Zur Vergangenheitsbewältigung der katholischen Kirche anhand ausgewählter Beispiele


Vordiplomarbeit, 2002

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

Einleitung: Vergangenheitsbewältigung, Geschichtsschreibung und die katholische Kirche

I. Der Umgang der Kirche mit dem „Widerstand“ im Dritten Reich
1. Der „Fall“ Nikolaus Groß: Seligsprechung eines „Verschwörers“
2. Christen im Widerstand – ein Buch zum 20.Juli aus katholischer Sicht

II. Widerstand auf katholisch
1. Das Schweigen der kirchlichen Autorität
2. Der „Widerstand der Kirche“: Einsatz für Kriegsverbrecher und NS-Täter

III. Vergebungsbitte des Papstes als Wendepunkt in der Vergangenheitspolitik?

Schlussbemerkung: Was wäre eine ehrliche Vergangenheitsbewältigung?

Literaturverzeichnis

Einleitung: Vergangenheitsbewältigung, Geschichtsschreibung und die katholische Kirche

„Vergangenheitsbewältigung“ meint hier ganz allgemein einerseits den Umgang mit Geschichte und andererseits die historische Aufarbeitung als Wahrheitsfindung in einer historischen Epoche sowie wie die Sensibilisierung im Umgang mit historischen Fragen überhaupt, seien sie politischer, sozialer, gesellschaftlicher und/oder religiöser Natur. „Vergangenheitsbewältigung“ kann und soll Geschichte aber nicht abschließend behandeln.

Ein „Schlussstrich“ unter eine wie auch immer geartete Vergangenheit scheint weder erstrebenswert noch erreichbar, denn nur durch und mit Hilfe fortdauernder Erinnerung ist und bleibt Geschichte erst lebendig. Ein Nicht-Vergessen der Geschichte, der Vergangenheit kann und soll auch Schutz davor bieten, dass sie sich wiederholen könnte. Erinnerung kann und soll also auch immer Mahnung für die Zukunft sein.

Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit erfolgt durch Publikationen, Ehrungen, Gedenkveranstaltungen, Briefmarkenausgaben, etc durch unterschiedliche gesellschaftliche, soziale und staatliche Schichten, Gruppen, Organisationen und Institutionen, in der katholischen Kirche gibt es darüber hinaus die Seligsprechung[1] als ein Instrument der Würdigung und Ehrung für christlichen Einsatz. Dabei darf die Erkenntnis und Erfahrung nicht gering geschätzt werden, dass

„Geschichte immer politisch (ist). Denn Geschichte ist, was von früheren Zeiten wie, in welchem Zusammenhang und mit welchem offenkundigen und / oder geheimen Zweck erinnert wird,“ aber auch, dass „alle Erinnerung hochgradig wählerisch, voll der Rationalisierung der jeweils Erinnernden“ ist (Narr 2001).

Meine Arbeit verfolgt die These, dass die katholische Kirche - darunter wird im folgenden immer die „Amtskirche“ als Leitungshierarchie der Bischöfe, des Klerus bezeichnet - bezüglich der jüngsten deutschen Vergangenheit vor allem eine Vergangenheitsbewältigung oder -politik betreibt, deren Ziel es ist, sich von der „Schande“ reinzuwaschen, in jener Vergangenheit oft tatenlos zugesehen oder zu wenig getan und damit als Institution versagt zu haben. Das Verhalten der kirchlichen Institution während des Nationalsozialismus steht zweifellos im Widerspruch zur christlichen Lehre der Nächstenliebe und Barmherzigkeit und der Solidarität mit den Armen und Unterdrückten.

Einerseits soll dargestellt werden, welche Elemente oder Details der kirchlichen Vergangenheit hervorgehoben und/oder heruntergespielt werden, um über die Vergangenheitsbewältigung der katholischen Kirche Aufschluss zu geben. Andererseits soll auf das Schweigen und den „wahren“ bischöflichen Widerstand eingegangen werden. Abschließend wird anzudeuten sein, wie eine angemessene Bewältigung aussehen müsste, um dem Unrecht der Vergangenheit nicht ständig neues Unrecht durch die heute praktizierte „Bewältigung“ folgen zu lassen.

Die Darstellung soll sich der Frage der kirchlichen Vergangenheitsbewältigung politikwissenschaftlich nähern und nicht auf theologische Fragen wie zum Beispiel der umstrittenen Frage des Martyriums eingehen.

Ich bin auf das für die Politikwissenschaft eher ungewöhnliche Thema der kirchlichen „Vergangenheitsbewältigung“ gestoßen, als ich - als Mitglied der weltweiten katholischen Reformbewegung -, im Oktober 2001 an der „Schattensynode“ in Rom mitwirkte und dabei von der (parallel stattfindenden) Seligsprechung des Widerstandskämpfers Nikolaus Groß erfuhr. Es waren vor allem die Presseartikel über die damit verbundene Kontroverse, die mich veranlassten, mich mit diesem Thema längerfristig, intensiver und auch wissenschaftlich zu beschäftigen. Hierzu würde vor allem auch das Schweigen des Papstes Pius XII. zur Shoah gehören, auf das hier jedoch aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden kann.

I. Der Umgang der Kirche mit dem „Widerstand“ im Dritten Reich

„Tote Widerstandskämpfer sind gute Widerstandskämpfer, weil mit ihrer Verklärung eigenes Versagen überdeckt werden kann“ schrieb der Schriftsteller Ernst Klee 1995 (Klee 1995: S. 161).

1. Der „Fall“ Nikolaus Groß: Seligsprechung eines „Verschwörers“

In diesem Kapitel soll aufgezeigt werden, wie die katholische Kirche versucht, ihre Irrwege während der Hitlerdiktatur in Vergessenheit geraten zu lassen, und stattdessen versucht, Tote zu vereinnahmen, die sich nicht mehr wehren können. Im Falle des seliggesprochenen Widerstandskämpfers gegen die Hitler-Diktatur Nikolaus Groß tut es jedoch stellvertretend sein Sohn Alexander.

a) zur Person Nikolaus Groß[2]

Nikolaus Groß (1898-1945) stammte aus einfachen Verhältnissen aus dem Ruhrgebiet und wurde nach Abschluss der katholischen Volksschule Bergmann. Schon während seiner Lehre trat er 1917 dem „Gewerkverein Christlicher Bergarbeiter Deutschlands“ (GCBD) und 1918 der „Deutschen Zentrumspartei“ bei. Die Gewerkschaft ermöglichte ihm eine bedeutende Weiterbildung, mit Hilfe derselben er mit der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) in Kontakt kam, deren Ziel die soziale, politische und kulturelle Emanzipation der Arbeiter war. Ab Juni 1920 wirkte Groß hauptberuflich als GCBD - Jugendsekretär in Oberhausen, wechselte dann ein Jahr später in die Essener Zentrale der christlichen Gewerkschaften. Dort wurde er zum Redakteur der Gewerkschaftszeitung ausgebildet, und anschließend in Schlesien und Sachsen eingesetzt. 1923 hatte er geheiratet. Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor. Groß wird als „Familienmensch“ beschrieben, für den die Familie immer im Mittelpunkt stand.

Nach seiner Rückkehr ins Ruhrgebiet wurde er 1926 Redakteur des Verbandsorgans der katholischen Arbeitervereine Westdeutschlands, der ’Westdeutschen Arbeiter-Zeitung’ (WAZ).[3]

Spätestens zu Beginn der Wirtschaftskrise 1929 erkannten Groß und seine Mitstreiter, dass extremistische Parteien wie die Kommunisten und Nationalsozialisten die Weimarer Demokratie schwächten und gefährdeten. Für Nikolaus Groß ging die Gefahr vor allem von der NSDAP aus, in der er schon 1929 nicht nur eine „politisch ideenlose Gruppe“, sondern die „Todfeinde des heutigen Staates“ und seine absoluten Gegner sah, er schrieb vor den Reichstagswahlen im September 1930:

„Wir lehnen als katholische Arbeiter den Nationalsozialismus nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern entscheidend auch aus unserer religiösen und kulturellen Haltung entschieden und eindeutig ab“ (Aretz 1993: S.19f).

Als die WAZ den Nazis die Urheberschaft für den Reichstagsbrand anlastete, wurde sie kurzzeitig verboten. Danach äußerte sie sich nicht mehr so offen und direkt, sondern eher nur noch „zwischen den Zeilen“. Trotzdem kritisierte Nikolaus Groß hier noch weiter antisemitische Ausschreitungen oder die Nürnberger Rassengesetze. Darüber hinaus veröffentlichte die WAZ niemals ein Photo Hitlers, was damals eine deutliche Stellungnahme bedeutete.

Die NS-Machthaber sahen in der WAZ das Organ der organisierten katholischen Arbeiterschaft, die einen „dauernde(n) heimliche(n) Kampf gegen den Nationalsozialismus“ führte (Aretz 1993: S.26).

Da auch das Reichskonkordat vom 20.Juli 1933 die Verbandskatholiken nicht schützte - schon 1934 durften Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront nicht gleichzeitig in einem katholischen Arbeiterverein sein (Aretz 1993: S.26) - entschloss sich die WAZ zu einer Namensänderung in „Ketteler-Wacht“. Da aber Groß auch hier seine Linie nicht änderte, mit Nachrichten aus den Bereichen Religion und Kirche den Lesern die NS-Propaganda zu entlarven, wurde die „Ketteler-Wacht“ im Frühjahr 1938 verboten.

Nikolaus Groß hatte sich immer zu seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus bekannt und galt für die zu ihm Verbindung aufnehmende Widerstandsgruppe des „Kreisauer Kreises“ als absolut zuverlässig. Seine von ihm und seinen Mitstreitern initiierten Tagungen zur männerseelsorgerischen Arbeit der katholischen Arbeitervereine dienten teilweise als Deckmantel, um sich mit Mitgliedern von Widerstandskreisen wie zum Beispiel P. Alfred Delp SJ zu treffen. Obwohl es zu Hausdurchsuchungen und Gestapo-Verhören kam, versuchte Groß immer weiter, ein Verbandsleben der Katholischen Arbeiterbewegung zu organisieren. Er stellte sogar seine eigene Wohnung für konspirative Sitzungen von Mitgliedern der Widerstandskreise zur Verfügung, an denen er auch selbst teilnahm. In diesen Sitzungen ging es in Anwesenheit von führenden Köpfen wie Goerdeler und Delp sowohl um die Beseitigung Hitlers als auch um die Neuordnung Deutschlands nach der Niederlage. Für die Zeit nach dem „Tag X“ - der Beseitigung des Tyrannen -, war Groß für eine herausgehobene Stellung vorgesehen wie für seinen ebenfalls hingerichteten Mitstreiter und engen Freund Bernhard Letterhaus, der in Goerdelers Kabinett als Wiederaufbauminister fungieren sollte. Groß diente darüber hinaus Goerdeler und anderen als Kurier, indem er seine Fahrten als Dienstreisen zu Arbeitervereinen tarnte.

Zwei Notizen oder Aufzeichnungen aus jenen Gesprächen mit Goerdeler und Delp sollten Groß dann später zum Verhängnis werden. Sie fielen der Gestapo in die Hände, und Groß wurde nach dem misslungenen Attentat vom 20.Juli 1944 am 12.August verhaftet. Entgegen seiner Annahme, höchstens lebenslänglich zu bekommen, wurde er am 15.Januar 1945 vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler[4] wegen Hoch- und Landesverrat zum Tode verurteilt. In einer geheimen Mitteilung über den Prozesstag im Volksgerichtshof an das Führerhauptquartier heißt es, dass Groß „genau über Einzelheiten des Gördeler-Verrats unterrichtet“ gewesen sei, sowie an „einer Zusammenkunft Gördeler-Kaiser-Prälat Dr. Müller in Köln“ teilgenommen und versucht habe, einen „früheren Minister der Saarregierung (...) für den Verrat zu gewinnen.“ Freisler wird mit den Worten zitiert: „Er schwamm mit im Verrat, muss folglich auch darin ertrinken“ (Bundesarchiv 1945).

[...]


[1] Eine Seligsprechung (Beatifikation) ist eine begrenzte päpstliche Kultgenehmigung, z. B. für eine Ortskirche, für eine Ordensgemeinschaft oder für eine bestimmtes Land. Im Unterschied zu allen sonstigen kirchenrechtlichen Prozessen, die auf einen durchsetzbaren Rechtsakt in Form eines vollstreckbaren Urteils abzielen, besteht die Besonderheit des Seligsprechungsverfahrens darin, dass sie nur eine Schlussfolgerung darstellen, die auf ein mögliches Urteil des Papstes gerichtet ist, das dieser in Würdigung des Prozessergebnisses frei fällt, d.h. bestätigen, aber auch ablehnen kann. Beides kommt vor. (vgl. Lexikon für Theologie und Kirche, Vierter Band, 1995, S. 1330); Die Seligsprechung ist die höchste kirchliche Ehrung vor der Heiligsprechung. Es sei darauf hingewiesen, dass mit Seligsprechungen „nicht nur eine Frömmigkeitsanregung, sondern auch stets eine bestimmte Politik verfolgt (wurde) – Gruppen wurden favorisiert (z. B. Orden), moralische Prioritäten gesetzt (z. B. Ehelosigkeit), bestimmte (antidemokratische) Richtungen in Staaten beeinflusst, und nicht selten wurde Geschichte nachträglich umgeschrieben. “ Auch hat Papst Johannes Paul II. die „Möglichkeit von Seligsprechungen in seinem Pontifikat besonders stark gefördert. Seit Beginn seiner Amtszeit sind bereits mehr Christen seliggesprochen worden, als in den drei Jahrhunderten davor“ (Groß, 1996: S. 26f). Es soll damit verdeutlicht werden, dass Seligsprechungen zweifelsfrei ein kirchliches Instrument sind, an dem man gezielte Vergangenheitsbewältigung festmachen kann.

[2] Zur Darstellung des Lebens von Nikolaus Groß wurden soweit nicht anders angegeben die Werke von Jürgen Aretz (1993) sowie Alexander Groß herangezogen.

[3] Im ’Verband der Katholischen Arbeiter- und Knappenvereine Westdeutschlands’ mit Sitz in Mönchengladbach waren zur Zeit der Weimarer Republik 200.000 katholische Arbeiter – und damit 10 Prozent der gesamten katholischen Industriearbeiter im entsprechenden Gebiet – organisiert. Damals war es üblich, dass die katholischen Verbände grundsätzlich von Geistlichen geleitet wurden, zu jenem Zeitraum von dem Prälaten Otto Müller, der im Oktober 1944 in Gestapo-Haft verstarb. Dass ein katholischer Verband zwingend von einem Geistlichen geführt wird, kann man sich heute über 30 Jahre nach dem von Johannes XXIII. eingeleiteten Zweiten Vatikanischen Konzil kaum mehr vorstellen. Damit soll auf die hierarchisch und klerikal verwurzelte autoritäre Führungsstruktur der Kirche verwiesen werden. Aus diesem Verständnis heraus war die Kirche der Demokratie und dem Umsturz 1918 abgewandt, und gehörte nicht zu den Verteidigern der Weimarer Republik. Anders verhielt es sich mit dem politischen Arm der katholischen Kirche, dem Zentrum, das bis zu seiner eigenen Demontage (der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz) auf der Seite der Demokratie stand. Nikolaus Groß und seine Mitstreiter haben sich als Demokraten im Zentrum dagegen gewehrt, doch diesen Kampf verloren.

[4] Für Groß war Freisler kein Unbekannter. Er hatte bereits im Juni 1932 diesem via „WAZ ahnungslos und doch prophetisch attestiert, (er) berechtige ,zu den schönsten Hoffnungen. Kommunist, Marxist, Novemberling, Untermensch, Sowjetkommissar gewesen, dann Nazi, Antimarxist, Mitglied der deutschen Freiheitsbewegung, Nazi-M.D.L. geworden – was mag sonst noch aus ihm werden?’“ (Aretz, 1993: S.36)

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Zur Vergangenheitsbewältigung der katholischen Kirche anhand ausgewählter Beispiele
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
25
Katalognummer
V57112
ISBN (eBook)
9783638516419
ISBN (Buch)
9783656771210
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vergangenheitsbewältigung, Kirche, Beispiele
Arbeit zitieren
Dipl. Pol. Tobias Raschke (Autor:in), 2002, Zur Vergangenheitsbewältigung der katholischen Kirche anhand ausgewählter Beispiele, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57112

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