Der "Wille zur Wahrheit" in Michel Foucaults "Die Ordnung des Diskurses"


Seminararbeit, 2003

20 Seiten, Note: 1,5

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Der theoretische Kontext
2.1 Das Verhältnis von Diskurs und Macht
2.2 Die Prozeduren der Macht
2.2.1 Die Prozeduren der diskursinternen Verknappung
2.2.2 Die Prozeduren der Zugangsbeschränkung
2.2.3 Die Prozeduren der Ausschließung
2.2.4 Die den Prozeduren zugrundeliegenden Prinzipien

3 Der Vorläufer: Nietzsches „Wille zur Wahrheit“

4 Foucaults „Wille zur Wahrheit“
4.1 Der „Wille zur Wahrheit“ als Prozedur der Ausschließung
4.2 Form und Potenz des Willens zur Wahrheit
4.3 Parallelen aus der Geschichtswissenschaft

5 Zwei Anwendungen von Foucaults Theorie
5.1 Ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte
5.2 Das Internet: Ein sich füllendes Machtvakuum

6 Schluss

7 Literatur

„Wahrheit ... ist ein Wort für den ‚Willen zur Macht’.“

Nietzsche, Nachlass

1 Einleitung

Als Michel Foucault die Professur der „Geschichte der Denksysteme“ am Collège de France antrat, wählte er für seine Inauguralvorlesung[1] einen Titel, der bereits Definition des Begriffs war, um den es ihm in den folgenden Stunden gehen sollte: „L’ordre du discours“ meint die Fähigkeit, einen Diskurs ordnen, kontrollieren und in seinem Verlauf beeinflussen zu können. Foucaults Ausführungen in „Die Ordnung des Diskurses“ zeigen, dass er unter genau diesem Vermögen das Phänomen der Macht versteht.

Foucaults Schrift versteht sich als methodologisches Programm zur Diskursanalyse. Viel mehr noch als das ist sie jedoch eine Analyse der Macht und ihrer Wirkungsweisen, welche Foucault als „Prozeduren“ identifiziert. Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll die nach Foucaults eigener Aussage mächtigste Ausschließungsprozedur stehen: Der Wille zur Wahrheit und die mit ihm verbundene Grenzziehung zwischen dem Wahren und dem Falschen.

Was versteht Foucault in „Die Ordnung des Diskurses“ unter dem Willen zur Wahrheit? Welche Stellung nimmt dieser in seinem System ein? Welche historischen Diskurs des Willens zur Wahrheit greift Foucault auf? Wie lässt sich seine Theorie auf die Wirklichkeit anwenden, wie weit darf man Foucaults Theorie folgen? Das sind Fragen, denen in dieser Arbeit nachgegangen werden soll.

Forschungsliteratur zum Thema ist rar. Während einiges zur Gesamtheit der Schrift publiziert wurde (zum Beispiel von Hinrich Fink-Eitel und Clemens Kammler), hat der Wille zur Wahrheit in Foucaults System bisher wenig Beachtung gefunden (Urs Marti). Dies hat zwei Konsequenzen: Erstens bezieht der Verfasser verstärkt auch historische Diskurse des Willens zur Wahrheit in seine Überlegungen ein, zweitens versteht er den niedrigen Forschungsstand als Ansporn, soweit möglich auch eigene Erkenntnisse zu liefern.

Zur Einbettung der Theorie des Willens zur Wahrheit in den Argumentationsgang der Schrift soll eingangs eine knappe Erörterung des theoretischen Gesamtzusammenhangs gegeben werden.

2 Der theoretische Kontext

2.1 Das Verhältnis von Diskurs und Macht

Gleich zu Beginn seiner Ausführungen setzt Foucault voraus,

dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.[2]

Foucault geht also von einer grundsätzlichen Verbindung von Diskurs und Macht aus. Bei dieser Verbindung handelt es sich um ein Bedingungsverhältnis, die Macht kontrolliert den Diskurs aus Angst vor dessen Gefährlichkeit: Es kann keine Aussageproduktion stattfinden, ohne dass sie einem System der Repression unterliegt. Die diskursiven Praktiken sind also nicht-diskursiven Praktiken der Macht unterworfen. War Foucault noch in der „Archäologie des Wissens“ davon ausgegangen, dass die Praktiken der Macht vom (damals noch autonomen) Diskurs bestimmt werden, so stellt er nun seine alte Annahme auf den Kopf.

Erst Nietzsches These vom „Willen zur Macht“, welcher Foucault folgt, erklärt diesen zunächst einfach nur reduktiv wirkenden „ubiquitären Machtmonismus“[3]. Nach Nietzsche sind sämtliche Fähigkeiten und Leistungen des Menschen Äußerungen eines einzigen Willens, des „Willens zur Macht“. Da dieser noch die subtilsten Handlungen des Menschen bestimmt, ist ihm auch die Diskursproduktion unterworfen.

2.2 Die Prozeduren der Macht

Foucault entwickelt in „Die Ordnung des Diskurses“ einen Katalog von Prozeduren, mittels derer die Macht auf den Diskurs einwirkt. Er untergliedert die Prozeduren in drei Gruppen: die Prozeduren der Klassifikation, Anordnung und Verteilung, die Prozeduren der Zugangsbeschränkung sowie die Prozeduren der Ausschließung. Sie sollen im Folgenden knapp vorgestellt werden.

2.2.1 Die Prozeduren der diskursinternen Verknappung

Foucault geht davon aus, dass diskursinterne Prozeduren existieren, welche die Ereignishaftigkeit und die Zufälligkeit des Diskurses bändigen. An erster Stelle nennt er hier den Kommentar. Dieser erhält den Status eines Sekundärdiskurses: Er „unterwirft den Zufall des Diskurses dem Spiel unendlicher Wiederholung ein und desselben“[4]. Indem etwa Kritiker, Wissenschaftler oder auch Studenten in Hausarbeiten einen Primärdiskurs aufgreifen und schriftlich oder mündlich verarbeiten, bemächtigen sie sich seiner und manipulieren, verwässern oder erweitern ihn. Als konkretes Beispiel nennt Foucault die „Odyssee“, welche in Übersetzungen, Texterklärungen und im „Ulysses“ von Joyce wiederholt wird.

Eine weitere dikursinterne Prozedur bildet die Funktion des Autors. Foucault versteht darunter den „Autor als Prinzip der Gruppierung von Diskursen, als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen, als Mittelpunkt ihres Zusammenhalts“[5]. Der Autor also vor allem als Kategorie, unter die eine Reihe von Diskursen subsumiert werden kann. Foucault gibt zu bedenken, dass die Funktion des Autors tiefgreifenden Veränderungen ausgesetzt ist: Noch im Mittelalter sei der Name eines wissenschaftlichen Autors Garant für die Richtigkeit einer Aussage gewesen, während in der Neuzeit als wahr anerkannte Lehrsätze zirkulierten, ohne dass jemand nach deren Autor fragte. Im Bereich der Literatur verhalte es sich umgekehrt: Seien im Mittelalter anonyme Veröffentlichungen und anonyme Zirkulation nicht ungewöhnlich gewesen, so stehe heute die Frage nach dem Verfasser meist an vorderster Stelle. Nichtsdestotrotz zieht Foucault die Kategorie des Autors radikal in Zweifel: Für ihn bestimmt die Epoche die Funktion des Autors, innerhalb deren sich er sich bewegt. Der Diskurs des Schriftstellers ist nicht autonom.[6]

Eine dritte Prozedur dieser Gruppe betrifft die Disziplin. Sie umfasst „einen Bereich von Gegenständen, ein Bündel von Methoden, ein Korpus von als wahr angesehenen Sätzen, ein Spiel von Regeln und Definitionen, von Techniken und Instrumenten“[7]. Im Unterschied zum Kommentar bezeichnet die Disziplin keinen bestimmten Inhalt, sondern lediglich die spezifische Form von Aussagen. In dieser Eigenschaft eignet ihr die Möglichkeit, unendlich viele neue Sätze zu formulieren. Für jede Disziplin sind manche Sätze wahr, andere falsch. Als Beispiel führt Foucault den Biologen Mendel an, der lange Zeit von den Gelehrten der Biologie (dies der Name der Disziplin) ignoriert wurde, weil sich seine Forschung nicht an der traditionellen und in der Disziplin definierten Methodik orientierte.

[...]


[1] 2.12.1970

[2] Foucault: Die Ordnung des Diskurses (1991), S. 10f.

[3] Marti: Michel Foucault (1988), S. 106.

[4] Fink-Eitel: Michel Foucault zur Einführung (1997), S. 65.

[5] Foucault: Die Ordnung des Diskurses (1991), S. 20.

[6] Foucault hat sich etwa in dem Aufsatz „Was ist ein Autor?“ eingehender mit der Kategorie des Autors beschäftigt. Dort geht er so weit, ihn – in Anlehnung an Nietzsche – für „tot“ zu erklären.

[7] Foucault: Die Ordnung des Diskurses (1991), S. 22.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der "Wille zur Wahrheit" in Michel Foucaults "Die Ordnung des Diskurses"
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar: Michel Foucault
Note
1,5
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V56079
ISBN (eBook)
9783638508698
ISBN (Buch)
9783656808008
Dateigröße
566 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Arbeit über Foucaults Antrittsvorlesung am Collège des France, in der er die Grundkonzepte der Diskurstheorie prägnant zusammenfasst.
Schlagworte
Wille, Wahrheit, Michel, Foucaults, Ordnung, Diskurses, Proseminar, Michel, Foucault
Arbeit zitieren
Anonym, 2003, Der "Wille zur Wahrheit" in Michel Foucaults "Die Ordnung des Diskurses", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56079

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