Von Zünften und Gilden zum Dualen System - Die Anfänge der gewerblichen Berufsausbildung -


Hausarbeit, 2002

26 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gilden, Zünfte und Innungen
2.1. Forderungen einer ordentlichen Lehrzeit
2.2. Die Aufnahme eines Lehrlings
2.3. Das Alter der Lehrlinge
2.4. Die Dauer der Lehrzeit
2.5. Die Probezeiten der Lehrlinge
2.6. Der Hauptzweck der Bürgschaft über einen Lehrling
2.7. Maßnahmen gegen das Entlaufen eines Lehrjungen
2.8. Das Zahlen von Lehrgeld
2.9. Das Lossprechen vor der Lade

3. Die staatliche Gewerbeförderung
3.1. Die ersten Ansätze zur Verbesserung der Lehrausbildung
3.2. Die Berufsausbildung nach Karl Büchers Konzept 1876
3.3. Innovation durch preußische Staats-Eisenbahnbetriebe 1878
3.4. Gewerbeverordnungsnovelle 1897 – „Duales Prinzip der Berufsausbildung“
3.5. Gründung des DATSch 1908
3.6. Arbeitsstelle für gewerbliche Berufserziehung 1947
3.7. Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung 1969

4. Die Spaltung von Industrie- und Handwerkerausbildung
4.1. Das Handwerk unter dem Druck der „Großen Industrie“ im 19. Jh
4.2. Veränderungen in der Handwerkerausbildung
4.3. Die industrietypische Berufsausbildung

5. Die Berufsschulen und die Reform der Ausbildung
5.1. Die Auslagerung der Ausbildung aus der Produktion
5.2. Die ersten Anfänge der Berufsschule in der Lern- und Buchschule
5.3. Die Arbeitsschule
5.4. Die Fortbildungsschule
5.5. Die Frankfurter Methodik

6. Abschließende Bemerkungen

7. Selbständigkeitserklärung

Von Zünften und Gilden zum „Dualen System“ – Die Anfänge der gewerblichen Berufsausbildung

1. Einleitung

Das deutsche Modell der Berufsausbildung genießt weltweit hohes Ansehen.

Die Berufsausbildung im Betrieb und in der Berufsschule (duales System) ist die mit Abstand wichtigste Form der beruflichen Erstausbildung in Deutschland. Der Lernende ist im dualen System zugleich Auszubildender und Berufsschüler. Die Lehre am Arbeitsplatz regelt ein Berufsausbildungsvertrag; der Besuch der Berufsschule ist Teil der Schulpflicht.

In der hier angefertigten Hausarbeit wird dargestellt, dass das duale System der Berufsausbildung in Deutschland nicht das Ergebnis bewusster Planung und Entwicklung ist. Die Berufsausbildung entstammt vielmehr einem komplexen historischen Prozess.

2. Gilden, Zünfte und Innungen

Als Vorläufer der betrieblichen Ausbildung im Berufsbildungssystem kann man das Ausbildungswesen der Zünfte und Gilden, die Meisterlehre, betrachten. Zünfte und Gilden sind alte Amtsbezeichnungen. Sie haben zumeist die gleiche Bedeutung und den gleichen Sinn. Die Benennung ist nur von Gegend zu Gegend unterschiedlich. Es wurde vorzugsweise das eine oder andere Wort gebraucht. In der damaligen Zeit war die Benennung der Handwerksvereinigungen nicht einheitlich. Im Allgemeinen wurden diese Zusammenschlüsse damals als Zunft bezeichnet.

Bereits im 12. Jh. gab es in Deutschland die ersten Versuche, die Ausbildung in den Handwerksbetrieben durch sog. Zunftordnungen zu systematisieren. Die Ausbildung war vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die handwerklichen Fähigkeiten vom Meister und Gesellen auf den Lehrling durch Vormachen und Nachmachen übertragen wurden.[1] Es ist von Nitzsch und Siemens die Behauptung

aufgestellt worden, die alten Gilden seien die Vorbilder der Zünfte gewesen und durch einen Auflösungsprozess aus diesen entstanden.[2]

Da es für diese Annahmen jedoch keine urkundlichen Nachweise gibt, hätten die Gilden auch aus der Gesamtheit der Gewerbetreibenden eine einzelne Branche selbständig zur Innung machen können. Aber auch diese Auffassung wird anhand von Beweisen abgelehnt.[3]

Es gibt viele andere Bezeichnungen, wie Amt, Gaffel, Mittel oder Zeche, die jeweils regionsgebundene Handwerkerverbindungen bezeichnen. Erst in unserer Zeit hat das Wort „Innung“ sich als allgemeine Bezeichnung für die Handwerkerverbindungen auch in der Gewerbssprache durchgesetzt.

2.1. Forderungen einer ordentlichen Lehrzeit

In den ersten Zeiten des Handwerks war von einer ordentlichen Lehrzeit nicht die Rede. Jeder, der sich einer handwerklichen Tätigkeit fähig fühlte, konnte diese ausüben, um sich damit den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Ansprüche waren nicht hoch, und so, waren viele im Handwerk tätig, die der Zufall dahin verschlagen hatte. Die damals aufblühenden Zünfte wehrten sich gegen jeden, der aufgenommen werden wollte. So stößt man von der Wende des 14. Jh. an auf Vorschriften, die eine ordnungsgemäße Lehre im Handwerk zum Ziel haben oder erkennen lassen.

Die früheste Urkunde für den Nachweis eines geordneten Lehrwesens ist wohl die Ordnung der Kölner Tuchscherer von 1270. In München lassen schon Vorschriften aus dem 13. Jh. ein geordnetes Lehrwesen erkennen, damals bestimmten die Hutmacher, dass kein „huter mer chnechte sol haben danne einen lerchnecht“.[4] Bei den Webern war schon damals die Anzahl der Lehrlinge begrenzt; kein Meister durfte mehr als „einen lernchnecht und eine lerndirn“ haben.[5] Die Anzahl der Lehrlinge sollte gering sein und das Wissen um die Fertigkeiten sollte in der Zunft bleiben.

Lehrverträge sind in alter Zeit offenbar nur selten abgeschlossen worden und die wenigen, die überliefert sind, betreffen nur Berufe, die noch kein geschlossenes Handwerk bildeten, wie z. B. das Maurergewerbe.

Den späteren Zünften scheint allgemein der Eintrag im Zunftbuch genügt zu haben, um festzuhalten, dass die Lehre angetreten wurde. In späterer Zeit kamen

Vorschriften, wie die der Barbiere Lübecks von 1480 häufig vor, die bestimmten, dass ein Knecht „der jar in der lere syn“ sollte.[6] Die Leuchtenmacher Hamburgs schreiben 1541 vor, „he enhebbe ersten hier effte een anderwegen veer vulle jahr by enem redeliken meister gelernet“.[7] Es war also schon absehbar, dass die Lehrherren die Ausbildung in geordneten Bahnen haben wollten.

2.2. Die Aufnahme eines Lehrlings

Freilich nahm man es in der ersten Zeit nicht immer so genau damit. Es kam nicht so sehr darauf an, wie ein geschickter Mann sein Können erworben hatte, die Hauptsache war, dass er etwas konnte. Bei seinem Aufdingen vor der Lade musste der Lehrjunge geloben, sich ehrlich und treu zu verhalten, wie es einem ehrlichen Jungen gebühre. Dann wurde sein Name in das Amtsbuch eingetragen. Im Lehrjungenbuch der Buchbinder Kiels ist in den Jahren 1685 bis 1708 stets neben dem Namen des Jungen eingetragen: „Gott gebe ihm Glück und Segen dazu!“[8]

Auch ein schon Verheirateter verschmähte es nicht, als Lehrling bei einem geschickten Mann einzutreten. Aus dem Innungsrecht von 1356 der spät aufgeblühten Stadt Reichenberg, die damals zur Lausitz gehörte, ist von solchen Lehrjungen zu erfahren.[9] Was für Reichenberg noch 1356 galt, wird in früherer Zeit als Recht in Geltung gewesen sein.

Wenn in späterer Zeit von älteren Lehrjungen zu lesen ist, so sind das immer Ausnahmen, die der Zustimmung des ganzen Handwerks bedurften. So wurde 1617 mit Bewilligung des Handwerks der 28-jährige, verheiratete Gärtner Gottlieb Wald aus Gersdorf vor der Freiberger Hauptlade der Glaser vom Meister Damm in Frankenberg als Lehrling auf drei Jahre angenommen; er hatte 14 fl. Lehrgeld zu zahlen.[10]

Zum Schutz der Handwerkskammern vor Pfuschern sollte verhindert werden, dass „ihnen durch andere ohnerfahrene Stumpler, gleichnamb das brodt vor dem mundt nicht abgeschnitten werde…“.[11] Um keinen Zweifel an der ordnungsgemäßen Lehre aufkommen zu lassen, bestimmten viele Zunftordnungen, dass die Aufnahme der Lehrlinge erfolgen sollte. Bei den Kupferschmieden Dresdens konnte die Aufnahme vor Meister und Gesellen erfolgen; wahrscheinlich war die Anwesenheit eines Gesellen Voraussetzung für die Gültigkeit der Aufnahme. Die Ordnung von 1638 spricht von dem „Meister und Geselle, so dabei sitzen“.[12] In dem kleinen Handwerk der Seiler sollte 1518 die Aufnahme eines Lehrjungen vor Meistern und Gesellen vollzogen werden.[13]

Die jeweiligen Landesordnungen geben an, wie groß die Zahl der Meister sein muss, wenn eine durch sie vollzogene Aufnahme als gültig anerkannt werden sollte. 1580 wurde festgelegt, dass einem Lehrjungen die Lehre nicht anerkannt werden sollte, wenn er in einer Stadt ohne entsprechende Zunft aufgenommen wurde. Die anwesenden Meister und Gesellen waren zu bestrafen.[14]

2.3. Das Alter der Lehrlinge

Im Allgemeinen findet man schon vom Ende des 13. Jh. an Vorschriften, die als Lehrlinge junge Leute voraussetzen; sie lassen erkennen, dass die Lehrjungen schon damals der Zucht des Meisters unterstanden. So bestimmt das Augsburger Stadtrecht von 1276, dass jeder Handwerker seine Lehrlinge mit Ruten oder anders körperlich bestrafen mag.[15] In der Schmiederolle Stettins wird gesagt, dass „de lehrjungen alleine under deme gehorsam und dwange der meistere sin und mit den unechten nicht to donde hebben“ sollen.[16]

Die Vorschriften lassen erkennen, dass sich die Lehrlinge im Allgemeinen im jugendlichen Alter befunden haben, obwohl ein bestimmtes Alter im Mittelalter nicht vorgeschrieben war.

Nur selten ist in Zunftsatzungen oder den Stadtrechten ein Mindest- oder Höchstalter festgelegt. Wo das geschehen ist, stammen die Vorschriften frühestens vom Ende des 14. Jh.

Die Altersgrenze der Lehrlinge schwankt zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr. Bei den Kölner Schwerdtfegern waren es 1397 nur 12 Jahre; die Schneiderordnung der Grafschaft Hohenzollern von 1593 sah das 13. bis 14. Lebensjahr vor; die Kölner Goldschmiede bestimmten 1397 ein Höchstalter von 15 Jahren. Die Kammmacher Lübecks setzten 1531 das Höchstalter auf 18 Jahre fest. Die Schuster Freiberg i. Sa. Setzten 1521 ein Mindestalter für Lehrlinge fest, lassen jedoch für Meistersöhne Ausnahmen zu.[17]

2.4. Die Dauer der Lehrzeit

Die Dauer der Lehrzeit schwankte, von dem Ausnahmefall des Reichenberger Stadtrechts abgesehen, zwischen einem und acht Jahren; die Regel waren drei bis vier Jahre.[18]

2.5. Die Probezeiten der Lehrlinge

Der Lehrzeit ging regelmäßig eine Probezeit von vierzehn Tagen bis zu vier Wochen voraus. Diese wurde nicht unbedingt der Lehrzeit zugerechnet. Der Grundgedanke der Probezeit war die Feststellung, ob der Junge „zum Handwerk lust hette und tüchtig darzu erkanndt würde“, …[19].

Bei den Lohgerbern Dresdens durfte kein anderer Meister bei Strafe des Handwerks einen Jungen aufnehmen, der bei einem anderen Meister zur Probe war.[20] Diesen Vorschriften lag zugrunde, dass ein Junge bei anderweitiger Probezeit etwas hätte lernen können, dass er Kenntnisse zum Schaden des Handwerks verwerten könnte.[21]

2.6. Der Hauptzweck der Bürgschaft über einen Lehrling

Der durch das Aufdingen des Lehrlings zustande gekommene Vertrag verpflichtete sowohl Meister und Jungen. Die Einhaltung der Pflichten des Jungen versuchte man vielfach durch Bürgen zu sichern. Beim Aufdingen hatte sie der Junge oder ein gesetzlicher Vertreter zu stellen. Es wurden „ehrliche, annembliche, untadelhaftige Leute; angemessene Bürger“[22] als Bürgen verlangt.

Der Hauptzweck der verlangten Bürgschaft war es, das Entlaufen des Jungen aus der Lehre zu verhüten. Den zahlreichen Vorschriften, das Entlaufen betreffend, muß man entnehmen, dass es keinesfalls selten war. Die Bürgen sollten innerhalb von 14 Tagen den Jungen zurückschaffen. Konnten die Bürgen das aber nicht, so konnte der Meister die Bürgen vor Gericht bringen, wenn sie ihn für den Verlust nicht entschädigen wollten.[23]

Oft haftete der Bürge nur für das an den Meister noch nicht vollbezahlte Lehrgeld.

2.7. Maßnahmen gegen das Entlaufen eines Lehrjungen

Die verschiedensten Bestimmungen richteten sich gegen das Entlaufen der Lehrjungen. Verweigerung jeder Berufsausübung innerhalb des Amtes bis zum Vergleich mit dem alten Meister, gänzliche Handwerksunfähigkeit, Geldstrafen, ein Neubeginn der Lehrzeit, vereinzelt auch Gefängnisstrafen können als Maßnahmen gegen das Entlaufen der Lehrjungen den alten Zunftordnungen entnommen werden. Die härteste Strafe war wohl der dauernde Ausschluß von der Zunft.[24]

2.8. Das Zahlen von Lehrgeld

Vom 14. Jh. an sind Vorschriften über Zahlungen zu finden, die ein Lehrjunge dem Amt zu leisten hatte. Die Schneider Stendals verlangten 1346 sowohl vom Meister wie vom Jungen die Zahlung eines bestimmten Betrages.[25] Die Bäcker in Frankfurt am Main schreiben 1355 vor: „Auch wer unsir hantwerk lernin will, der gibet eynen virding phen. Und twey pfund wazses.“[26]

Bei den Deckern Lübecks hatte der Junge im 1. Lehrjahr 4 Schilling, im 2. und 3. Lehrjahr 3 Schilling zur Bezahlung der Lichter des Amts beizusteuern; bei den Lohgerbern Lübecks musste er 1454 bei seiner Aufnahme eine Tonne Bier geben, bei den Roßgiessern der Stadt 1471 eine halbe Tonne Bier.[27]

[...]


[1] Schraepler, E.: S. 97

[2] Nitzsch, K: Über die niederdeutschen Genossenschaften des 12. und 13 Jh.. in: Monatsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom 16. 1. 1879. Berlin 1980

[3] vgl. Wissel, R., S. 43

[4] Sutner, G. v., S. 494

[5] ebenda, S. 493

[6] Wehrmann, C.: S. 164

[7] Rüdiger, O.: S. 166

[8] Hähnsen, F.: S. 180

[9] Schanz, G.: S. 2

[10] Gengler, H. G.: S. 134

[11] Dirke, A. v.: S. 3

[12] Flemming, M.: S. 6

[13] ebenda

[14] Flemming, M.: S. 6

[15] Wissel, R.: S. 276

[16] Blümcke, O.: S. 59

[17] Wissel, R: S. 277

[18] Knebel, K: S. 12

[19] Flemming, M. S. 12

[20] Flemming, M. S. 12

[21] Flemming, M. S. 12

[22] Flemming, M. S. 33

[23] vgl. Flemming, M. S. 30

[24] vgl. Wehrmann, C.: S. 195

[25] vgl. Wissel, R. S. 294, 295

[26] Wissel, R. S. 285

[27] vgl. Wissel, R. S. 299

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Von Zünften und Gilden zum Dualen System - Die Anfänge der gewerblichen Berufsausbildung -
Hochschule
FernUniversität Hagen  (FB Berufs- und Wirtschaftspädagogik)
Veranstaltung
Sozialgeschichte des dualen Systems
Note
gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
26
Katalognummer
V5658
ISBN (eBook)
9783638134699
Dateigröße
567 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gilden, Zünfte, Innungen, Lehrausbildung, Handwerkerausbildung, Frankfurter Methodik, Fortbildungsschule, Arbeitsschule
Arbeit zitieren
Astrid Reiß (Autor:in), 2002, Von Zünften und Gilden zum Dualen System - Die Anfänge der gewerblichen Berufsausbildung -, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5658

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