In unserer alltäglichen Kommunikation verwenden wir häufig Begriffe, deren Bedeutung uns intuitiv zwar bekannt ist, die tatsächlich zu definieren uns allerdings äußert schwer fällt. Zu dieser Kategorie gehört auch der das Wort Ärger. Uns allen ist seit unserer frühesten Kindheit das Bild des Rumpelstilzchens geläufig, dass wütend stampft, zetert und sich schließlich entzweireißt.
In dieser geradezu prototypischen und sehr überspitzt dargestellter Form ist die Ärgeremotion jedoch kaum anzutreffen, deshalb scheint es zunächst nötig sie genauer zu klassifizieren und gegen ähnliche Gefühlsklassen abzugrenzen. Um die Definition des Ärgers abzurunden, bietet es sich des Weiteren an, ihre Ausdrucksformen zu erfassen und die Einbettung in unser Alltagsleben mit einzubeziehen. Dies soll zum einen durch eine nähere Beleuchtung des bedeutenden Werkes „The expression of the emotions in man and animals“ von Charles Darwin geschehen, das 1872 erschienen ist. Die darin, vielfach heute noch gültige Beobachtungen, zum Ausdruck von Hass (hatred) und Zorn (anger) sind als Schablonen verwendbar und erleichtern den Zugang zu diesem Bereich erheblich. Zum anderen erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem sogenannten „AHA-Syndrom“.
Bisher wurde nur die Emotion als solche angesprochen, da der Mensch aber ein soziales Wesen ist, sind sein Verhalten und somit auch seine Gefühle auch im Kontext der ihn umgebenden Gesellschaft beziehungsweise Kultur zu betrachten.
Zusammengefasst unter dem Begriff Sozialisation soll deshalb die Frage nach der Art und Weise wie der Umgang mit Ärger vermittelt wird geklärt werden, aber auch durch welche Träger, wie hoch ihr jeweiliger Einfluss ist und in welchen Phasen dies geschieht. Dabei liegt das Augenmerk sowohl auf allgemeinen Aspekten, wie auch auf kulturellen und geschlechtsspezifischen Unterschieden. In letzter Konsequenz gilt es dann zu analysieren, worin die Bedeutung einer sozialisierten Ärger-Emotion nun liegt und welche Gefahren eine fehlerhafte Vermittlung, unter anderem für die psychische Gesundheit, birgt.
Eingebettet in die vorliegende Darstellung sollen zudem zwei sehr unterschiedliche Forschungsarbeiten etwas genauer in den Blick gerückt werden: Die Untersuchung des Linguisten Kövecses sowie die Längsschnittstudie der beiden Forscherinnen Miller und Sperry.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Die Definition, Abgrenzung und Einbindung der Ärger-Emotion
1.1. Die Definition und Spezifikation des Ärgers
1.2. Die Abgrenzungsschwierigkeiten und der Ärgerausdruck nach Darwin
1.3. Die Einbindung der Ärger-Emotion: das AHA-Syndrom
1.4. Exkurs: Die Bedeutung der Sprache: Metaphern und Metonymien
2. Die Sozialisation der Ärger-Emotion
2.1. Die Sozialisation und ihre Träger
2.2. Exkurs: Die Studie von Miller und Sperry
2.3. Die Frage nach der Reichweite der Sozialisation
2.4. Die Richtung der Sozialisation und ihre verschiedenen Phasen
2.5. Die geschlechtsspezifische Sozialisation der Ärger-Emotion
3. Die Bedeutung der Sozialisation des Ärgers
(für die psychische Gesundheit)
3.1. Die entscheidenden Funktionen des sozialisierten Ärgers
3.2. Der Ärger als Zustand oder als Eigenschaft
3.3. Die Verstärkungs- gegen die Abfuhr-Hypothese
Nachwort
Anhang
Die Studie von Miller und Sperry..
Einige Statistiken zur Wahrnehmung der Aggression an Schulen
Die Verhaltensänderungsmaßnahmen (Birbaumers Hemmung)
Die beiden Stereotype des Ärgers: Das Opferlamm und der Choleriker
Literaturverzeichnis
Vorwort
„Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt
schrie das Männlein und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn
so tief in die Erde, daß es bis an den Leib hineinfuhr,
dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen
und riß sich selbst mitten entzwei.“[1]
Das Rumpelstilzchen, eine Märchenfigur und gleichzeitig die wohl bekannteste Repräsentation des prototypischen Ärgers und seines Ausdrucks. Ein Sinnbild, das auch nach Jahrzehnten nichts an seiner Eindringlichkeit verloren hat.
Allerdings tritt uns diese Emotion selten in seiner reinsten Form entgegen. Deshalb ist es zunächst sinnvoll sie zu spezifizieren und gegen ähnliche Gefühlsklassen abzugrenzen, ihre Ausdrucksformen zu erfassen und die Einbettung in unser Alltagsleben mit einzubeziehen.
Als Konsequenz daraus ergibt sich die Verortung des Ärgers innerhalb der Kultur bzw. Gesellschaft. Zusammengefaßt unter dem Begriff Sozialisation soll geklärt werden, auf welche Weise, durch welche Träger und in welchen Phasen, Personen der Umgang mit ihm vermittelt wird. Dabei liegt das Augenmerk sowohl auf allgemeinen Aspekten, wie auch auf kulturellen und geschlechtsspezifischen Unterschieden. Zudem stellt sich die Frage, in welche Richtung diese Prozesse arbeiten und wie weit sich der Einfluß der Sozialisation überhaupt erstreckt.
Abschließend gilt es noch zu ermitteln, worin die Bedeutung einer sozialisierten Ärger-Emotion liegt und damit verbunden worin die Gefahren einer fehlerhaften Vermittlung u.a. für die psychische Gesundheit bestehen.
Insgesamt soll damit die Antwort darauf gegeben werden, warum das Rumpelstilzchen nur als Sinnbild fungiert und – im Regelfall – nicht unseren tatsächlichen Umgang mit Wut wiederspiegelt.
1. Die Definition, Abgrenzung und Einbindung der Ärger-Emotion
1.1. Die Definition und Spezifikation des Ärgers
Wie läßt sich der Ärger mit seinen Unterarten definieren und abgrenzen ?
Wut, Zorn, Frustriertsein, Empörung, Unmut und noch einige weitere Begriffe, die in diesem Zusammenhang auftreten, sind alle Varianten derselben Emotion. Neid, Eifersucht oder Enttäuschung, die sehr ähnlich anmuten sind es dagegen nicht. Der Unterschied liegt darin, daß erstere zwar verschieden Stärken oder situationsbedingte Abstufungen aufweisen, trotzdem aber alle ein und dieselbe Typspezifikation teilen:[2]
Sie entsprechen sich zum einen in der Bewertungsreaktion, die sich in der Unzu- friedenheit mit einem unerwünschten Ereignis ausdrückt. Zum anderen findet sich eine Übereinstimmung in dem intentionalen Objekt der Bewertung, nämlich die Zuschreibung der Unzufriedenheit auf das tadelnswerte Tun oder Lassen eines anderen. In Folge dessen läßt sich jede Gefühlsschattierung, die eine Verbindung zwischen einer Leid- und einer Vorwurf-Emotion darstellt, dem Ärger eindeutig zuordnen.
Basierend auf empirischen Befunden, denen eine Fragebogen-Untersuchung zugrunde liegt, lassen sich außerdem bestimmte Merkmale finden, die als typisch – typisch, da trotz der interkulturellen Ausrichtung der Studie kaum Abweichungen bestehen – angesehen werden können:[3]
Ärger stellt sich als eine sehr soziale Emotion dar, die am häufigsten durch andere Personen ausgelöst wird und aufgrund dieser interpersonellen Komponente hat er häufig negative Auswirkungen auf persönliche Beziehungen. Die entsprechenden Situationen treten meist unerwartet auf, werden als extrem unangenehm erlebt und sind vor allem dadurch charakterisiert, daß sie Pläne und Ziele behindern oder blockieren und als äußerst unfair und ungerecht erlebt werden. Demgegenüber steht die Tatsache, daß er zu den eher „kurzlebigen“ Emotionen gehört und zum Beispiel im Vergleich zur Trauer weniger intensiv erlebt wird. Ferner glaubt man gerade hier Bewältigungsmöglichkeiten zu haben und die Situation noch wenden zu können, d.h. das subjektiv erlebte Bewältigungspotential ist hoch.
Ärger charakterisiert sich also durch die beiden Elemente Leid und Vorwurf. Mit anderen Worten, er besteht aus der Verschmelzung einer negativen Erfahrung mit der negativen Beurteilung einer Person bzw. deren (Nicht-)Handeln.
Dennoch unterliegt er gelegentlich Verwechslungen mit scheinbar subjektiv als äquivalent eingestuften Gefühlen. Wieso dem so ist soll nun geklärt werden.
1.2. Die Abgrenzungsschwierigkeiten und der Ärgerausdruck nach Darwin
Wie bereits erwähnt tritt Ärger selten in seiner reinsten Form auf. Deshalb ist es im alltäglichen Erleben oft schwierig ihn von gewissen anderen Emotionen zu unterscheiden, zumal sie durchaus ineinander übergehen können. So z.B. Neid, d.h. die Unzufriedenheit mit einem Ereignis, das vermutlich unerwünscht für eine andere Person ist, oder Eifersucht, d.h. die Unzufriedenheit mit einem erwarteten unerwünschten Ereignis des Verlustes der Liebe einer Person an einen Dritten. Beide sind unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich die Schuldzuschreibung des momentanen Befindens auf das jeweilige Handeln eines anderen, mit der Wut verbunden.
Erweitert man dieses Konzept, so entsteht die Familie der Ärger-Emotion: Neid und Eifersucht als ihre „Geschwister“, da sie in ihnen enthalten sein kann, Leid und Enttäuschung als ihre „Eltern“, die häufig als Anlaß fungieren, schließlich Abneigung und Geringschätzung als ihre „Kinder“, die in einigen Fällen aus ihr entspringen.[4]
Doch selbst, wenn die Übergänge stellenweise fließend sind, handelt es sich um verschiedene Begriffe mit verschiedenen Definitionen. Wieso aber ist es so schwer deutliche Angrenzungen zu schaffen ?
Charles Darwin hat in seinem 1872 erschienen Werk „The expression of the emotions in man and animals“ vielfach heute noch gültige Beobachtungen zum Ausdruck von Haß (hatred) und Zorn (anger) gemacht, die praktisch als Schablonen anzuwenden sind. Die anschließende Zitatfolge stammt aus der ebenfalls 1872 erschienen deutschen Übersetzung, die von J.V. Carus erstellt wurde:
Carus (1872):
Mimik: „Stirnrunzeln mit etwas herabgezogenen Mundwinkeln, eine gewisse Neigung zum Vorstrecken der Lippen, der Mund wird gewöhnlich mit Festigkeit geschlossen, die Zähne werden fest aufeinander geschlossen oder sie knirschen, (aber auch) Lippen zurückgezogen, wodurch die grinsenden und aufeinandergebissenen Zähne gezeigt werden, Stirnrunzeln an den Augenbrauen, Nasenflügel etwas erhoben.“
Stimme: „Schreien, die Stimme erstickt in der Kehle, oder sie wird laut, harsch und unharmonisch.“
Körperbewegungen, Haltung und Gestik:: „Häufig zittert der ganze Körper, Erbeben der Arme mit geballten Fäusten, als wolle man den Beleidiger schlagen, unbelebte Objekte geschlagen oder auf den Bden geschleudert, die Gebärden werden aber häufig vollständig zwecklos oder wahnsinnig, schreitet auf und ab, schüttelt seine geballte Faust, Kopf aufrecht, Brust ordentlich gehoben, Füsse fest auf den Boden gestellt, einen oder beide Ellbogen eingestemmt oder mit den Armen starr an den Seiten herabhängend, die Fäuste gewöhnlich geballt.“
Atmung: „Die Respiration ist beschwerlich, die Brust hebt sich schwer, scharfe Atemzüge.“
Kardiovaskuläres System: „Thätigkeit des Herzens bedeutend beschleunigt, immer ist das Herz und die Circulation afficirt.“ „Das Gesicht ist geröthet oder es wird purpurn in Folge des verhinderten Rückflusses des Blutes oder kann auch todtenbleich werden.“
Muskelspannung: „Zittern der Muskeln, unwillkürliches Emporsträuben des Haares, häufig zittert der ganze Körper, das gereizte Gehirn gibt den Muskeln Kraft.“[5]
Selbst wenn nicht alle Merkmale zusammen als prototypisches Ereignis auftreten, sollte es möglich sein anhand einiger Komponenten eine eindeutige Zuordnung zu treffen. Bei den eigenen Gefühlen mag dies noch verhältnismäßig einfach sein. Bei der Verarbeitung der Emotionen anderer dagegen, sind die Menschen im allgemeinen nur auf ihre Sinne und Kognitionen angewiesen.
Selbst Forscher, die zusätzlich auf entsprechende Geräte z.B. zur Blutdruckmessung zurückgreifen können, sehen sich dem selben Problem gegenüber, denn es ist letztendlich nicht entscheidend, welcher Emotion wir tatsächlich gegenüberstehen, sondern was wir wahrnehmen und wie diese Informationen verarbeitet werden.
In der Fülle der mimischen und sprachlichen Farbpalette sind, besonders wenn diese nur in schwacher Form auftreten, die Übergänge zwischen den einzelnen Gefühle oft nicht mehr nur fließend, sondern verwischt.
Erleichtert wird die Abgrenzung jedoch durch die Einbettung des Ärgers in das Alltagsleben – wenn seine Begleiterscheinungen zutage treten.
1.3. Die Einbindung der Ärger-Emotion : Das AHA-Syndrom
Ein weiteres Phänomen, das für das Alltagsverständnis des Ärgers wie auch für psychologische Studien nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist das sogenannte AHA-Syndrom. Darunter versteht man die kaum trennbare Verbindung der drei miteinander verknüpften Konzepte Anger, Hostility und Aggression.
Nach diesem Konstrukt bildet der Ärger, als spezifische Emotion und emotionale Komponente, ein emotionales Motiv, das die Aggression, als Handlung mit dem Zweck Schaden anzurichten und verhaltensmäßige Komponente, auslöst und begünstigt; und diese widerum beinhaltet zu einem großen Teil Feindseeligkeit, als Gruppe von Einstellungen bzw. kognitiv-affektiven Orientierungen geprägt von negativer Voreingenommenheit und als kognitive Komponente.[6]
Dies ist insofern von Interesse, da es kaum möglich ist Ärger gesondert wahrzunehmen und zu erforschen. Aus diesem Grund basieren die meisten Erkenntnisse auf Untersuchungen zu Themen der Aggression oder Gewalt – sind aber unter Verweis auf das AHA-Syndrom dennoch nicht weniger aussagekräftig, das sie direkte Rückschlüsse zulassen. Äquivalente Überlegungen spiegeln sich auch in der Definition Arnolds wieder, in der es heißt „Wut ist die verspürte Tendenz zu vergelten.“[7]
Dabei wird dieses Rachegefühl in erster Linie auf konkrete Personen projiziert. Es kann sich, speziell bei Kindern, aber auch gegen Objekte, Tiere und ähnliches richten, hat aber selbst in diesem Fall das Ziel bei dem Gegenüber einen Schaden zu verursachen, um das selbst erfahrene, verschuldete Leid wieder gutzumachen – wie ein Auszug aus „Bubi im 4.-6.Lebensjahre“ (1910) besonders schön verdeutlicht:
Scupin 4;I: „Bubi ist sehr aufgebracht über einen unatjen Floh, der ihn im Bette belästigt. Der Rücken des Knaben muß gerieben werden, aber das Jucken will nicht aufhören. Das zieht Bubi plötzlich die Steppdecke über den Kopf, wälzt noch ein Kopfkissen darüber, und auf die Frage, warum er das alles tue, ruft er rachsüchtig aus einem Spalt der Steppdecke heraus: Der Floh soll kein Atem kriegen.“ (II, 93)[8]
1.4. Exkurs: Die Bedeutung der Sprache: Metaphern und Metonymien
Ärger teilt sich uns also überwiegend durch seine Ausdrucksformen mit. Eine Form, die besonders erwähnt werden sollte , ist die Sprache. Kommunikation steht allgemein für alle Vorgänge, in denen eine bestimmte Information gesendet und empfangen wird. In diesem Zusammenhang geht vom Sender also die Information aus, daß er wütend ist und, bei entsprechender Interpretation, teilt sich dem Empfänger diese „Nachricht“ mit, auf die er dann reagieren kann.
Der ungarische Linguist Kövecses geht noch einen Schritt weiter. „Er behauptet, daß z.B. die Gefühlsmetaphern unserer Sprache die Gefühle präformieren – wir verstehen Konzepte wie Ärger, Liebe, Stolz u.s.w. so, wie unsere sprachlichen Metaphern dies vorgeben.“[9] Der Metapher[10] im besonderen, aber auch den Metonymien[11], als Ausdruckstypen der konventionalisierten Sprache räumt er eine wichtige Rolle für das Verständnis von Emotionen ein, da sie die Verbalisierung der Gefühle beherrschen, dies uns kaum bewußt ist und sie subtile Folgen haben, die unser Denken und Handeln in bestimmter Weise beeinflussen können.[12]
Nach Kövecses´ Auffassung beginnt der Ärger als solches erst zu existieren, sobald er mit Sprache ausgedrückt werden kann. Diese Theorie stößt allerdings immer wieder auf harsche Kritik. So zweifelt Ortony vor allem an der sich daraus ergebenden Konsequenz, daß in einer Ontogenetischen Perspektive ein Kind erst dann ein bestimmtes Emotionskonzept erwerben könnte, wenn es die konzeptuellen Metaphern bereits besitzt, sondern postuliert eher genau das Gegenteil anzunehmen.[13]
Man mag sich Ortonys Meinung anschließen nach einem Blick auf folgenden Ausschnitt aus „Bubis erste Kindheit“ (1907):
Scupin 0; 5 ½ . „Bubi saß im Wagen, wir lasen, er war also darauf angewiesen, sich mit sich selbst und seinem Spielzeug zu beschäftigen, doch paßte ihm dies offenbar nicht, das Spielzeug wurde beiseite geworfen, und der Knabe sah uns erwartungsvoll an. Da wir uns nicht rührten, begann er zu räsonieren: Tä, agga, atta – awa, mamm ham. Kein Erfolg !Nun stieß er ungeduldige Ächztöne aus, streckte des Körper hartnäckig gerade, warf sich mit plötzlichem Ruck nach vorn und sofort wieder, sich steif machend, zurück; er machte mit diesen Bewegungen den Eindruck unglaublichen Eigensinns. Als wir auch darauf noch nicht reagierten, ertönte plötzlich ein langgezogener Quietschton auf „i“, unser Sohn aber saß mit dunkelrotem Köpfchen und geballten Fäustchen da, die zusammengekniffenen Augen mit wütendem Ausdruck auf uns gerichtet, und strengte sich dann mächtig an, um sein nicht endenwollendes heiseres i hervorzuquietschen. Als das Kind nun endlich auf den Arm genommen wurde, nahm das Gesichtchen mit Blitzesschnelle einen heiter zufriedenen, ja lieblichen Ausdruck an. – Das Mienenspiel ist auch sonst ungemein mannigfaltig und drückt unverkennbar und deutlich die das Kind gerade beherrschenden Affekte aus, Zorn, Eigensinn,(...) “[14]
Obwohl der Junge mit noch nicht einmal einem Jahr keine Metaphern über Ärger besitzt und auch seine Ausdrucksformen eher instinktiv sind, läßt sich kaum abstreiten, daß er dennoch Ärger empfindet. Dies würde Kövecses Theorie wiederlegen.
Dennoch ist die Bedeutung der Sprache nicht zu leugnen, speziell im nun folgenden Bereich der kulturellen Vermittlung, der Sozialisation.
2. Die Sozialisation der Ärger-Emotion
2.1. Die Sozialisation und ihre Träger
„Sozialisation: der Prozeß der stetigen Anpassung eines Individuums (v.a. Kinder und Jugendliche) an die Normen und typischen Verhaltensweisen einer bestimmten Gesellschaft oder Gesellschaftsschicht () Ziel der Sozialisation in diesem Sinne ist der Ersatz äußerer Anwesungen durch innere Kontrollen.“[15]
Auf den Ärger angewandt heißt dies, daß die Emotion und ihr Ausdruck so geformt werden sollen, wie die entsprechende Umwelt es für angemessen erachtet ohne daß nach diesem Prozeß eine Kontrollinstanz nötig wäre. Ob diese Ansprüche sich wirklich auf beides beziehen, die Empfindung selbst und das sichtbare Verhalten, oder nur auf letzteres, soll an späterer Stelle geklärt werden.
„Als Sozialisationsinstanzen werden alle gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen wie Familie, Schule, berufliche Ausbildungsstätten, Kirche bezeichnet, die Sozialisationsprozesse in Gang setzen und beeinflussen und damit bestimmte Normen, Wertvorstellungen und Verhaltensweisen vermitteln.“[16] Jede dieser Instanzen hat ihren Anteil an der lebenslangen Eingliederung des Menschen in seine Kultur. Allerdings in verschiedenen Intensitäten und Phase, wie sich später noch zeigen wird.
Die Sozialisation selbst kann nun in den unterschiedlichsten Formen in Erscheinung treten. Das kulturell anerkannte Bild von Wut wird beispielsweise durch Anleitung und Aufforderung, Information und Belehrung, Beobachtung und Nachahmung von Vorbildern, Strafen und Belohnungen weitergetragen.[17]
[...]
[1] Brüder Grimm. Die schönsten Kinder- und Hausmärchen. Rastatt 19888. S.190
[2] Vgl. Mees, U.: Psychologie des Ärgers. Göttingen 1992. S.30-33
[3] Vgl. Hodapp, V. und Schwenkmezger, P. (Hrsg.): Ärger und Ärgerausdruck. Göttingen 1993. S.120-123
[4] Vgl. Mees, U.: Psychologie des Ärgers. S.62 f.
[5] Hodapp, V. und Schwenkmezger, P.: Ärger und Ärgerausdruck. S.115
[6] Vgl. Hodapp, V. und Schwenkmezger, P.: Ärger und Ärgerausdruck. S.11 f.
[7] Miller, P. und Sperry, L. (Hrsg.): The socialization of anger and aggression. In: Merill-Palmer Quaterly, 33, (S.1-31), deutsche Übersetzung v. E.Asam, 2003. S.5
[8] Stern, W.: Psychologie der frühen Kindheit. Heidelberg 1952. S.469
[9] Mees, U.: Psychologie des Ärgers. S.75
[10] Metapher nach K.: Ein sprachliches Bild, bei dem ein(e) Wort(gruppe) aus seinem Bedeutungszusammen-hang in einen anderen übertragen bzw. als Bild verwendet wird
[11] Metonymien nach K.: Namensvertauschung; zentral für den Ärger ® Physiologische Effekte einer Emotion stehen für die Emotion selbst
[12] Vgl. Mees, U.: Psychologie des Ärgers. S.78
[13] Vgl. Mees, U.: Psychologie des Ärgers. S.79
[14] Stern, W.: Psychologie der frühen Kindheit. S.97 f.
[15] Mayers Lexikon der Psychologie. Mannheim 19962
[16] Ebd.
[17] Vgl. Oerter, R. und Montada, L.(Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Weinheim 19984. S.57
- Quote paper
- Magistra Artium Daniela Herbst (Author), 2002, Die Sozialisation des Ärgers und ihre Bedeutung (für die psychische Gesundheit), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56543
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