Individuation und Narzissmus


Seminararbeit, 2005

23 Seiten


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

1. Hypothesen zur conditio humana

2. Eine psychoanalytische Theorie zur frühkindlichen Entwicklung
2.1 Anpassung
2.2 Objektbeziehung

3. Der primäre Narzissmus als Vorläufer zur psychischen Geburt
3.1 Autistische Phase – der absolute primäre Narzissmus
3.2 Die symbiotische Phase – das aufkeimen des sekundären Narzissmus

4. Die psychische Geburt des Menschen
4.1 Die Differenzierung – das psychische Ausschlüpfen (5.-10. Monat)
4.2 Übung – ein Liebesverhältnis mit der Welt eingehen (10.-14. Monat)
4.3 Wiederannäherung – die optimale Distanz zur Mutter finden (15.-24. Monat)
4.4 Individuation – das erreichen von Individualität und Objektkonstanz (3. Lj.)

SCHLUSSBETRACHTUNG

LITERATUR

EINLEITUNG

Im umgangssprachlichen Gebrauch versteht man unter einem narzisstischen Menschen einen eitlen, in sich selbst verliebten Schönling, der einzig sich selbst bewundert und die Menschen seiner Umgebung allein zu dem Zweck benötigt dieser Selbstbewunderung ein Echo zu verleihen. Insofern es nicht verwundert, dass Narzissmus negativ besetzt ist, Narzissten einen schlechten Ruf haben. Ein sehr hoher Wert hingegen wird Bestrebungen zugeschrieben, welche unter das Stichwort „Selbstverwirklichung“ fallen. In verschiedensten Theorien und Konzepten im psycho-sozialen Raum werden Selbstverwirklichung oder Selbstentfaltung als Leitziel formuliert und für viele Menschen besitzen ebendiese Leitmotive einen Aufrufcharakter von außerordentlicher Anziehungskraft. In dem dieser Arbeit zugrundeliegenden entwicklungspsychologischen Modell zur frühkindlichen Entwicklung wird der angeborene obligatorische Drang des Menschenkindes nach Selbstverwirklichung - während der drei ersten Lebensjahre - nachzuweisen versucht. Subsumiert werden diese Bestrebungen unter dem Begriff der Individuation.

Für den Einstieg in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem psychoanalytischen Narzissmus-Begriff, liegt es freilich nahe diverse Lexika, Enzyklopädien und psychologische Wörterbücher zu konsultieren, um so zu einem umfassenderem Verständnis des Narzissmuskonzeptes zu gelangen. Die Ergebnisse dieser Recherche sind jedoch schwer zusammenzufassen, denn die Ausführungen sind sehr vielschichtig, vage und insofern verwirrend. Übereinstimmung scheint es allein darin zu geben, dass das Konzept des Narzissmus zu den wichtigsten der Psychoanalyse gehört. Da sich für den Narzissmus-Begriff nun aber kein einheitliches Verständnis herausgebildet hat, wird er folglich in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Um eine Grobeinteilung vorzunehmen: Einerseits im Sinne der o. g. pathologischen Selbstverliebtheit und andererseits als ein System, zur Regulation des Selbstwertgefühls.

Im Zuge dieser Arbeit möchte ich mich, anhand der von Margaret S. Mahler u. a. entworfenen psychoanalytischen Theorie zur frühkindlichen Entwicklung, mit einem Narzissmus-Konzept auseinandersetzen, das dem letzeren Ansatz folgt. Es handelt sich also nicht um die Beschreibung eines psychopathologischen Phänomens, sondern um ein Konzept, das die Bedingtheit des psychischen Geburtsgeschehens, den Vollzug der menschlichen Individuation betrifft.

1. Hypothesen zur conditio humana

Bereits 1955 stellte Mahler zusammen mit Gosliner die Hypothese von der Universalität des symbiotischen Ursprungs sowie die Hypothese eines obligatorischen Loslösungs- und Individuationsprozesses in der normalen Entwicklung des Menschen auf. Diese Hypothesen waren Anlass eines Forschungsprojekts, das unter der gemeinsamen Leitung von Margaret S. Mahler und Manuel Furer am New Yorker Masters Children´s Center durchgeführt wurde. Es sollte der Erforschung der gravierendsten Abweichungen von der angenommenen symbiotischen Phase und der des völligen Scheiterns des obligatorischen intrapsychischen Loslösungs- und Individuationsprozesses[1] dienen. In ihren Anfangsstadien beschränkten sich die Forschungsbemühungen auf die Untersuchung symbiotisch-psychotischer Kinder und ihrer Mütter, später begannen die Forscher eine vergleichende Paralleluntersuchung normaler Babys und ihrer Mütter, um die Allgemeingültigkeit der Hypothesen zu untermauern. Diese diente dazu herauszufinden, auf welche Weise „gesunde“ Kinder das Gefühl „individueller Einheit“ und Identität erwerben. Im Zuge dieses Forschungsprojektes wurde die zusätzliche Hypothese formuliert, dass sich der normale oder nahezu normale Loslösungs- oder Individuationsprozess über vier Subphasen hinweg entwickelt. Eine weitere Längsschnittuntersuchung hatte den Zweck, mittels psychoanalytisch orientierter Beobachtung, den Ablauf der vier Subphasen des Loslösungs- und Individuationsprozesses an einer weiteren Gruppe von Mutter-Kind-Paare (Kinder zw. 4. – 36. Monat) zu verifizieren.[2]

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die genannten Hypothesen die Bedingtheit der menschlichen Entwicklung auf dem Weg zu einer individuellen Einheit betreffen. Grundlegend ist der symbiotische Ursprung, hieraus bricht sich ein Prozess von Loslösung und Individuation bahn. Dieses „psychische Geburtsgeschehen des Menschen“ ereignet sich im Vollzug über vier Subphasen hinweg.

Folgend wird die ebengenannte psychoanalytische Theorie zur frühkindlichen Entwicklung in ihren wesentlichen Zügen vorgestellt und das damit einhergehende Narzissmuskonzept entfaltet werden.

2. Eine psychoanalytische Theorie zur frühkindlichen Entwicklung

In der von Mahler formulierten Theorie gelten zwei Faktoren als wesentlich für die frühkindliche Entwicklung. Es sind dies Anpassung und Objektbeziehung. Folgend wird der Bedeutungsgehalt von Anpassung und Objektbeziehung kurz dargestellt, um anschließend den Verlauf der psychischen Geburt nachvollziehbarer skizzieren zu können.

2.1 Anpassung

Bei Säuglingen und Kindern ist der Vorgang der Anpassung ein dominierendes Geschehen. Anpassungsfähigkeit und Anpassungsbedürfnis verhelfen dem Kind ein möglichst hohes Maß an Befriedigung zu erlangen. Das Kind wir von Anbeginn innerhalb der Matrix des primären Narzissmus der Mutter-Kind-Einheit geformt und entwickelt.

„Ob sich die Mutter dem Kind anpasst und ob sie sensibel und einfühlsam ist oder nicht, wir sind fest überzeugt, dass die spontane, flexible Anpassungsfähigkeit des Kindes und sein Anpassungsbedürfnis (um Befriedigung zu erlangen) weit größer sind als bei der Mutter, deren Persönlichkeit mit all ihren Verhaltens- und Abwehrmustern festgelegt und häufig rigide ist.“[3] D. h., der Säugling passt sich an Verhaltensweisen und Stil der Mutter an, unabhängig davon, ob sie ein gesundes oder ein pathologisches Objekt dieser Anpassung darstellt. In der frühen Kindheit ist die Bedeutung der Anpassung, infolge der Biegsamkeit und Ungeformtheit der Persönlichkeit, am relevantesten.[4]

2.2 Objektbeziehung

Aus dem ursprünglichen Einheitserleben während der primär-narzisstischen Phase entwickelt sich allmählich das Gewahrwerden von Getrenntheit und somit die Voraussetzung eine Objektbeziehung mit der Mutter einzugehen. Die psychische Geburt, verstanden als Prozess von Loslösung und Individuation, beginnt sich innerhalb der Matrix der Objektbeziehung mit der Mutter zu vollziehen. In der vorliegenden Theorie wird deutlich, „wie die Objektbeziehung sich aus dem kindlichen symbiotischen oder primären Narzißmus entwickelt und sich parallel zum Erwerb von Loslösung und Individuation verändert, und wie andererseits Ich-Funktionen und sekundärer Narzißmus in der Matrix der narzißtischen und später der Objektbeziehung zur Mutter sich entfalten.“[5] Wenn es dem Kind nicht gelingt, sich in der Beziehung zu einem äußeren Liebesobjekt zu organisieren, kommt es zu einer Störung im Loslösungs- und Individuationsprozess, entweder aufgrund der Unmöglichkeit „das täuschende Zwielichtstadium eines symbiotischen gemeinsamen Mutter-Kind-Umkreises zu erreichen oder aber es jemals wieder zu verlassen. Sowohl in der autistischen als auch in der symbiotischen Organisation gelingt es der kindlichen Persönlichkeit nicht, sich mit Hilfe der Beziehung zur Mutter an die Außenwelt anzupassen. Das Kind, bei dem die autistische Struktur vorherrscht, scheint die Mutter als nicht existent zu behandeln und ist nicht in der Lage eine emotionale Bindung mit ihr einzugehen. Hingegen scheint das symbiotisch organisierte Kind die Mutter als mit ihm verschmolzen zu erleben. Somit es dem Kind unmöglich ist, das Bild der Mutter als getrenntes, einheitliches Objekt zu integrieren. Autistische und symbiotische kindliche Psychosen wurden als zwei extreme Störungen des Identitätsgefühls betrachtet. Mahler leitet hieraus ab, dass bei diesen seltenen Formen bereits an der Wurzel etwas grundlegend falsch gelaufen war, das heißt, bei den frühesten Interaktionen in der Mutter-Kind-Einheit. Kurzum wird in der zugrunde liegenden Theorie die zentrale Hypothese folgendermaßen zusammengefasst: „Während es beim primären Autismus eine seelenlose, eisige Wand zwischen Subjekt und menschlichem Objekt gibt, handelt es sich bei der symbiotischen Psychose um ein Verschmelzung und fehlende Differenzierung zwischen dem Selbst und dem Nichtselbst – ein völliges Verwischen von Grenzen.“[6]

Um die hier nur angedeuteten Entwicklungsstörungen auf dem Weg ein getrenntes Individuum zu werden besser begreifen zu können, begannen Mahler u. a. sich stärker mit den als normal zu bezeichnenden Entwicklungsschritten zu befassen, welche die psychotischen Kinder nicht zu gehen vermochten. Die Leitfrage lautet indessen: Auf welche Weise gelingt es der Mehrheit der Kinder, zu dem zweiten, anscheinend sehr allmählich einsetzenden psychischen Geburtserlebnis zu gelangen, das während der symbiotischen Phase beginnt und den Geschehnissen des Loslösungs- und Individuationsprozesses weicht?

3. Der primäre Narzissmus als Vorläufer zur psychischen Geburt

Die biologische und die psychische Geburt des Menschenkindes fallen zeitlich nicht zusammen. Die erste ist ein dramatisches beobachtbares und genau umrissenes Ereignis, die zweite ein sich langsam entfaltender intrapsychischer Prozess. Die psychische Geburt des Menschen wird als Loslösungs- und Individuationsprozess beschrieben und beginnt ab dem ca. 5. Lebensmonat. Bis dahin kann können die primär-narzisstische autistische und symbiotische Phase als deren Vorläufer betrachtet werden.


[...]

[1] Loslösung ist das Auftauchen des Kindes aus der symbiotischen Verschmelzung mit der Mutter.

Individuation ist eine Folge von Entwicklungsschritten, die zu individuellen Verhaltens- und Charaktermerkmalen führen.

[2] Vgl. Mahler: 2003. S. 7ff.

[3] Mahler: 2003. S.15.

[4] Vgl. Mahler:2003. S.15f.

[5] Ebd. S. 17.

[6] Ebd. S. 24.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Individuation und Narzissmus
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Psychologie)
Veranstaltung
Feinfühligkeit in der Erziehung
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V58128
ISBN (eBook)
9783638524070
ISBN (Buch)
9783640732388
Dateigröße
508 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Individuation, Narzissmus, Feinfühligkeit, Erziehung
Arbeit zitieren
Klaus Itta (Autor:in), 2005, Individuation und Narzissmus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58128

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