Gottfried Keller: "Romeo und Julia auf dem Dorfe"

Ursachen eines Liebestodes unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftsbedingter Motive


Hausarbeit, 2005

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Ursachen eines Liebestodes
2.1 Der Weg in den Selbstmord
2.1.1 Die Verfallsgeschichte der Väter
2.1.2 Die Liebesgeschichte der Kinder
2.2 Symbolik
2.3 Historische Hintergründe
2.4 Kellers Intentionen

III. Fazit

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Kellers Novelle „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ entfaltet sich vor dem Hintergrund eines realen Falls vom gemeinsamen Selbstmord eines jungen Liebespaars, der dem Autor durch einen Zeitungsartikel bekannt wurde. Zur literarischen Aufarbeitung dieses Stoffs wählte Keller einen Titel, der dem Leser den Ausgang der Erzählung von vorne herein ersichtlich macht und Anklang findet an das klassische Liebesdrama der Weltliteratur. Ähnlich wie bei Shakespeares Tragödie wird auch in Kellers Novelle die Geschichte einer unglücklichen Liebe erzählt, die ihr Ende im Tod des jungen Paares findet. Im Gegensatz aber zu Romeo und Julia, wo unglückliche Umstände den Plan zum gemeinsamen Glück in den Weg zum Untergang verkehren, entscheiden sich Sali und Vrenchen ganz bewusst zum gemeinsamen Freitod. Die Problematik von Kellers Hauptfiguren, die aus dem bäuerlichen Milieu seiner Zeit stammen, ist von der des Shakespeareschen Liebespaares weit entfernt.

Sali und Vrenchen entwickeln nach und nach den Selbstmordgedanken, der beiden als einzige Befreiung aus ihrer hoffnungslosen Lage erscheint. Es wird sich jedoch zeigen, dass diese Lage objektiv gesehen keineswegs so aussichtslos ist, dass sie den Tod als einzig mögliche Rettung hätte nach sich ziehen müssen. Vielmehr wird sie es erst durch gesellschaftliche Zwänge und Idealvorstellungen, die beiden Liebenden inne wohnen und denen sie höchste Priorität einräumen. Aus diesem Grund, und weil die ursprüngliche Auslösung des Konflikts, der die Determination der Liebenden zum Untergang verursacht, im bäuerlichen Milieu der Väter zu suchen ist, müssen bei der Betrachtung der Ursachen für den Selbstmord vor allem gesellschaftliche Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Sali und Vrenchen wird der übliche und für sie einzige Weg zum Glück von ihren Vätern verstellt, dennoch werden ihnen durchaus Alternativen angeboten, die sie allerdings aufgrund ihrer besonderen Ideale ausschlagen müssen. Es stellt sich also die Frage, wie es letztlich zu diesem einerseits vermeidbaren und andererseits doch so unausweichlichen Selbstmord kommt.

Im Laufe der folgenden Arbeit soll geklärt werden auf welche Gründe es zurückzuführen ist, dass ein junges Liebespaar den Tod als einzige Rettung ansieht und welchen Beitrag vorrangig gesellschaftsbedingte Uraschen zu dieser Entwicklung geleistet haben. Des Weiteren sollen die Intentionen Kellers verfolgt werden, in deren Zusammenhang auch die gesellschaftlich historischen Hintergründe und einige der reichlich vorhandenen Symbole der Novelle betrachtet werden müssen.

II. Ursachen eines Liebestodes

2.1 Der Weg in den Selbstmord

Sali und Vrenchen, die Kinder zweier benachbarter wohlhabender Bauern, wachsen gemeinsam in einer zunächst stabilen gesellschaftlichen Umwelt auf. Ihrem zukünftigen Glück scheint nichts im Wege zu stehen. Doch wie bereits der Novellentitel vermuten lässt, werden sich die Dinge anders entwickeln als erwartet.

Ausgelöst wird die Misere der beiden Kinder durch einen Streit ihrer Väter, der die Familien in den finanziellen und gesellschaftlichen Ruin treibt, fortgeführt und bis zum Tod als letzte Rettung gesteigert, wird das entstandene Elend durch die Liebenden selbst, die es nicht schaffen sich von den letzten Idealen ihrer glücklichen Kindheit zu lösen. Wie sich in dieser kurzen Zusammenfassung der von Keller beschriebenen Entwicklung bereits andeutet, bietet sich für die Darstellung des Weges zum Selbstmord eine inhaltliche Zweiteilung der Novelle an.

Im ersten Teil wird die Verfallsgeschichte der Väter beschrieben, die den Auftakt zur weiteren tragischen Entwicklung der Kinder liefert, im zweiten Teil steht die Liebesgeschichte der Kinder im Mittelpunkt, die aufgrund der ganz speziellen Charaktere von Sali und Vrenchen ihren verhängnisvollen Lauf nimmt[1].

Zwischen beiden Teilen vergeht eine Zeit von ca. 10 Jahren, in denen sich Sali und Vrenchen aus den Augen verlieren und getrennt voneinander erwachsen werden, um sich bei ihrer ersten Wiederbegegnung direkt ineinander zu verlieben. Beide Episoden stehen in enger Beziehung zueinander, einerseits durch Sali und Vrenchen, andererseits durch eine weitere wichtige Figur, den schwarzen Geiger, dessen immer wiederkehrendes Erscheinen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Novelle zieht. Er nimmt eine Sonderposition ein, steht er doch sowohl außerhalb der bäuerlichen Familien als auch außerhalb der Gesellschaft, und muss als Repräsentant einer weiteren bedeutsamen Figurengruppe, der Heimatlosen, angesehen werden. Darüber hinaus hat er noch andere wichtige Funktionen, die in einem gesonderten Kapitel untersucht werden sollen.

Vor dem Hintergrund der inhaltlichen Zweiteilung der Novelle wird nun im Einzelnen die Entwicklung der Liebesgeschichte von Sali und Vrenchen untersucht werden, die Gerhard Kaiser in einer sehr treffenden Formulierung als „eine geradezu klassische Dreiecksgeschichte zwischen der Gesellschaft, den Outlaws und den Liebenden“[2] bezeichnet hat, mit der die Besonderheit der Novelle kurz und prägnant zum Ausdruck gebracht werden kann.

2.1.1 Die Verfallsgeschichte der Väter

Keller beginnt seine Novelle, abgesehen von einer Bemerkung bezüglich des literarischen und realen Hintergrundes ihres Themas, mit einer kurzen Beschreibung einer Landschaft nahe Seldwyla. Ausgehend von einem weitläufigem Rundblick nähert sich der Erzähler und mit ihm der Leser drei bestimmten Äckern, die „weithingestreckt gleich drei riesigen Bändern nebeneinander“[3] auf einem Hügel liegen, wobei auf den beiden äußeren in steter Regelmäßigkeit zwei Bauern pflügen, Manz und Marti, die Väter von Sali und Vrenchen. Durch diesen Novelleneinstieg rückt Keller sofort wichtige Elemente und Personen in den Fokus der Betrachtung, die im Folgenden die Entwicklung der Handlung ganz entscheidend bestimmen werden.

Die beiden Väter, zwei etwa vierzigjährige Männer, die in einiger Entfernung vollkommen gleich wirken, stellen den „sicheren, gutbesorgten Bauersmann“(S.65) dar und scheinen in einer friedlichen und harmonischen Idylle zu arbeiten. Keller benutzt das Bild der pflügenden Bauern für die „Verkörperung der ursprünglichen Gleichheit und Gleichförmigkeit.“[4]. Ihr Leben ist durch immer wieder kehrendes und geregeltes Tun bestimmt, das ihren Alltag in festen Bahnen hält. Eine dieser Regelmäßigkeiten stellt auch das Kommen ihrer beiden Kinder dar, die gemeinsam einen kleinen Wagen mit dem Frühstück der Väter bringen.

Während des anschließenden gemeinsamen Essens der beiden Bauern, also zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Novelle, zeigt sich jedoch bereits, dass die anfängliche Idylle eine trügerische ist. Im Gespräch von Manz und Marti manifestiert sich das erste Unrecht der Erzählung, das letztlich alle weitere Entwicklung bedingt und die Ursache für den Untergang der Väter darstellt. Das Gesprächsthema der beiden Bauern ist der mittlere brachliegende Acker und dessen rechtmäßiger Besitzer, der schwarze Geiger. Beide wissen sehr wohl, dass der Heimatlose der rechtmäßige Erbe des Feldes ist und könnten ihm zu seinem Grund und Boden verhelfen und ihm somit den Weg in die Gemeinde bahnen. Beides liegt jedoch nicht in ihrem Interesse, weil es sowohl ihren persönlichen Absichten als auch den selbstgerechten Vorstellungen des Bauern und Bürgers entgegensteht. „„Hm!“ sagte Marti, „das wäre so eine Sache! Wenn ich den schwarzen Geiger ansehe […], so möchte ich darauf schwören, daß er ein Enkel des Trompeters ist, der freilich nicht weiß, daß er noch einen Acker hat. Was täte er aber damit? Einen Monat lang sich besaufen und dann nach wie vor! Zudem, wer dürfte da einen Wink geben, da man es doch nicht sicher wissen kann!“ „Da könnte man eine schöne Geschichte anrichten!“ antwortete Manz, „wir haben so genug zu tun, diesem Geiger das Heimatsrecht in unserer Gemeinde abzustreiten, da man uns den Fetzel fortwährend aufhalsen will.““(S.68) In dieser kurzen Unterhaltung charakterisiert Keller die beiden Bauern als typische Vertreter einer „selbstgefälligen öffentlichen Meinung“[5], die jeden verurteilt, der außerhalb gewisser Gesellschaftsstrukturen steht, sich selbst aber als wahren Vertreter von Tugend und Anstand begreift.

Erschwerend kommt im weiteren Verlauf des Geschehens noch hinzu, dass Manz und Marti dem Geiger ihre Hilfe nicht nur aufgrund ihrer selbstgerechten Moralvorstellung verwehren, sondern auch aus persönlichem Kalkül. Beide verleiben nach und nach Teile des mittleren Ackers jeweils dem ihren ein um ihren persönlichen Besitz zu vergrößern, so dass nach Jahren nur noch ein schmaler mit Steinen übersäter Streifen zurückbleibt. Als kleiner Exkurs sollte hier noch erwähnt werden, dass Reichelt einen durchaus interessanten Zusammenhang dieses Diebstahls mit den Ideen Rousseaus erkennt, der sich im Kontext „der Inbesitznahme von Land als Unrecht und Katastrophe erzeugende Ursprungshandlung“[6] äußert. Diesen weiter zu verfolgen wäre sicherlich spannend, würde aber den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen.

Durch das ehrlose Verhalten dem Geiger gegenüber nimmt das Schicksal seinen Lauf. Nachdem sich kein Erbe für den Acker findet bzw. man dem Geiger sein Recht einfach verwehrt, wird der schmale Streifen, der noch übrig geblieben ist, zum Verkauf angeboten. Wie zu erwarten interessieren sich nur Manz und Marti dafür und Manz bekommt den Zuschlag. Was jedoch für die Gemeinde die Unklarheiten den Acker betreffend hätte aus der Welt schaffen sollen, führt vielmehr zu noch größerem Streit. Manz und Marti gönnen sich in ihrer Selbstsucht auch gegenseitig nichts.

Die Diskussion entbrennt um ein kleines Dreieck, dass Marti noch vor dem Verkauf des Feldes auf seiner Seite abgepflügt hat. Dieser Diebstahl, den Manz selbst jahrelang betrieben hat, erscheint dem neuen Ackerbesitzer auf einmal verwerflich und er fordert das Dreieck zurück. Marti aber sieht gar nicht ein auf ein Stück seines Besitzes zu verzichten, wenn er dieses auch auf illegale Weise erworben hat. So kommt es zum Streit, der zusätzlich zum egoistischen Gewinnstreben beider auch noch durch Manz Angst vor öffentlichem Spott angefacht wird. „„Ich denke, du hast den Acker gekauft, wie er da ist, wir haben ihn alle gemeinschaftlich besehen und er hat sich seit einer Stunde nicht um ein Haar verändert!“ „Larifari!“ sagte Manz, „was früher geschehen, wollen wir nicht aufrühren! Was aber zuviel ist, ist zuviel und alles muß zuletzt eine ordentliche gerade Art haben; diese drei Äcker sind von jeher so gerade nebeneinander gelegen, wie nach dem Richtscheit gezeichnet; es ist ein ganz absonderlicher Spaß von dir, wenn du nun einen solchen lächerlichen Schnörkel dazwischen bringen willst, und wir beide würden einen Übernamen bekommen, wenn wir den krummen Zipfel da bestehen ließen. Er muß durchaus weg!““(S.75) Diese Szene, die zum Ausbruch des Streites zwischen den Bauern führt, kann als eine der zentralen der Novelle angesehen werden. Entsprechend finden sich in ihrem Zusammenhang Deutungen und Interpretationen in der Forschungsliteratur. So weist Koebner beispielsweise auf den eigenartigen Starrsinn Manz in Bezug auf gerade Formen hin. Er ist der Meinung, dass diese scheinbare Überkorrektheit Manz als außen geleiteten und zugleich schuldverdrängenden Menschen ausweißt und als einen mürrisch hochfahrenden Mann.[7] Diese Aussage hat durchaus Berechtigung, denn vor allem sein Außengeleitetsein, seine Schuldverdrängung und seine Anmaßung treten deutlich hervor. Zu bedenken ist aber auch, dass Marti, der diesen geometrischen Ordnungssinn augenscheinlich nicht zu besitzen scheint, die gleichen Charaktermerkmale hat, wie sich im Laufe der Novelle noch deutlich zeigen wird. Somit ist der Starrsinn in Bezug auf gerade Formen wohl nur ein Indiz unter vielen, das es zur Charakterisierung der Bauern zu berücksichtigen gilt.

Auch Sautermeister macht Aussagen zu dem eingepflügten Dreieck, wobei er diesem im Gegensatz zu Koebner vor allem in Bezug auf Martis Charakter Bedeutung zumisst. „Eigennutz und Gewinnsucht der Bauern entgleiten plötzlich ihrer Kontrolle und entladen sich schlagartig in der asymmetrischen „Einkrümmung“ des Ackers […].“[8] Da diese von Marti ausgeht, scheint es in seinem Wesen begründet zu sein, dass er seinem Gewinnstreben durch einen Bruch von Konvention und Althergebrachtem Ausdruck verleiht, während Manz geradezu fanatisch auf die Einhaltung der alten geraden Linien pocht.

Die Textpassage viel weniger stark interpretierend ist es aber auch durchaus denkbar, dass Manz Angst vor Spott und Beharren auf geraden Linien nur Vorwände sind, um seine egoistischen Absicht sich so viel wie möglich von dem mittleren Acker anzueignen nicht deutlich aussprechen zu müssen, und dass Martis Einkrümmung kein plötzliches Auflehnen gegen alte Strukturen ist, sondern nur ein letzter Versuch sich ebenfalls noch so viel wie möglich von dem Acker zu sichern.

[...]


[1] vgl. Koebner, Thomas: S. 212

[2] Kaiser, Gerhard: S.310

[3] Keller, Gottfried: S.65 [Zitate aus diesem Text werden im Folgenden durch Angabe der Seitenzahl hinter der zitierten Stelle direkt im fortlaufenden Text gekennzeichnet]

[4] Selbmann, Rolf: S.61

[5] Koebner, Thomas: S.209

[6] Reichelt, Gregor: S.109

[7] vgl. Koebner, Thomas: S.214

[8] Sautermeister, Gert: S.98

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Gottfried Keller: "Romeo und Julia auf dem Dorfe"
Untertitel
Ursachen eines Liebestodes unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftsbedingter Motive
Hochschule
Universität des Saarlandes
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V57185
ISBN (eBook)
9783638517034
ISBN (Buch)
9783656112563
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gottfried, Keller, Romeo, Julia, Dorfe, Ursachen, Liebestodes, Berücksichtigung, Motive
Arbeit zitieren
Nadine Bachmann (Autor:in), 2005, Gottfried Keller: "Romeo und Julia auf dem Dorfe" , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57185

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