Die bahnbrechenden Entwicklungen der Biotechnologie, die Albert Schweitzer selbst in ihren seinerzeit erkennbaren Anfängen nicht zu Kenntnis nahm, hätten ihn in den Dimensionen, wie sie uns heute vor Augen stehen, kaum überrascht. Ganz im Gegenteil - sie wären für ihn nur zu folgerichtig aus dem allgemeinen wissenschaftlich-technischen Fortschritt, den er mit großer Sorge verfolgte, erwachsen. In seiner 1943/44 verfaßten Analyse der »geistigen und materiellen Situation der Zeit« bringt er diese Sorge klar zum Ausdruck. Aber zur übermenschlichen Vernünftigkeit, die erforderlich wäre, um diese Macht nur im rechten Sinne zu gebrauchen, haben wir uns nicht zu erheben vermocht«. Schärfer noch konstatiert er an anderer Stelle im Gegensatz zum ins Unermeßliche gesteigerten Wissen und Können eine »Verkümmerung« des modernen Menschen »in seinem eigentlichen Wesen«. Im Blick auf die biotechnologischen Entwicklungen tun sich hier zwei miteinander verschränkte Fragestellungen auf: Sind angesichts der Biotechnologie, die wie kaum eine andere wissenschaftlichtechnische Entwicklung der Moderne für unüberschreitbar gehaltene Grenzen und Maßstäbe durchbricht, auch im BereichethischerMaßstäbe ebensolche Grenzüberschreitungen vonnöten und möglich? Wenn dies der Fall ist, inwiefern könnte Schweitzers Denken einen zukunftsweisenden ethischen Maßstab bieten, der im begonnenen biotechnischen Zeitalter geeignet ist, eine »neue Vernünftigkeit« grundzulegen und den Menschen in sein »eigentliches Wesen« zu erheben? Diese beiden Fragestellungen möchte ich in vier aufeinander aufbauenden Betrachtungsschritten näher verfolgen: 1. Zunächst gilt es, sich die Handlungsmaximen des biotechnologischen Fortschrittsprojektes und dessen Grenzen zu vergegenwärtigen. 2. Ferner ist in diesem Betracht von Schweitzer her das zugrundliegende Verhältnis von Wissenschaft und Denken bzw. Ethik zu umreißen. Sodann möchte ich 3. Schweitzers Ethikprinzip in seinem Anspruch »denknotwendiger Vernünftigkeit« zu Kants »Nötigung der Vernunft« kritisch abgrenzen und schließlich 4. das hieraus resultierende konfliktethische Verantwortungskonzept Schweitzers auf seine Tragfähigkeit in biotechnologischen Problemzusammenhängen hin prüfen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Gentechnischer Fortschritt ins Grenzenlose als maẞ-loses >>>Maẞ<
- 2. Haben wir (k)eine >denkende Wissenschaft
- 3. >> Ehrfurcht vor dem Leben« als »denknotwendiges Maẞ<< einer Grenzen überschreitenden Vernunft?
- 4. »Unbegrenzte Verantwortung« als Antwort auf eine Biotechnologie ins Grenzenlose?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Text untersucht das Problem der Maßstäblichkeit menschlichen Handelns im Kontext biotechnologischer Entwicklungen und Albert Schweitzers Denken. Er hinterfragt, ob die Grenzen und Maßstäbe, die in der Moderne als unüberschreitbar galten, im Bereich ethischer Maßstäbe durch die rasanten Fortschritte der Biotechnologie ebenfalls überschritten werden müssen und ob dies überhaupt möglich ist.
- Die Grenzen des biotechnologischen Fortschritts und das Konzept von "maß-losem Maß"
- Die Rolle der Wissenschaft und die Bedeutung des Denkens in der Ethik
- Schweitzers Ethikprinzip der "Ehrfurcht vor dem Leben" und dessen Verhältnis zu Kants "Nötigung der Vernunft"
- Das Konzept der "unbegrenzten Verantwortung" im Kontext biotechnologischer Herausforderungen
- Die Frage nach einem zukunftsweisenden ethischen Maßstab im biotechnischen Zeitalter
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die Bedeutung der biotechnologischen Entwicklungen für Albert Schweitzers Denken und stellt die beiden zentralen Fragestellungen des Textes vor: Sind angesichts der Biotechnologie Grenzen und Maßstäbe im ethischen Bereich überwindbar? Und kann Schweitzers Denken einen zukunftsweisenden ethischen Maßstab für diese Entwicklungen bieten?
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem grenzüberschreitenden Fortschritt der Biotechnologie, insbesondere der Gentechnik. Es wird deutlich gemacht, dass die Biotechnologie die traditionellen ethischen Grenzen und Maßstäbe in Frage stellt und eine "maß-lose" Epoche einleitet. Die Autoren betonen dabei die Gefahr eines reduktionistischen Wissenschaftsparadigmas, das die Natur lediglich als eine von der Information gesteuerte Maschine betrachtet.
Im zweiten Kapitel wird Schweitzers Verhältnis von Wissenschaft und Denken/Ethik analysiert. Er kritisiert die "Verkümmerung" des modernen Menschen im "eigentlichen Wesen" aufgrund eines unreflektierten wissenschaftlichen Fortschritts. Der Fokus liegt auf der Notwendigkeit einer "denkenden Wissenschaft", die ethische Fragen und deren Folgen mitbedenkt.
Kapitel drei beleuchtet Schweitzers Ethikprinzip der "Ehrfurcht vor dem Leben" als "denknotwendiges Maß" und grenzt es kritisch von Kants "Nötigung der Vernunft" ab.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter des Textes sind: Biotechnologie, Gentechnik, Maßstäblichkeit, Ethik, Verantwortung, Albert Schweitzer, Ehrfurcht vor dem Leben, Grenzenlose Vernunft, Denkende Wissenschaft, Lebensmechanismen, Biosphäre, Reduktionismus.
- Arbeit zitieren
- Dr. phil. Gottfried Schüz (Autor:in), 2005, "Leben nach Maß" - zum Problem der Maßstäblichkeit menschlichen Handelns in der Perspektive biotechnologischer Entwicklungen und Albert Schweitzers Denken, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56947