Schwarze Identität und pentecostaler Glaube - ein Widerspruch?


Seminararbeit, 2003

17 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in das Thema

2. Die Problemsicht des movimento negro

3. Die brasilianische Alltagswelt
3.1. Familie
3.2. Arbeits- und Berufswelt
3.3. Partnerschaft
3.4. Die Rolle der Medien
3.5. Folgen der Alltagserfahrungen

4. Der „Mikrokosmos Pfingstkirche“
4.1. Die Gemeinde der Gläubigen
4.2. Religiöse Tätigkeit und Berufung
4.3. Pentecostale Partnerschaft
4.4. Die Rolle der Medien
4.5. Folgen der pentecostalen Erfahrung

5. Diskussion

1. Einführung in das Thema

Der Pentecostalismus als eine Spielart des christlichen Glaubens, hat sich in der brasilianischen Gesellschaft mehr als nur etabliert. Vom „Markt der Religionen“ kaum wegzudenken, haben traditionelle wie neuartige Ausläufer der Pfingstkirche, deren wohl bedeutsamste Repräsentanten in der Assembly of God sowie der Universal Church of the Kingdom of God zu finden sind, weiterhin großen Zulauf.[1] Ein nicht geringer Anteil dieser Gläubigen (etwa 25% im Großraum Rio)[2] gehört der schwarzen Bevölkerung des Landes an. Diese Tatsache ist insbesondere aus dem Grunde überraschend, da das Verhältnis zwischen dem sog. movimento negro, schwarzen Gruppierungen also, die sich explizit mit Fragen der „schwarzen Identität“ befassen und dem Kampf gegen den Rassismus verschrieben haben,[3] als äußert gespannt bezeichnet werden darf. Ihren vorläufigen Höhepunkt fanden jene Spannungen 1996, als Vertreter schwarzer Organisationen des ganzen Landes in Brasilia zusammentrafen, um der von pentecostalen Kirchen ausgehenden Gefahr zu begegnen, der sich insbesondere die afro-brasilianischen Religionen candomblé und umbanda ausgesetzt sehen. Am Ende dieses Meetings war die konkrete Forderung nach Anwendung des Antirassismusgesetzes gegen die pentecostale Kirche zu vernehmen.[4]

Es stellt sich also die Frage, warum eine, zumindest laut movimento negro, mit der „schwarzer Identität“ schlicht und einfach unvereinbare Religionsform gerade innerhalb der „dunkelhäutigsten“ Bevölkerung Brasiliens so erfolgreich missioniert. Diesen scheinbaren Widerspruch gilt es näher zu betrachten.

Im Folgenden werden zunächst wesentliche Bedenken und Vorwürfe des movimento negro der Pfingstkirche gegenüber dargelegt. Anschließend wird der Versuch unternommen durch eine extreme Kontrastierung der Erfahrungen schwarzer Brasilianer im gesellschaftlichen Alltag einerseits und dem „pentecostalen Mikrokosmos“ andererseits, eine Erklärungsmöglichkeit für das beschriebene Phänomen zu liefern.

Im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen dabei die negras, Frauen also, welche die dunkelste Nuance des farblichen Kontinuums jenes Landes darstellen und somit nicht nur aufgrund ihrer zahlenmäßigen Bedeutung innerhalb der Pfingstbewegung,[5] sondern auch wegen ihres Status als „trauriges, geringstes Glied“ in der gesellschaftlichen Kette von besonderem Interesse sind.

2. Die Problemsicht des movimento negro

Das movimento negro ist keineswegs eine in sich geschlossene, homogene Bewegung mit feststehender, einheitlicher Agenda. Der Begriff vereint vielmehr eine Vielzahl schwarzer Initiativen, die auf mitunter völlig verschiedenen Interessensgebieten tätig sind und deren Anhängerschaft sich dementsprechend unterschiedlich zusammensetzt. Gemein ist ihnen der Kampf gegen den Rassismus sowie das Streben nach einer „schwarzen Identität,“ die es neu auszubilden oder zu stärken gilt.[6] Gemein ist ihnen ebenfalls die Feindschaft zum Pentecostalismus, der allgemeinhin als Bedrohung empfunden wird. Die Gründe hierfür sind teils historisch bedingt. Doch auch die mit dem Pentecostalismus einhergehenden theoretischen Konzepte und Vorstellungen bergen laut movimento negro handfeste Gefahren.

Generell gilt das Christentum hier nach wie vor als Religion der Sklaventreiber und Kolonialherren, als importiert und oktroyiert. Des weiteren hat insbesondere der nordamerikanische Protestantismus den Ruf seine Gläubigen im Sinne „weißer Vorstellungen“ zu formen, sie in einem Vorgang der Assimilation an ein gängiges Ideal anzupassen. Dies äußert sich laut movimento sowohl im Kleidungsstil als auch in der religiösen Praxis, in deren Verlauf schwarze Gemeindemitglieder ein bestimmtes Muster an Verhaltensweisen an den Tag legen, die mit den eigenen kulturellen Wurzeln nichts zu tun haben, diese sogar verleugnen und verraten.[7]

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich ein movimento negro dezidiert mit der schwarzen Bevölkerung beschäftigt. Im Mittelpunkt steht hier also eine ethnische Gruppierung, deren Rechte zu verteidigen und deren Interessen zu berücksichtigen sind. Die pentecostale Bewegung aber denkt in völlig anderen Kategorien.

Zum Einen setzt sie ihren Schwerpunkt auf das Individuum, den einzelnen Gläubigen, auf den es ankommt. Der sog. crente muss auf ganz persönlicher Ebene seinen Weg und seine Verbindung zu Gott suchen und finden. Ist aber einmal von einer Gemeinschaft die Rede, so gleich von der universalen, jegliche irdische Grenzen überschreitenden, Bruderschaft des Glaubens, einem Kollektiv der Seligen gewissermaßen. Das Selenheil jedenfalls ist Ziel und Erfüllung des gläubigen Lebens. Tag für Tag wird auf die Erlösung im Jenseits hingearbeitet. Problematiken außerhalb des religiösen Lebens werden damit weltlich banal und unwichtig.[8] Dass ein Ideal von der gläubigen Herde einzelner Individuen, allesamt „mit direktem Draht zum Herrn,“ ganz und gar konzentriert auf Erlösung im Jenseits mit den Vorstellungen weltlicher Organisationen, verstrickt im alltäglichen Kampf um Gleichberechtigung einer speziellen Bevölkerungsgruppe im Hier und Jetzt, unvereinbar ist, scheint nur allzu plausibel.[9] Der wohl schwerwiegendste Konfliktherd aber, dürfte wohl dennoch ein anderer sein.

Nach pentecostaler Auffassung ist Afrika ein rückständiger, geradezu heidnischer Kontinent, den es in einer Art Kreuzzug zu missionieren und zum „rechten Glauben“ zu bekehren gilt. Dementsprechend sind afrikanische Einflüsse vor allem religiöser Natur im direkten pentecostalen Umfeld Brasiliens in höchstem Maße unerwünscht. Sie werden dämonisiert und bekämpft. Auf diese Weise greift die Pfingstkirche gerade jene afrikanischen Wurzeln an, auf denen das Selbstverständnis und der kulturelle Stolz schwarzer Bewegungen in der Regel erwächst.[10] Das movimento negro muss dies als essentielle Bedrohung verstehen.

Die Bedenken dem Pentecostalismus gegenüber sind insbesondere von diesem Standpunkt aus betrachtet durchaus nachvollziehbar. Nicht nur bei aktiven Mitgliedern schwarzer Organisationen, auch bei der gesamten Bevölkerung schwarzafrikanischen Ursprungs stellen sie sich wohl von ganz alleine ein und machen die Konversion zum pentecostalen Glauben nicht gerade attraktiver, legen diese grundsätzlich nicht besonders nahe.

Folglich muss es Anreize geben, welche die dargestellten negativen Faktoren, die der Pfingstkirche zwangsläufig anhaften, so deutlich überwiegen, dass sie negros bereitwillig zu überzeugten crentes werden lassen.


[...]

[1] Dieser Text beschränkt sich im wesentlichen auf die „traditionelle Pfingstkirche.“

[2] Fernandes, Rubem Cesar et al. (1996). Novo nascimento: os evangelicos em casa, n a igreja e na política. Rio de Janeiro: ISER, S. 10.

[3] Burdick, John (1998). Blessed Anastácia. London/New York: Routledge, S. 2-4.

[4] Burdick, S. 119.

[5] Fernandes et al., S. 56.

[6] Burdick, S. 3-4.

[7] Burdick, S. 120.

[8] Burdick, S. 123-124.

[9] Burdick, S. 120.

[10] Burdick, S. 120; S. 124.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Schwarze Identität und pentecostaler Glaube - ein Widerspruch?
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Ethnologie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V58084
ISBN (eBook)
9783638523745
ISBN (Buch)
9783638752428
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schwarze, Identität, Glaube, Widerspruch
Arbeit zitieren
Julian Opitz (Autor:in), 2003, Schwarze Identität und pentecostaler Glaube - ein Widerspruch? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58084

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