Untersuchung zweier Träume und einer Gespenstererscheinung in Heinrich Heines "Harzreise"


Hausarbeit, 2006

16 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Einleitung:

In dieser Hausarbeit möchte ich mich mit einem der ersten Werke Heinrich Heines beschäftigen: Der „Harzreise“. Genauer genommen werde ich drei bestimmte Textstellen näher untersuchen; einmal den Traum, den Heine in der ersten Nacht träumte, nachdem er Göttingen verlassen hatte, in diesem wird er noch einmal von der Universität und der juristischen Wissenschaft eingeholt, die er im Grunde durch diese Wanderung durch den Harz hinter sich lassen wollte; mein Ziel wird hierbei sein, zu versuchen, den Traum mit Hilfe von Interpretationen aus der Sekundärliteratur und der verwendeten Sprache zu entschlüsseln und ihn auf Hinweise auf Heines Auffassungen bezüglich seines künftigen Berufs als Jurist zu untersuchen. Als nächstes folgt dann der zweite Traum dieses Reiseberichts, in welchem es um die Erlebnisse Heines in Klausthal bzw. in den dort beheimateten Silbergruben geht. Dieser Traum ist auf den ersten Blick eher kryptisch, ihn zu dechiffrieren und die in ihm beinhalteten Symbole auf ihre Bedeutung hin zu analysieren, ist Gegenstand dieses Abschnitts. Die dritte Textstelle ist die „höchst Seltsame“[1] Nacht, die Heine in Goslar verbrachte, und wo er behauptet, eine Gespenstererscheinung gehabt zu haben. Vermutlich handelt es sich hierbei aber vielmehr um Satire und weniger um eine „echte“ übersinnliche Erscheinung. Tatsache ist, diese Textstelle könnte Aufschluß geben über Heinrich Heines Anschauungen in Bezug auf die Vernunft und das mit ihr im Widerstreit liegende Gefühl.

Entstehungszeit, Form und Inhalte der „Harzreise“

Im Herbst 1824 unternahm der damals 26 Jahre alte Student Heinrich Heine von Göttingen aus eine Fußwanderung durch den Harz, die ihn letzten Endes nach Weimar führen sollte, wo er plante, mit Goethe zusammenzutreffen. Im Mai des selben Jahres hatte Heine sein Promotionsexamen in Jura bestanden, im Juni liess der Jude Heine sich zum Protestanten taufen und im Juli 1824 endlich verteidigte er erfolgreich seine Thesen in einer öffentlichen Disputation, hatte also von nun an den Titel eines Dr. jur. inne. Im September dann kehrte er Göttingen den Rücken, wobei die Stadt selbst ja „schön“ sei, einem aber am besten gefalle, wenn man sie eben „mit dem Rücken“[2] ansehe. Heines Ziel bestand, von dem oben erwähnten Treffen mit Goethe abgesehen, sicherlich auch darin, sich sowohl räumlich wie auch innerlich von dem ihm verhassten Universitätsbetrieb zu entfernen und ganz nach romantischer Couleur aus der Stadt hinaus in die Natur zu gehen, so zumindest der Tenor des Eingangsgedichts (das der „Harzreise“ vorangestellt ist).

Die Erlebnisse auf dieser Wanderung inspirierten Heine nach seiner Rückkehr zur Niederschrift der „Harzreise“, die den Auftakt zu weiteren „Reisebildern“ darstellt, einer Ansammlung prosaischer Texte, Reiseberichte eben, die spätere Unternehmungen, u. a. nach Norderney und Italien thematisieren.

Neben mystifizierenden Schilderungen der Natur und den Menschen, die Heine während der Harz-Wanderung antrifft, finden sich Beschreibungen der Städte, die er passierte, sowie auch eingestreute Gedichte, Bezugnahmen auf Märchen und Sagen und eben erzählte Träume. Diese Inhalte machen den romantischen Charakter der „Harzreise“ aus. Weitere Themen sind die Wissenschaft, besonders die juristische, und die Gesellschaft im Angesicht der Restauration. Die Träume, die lose in den Text eingeflochten wurden, handeln sowohl von dieser als auch von jener und können Aufschluß geben über Heines Standpunkte gegenüber diesen Themenkomplexen.

Der erste Traum (Osterode)

Den ersten Traum träumt Heine, nachdem er „müde wie ein Hund“[3] in Osterode angekommen war, es ist ein Traum, der ihn wieder zurück ins eben verlassene Göttingen bringt, genauer: in den Lesesaal der juristischen Bibliothek. Dort stöbert er solange in alten Dissertationen herum, dass es zu seiner eigenen Verwunderung bereits Nacht wurde und die Turmuhr zwölf schlägt. Statt der zu dieser Zeit üblicherweise auftretenden Gespenster betreten ein „Riesenweib“[4], das sich als Themis, die griechische Göttin der Gerechtigkeit, entpuppt, zwei Heine bekannte juristische Gelehrte: einmal der Hofrat Rusticus sowie der geheime Justizrat Cujacius und weitere Juristen der göttinger juristischen Fakultät den Saal.

Zunächst macht sich die Göttin der Gerechtigkeit bloß lustig über die Gelehrten, indem sie auf einen Rechtstreit anspielt, bei dem es um die Auslegung eines Artikel ging, der nicht genau definierte, ob das Beschneiden von Bäumen an Grundstücksgrenzen um 15 Fuß von oben oder von unten herab geschehen solle und somit offenbar Stoff für juristische Auseinandersetzungen hergab[5]. Im Anschluß jedoch wird es ernster: Die Wissenschaftler beginnen, eifrig und wild durcheinander zu „definieren und distinguieren und über jedes Titelchen eines Pandektentitels zu disputieren“, so eifrig, dass „das allgemeine Schwatzen und Schrillen und Schreien, das, wie Meeresbrandung immer verwirrter und lauter, die hohe Göttin umrauschte, bis diese die Geduld verlor“[6]. Sie weist, wenn man es milde ausdrücken möchte, die Juristen darauf hin, dass ihr „Geschwätz und Gezänke“ dem Prometheus weder „seine Wunden kühlen“ noch „seine Fesseln zerbrechen“[7] könne.

Daraufhin „heulte die ganze Versammlung wie von Todesangst ergriffen“[8], die Decke stürzt ein und Heine als Beobachter des Ganzen rettet sich in den historischen Saal hinüber, wo er Schutz findet bei einem Abbild der Venus, der griechischen Göttin der Liebe und des erotischen Verlangens und einem Bildnis des griechischen Gottes der Dichtkunst, Apollon.

Dieser Traum, oder vielleicht besser Albtraum, dessen Schilderung so abrupt einsetzt wie auch endet, kann vor allem auf einer Ebene gedeutet werden, zumindest wenn vorausgesetzt wird, dass Heine ihn mit einer bestimmten Intention in die „Harzreise“ einflocht. Eine weitere Prämisse muss anerkannt werden und zwar inhaltlicher Art: Gesetzt den Fall, dass „Prometheus primär als Sinnbild der geknechteten Menschheit steht“[9], dann könne in diesem Traum eine Kritik an der „Umkehrung des Wissenschaftsgedankens“ dargestellt sein, auf die Heine in seinen Werken immer hingewiesen habe[10]. Das Recht (stellvertretend für die Wissenschaft) dient in diesem Traum jedenfalls nicht mehr dazu, dem Menschen (oder Prometheus als Repräsentanten desselben) zu dienen, nein, es ist genau umgekehrt, der Mensch dient dem Recht. Zumindest gelingt es dem Recht nicht, den Menschen aus seiner Knechtschaft bzw. den Prometheus aus seinen Fesseln zu befreien. Die Art und Weise, wie die Juristen „mit breiter Selbstzufriedenheit drauf los definieren und distinguieren [...]“[11], lässt erahnen, dass Heine den gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb dahingehend kritisiert, dass er zum Selbstzweck geworden sei. Weitere Beschreibungen aus der „Harzreise“ belegen diese Sichtweise, so mutmaßt Heine, als er Göttingen verlässt, dass der Gelehrte * * wohl noch im Bett liege und träume, wie er „mühsam“ die auf den Beeten wachsenden, mit Zitaten beschriebenen Papiere pflücke und in ein neues Beet verpflanze[12]. Auch hier wieder die Wissenschaft als Selbstzweck, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse einfach nur neu geordnet werden um des Ordnens Willen.

Hierzu passt auch die Szene, bei der Themis sich über die Spitzfindigkeit der Gelehrten lustig macht; aus ihr kann herausgelesen werden, dass „die Natur beschnitten und nur noch der Auslegung von römischen Rechtsartikeln“[13] dient.

Um diese Analyse etwas konkreter werden zu lassen; Heine hat vor allem das ihm „verhaßte“[14] römische Recht im Sinn, dessen Wiederherstellung seit dem Aufkommen des Bürgertums er hier in verschlüsselter Form beschreibe[15]. Mit den beiden Gelehrten Rusticus und Cujacius sind eigentlich Prof. Bauer und Prof. Hugo gemeint, zwei Hauptvertreter des Römischen Rechts[16]. Während das frühere Naturrecht die Rechte des Menschen eben aus der Natur ableitete, leitet das Römische Recht dieselben aus dem Privatbesitz ab, mit der Konsequenz, dass Freiheit durch Eigentum bzw. im Umkehrschluß Unfreiheit durch Nichtbesitz von Eigentum definiert wird[17]. Diese Rechtsauffassung stehe aber „im grellsten Widerspruch mit der Religion, der Moral, dem Menschengefühl und der Vernunft“[18], so Heine.

Neben diesen etwas kryptischen Hinweisen auf Heinrich Heines Auffassungen vom damaligen Wissenschaftsbetrieb spricht der Stil, in dem die Darstellung dieses Traumes abgehalten ist, eine deutlichere Sprache. Die Gerechtigkeit erscheint personifiziert, in Form der Göttin Themis und wird mit durchweg positiven Attributen besetzt: stolz, gigantisch, gewaltig, ehrfurchtsvoll begleitet, strenge Schönheit. Diejenigen aber, deren Aufgabe es ist, die Gerechtigkeit in ihrer Arbeit manifest zu machen, die juristischen Gelehrten also, werden, wie Rusticus z. B. als „windig hin und her springend“ beschrieben, „dünn“ und auch noch mit dem Beinamen „Lykurg Hannovers“[19] besetzt, also der Figur aus der griechischen Mythologie, unter dessen Herrschaft sich die Stadt Sparta zu einem „harten Militärstaat [wandelte, C. E.], der alles kulturelle und individuelle Leben dem Kriegswesen unterordnete“[20]. Cujacius erhält den wohl ebenfalls wenig schmeichelhaften Titel eines „Cavaliere servente“, also „Vertrauter und Liebhaber einer verheirateten Dame“[21] ; dieser humpelt, reißt „juristische Witze“ und wird von Themis mit „Kleiner, loser Schalk“[22] angeredet. Der Ernsthaftigkeit in der Selbstwahrnehmung der weiteren Juristen tritt Heine entgegen, indem er sie als Teil eines „illustren Ordens“ hinstellt, „meistens eckige, lauernde Gesellen, Gestalten“, deren Früchte ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit lächerlich machenden Diminutiva belegt werden: „Systemchen, Hypotheschen“, sogar bitterer noch, „Mißgebürtchen“ des eigenen, ja, „Köpfchens“.

[...]


[1] Heine, Heinrich: Reisebilder. Frankfurt am Main und Leipzig 1980, S. 45

[2] ebd., S. 12

[3] ebd., S. 19

[4] ebd., S. 19

[5] vgl.: Heinemann, Gerd: Heinrich Heine. Reisebilder. München: R. Oldenbourg Verlag 1981, S. 36

[6] Heine: Reisebilder, S. 22

[7] ebd., S. 22

[8] ebd., S. 22

[9] Heinemann: Heinrich Heine, S. 36

[10] ebd., S. 36

[11] Heine: Reisebilder, S. 22

[12] vgl.: Heine: Reisebilder, S. 14

[13] Heinemann: Heinrich Heine, S. 36

[14] Heinemann: Heinrich Heine, S. 37

[15] vgl.: Heinemann: Heinrich Heine, S. 36

[16] Heinemann: Heinrich Heine, S. 36

[17] Heinemann: Heinrich Heine, S. 36 f

[18] Heinemann: Heinrich Heine, S. 37

[19] Heine: Reisebilder, S. 19

[20] www.wikipedia.org/wiki/Lykurg (8.1.2006)

[21] Ortheil, Hans-Josef: Im Licht der Lagune. www.lesekost.de/deutsch/HHLD10.htm (8.1.2006)

[22] Heine: Reisebilder, S. 19

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Untersuchung zweier Träume und einer Gespenstererscheinung in Heinrich Heines "Harzreise"
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Seminar für Deutsche Literatur und Sprache)
Veranstaltung
Forschungslernseminar 2: Heinrich Heine
Note
2
Autor
Jahr
2006
Seiten
16
Katalognummer
V56651
ISBN (eBook)
9783638512879
ISBN (Buch)
9783638843560
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Hausarbeit, die Teil meiner erfolgreich abgeschlossenen Zwischenprüfung war, beschäftige ich mich mit zwei Träumen sowie der "Gespenstererscheinung" aus Heinrich Heines "Harzreise". Neben einer konkreten Analyse dieser Textstellen ordne ich diese ein in einen größeren literaturwissenschaftlichen Kontext und versuche, Rückschlüsse zu ziehen auf Heines Weltanschauung, wie sich in eben diesen Textstellen darstellt.
Schlagworte
Untersuchung, Träume, Gespenstererscheinung, Heinrich, Heines, Harzreise, Forschungslernseminar, Heinrich, Heine
Arbeit zitieren
Christoph Eyring (Autor:in), 2006, Untersuchung zweier Träume und einer Gespenstererscheinung in Heinrich Heines "Harzreise", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56651

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