Die Identität der 'Anderen'. Zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, kultureller Differenz und konstruierter Fremdheit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Einführung in die Thematik
1.2 Zielsetzung und Herangehensweise

2 Begrifflichkeit
2.1 Kultur
2.2 Identität
2.3 Kulturelle Identität

3 Die Konstruktion des Fremden
3.1 “Wir“ und die “Anderen“
3.2 Eigenheit und Fremdheit

4 Kulturelle Identität und Differenz
4.1 Fremdwahrnehmung
4.1.1 Kategoriale Denkmuster
4.1.2 Kulturelle Zuschreibungen
4.1.3 Differenz als Defizit
4.2 Selbstwahrnehmung
4.2.1 “’Der dritte Stuhl“’
4.2.2 Differenz als Ressource

5 Schlussbemerkungen
5.1 Resümee
5.2 Stellungnahme und Ausblick

1 Einleitung

1.1 Einführung in die Thematik

Der Mensch unterscheidet sich vom Tier grundsätzlich durch sein Bewusstsein und die Fähigkeit, eigenes Handeln reflexiv und kritisch zu hinterfragen. Als vernunftfähiges We- sen hat er nicht nur ein Selbstbewusstsein, das Wissen über seine Existenz als Subjekt innerhalb einer Gesellschaft, sondern auch ein Selbstbild. Dieses Selbstbild entspricht der menschlichen Identität, welche prozessual durch Faktoren wie Erziehung, Bildung, soziales Umfeld und Kultur beeinflusst wird. Kultur stellt damit potentiell einen Teil dieser Iden- tität dar. Aufgrund unserer Identität werden wir als Individuum in unserer Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit wahrgenommen, aber auch einem Kollektiv durch scheinbar über- einstimmende und gemeinsame Merkmale zugeordnet und dadurch identifiziert.

Identifizieren wir einen Menschen lediglich aufgrund kultureller Merkmale, reduzieren wir ihn auf seine kulturelle Identität, indem wir ihm Eigenschaften zuschreiben, die wir für eine bestimmte Kultur charakteristisch und typisch halten. Solche Zuschreibungen entstehen aufgrund eines vermeintlichen Wissens über fremde Kulturen und basieren nur selten auf eigenen Erfahrungen. Gewisse Eigenschaften werden von Menschen bestimmter Herkunft und Nationalität erwartet und vorausgesetzt und auf angenommene Zugehörige dieser Ge- meinschaft übertragen. Durch derartige Prozesse entstehen verzerrte Fremdbilder über kul- turelle Identitäten, welche die identifikatorische Selbstwahrnehmung beeinflussen können. Die Art und Weise des Umgangs mit kultureller Identität und individueller sowie kollek- tiver Differenz im gesellschaftlichen Kontext kann höchst unterschiedlich sein, und sich abhängig von Perspektive und Wahrnehmung als sehr problematisch erweisen. Die oftmals bestehende Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung resultiert in vielen Fällen aus Zuschreibungen, Vorurteilen und Formen rassistischen Handelns und Denkens.

1.2 Zielsetzung und Herangehensweise

Die vorliegende Arbeit greift die eben angesprochenen Prozesse und Mechanismen wie Identifikation, Selbst- und Fremdwahrnehmung, (kulturelle) Zuschreibungen und Vorurteile auf, um Möglichkeiten und Perspektiven des Umgangs mit kultureller Identität und Differenz darzustellen. Im Mittelpunkt steht hierbei die Frage, wie die vermeintlich Änderen“ in einer illusionarisch homogenen Mehrheitsgesellschaft gesehen und empfunden werden, und auf welche Weise mit ihrer “Fremdheit“ umgegangen wird.

Dazu wird zunächst gesellschaftlich-konstruierte Fremdheit und das psychologisch-begründe- te Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Abgrenzung als zentrale Motive hinsichtlich des Um- gangs mit Identität und Differenz thematisiert. Im Anschluss daran stellt diese Arbeit anhand diverser Beispiele heraus, auf welche Weise und mit welchen Konsequenzen ein solcher Umgang erfolgt. Einerseits soll hierbei der Aspekt der Fremdethnisierung und kul- tureller Zuschreibungen erörtert werden, andererseits die kulturelle Selbstwahrnehmung und -verortung von MigrantInnen, wodurch eine differenzierte Betrachtung aus zwei Per- spektiven - die der Selbst- und die der exemplarischen Fremdwahrnehmung - erzielt wird. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass zur besseren Gegenüberstellung und Kontras- tierung in dieser Arbeit darauf verzichtet wurde, innerhalb der jeweiligen Perspektive weiter zu differenzieren; das heißt Fremdwahrnehmung ist im Rahmen dieser Arbeit primär im Sinne negativ-konnotierter Zuschreibungen zu verstehen, wobei Selbstwahrnehmung hier in erster Linie die positive Auslegung und Anerkennung kultureller Differenz meint. Natürlich können Zuschreibungen inhaltlich sowohl positiv als auch negativ gemeint sein, auch wenn eine Zuschreibung immer ein fremdbestimmtes und pauschalisierendes Moment enthält und aufgrund dessen als Art des Umgangs mit kultureller Identität nicht erstrebenswert sein kann. Das individuelle Selbstbild bezüglich kultureller Identität und Differenz kann gleichermaßen positiv ( siehe 4.2.2 Differenz als “Ressource“), als auch negativ ausfallen, was auch von persönlichen Erfahrungen eines Menschen abhängig ist, und durch Faktoren wie Erziehung, soziales Umfeld etc. beeinflusst wird.

Im Folgenden sollen zunächst die Begriffe “Kultur“ und “Identität“ explizit hinsichtlich ihrer Definitionsmöglichkeiten, Bedeutungsebenen und ihrer Verwendung in unterschiedlichen gesellschaftlichen und individuellen Kontexten und Diskursen betrachtet werden, um ein begriffliches Fundament für die anschließende Auseinandersetzung mit dem Aspekt der kulturellen Identität zu schaffen.

2 Begrifflichkeit

2.1 Kultur

Der Begriff “Kultur“ stammt vom lateinischen cultura ab(“Bebauung, Pflege“) und wur- de ursprünglich im landwirtschaftlichen Sinne in der Bedeutung “Anbau und Zucht von Pflanzen“ gebraucht (vgl. Wikipedia). In diesem Sinne bezeichnet die Kultur eine Lebens- gemeinschaft von Organismen, die nach Plan vom Menschen geschaffen und meist mit einem künstlichen Lebensraum umgeben wird. “Kultur“ steht damit begrifflich im Gegen- satz zur Natur und wurde in diesem Sinne bis ins 19. Jahrhundert verwendet, während für die heutige Bedeutung des Begriffes “Kultur“ mehrheitlich das Wort “Kunst“ seine Anwendung findet.

Gelehrte des 18. und 19. Jahrhunderts, und auch viele Menschen heutiger Zeit, setzten Kultur gleich mit Zivilisation und grenzen begrifflich beides als der Natur gegensätzlich ab. Anthropologisch betrachtet entspricht die Kultur der menschlichen Natur, wobei zwi- schen der materiellen und symbolischen Kultur (Schrift und Sprache) unterschieden wird; damit wird der Begriff “Kultur“ auch im übertragenden Sinne für die “Pflege des Geis- tes“ gebraucht. Hiervon ist die moderne und verbreitete Bedeutung “Lebensgestalt von Nationen, Völkern und Gemeinschaften“ abgeleitet, das die typischen Lebensformen einer Gruppe und ihrer Wertvorstellungen bezeichnet. Im engeren Sinne versteht man unter der Kultur eines Volkes auch die Bereiche Sprache, Literatur, Geschichte, Religion, und Ethik, Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft und Rechtsprechung (vgl. Wikipedia).

Wissenssoziologisch könnte man eine Kultur auch als das einem Kollektiv gemeinsame “Wissen“ kennzeichnen, das heißt als die im Bewusstsein seiner Mitglieder verankerten Er- wartungen und Haltungen in bezug auf Verhaltensweisen, soziale Deutungsmuster, Weltbil- der, gesellschaftliche Rollen ect. Der Kulturbegriff wird einerseits generell auf die Mensch- heit als ganzes bezogen, andererseits aber auch als Zusammenfassung der Lebensumstände einer bestimmten Ethnie oder Region (zum Beispiel die amerikanische Kultur) oder histo- rischen Phase (beispielsweise die minoische Kultur). Auch wenn unter Kultur allgemein die Lebensformen und Lebensgewohnheiten eines Kollektivs zu verstehen sind, wird “Kultur“ im alltäglichen Sprachgebrauch oft latent mit Religion und Tradition gleichgesetzt. Kultur wird alltagssprachlich höchst unterschiedlich verwendet; die einen verstehen darun- ter lediglich Kunstausstellungen und Veranstaltungen wie Oper und Theater; sie sprechen dann von einem “Kulturerlebnis“ und bezeichnen Menschen, die ihre Leidenschaft für sol- che Dinge nicht teilen als “Kulturbanausen“. Für Kulturologen hingegen umfasst Kultur alles, was der Mensch an erworbenen Charakteristika besitzt, im Gegensatz zu den ange- borenen. Nach allgemeiner Auffassung wird Kultur als eine statische, mehr oder weniger in sich geschlossene Einheit betrachtet und bezeichnet seit je her spezifische, unverwechsel- bare Charakteristika eines Kollektivs. Diese besonderen Eigenschaften finden in Sprache, Bräuchen und ideologischen Werten Ausdruck und identifizieren ein Individuum als dieser Gruppe zugehörig oder nicht. Kultur ist begrifflich nicht als homogenes Konstrukt mit klar umrissenen Strukturen und einheitlichen Inhalten zu betrachten, sondern ist immer “eine Kultur des Vermischens“ und als Lebenswelt und Realität “in sich selbst multikulturell“ (Nghi Ha 2004: 37). Allein die Existenz der verschiedenen sich teilweise widersprechen- den Interpretationsmöglichkeiten von beispielsweise islamischen Glaubensgemeinschaften macht deutlich, dass Kultur im Sinne einer Homogenität fiktiv, und ihrerseits “ ...histo- risch, lokal, geschlechts-, klassen-, und altersspezifisch variabel kontextualisiert“ ist (Nghi Ha 2004: 40).

Den Kulturbegriff kann es dementsprechend als abstraktes Konstrukt nicht geben, sondern entsteht erst durch Realisation einer Lebensweise. Die Kultur eines Menschen, und vor allem die Art und Weise wie er diese in sein Leben und Alltag integriert und versteht, ist als logische Konsequenz höchst unterschiedlich, und steht im Zusammenhang mit der eigenen, unverwechselbaren Identität. Oder wie Jacques Derrida es sagte:

“Es ist einer Kultur eigen, dass sie nicht mit sich selber identisch ist.“ (Das andere Kap)

2.2 Identität

Beim Begriff der Identität handelt es sich um eine Ableitung aus dem lateinischen idem mit der Bedeutung “der/dasselbe“. Der Begriff gelangte zuvor auch als alter idem (“das zweite Ich“), sowie dem mittellateinischen idemptitas über identitas (“Wesenseinheit“) und das französische identité ins Deutsche. Zur gleichen Wortfamilie gehören Identifikation, Iden- tifizierung, identifizieren sowie identisch. Die Bedeutungsinhalte werden im alltäglichen Sprachgebrauch ständig miteinander vermischt und synonym verwendet (vgl. Heinz 1993: 16).

Unter der Identität eines Menschen (oder einer Sache) wird häufig die Summe der Merkma- le verstanden, anhand derer wir uns (sie sich) von anderen unterscheiden. Diese Identität erlaubt eine eindeutige Identifizierung im physiologischen Sinne. Eine solche physiologische Identität führt zur äußerlichen Abgrenzung und Zugehörigkeit; so impliziert unsere Iden- tität beispielsweise, dass wir das Geschlechtsmerkmal männlich oder weiblich tragen. Hier- bei ist eine eindeutige Zuordnung erforderlich. Können wir eine Person diesbezüglich nicht klassifizieren, sind wir verwirrt und haben Schwierigkeiten diese in ihrer Identität wahrzu- nehmen und anzuerkennen. Die Identität eines Menschen besteht darin, dass dieser Mensch als Subjekt erstens von anderen Menschen unterscheidbar ist, und dieser Mensch zweitens als derselbe/dieselbe identifizierbar bleibt, auch wenn er/sie sich verändert (Veränderlich- keit ist in diesem Sinne als menschliches Wesensmerkmal zu verstehen) (vgl. Heinz 1993: 16).

Psychologisch betrachtet besteht eine menschliche Notwendigkeit darin, sich in irgendeiner Weise selbst zu “identifizieren“. Eine Selbstidentifikation meint, ein Merkmal einer bereits bestehenden Gruppenidentität als eigenes Wesensmerkmal zu erkennen und anzunehmen. Auf diese Weise nehmen wir (unbewusst)einen Teil einer “fremden“ Identität an, weil wir uns in ihr “wiederfinden“ oder “erkennen“. Einerseits sind solche Prozesse notwendig und förderlich zur Persönlichkeitsentwicklung, vor allem in der Adoleszenz, andererseits impli- zieren solche Abläufe auch immer ein fremdbestimmtes Moment. Psychische Identität kann beispielsweise durch Gruppenzugehörigkeiten oder Rollen bestimmt werden, wodurch eine individuelle Identifikation mit einem kollektiven “Wir“ stattfinden kann.

Ein wesentlicher Teilbereich der Identität stellt die Selbstwahrnehmung dar; jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens ein Selbstkonzept oder Selbstbild, welches situativ oder gesellschaftlich bedingt ständig Transformationen unterliegt; streng genommen entwickelt ein Individuum eine ganze Reihe von Selbstkonzepten nach den Fragestellungen “wer, wie, und was bin ich?“. Natürlich ist es individuell verschieden, inwieweit das Selbstbild vom gesellschaftlichen Bild geprägt ist, und inwiefern Selbst- und Fremdwahrnehmung übereinstimmen oder sogar gegensätzlich sind.

“Identität“ ist in der alltäglichen Verwendung eher negativ konnotiert; oftmals ist die Rede von “Identitätsproblemen“, “Identitätsbedrohung“ oder “Identitätsverlust“. Es liegt nahe Identität für einen “Krisenbegriff zu halten, der etwas bezeichnet was heute vielfältig be- droht ist“ (Heinz 1993:S.15). Der Identitätsbegriff ist als gesellschaftlich eingebettetes und von ihr abhängiges Konstrukt nie als etwas Starres zu beschreiben. Identität ist nicht nur “Zustand“ sondern im gesellschaftlichen Kontext einen wandelbaren und transformieren- den “Prozess“.

Bezogen auf die individuelle Persönlichkeitsentwicklung des Subjektes ist die Identität nichts Feststehendes und Festgelegtes; Das innerhalb des Entwicklungsprozesses herausge- bildete “Ich“ eines Menschen verändert sich das ganze Leben und passt sich immer wieder den gesellschaftlichen Bedingungen und den eigenen Ansprüchen an. Identität als abstrak- ter Prozess kann nie ganz erfasst werden, einerseits geben wir nie unsere ganze Identität in unserem täglichen Umgang mit Menschen preis, andererseits brauchen wir den “Anderen“ um Identität zu erfahren. Nur durch und mit Kommunikation ist eine (begrenzte) Selbs- terkenntnis möglich, da nur andere sehen, wie wir wirken. Der Identitätsbegriff umfasst also ein breites Spektrum der menschlichen Lebensbereiche, und dient in erster Linie der individuellen, aber auch kollektiven Abgrenzung und Unterscheidung. Spezifizieren wir die Charakteristika der Unterscheidung auf den Bereich der Kultur eines Menschen, bezeichnen wir diese Identitätsform als kulturelle oder ethnische Identität.

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Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die Identität der 'Anderen'. Zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, kultureller Differenz und konstruierter Fremdheit
Hochschule
Technische Universität Darmstadt
Veranstaltung
Kulturelle Globalisierung
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
30
Katalognummer
V58266
ISBN (eBook)
9783638525107
ISBN (Buch)
9783638665889
Dateigröße
463 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identität, Fremdwahrnehmung, Selbstwahrnehmung, Pädagogik, Differenz, Kultur, Fremdheit
Arbeit zitieren
Nicole Borchert (Autor:in), 2005, Die Identität der 'Anderen'. Zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, kultureller Differenz und konstruierter Fremdheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58266

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