„Es fehlte nicht bloß an Zusammenarbeit militärischer und politischer Stellen bei der Vorbereitung des Krieges: auch die Obersten Militärbehörden untereinander waren nicht einig; Generalsstab und Kriegsministerium hatten sehr verschiedene Ansichten von den Bedürfnissen deutscher Rüstungspolitik.“ Der für das Deutsche Reich erfolgreiche Krieg von 1870/71 war nicht geeignet, die außenpolitische Situation des Reiches zu verbessern. Im Gegenteil, „schon im Zeitalter Bismarcks bahnte sich trotz seines kunstvollen Bündnissystems eine außenpolitische Selbstisolierung Deutschlands an“, welche durch den Abschluss der russisch-französischen Militärkonvention am 17. April 1892, die, im Dezember 1893 zu einem formellen politischen Bündnis erweitert, manifestiert wurde. Vor diesem Hintergrund begann der Chef des Generalstabes, Alfred Graf von Schlieffen, mit der Ausarbeitung eines neuen Aufmarschplanes, der der nunmehr gegebenen Gefahr eines Zweifrontenkrieges Rechnung tragen sollte. Für die Durchführbarkeit eines solchen war eine quantitative Erhöhung der Truppenstärke notwendig, der das Kriegsministerium jedoch mit Verve entgegen arbeitete. Dieses Phänomen, in dem die eine militärische Behörde der anderen bei Fragen der Aufrüstung nach Kräften Steine in den Weg legte, soll hier exemplarisch an der Heeresrüstungspolitik der Jahre 1906 bis 1912 untersucht werden, um abschließend die Frage beantworten zu können, wie es zu der merkwürdig anmutenden Situation kommen konnte, in der „die eine Hand nicht wusste was die andere tat“ und im Endeffekt weder Kriegsministerium noch Generalstab die, sie zu ihrem Handeln motivierenden, Ziele erreichen konnten. Das wilhelminische Kaiserreich ist nicht nur eine der am besten erforschten Abschnitte der deutschen Geschichte, es bot auch Anlaß zu heftig geführten Debatten, deren berühmteste sicherlich die so genannte Fischer-Kontroverse ist. Die Literaturlage ist also mehr als ausreichend. Auch die Quellenlage kann im Großen und Ganzen als ergiebig bezeichnet werden, eine Ausnahme stellen jedoch die Originalakten des preußischen Kriegsministeriums und des Generalstabes dar, da die Bestände des Heeresarchivs in Potsdam 1945 fast vollständig vernichtet wurden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die militärische Entscheidungsfindung
- Die Kommandogewalt des Kaisers
- Der wilhelminische Behördenpartikularismus
- Die äußere Funktion der Armee
- Die Notwendigkeit der Aufrüstung
- Die außenpolitische Situation
- Die innere Funktion der Armee
- Das „prätorianerartige Machtinstrument“
- Das „staatszersetzende Element“
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Heeresrüstungspolitik im Deutschen Kaiserreich zwischen 1906 und 1912. Sie untersucht die Gründe für die mangelnde Koordination zwischen den verschiedenen militärischen Behörden und den daraus resultierenden Problemen bei der Aufrüstung des Heeres. Besonderes Augenmerk liegt auf den Auswirkungen des wilhelminischen Behördenpartikularismus und der Rolle des Kaisers in der Entscheidungsfindung.
- Die Kommandogewalt des Kaisers und ihre Auswirkungen auf die Heeresrüstungspolitik
- Der wilhelminische Behördenpartikularismus und die daraus resultierende Konkurrenz zwischen den militärischen Behörden
- Die Rolle des Kriegsministeriums und des Generalstabs in der Rüstungsplanung
- Die Auswirkungen der fehlenden Koordination auf die Effizienz der Aufrüstung
- Die Bedeutung der äußeren und inneren Funktion der Armee für die Heeresrüstungspolitik
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt die Problematik der Heeresrüstungspolitik im Deutschen Kaiserreich dar. Sie zeigt auf, dass die verschiedenen militärischen Behörden nicht miteinander koordiniert agierten und dadurch die Aufrüstung des Heeres erschwert wurde. Die Arbeit untersucht diese Situation anhand der Jahre 1906 bis 1912.
Die militärische Entscheidungsfindung
Die Kommandogewalt des Kaisers
Dieses Kapitel behandelt die Kommandogewalt des Kaisers über die Armee, die ein Relikt des Absolutismus war. Der Kaiser hatte die Entscheidungsgewalt über alle militärischen Belange, während der Reichstag nur begrenzt Einfluss auf die Heeresrüstungspolitik nehmen konnte. Die Aufgabe des Kriegsministeriums beschränkte sich auf die Verwaltung und das Budget, während die strategische Planung und die Ausbildung des Heeres in der Verantwortung des Generalstabs lagen.
Der wilhelminische Behördenpartikularismus
Dieses Kapitel analysiert die Auswirkungen des wilhelminischen Behördenpartikularismus auf die militärische Entscheidungsfindung. Wilhelm II. hatte die militärische Organisation umstrukturiert und eine Vielzahl von Behörden mit unterschiedlichen Zuständigkeiten geschaffen. Dadurch entstand eine Konkurrenz zwischen den Behörden, die zu einer mangelnden Koordination und Entscheidungsfindung führte.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Themen der Heeresrüstungspolitik im Deutschen Kaiserreich, insbesondere mit der Kommandogewalt des Kaisers, dem wilhelminischen Behördenpartikularismus, dem Konflikt zwischen Kriegsministerium und Generalstab, der Bedeutung der Rüstung für die innere und äußere Funktion der Armee sowie den Auswirkungen der mangelnden Koordination auf die Effizienz der Aufrüstung.
- Arbeit zitieren
- Max Haun (Autor:in), 2006, Zwischen Generalstab und Kriegsministerium - Zur äußeren und inneren Funktion der Armee im wilhelminischen Kaiserreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57908