kurzer Abriss der Ereignisse bis zur Pariser Synode und eine Beschreibung des äußeren Verlaufs derselben. Auf der Basis dieser Kenntnisse werde ich dann einige Äußerungen der Gersonisten untersuchen und ansatzweise Gründe dafür bieten, woran es liegen mag, dass selbst die Gegner die Theorie in gewisser Weise unterstützten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Quellenlage
- Forschungsstand
- Das 15. Jahrhundert— Zeit der Spätscholastik
- Vorgeschichte der Justification: Die Ermordung Ludwigs von Orléans und ihre Hintergründe
- Die Rechtfertigung — Justification du duc de Bourgogne
- Einleitendes/Aufbau
- Der Obersatz
- Beistandspflichten der Menschen
- Der 1. Artikel — das Pauluszitat
- Der 2. Artikel — das Majestätsverbrechen
- Der 3. Artikel — Verräter in der Bibel
- Der 4. Artikel — die acht Wahrheiten
- Untersatz
- Conclusio
- Beurteilung
- Exkurs: Der Tyrannenmord bei Aristoteles, Johannes von Salisbury und Thomas von Aquin
- Aristoteles
- Johannes von Salisbury
- Thomas von Aquin
- Reaktion auf die Rechtfertigungsschrift
- Pariser Synode
- Äußerer Ablauf
- Die Argumentationen/Außerungen der Gersonisten
- Zielsetzung und Vorgehensweise bei Untersuchung der Äußerungen
- Allgemeine Diskussionsebene
- Vorannahme hinsichtlich der einzelne Aussagen
- Tyrannenmord aus göttlicher Inspiration zulässig
- Aristoteles: Gewalt gegen Tyrannen erlaubt
- Peter von Auvergne: berechtigter Grund zum Aufstand
- Alexander von Hales und Augustinus: Gerechtigkeit
- Defensive Tötung kein Mord
- Zusammenfassung
- Erklärungsansätze für die unterstützenden Äußerungen
- Natur der scholastischen Methode
- „Unantastbarkeit" des französischen Königs
- Fazit
- Quellen
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Kritik an der Tyrannenmordtheorie des Pariser Universitätstheologen Jean Petits, die im Zusammenhang mit der Ermordung des Herzogs Ludwig von Orléans im Jahr 1407 entstand. Die Arbeit analysiert die Argumente der Gegner Petits, die auf der Pariser Synode 1413/1414 gegen seine Rechtfertigungsschrift „Justification du duc de Bourgogne" vorgebracht wurden. Ziel ist es, herauszufinden, ob die Gegner Petits, trotz ihrer Bemühungen, seine Theorie zu verurteilen, in ihren Äußerungen Elemente finden, die diese Theorie indirekt unterstützen.
- Die Tyrannenmordtheorie Jean Petits
- Die Pariser Synode 1413/1414
- Die Argumente der Gegner Petits
- Die scholastische Methode
- Die „heilige Art" des französischen Königtums
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Problematik des Tyrannenmordes anhand des Beispiels Saddam Husseins dar und führt in die Thematik der Arbeit ein. Anschließend wird die Quellenlage beleuchtet, wobei die „Justification du duc de Bourgogne" von Jean Petit und die Akten der Pariser Synode im Vordergrund stehen. Der Forschungsstand zeigt, dass die Thematik der „Justification" im modernen Schrifttum nur selten behandelt wurde.
Das 15. Jahrhundert wird als Zeit der Spätscholastik beschrieben und die scholastische Methode wird erläutert. Die Vorgeschichte der „Justification" beleuchtet den machtpolitischen Konflikt zwischen den Häusern Burgund und Orléans und die Ermordung Ludwigs von Orléans durch seinen Cousin Johann von Burgund.
In Kapitel 6 wird die „Justification du duc de Bourgogne" von Jean Petit detailliert dargestellt. Petit rechtfertigt den Mord an Ludwig von Orléans als Tyrannenmord und versucht seine These in scholastischer Tradition zu beweisen. Der Obersatz der „Justification" entwickelt die allgemeine Theorie der Zulässigkeit des Tyrannenmordes, während der Untersatz die Anwendung dieser Theorie auf den Fall Ludwigs von Orléans darstellt.
Kapitel 7 stellt die Ansichten von Aristoteles, Johannes von Salisbury und Thomas von Aquin zum Tyrannenmord dar. Alle drei Autoren definieren den Tyrannen anders als Petit und sehen den Tyrannenmord unter bestimmten Bedingungen als gerechtfertigt an.
Kapitel 8 beschreibt die Reaktion auf die „Justification" und führt zur Einberufung der Pariser Synode. In Kapitel 9 wird der äußere Ablauf der Synode beschrieben und die Argumente der Gegner Petits, die als Gersonisten bezeichnet werden, dargestellt. Die Analyse dieser Argumente zeigt, dass die Gersonisten, trotz ihrer Bemühungen, die Theorie Petits zu verurteilen, in ihren Äußerungen Elemente finden, die diese Theorie indirekt unterstützen.
Die unbewusste Unterstützung der Gegner Petits wird in Kapitel 10 auf die Natur der scholastischen Methode und die „Unantastbarkeit" des französischen Königs zurückgeführt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Tyrannenmord, die Tyrannenmordtheorie, Jean Petit, die Justification du duc de Bourgogne, die Pariser Synode 1413/1414, die scholastische Methode, die „heilige Art" des französischen Königtums, das Majestätsverbrechen, die Beistandspflichten, Aristoteles, Johannes von Salisbury, Thomas von Aquin, die Gersonisten und die Rechtfertigung des Attentats.
- Quote paper
- Birgit Lüke (Author), 2003, Die Kritik an der Tyrannenmordtheorie Jean Petits auf der Pariser Synode 1413/1414, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55814
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.