"Phèdre" und "Andromaque". Zwei Tragödien von Jean Racine


Hausarbeit, 2006

16 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Andromaque

III. Phèdre

IV. Zusammenfassung

V. Schlussbemerkung

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Jean Racine gilt in der französischen Literaturgeschichte als der klassische Tragödien-autor schlechthin. Wenn von der ‚tragédie classique’ die Rede ist, denkt der heutige Franzose eher an das Theater des 17. Jahrhunderts zur Zeit des Königs Louis XIV und damit auch an Racine als an das antike griechische Theater und etwa Sophokles. Bereits die Zeitgenossen der Französischen Klassik waren zu der Auffassung gelangt, dass die Autoren ihrer Epoche die Antike an literarischer Kunstfertigkeit eingeholt, wenn nicht gar überholt hätten und von nun an selbst als Vorbild für kommende Generationen dienen könnten.

Wenn wir von Französischer Klassik sprechen, so meinen wir damit vor allem die Dramen eines Pierre Corneille, Jean Racine und Jean-Baptiste Poquelin (besser bekannt als Molière) und damit die Zeit zwischen 1660 und 1680. Auch wenn es zeitlich weiter gedehnte Definitionen der Französischen Klassik gibt, gelten jene zwanzig Jahre immer noch als die ‚Hochklassik’.

Jean Racine wurde 1639 in La Ferté-Milon geboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern liegt die Erziehung des Knaben in den Händen der Großmutter. Er wurde von 1655-58 in Port-Royal erzogen, in einer jansenistisch geprägten Schule. Nach dem Studium in Paris sollte Racine eigentlich Geistlicher werden, doch wählte er sich die Dichtung zum Beruf und er konnte sich am Hofe des Königs einen Namen machen.

Racine war derjenige Dramenautor, der dem sich wandelnden Geschmack des Publikums Rechnung trug. Gefragt sind seit den Fünfzigern immer mehr die ‚livres d’amour’, also Romane, in denen die Liebe eine zentrale Rolle spielt und nicht mehr der heroisch-galante Roman.[1] Also akzentuierte auch Racine das Thema Leidenschaft in seinen Stücken und hatte Erfolg damit, konnte sogar Pierre Corneilles Nachfolge in der Gunst des Publikums antreten.

Thema dieser Arbeit sollen zwei elementare Dramen von Jean Racine sein, in deren Mittelpunkt eben die Passion steht: Andromaque, das dem Dichter 1667 den Durchbruch beschert und Phèdre, das bis heute als Racines Meisterwerk gilt.[2] Beide Dramen werden hierbei analysiert und interpretiert mit dem Ziel, in einer Zusammenfassung eine kurze Charakteristik von Racines Tragödien zu geben.

II. Andromaque

Die 1667 entstandene und uraufgeführte Tragödie Andromaque hat innerhalb des Werkes von Jean Racine deshalb einen so hohen Stellenwert, weil er sich hier erstmals von den vor allem durch Corneille geprägten Normen löst und in eine eigene, kreative Phase eintritt. In Andromaque werden streng die drei Einheiten des Aristoteles beachtet (Raum, Zeit, Handlung) und die Handlung wird in das Innere der Figuren gelegt. Die Gefühle und Beweggründe der Protagonisten sind nun das Thema und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben. Held ist nun nicht derjenige, der heroisch und idealistisch in das Schicksal eingreift wie bei Corneille, sondern derjenige, der von seinen Leidenschaften überwältigt wird und diese nicht mehr kontrollieren kann, an ihnen gar untergeht. Dazu braucht es natürlich eines ‚mittleren’ Helden, also eines Protagonisten, der nicht völlig tugendhaft ist, aber auch nicht gänzlich ein Schurke, damit dieser ein Opfer seiner Passion werden kann.

Der Struktur des Dramas liegt eine so genannte Liebeskette zugrunde: Oreste liebt Hermione, Hermione liebt Pyrrhus, Pyrrhus liebt Andromaque und Andromaque liebt ihren verstorbenen Gemahl Hector und ihren Sohn. Die Grundkonstellation erinnert also eher an den Aufbau einer Komödie denn einer Tragödie.[3] Die dramatische Aktion entfaltet sich in fünf Akten in der Form eines Kreises: Es beginnt mit den sehnsüchtigen Wünschen Orestes und endet mit dessen Wahnsinn und der Zerstörung all seiner Hoffnungen. Beide Szenen, die erste und die letzte, sind Dialoge zwischen Oreste und Pylade. Den Auftakt des Stückes bildet die Erklärung Orestes seinem Freund Pylade gegenüber, er sei im Auftrag der Hellenen nach Buthrote gekommen, um von König Pyrrhus die Auslieferung von Astyanax, Andromaques Sohn, zu fordern. Doch teilt er auch sogleich seine wahre Absicht mit: Oreste erhofft sich, Hermione, die aber Pyrrhus heiraten möchte, für sich zu gewinnen, da er weiß, dass Pyrrhus eigentlich Andromaque liebt. Darum glaubt Oreste, Phyrrus werde Andromaque zuliebe dem Wunsche der Griechen nicht nachkommen und einen Krieg riskieren. Und Hermione werde so die Aussichtslosigkeit ihrer Liebe vor Augen gestellt und sie werde sich des werbenden Orestes erinnern und erweichen.

Je me livre en aveugle au transport qui m’entraîne,

J’aime, je viens chercher Hermione en ces lieux,

La fléchir, l’enlever, ou mourir à ses yeux (V. 98-100)[4]

Die Handlung wird durch Oreste von außen ins Königreich Epirus getragen. Bisher stagnierte die Situation folgendermaßen: Pyrrhus zögert die Heirat mit Hermione immer weiter hinaus, da er hofft, seine eigentliche Liebe Andromaque werde sich ihm doch noch ergeben. Da nun aber die Griechen Astyanax fordern, muss Pyrrhus’ Verhältnis zu Andromaque endgültig geklärt werden.

Die Liebeskette, Grundschema des Stückes, erschafft für jedes Glied in ihr durch die Unerfüllbarkeit der Sehnsüchte eine Abhängigkeit, eine Gefangenschaft. Daraus, da ja jede Figur verwirrt ist in ihre Leidenschaft, ergibt sich ein ganzes Bündel aus Absichten und Listen. Jede List, die nur der egoistischen Erfüllung der Leidenschaften dient, wird bestraft: Oreste ist nur vordergründig Gesandter der Griechen, eigentlich möchte er Hermione für sich gewinnen. Er verfällt dem Wahnsinn und der Todessehnsucht. Pyrrhus erpresst von Andromaque die Heirat. Er wird ermordet. Hermione stiftet aus enttäuschter Liebe Oreste an, Pyrrhus, den sie doch eigentlich liebt, zu töten. Sie geht an dessen Tod zugrunde. Nur die List Andromaques wird belohnt. Sie beschloss, sich selbst das Leben nach der Hochzeit mit Pyrrhus zu nehmen, der sie nur aus Sorge um ihren Sohn zugestimmt hatte, um die Treue zu ihrem verstorbenen Gemahl Hector zu wahren. Ihre Tragik aber besteht darin, dass sie den blutigen Gang der Handlung durch ihre List erst initiiert.

Doch zur Katastrophe kann es nur kommen, weil sich die Liebesleidenschaft unerfüllt in Hass verwandeln kann. Oreste erwähnt die komplexe Ambivalenz seiner Gefühle Hermione gegenüber bereits im ersten Akt:

De mes feux mal éteints je reconnus la trace

Je sentis que ma haine allait finir son cours,

Ou plutôt je sentis que je l’aime toujours (V. 86-88)

Die Flamme steht hier also sowohl für das Brennen der Leidenschaft als auch für die zerstörerische Kraft dieses Feuers. Vor allem aber Hermione ist in dieser Ambivalenz des Gefühls gefangen. Sie schwankt dabei zwischen Hassgefühlen, die sie nach außen hin sicher vertritt, und ihrer eigenen Unsicherheit:

Ah! Je l’ai trop aimé pour ne le point haïr! (V. 416)

Je crains de me connaître, en l’état où je suis (V. 428)

Sie ist es schließlich deren Liebe so deutlich in Hass umschlägt, dass sie Oreste, der ihr ja hörig ist, wie sie weiß, anstachelt, Pyrrhus vor dem Traualtar zu ermorden, um dann an dessen Tod wiederum selbst zugrunde zu gehen, weil der Hass eben wieder in, jetzt erst recht, unerfüllbare Liebe umschlägt. Die Leidenschaft und ihr Mangel dagegen anzukämpfen haben sie unzurechnungsfähig gemacht:

Ah! Ne puis-je savoir si j’aime, ou si je hais! (V. 1404)

Die Melange von Hass und Liebe führt in Andromaque letztendlich immer nur zur Vernichtung dessen, den man liebt und/oder von sich selbst. Andromaque will sich aus Liebe und Treue zu Hector selbst das Leben nehmen, Hermione lässt Pyrrhus ermorden und begeht darob Selbstmord und Orestes Mord an Pyrrhus löst ja diesen Selbstmord erst aus. Dies entspricht also einem Liebeskonzept, in dem die Liebe jedwede positive Kraft verloren hat. Aus der idealen Liebe wird die gewalttätige, mörderische Liebe und das semantische Gegensatzpaar von Liebe und Hass wird aufgelöst. Der Hass erscheint sogar als die authentische der Liebe.[5]

Die Gefangenheit der Figuren in ihren doppelseitigen Leidenschaften ähnelt einander und macht sie einander gleich. Die verschiedenen Personen des Stückes sagen dem Sinn und dem Gehalt nach das gleiche mit ähnlichen Worten. Denkweise und Sprache der Figuren sind einander so ähnlich, dass sie austauschbar erscheinen, also in der Situation eines anderen genauso wie dieser reagieren würden.[6]

Wir sehen also in Andromaque die Protagonisten dargestellt als überwältigt von ihrer Leidenschaft, die in Hass und Wahnsinn umschlagen kann. Der Mensch ist nicht mehr handelnder Held, sondern Sklave seiner Gefühle. Ähnliches sehen wir auch in Phèdre.

III. Phèdre

Auch in Phèdre werden die Einheiten von Zeit, Raum und Handlung eingehalten. Ort des Geschehens ist die Vorhalle des Palastes in Trézène – die Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre. Dieser eng abgesteckte Machtbereich beengt und beschränkt automatisch die Zahl der Personen, die an diesem Ort überhaupt auftreten können und beschneidet auch die Möglichkeiten einer mehrsträngigen Handlung. Auch dadurch wird die Einheit der Handlung gewahrt und die Handlung selbst in das Innere der Protagonisten verlagert.[7] Und da sich die Handlung größtenteils in der Seele abspielt, macht es Racine auch keine Schwierigkeiten, die Einheit der Zeit (einen Tag) einzuhalten.

[...]


[1] Vgl. Nachwort von Wolf Steinsieck in: Jean Racine: Phèdre. Tragédie en cinq actes, Stuttgart 1995.

[2] Vgl. Jürgen Grimm (Hg.): Französische Literaturgeschichte, Stuttgart 1999, S. 164.

[3] Vgl. Harald Weinrich: Tragische und komische Elemente in Racines Andromaque. Eine Interpretation, Münster 1958.

[4] Vgl. für die zitierten Zeilen aus Andomaque: Jean Racine: Théâtre – Poésie, Œuvres complètes Bd. I, hg. v. Georges Forestier, Paris 1999.

[5] Vgl. Susanne Schlünder: Jean Racine, Andromaque (1667), in: Henning Krauß (Hg.): 17. Jahrhundert. Theater, Tübingen 2003, S. 141-170, hier S. 164.

[6] Vgl. Karl August Ott: Andromaque, in: Jürgen von Stackelberg: Das französische Theater. Vom Barock bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1968, S. 137-163, hier S. 139.

[7] Vgl. Karl August Ott: Über die Bedeutung des Ortes im Drama von Corneille und Racine, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 42 (1961), S. 341-65, hier S. 361.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
"Phèdre" und "Andromaque". Zwei Tragödien von Jean Racine
Hochschule
Universität Stuttgart  (Institut für Literaturwissenschaft, Abteilung Galloromanistik)
Note
1
Autor
Jahr
2006
Seiten
16
Katalognummer
V57854
ISBN (eBook)
9783638521802
ISBN (Buch)
9783656806615
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dies ist eine interpretatorischer Vergleich von Jean Racines Tragödien "Andromaque" und "Phèdre" (deutsche Titel: "Andromache" und "Phädra") mit besonderem Augenmerk auf die Sujetstruktur.
Schlagworte
Phèdre, Andromaque, Zwei, Tragödien, Jean, Racine
Arbeit zitieren
Florian Burkhardt (Autor:in), 2006, "Phèdre" und "Andromaque". Zwei Tragödien von Jean Racine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57854

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