Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
2 BEGRIFFLICHE DEFINITIONEN
2.1 Antiamerikanismus
2.2 Amerikahass und Antisemitismus - Gemeinsamkeiten und Unterschiede
2.3 Sekundärer Antiamerikanismus und Antisemitismus
3 GESCHICHTSREVISIONISMUS
4 EUROPÄISCHE IDENTITÄT ALS NICHT-AMERIKA
5 DEUTSCHE ÖFFENTLICHKEIT NACH 9/11
5.1 Intellektuelle Reaktionen und die „Friedensbewegung“
5.2 Schröders Wahlkampf
5.3 Verschwörungstheorien als Bestseller
6 AUSBLICK
1 Einleitung
Wie jedes Vorurteil sagt auch der Antiamerikanismus entschieden mehr über diejenigen aus, die ihm anhängen, als über das Objekt ihrer Wut und Verachtung.
Andrei S. Markovits1
Antisemitismus und Antiamerikanismus sind feste Bestandteile des politischen Diskurses in den europäischen Gesellschaften. Insbesondere seit den Anschlägen des 11.Septembers 2001 haben sich alte Stereotype und Feindbilder wieder verstärkt offenbart. Dabei ist ein zentrales Charakteristikum des europäischen Antiamerikanismus, dass er überall sowohl eine rechte als auch eine linke Komponente aufweist, die sich in den letzten Jahren so sehr ähneln, dass man sie häufig nur noch dadurch unterscheiden kann, dass die Rechte offen zu ihren Ressentiments steht2. Im Gegensatz zu allen anderen Antipathien und Vorurteilen gegenüber den verschiedensten Kollektiven steigen die negativen Einstellungen zu Amerika mit sozialem Status und Klassenzugehörigkeit3. Demzufolge soll es in dieser Arbeit nicht um offen rechtsextreme oder nationalpolitische Akteure in den politischen Arenen Europas gehen, sondern um die bürgerliche und sich selbst als 'links` verstehende Öffentlichkeit. Thematisiert werden soll auch nicht die Zunahme physischer Gewalt gegen jüdische Bürger und amerikanische sowie jüdische Einrichtungen, da diese oft von Tätern begangen werden, die von `den Europäern` als außerhalb ihres Kollektivs stehend betrachtet werden (offen agierende Nazis, muslimische Migranten)4.
„Wir sind das Land, das alle mit Begeisterung hassen. Und wer könnte es ihnen vorwerfen?“5 schreibt der bekannteste US-amerikanische Antiamerikanist Michael Moore. Er begreift Antiamerikanismus als Produkt der Handlungen der Bush-Administration. Auch so soll das Phänomen hier nicht behandelt werden. Antiamerikanische Ressentiments, so meine These, sind keine Reaktionen auf aktuelle politische Entwicklungen in den oder die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, sondern historisch gewachsene Feindbilder6, die aktuell wieder verstärkt reproduziert werden. Ideologisch motivierte Amerikafeindschaft ist ein keineswegs auf Deutschland beschränktes Phänomen7, sondern kann sich im Gegenteil sogar als ein identitätsstiftendes Element für eine sich konstituierende europäische Gesellschaft erweisen. Nichtsdestotrotz soll in dieser Arbeit im Kapitel „Geschichtsrevisionismus“ die besondere Funktion von Antiamerikanismus und Antisemitismus in Deutschland verdeutlicht werden.
Schließlich stehen die Deutschen den Amerikanern (und auch den Juden personifiziert im Staat Israel) historisch bedingt anders gegenüber (als militärisch Besiegte beziehungsweise als Täter)8, was Antiamerikanismus und Antisemitismus in Deutschland aus einem anderen Blickwinkel untersuchen (und auch bewerten) lässt.
Die kulturellen Ressentiments und Stereotype gegen die USA (und auch Israel) sind, wie zu zeigen sein wird, nicht auf rechtsextreme oder nationalpopulistische Akteure beschränkt. „Wohl aber ist zu vermuten, dass ihre Reproduktion seitens demokratischer Akteure langfristig einen Nährboden für Vorurteile bereiten kann, der perspektivisch die diskursive politische Opportunität von antisemitischen Mobilisierungsversuchen in Deutschland erhöhen könnte und damit deren politische Gelegenheitsstrukturen insgesamt verbessert“9. Gerhard Schröders Wahlerfolg 2002 mit einem auch auf mobilisierten tradierten kulturellen Vorurteilen beruhenden Wahlkampf könnte ein Schritt in diese Richtung gewesen sein.
„Man kann über Antisemitismus schreiben, ohne vom Antiamerikanismus zu reden. Das Umgekehrte, behaupte ich, ist unmöglich“, schreibt Markovits10. Von dieser Argumentation ausgehend sollen in dieser Arbeit zunächst die Begriffe Antisemitismus und Antiamerikanismus in ihren Gemeinsamkeiten und in ihren Differenzen definiert werden. Anschließend werde ich versuchen zu zeigen, wie selbstverständlich antiamerikanische Stereotype und auch Feindbilder im europäischen, vor allem aber im spezifisch deutschen Diskurs verwendet und auch instrumentalisiert werden. Dies soll anhand gesellschaftlicher Diskurse der letzten Jahre geschehen, wobei ein Schwerpunkt auf die deutschen Reaktionen auf 9/11 und Afghanistan- und Irak-Krieg gelegt werden wird.
2 Begriffliche Definitionen
2.1 Antiamerikanismus
Antiamerikanische Argumentationsstrategien werden oft nicht als solche identifiziert, da sie sich einer hohen gesellschaftlichen Akzeptanz im Gegensatz zu primär antisemitistischen Ansätzen erfreuen. Dan Diner definiert Antiamerikanismus als „Ergebnis einer verschrobenen Welterklärung, einer affektgeladenen Rationalisierung von gesellschaftlich
Unverstandenem“11. Schon dieser Ansatz deutet darauf hin, warum Antiamerikanismus gerade in Zeiten globaler gesellschaftlicher Transformationen eine solch große Renaissance erfährt. Diner weiter: „In dieser Welterklärung wird Amerika immer wieder als Ursprung alles nur möglichen Übel identifiziert“12. Dabei stehen die Begriffe „Amerikanisierung“ und „amerikanische Verhältnisse“ im derzeitigen deutschen Sprachgebrauch fast ausschließlich für negative Zuschreibungen13 vom Verlust von Arbeitnehmerrechten über einen angeblichen „Verlust von Kultur“ bis hin zu einer zunehmenden Gewaltproblematiken innerhalb der Gesellschaften, die das Problem durch diese Sprachwendungen in die USA exterritorialisieren. So ficht das antiamerikanische Ressentiment die USA nicht in erster Linie dafür an, was sie tun, sondern dafür, was sie sind.14 Dabei ist der Antiamerikanismus zunächst einmal eine abwehrende „Reaktion auf die Moderne“.15
Gesine Schwan trennt legitime US-Kritik von Antiamerikanismus, indem sie ersterer zuschreibt, zwischen positiven und negativen Bewertungen Amerikas zu differenzieren, während zweiterer alles ablehnt, „was jeweils für das Wesen der USA gehalten wird“16.
Eine sehr umfangreiche und stimmige Definition scheint mir jene von Paul Hollander zu sein. Er schreibt: „Antiamerikanismus ist die Anfälligkeit für Feindseligkeit den Vereinigten Staaten und der amerikanischen Gesellschaft gegenüber, ein unbarmherziger kritischer Impuls gegenüber amerikanischen sozialen, wirtschaftlichen und sozialen Institutionen, Traditionen und Werten; er geht einher mit einer Aversion gegen amerikanische Kultur und ihren Einfluss im Ausland, verachtet häufig den amerikanischen Nationalcharakter (oder was dafür gehalten wird), mag amerikanische Menschen, Stile, Verhalten, Kleidung usw. nicht, lehnt die amerikanische Außenpolitik ab und ist fest davon überzeugt, dass amerikanischer Einfluss und amerikanische Präsenz wo auch immer auf der Welt schlecht sind“17.
2.2 Amerikahass und Antisemitismus - Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Der wichtigste Unterschied zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus besteht in der Tatsache, dass der moderne Antisemitismus nicht von der Geschichte der NS- Massenvernichtung und einer jahrhundertelangen Praxis der Ausgrenzung, Verfolgung und Entrechtung von Juden zu verstehen ist. Der Antiamerikanismus bleibt hingegen ein Diskurs, der nie vergleichbare Auswirkungen auf amerikanische Bürger gehabt hat18. Ein zweiter wichtiger Unterschied besteht darin, dass ein „Amerikanismus“ besteht. Charakteristisch ist die Identifizierung von Kapitalismus, Individualismus und parlamentarischer Demokratie und die Propagierung dieser Leitsätze als Vorbild für andere Staaten19. Der Antisemitismus hingegen ist ein „tendenziell paranoider Erklärungsversuch“20, der die Folgen eines kapitalistischen Weltwirtschaftssystems einer international vernetzten heimlichen Macht zuspricht. Im Gegensatz zu „klassischen“ Vorurteilen wie Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Rassismus unterscheidet sich der Amerikahass in einem weiteren Punkt: In den anderen Fällen handelt es sich um „schwache Minderheiten“, die USA hingegen verfügen über eine immense Macht, die seit Ende des 19. Jahrhunderts globale Dimensionen angenommen hat.21 Dieser Punkt ist entscheidend, um zu verstehen, welch große Legitimität die Ablehnung all dessen, was für „amerikanisch“ gehalten wird, in den europäischen Gesellschaften erfährt. Mit einer antiamerikanischen Einstellung tritt der aufgeklärte Europäer automatisch der größten Macht der Welt entgegen und ist damit nicht intolerant, sondern leistet „berechtigten Widerstand“22. Die Gemeinsamkeiten der beiden Phänomene lassen sich im Wesentlichen auf zweierlei Weise verdeutlichen: Zum einen im besonders nach 11/09 wieder so verbreiteten Bild einer jüdisch-amerikanischen Weltverschwörung23, in dem davon ausgegangen wird, dass eine mächtige jüdische Lobby die Politik der Bush-Administration lenkt wie sie ohnehin über ihr „Kapital an der amerikanischen Ostküste“ das weltweite Finanzkapital ihr Eigen nennen könnte und zum anderen über traditionell antisemitische Bilder „des Juden“ wie Raffgier und das „Auge und Auge, Zahn um Zahn“24, deren Legitimität in der bürgerlichen Öffentlichkeit nur dann gegeben ist, wenn diese Stereotype auf die USA (und auf Israel) angewandt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Antiamerikanismus zwar nicht inhaltlich, aber strukturell antisemitisch ist.25
2.3 Sekundärer Antiamerikanismus und Antisemitismus
Vom traditionellen europäischen Antisemitismus unterscheidet sich der sekundäre Antisemitismus durch den Aspekt der Schuldabwehr26. Er muss den Massenmord an den europäischen Juden und die Gründung des Staates Israel erklären. Weil primäre und offen- extreme Formen der Judenfeindschaft in Deutschland mit einem „Kommunikationstabu“ belegt sind27 und daher meist nur in rechtsextremen Kreisen zutage treten, äußert sich der „neue Antisemitismus“ zum einen in direkten, chiffrierten Versionen, in Anspielungen und Codes. Zum anderen verfügt er eben über ein neues Element: Er speist sich aus der Abwehr der Erinnerung an den Holocaust bzw. aus dem Normalisierungswunsch und der Verhinderung seiner Erfüllung durch die Juden, die den Holocaust nicht vergeben und vergessen können und schon qua Existenz daran erinnern.28
Dieser sekundäre Antisemitismus aus Erinnerungsabwehr, indem Juden (den Deutschen) als „Störenfriede der Erinnerung“ erscheinen und wahrgenommen werden prägt in Deutschland immer wieder die Bilder von Juden (und Israel) und die neuen Formen des Antisemitismus. Der sekundäre Antisemitismus richtet sich gegen die Juden wegen Auschwitz29. Ähnliches gilt für den sekundären Antiamerikanismus. Die Unterschiede ergeben sich primär aus der historischen Konstellation: Die Juden als Opfer der NS-Vernichtungspolitik, die USA als Sieger über Nazi-Deutschland. Den einen ist man „nur“ moralisch, den anderen auch militärisch unterlegen30. Die daraus resultierenden diskursiven Strategien sind aber im Prinzip austauschbar; am offensichtlichsten bei der Gleichsetzung von amerikanischer und israelischer Politik mit NS-Verbrechen bzw. von amerikanischen oder israelischen Politikern mit Hitler oder anderen NS-Politikern mit dem Effekt, NS-Verbrechen zu relativieren31. Ein aktuelles Beispiel wäre die weit verbreitete Gleichung Bush = Hitler.32 Dabei ist sogar davon auszugehen, dass die Sensibilität gegenüber solchen Gleichsetzungen in Deutschland höher ist als in anderen Ländern33, wo der NS häufig sprachlich für das „absolut Schlechte“ steht.
3 Geschichtsrevisionismus
„Die konsequenteste antisemitische Strategie nach 1945 ist zweifelsohne die Leugnung des Holocaust. Weitaus häufiger und erfolgsversprechender ist jedoch die Bagatellisierung und Relativierung der Judenvernichtung“34
Traditionell war der Antiamerikanismus als ein gegen die Moderne gerichteter Reflex ein Phänomen der Konservativen. Das änderte sich mit dem Vietnamkrieg, der aus der studentischen Linken heraus als „faschistisch“ beschrieben wurde35. In Deutschland wirkte diese Gleichsetzung als „projektive Entlastung“36.
[...]
1 Andrei S. Markovits - Amerika, dich haßt sich`s besser, S. 35.
2 Ebd., S.55.
3 Ebd, 53 ff.
4 Ebd, S. 198.
5 Michael Moore - stupid white men, S. 201.
6 Vgl. Christian Schwaabe - Antiamerikanismus: Wandlungen eines Feindbildes
7 So schreibt Diner 1993, S. 7 und so sehen es auch aktuellere Untersuchungen wie die von Markovits.
8 Rensmann schreibt: „Rechtsextreme Akteure … erhoffen sich mit dem Antiisraelismus Anschluss an populäre Ressentiments. Ähnliches gilt für den vor allem seit dem 11. September 2001 dezidiert proklamierten „Kampf gegen den US-Imperialismus“, dem man insbesondere die „Besatzerherrschaft“, re-education und vorgebliche „Siegerjustiz“ nach 1945 nicht verziehen hat“
9 Lars Rensmann - Judenbild und Demokratie, S. 327.
10 Markovits, S. 174.
11 Zitiert nach Hahn, S. 14.
12 Ebd.
13 Vgl. Marcovits S. 118.
14 Vgl. Diner, zitiert nach Hahn, S. 114f.
15 Jaecker, S.38.
16 Hahn, S. 15.
17 Zitiert nach Markovits, S. 17.
18 Vgl. Hahn, S. 96f.
19 Vgl. Hahn 102.
20 Hahn, S. 99.
21 Vgl. Markovits, S. 35f.
22 Ebd.
23 Vgl. Tobias Jaecker - Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September
24 Vgl. auch Rensmann, S. 81.
25 Vgl. Jaecker, S.41.
26 So Henryk Broder, zitiert nach Markovits, S.178.
27 Jaecker,S.31.
28 Jaecker,S.32.
29 Vgl. Rensmann S. 90f.
30 Hahn, 109.
31 Hahn, 109.
32 Rensmann, 91.
33 Hahn, 109.
34 Jaecker,S.32.
35 Vgl. Hahn, S.33.
36 So Dan Diner, zitiert nach Hahn, S.33