Individualisierung und Politisches System unter besonderer Berücksichtigung der Theorie des Dritten Weges von Anthony Giddens


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Politik als gesellschaftliche Regulierungsinstanz
2.1 Wandel des Politikverständnisses
2.2 Life politics vs. Emanzipatorische Politik

3. Der „Dritte Weg“
3.1 Der Begriff des „Dritten Weges“
3.2 Zukunftsherausforderungen für den „Dritten Weg“
3.3 Klassische Sozialdemokratie vs. Neoliberalismus
3.3.1 Die klassische Sozialdemokratie
3.3.2 Neoliberalismus
3.4 Der Dritte Weg

4. Fazit

Literaturangabe

1. Einleitung

Anthony Giddens ist der Vordenker der so genannten „Politik des Dritten Weges“. Giddens, Direktor der London School of Economics, hat mit seinen Büchern „Jenseits von Links und Rechts“ und “Der dritte Weg“ die Debatte über eine Modernisierung der Sozialdemokratie angestoßen. Die Lenker einiger sozialdemokratisch geführter Länder Europas sehen in den Ideen von Giddens den Schlüssel für eine Erneuerung der europäischen Sozialdemokratie. Ihre Politik, häufig mit den Etiketten „Neue Sozialdemokratie“, „Modernisierung“, „Neue Mitte“ oder eben „Dritter Weg“ versehen, hat die europäische Linke in zwei Lager gespalten. Manche halten den Dritten Weg für richtungweisend, andere für einen Irrweg.

Im ersten Teil der Hausarbeit soll geklärt werden, ob sich in der heutigen Gegenwartsgesellschaft durch Individualismus und Individualisierung ein Wandel des Politikverständnisses abzeichnen lässt. In Bezug darauf sollen die Begriffe „Subpolitik“, „Life politics“ und „Emanzipatorische Politik“ näher erläutert werden.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Frage, was sich eigentlich hinter dem Begriff des Dritten Weges verbirgt. Es soll über die wichtigsten Ideen des Dritten Weges informiert und geklärt werden, ob diese Ideen Substanz haben und welche Herausforderungen der „Dritten Weg“ bewältigen muss. Außerdem soll in diesem Teil eine Abgrenzung zwischen der klassischen Sozialdemokratie und dem Neoliberalismus vollzogen werden.

Abschließend werde ich im dritten Teil ein Fazit stellen und versuchen einen Ausblick, über die Anwendbarkeit Giddens Dritten Weges zu geben.

2. Politik als gesellschaftliche Regulierungsinstanz

Bisher wurde mit Politik zumeist die zentrale gesellschaftliche Regulierungsinstanz, der Staat, assoziiert. Denn staatliches Handeln reguliert Lebensläufe, ermöglicht und begrenzt soziale Ungleichheiten, greift in das Wirtschaftssystem ein und Ähnliches mehr. Hradil fasst hierzu wie folgt zusammen:

„Staatliche Stellen regeln per Gesetz Arbeits- und Wohnbedingungen, greifen mit ihren Infrastrukturleistungen in Freizeit- und Umweltbedingungen ein, sie beeinflussen zunehmend Armuts-, Gesundheits- und Altersrisiken und die staatlichen Maßnahmen sozialer Sicherung erfassen immer größere Teile der Bevölkerung.“[1]

Der modernen politischen Theorie gilt das politische System mit je spezifischen Einschränkungen als die zentrale gesellschaftliche Steuerungsinstanz.[2] Im herkömmlichen Politikverständnis gilt vor allem staatliches Handeln als politisches Handeln, weil es auf die Herstellung eines einheitlichen Geltungsbereichs von sozialen und rechtlichen Regelungen im Rahmen eines Nationalstaates mit Hilfe von Macht zielt.

a. Wandel des Politikverständnisses

Es bestehen Bedenken darüber, dass Individualismus und Individualisierung die Dauerhaftigkeit des politischen Engagements der Staatsbürger stören könnte. Somit könnte der Individualismus nicht nur eine mögliche Gefährdung der gesellschaftlichen Solidarität sein, sondern könnte zugleich noch zu einer Abwendung von Politik und den politischen Fragen eines Gemeinwesens führen.[3] Diese schon recht früh geäußerten Bedenken werden durch gegenwärtige empirische Anhaltspunkte weiterhin gestützt. So sinkt Glaab und Kießling zufolge die Beteiligung an den Bundestagswahlen in Deutschland von 1972 bis 1998 um 8,9%, nämlich von 91,1% auf nur noch 82,2%.[4] Im Jahre 2005 lag die Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen sogar nur noch bei 77,7%.[5] Vergleichend wird der Trend sichtbar, dass ein Schrumpfungsprozess der traditionellen großen vier Parteien SPD, CDU, CSU und FDP voranschreitet. So nahmen die Mitgliederzahlen im Zeitraum von 1980 bis 2000, von 1,939 Millionen auf 1,651 Millionen ab.[6] Demzufolge ist also parallel zur sinkenden Wahlbeteiligung ein Schwund institutioneller Partizipation durch Parteimitgliedschaft zu erkennen.

Wenn sich ein Wandel des Politikverständnisses vollziehen sollte, würde die Wahlbeteiligung nicht länger einen geeigneten Indikator für politisches Handeln darstellen. Diese Daten können daher nicht für eine ausreichende Einschätzung herangezogen werden, um die tatsächlichen Konsequenzen für die Politik aufzuzeigen. Dies könnte auch ein Anzeichen für einen Gestaltwandel der Politik sein.

Es werden laut Glaab und Kießling Entwicklungstendenzen erkennbar, die sich in neuen Formen politischen Handelns manifestieren. Neben den großen sozialen Bewegungen, wie der Friedensbewegung, der Umweltbewegung und der Frauenbewegung gibt es eine Zunahme unverfasster politischer Beteiligung und Artikulation. Gemeint sind unkonventionelle Partizipationsformen, welche legaler wie illegaler Natur sein können, beispielsweise Unterschriftensammlungen, Demonstrationen oder Straßenblockaden.

Diese Formen haben eine gemeinsame Grundlage, nämlich dass sie auf einer „pragmatischen Demokratieakzeptanz“[7] aufbauen. Das heißt, dass zwar noch Vertrauen in die Funktionsfähigkeit demokratischer Politik besteht, dieses aber um die schon erwähnten unkonventionellen Partizipationsformen ergänzt wird, weil nicht alle Interessen innerhalb des politischen Systems berücksichtigt werden. Die Durchsetzung politischer Interessen wird nicht nur in politischen Parteien und Großorganisationen gesucht, sondern gewählt wird auch der direkte Weg zur Einbringung politischer Interessen.

Der Shell-Jugend-Studie von 2000 nach, zeigt die Gesamttendenz, einen kontinuierlichen Rückgang der Wahlbeteiligung Jugendlicher, dafür tritt aber eine vermehrte Hinwendung Jugendlicher zu anderen Formen politischer Mitwirkung auf, z.B. in öffentlichen Diskussionen, in Bürgerinitiativen, bei Hausbesetzungen und bei Unterschriftensammlungen.[8]

Beck spricht hier von einer Dualität von konventioneller und unkonventioneller politischer Beteiligung oder auch von einer „gekoppelten Welt“[9] des Politischen. Beck zufolge geht das neue Politikverständnis davon aus, dass das Ende des klassischen Politikmodells erreicht und die schrittweise Entstehung einer „Subpolitik“ festzustellen sei.

„Subpolitik unterscheidet sich von Politik dadurch, dass (a) auch Akteure außerhalb des Politischen oder korporatistischen Systems auf der Bühne der Gesellschaftsgestaltung auftreten […]; und (b) dadurch, das nicht nur soziale und kollektive Akteure, sondern auch Individuen mit jenen und miteinander um die entstehende Gestaltungsmacht des Politischen konkurrieren.“[10]

In der Subpolitik werden nun auch individuelle Akteure als Vertreter politischer Interessen zugelassen. Der Staat gilt nur noch als einer neben anderen politischen Akteuren, und damit ist auch staatliches Handeln nur noch eine Form politischen Handelns neben anderen. Subpolitik bezeichnet die Wirksamkeit nichtparlamentarischer Protest- und Artikulationsformen im Hinblick auf die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Demnach nimmt die Entstehung von Subpolitik als Konsequenz der Individualisierung, individualisierte Individuen mit ihren Problemdefinitionen und Interessen in die politische Arena auf.

Beck bezeichnet diesen Prozess als Strukturdemokratisierung:

„Wenn man diesen Prozeß der Verwirklichung von Bürger- und Grundrechten in all seinen Stufen als Prozeß der politischen Modernisierung begreift, wird die auf den ersten Blick paradoxe Aussage verständlich: Politische Modernisierung entmachtet, entgrenzt die Politik und politisiert die Gesellschaft – oder genauer: stattet die so ermöglichten und allmählich entstehenden Zentren und Handlungsfelder der Subpolitik mit Chancen der außerparlamentarischen Mit- und Gegenkontrolle aus. […] … durch die Wahrnehmung, expansive Auslegung und Gestaltung dieser Rechte haben sich die Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft ein Stück weit verändert.“[11]

[...]


[1] Hradil, Stefan: Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft. Von Klassen und Schichten zu Lagen und Milieus, Opladen 1987, Leske + Budrich, Seite 48.

[2] Vgl. Brodocz, André/ Schaal, Gary C., (Hg.): Politische Theorien der Gegenwart I., Wiesbaden 2002, UTB.

[3] Vgl. Tocqueville de, Alexis: Über die Demokratie in Amerika, Stuttgart 1959 (1835), Deutsche Verlags-Anstalt, Seite 238.

[4] Vgl. Glaab, Maria/ Kießling, Manfred: Legitimation und Partizipation. In: Korte, Karl-Rudolf/ Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Deutschland-TrendBuch. Fakten und Orientierungen, Opladen 2001, Leske + Budrich, Seite 575.

[5] Vgl. http://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahl2005/ergebnisse/bundesergebnisse/b_tabelle_99.html (Stand 15.03.2006).

[6] Vgl. Glaab, Kießling (2001), Seite 578.

[7] Ebd., Seite 572.

[8] Vgl. Fischer, Arthur: Politisches Interesse. In: Deutsche Shell (Hrsg.): Jugend 2000. 13. Shell Jugendstudie, Opladen 2000, Leske + Budrich, Seite 265.

[9] Beck, Ulrich: Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung, Frankfurt am Main 1993, Suhrkamp, Seite 155.

[10] Ebd., Seite 162.

[11] Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main 1986, Suhrkamp, Seiten 315-316.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Individualisierung und Politisches System unter besonderer Berücksichtigung der Theorie des Dritten Weges von Anthony Giddens
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Individualisierung als Thema der Soziologie
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V58268
ISBN (eBook)
9783638525121
ISBN (Buch)
9783656305583
Dateigröße
485 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Individualisierung, Politisches, System, Berücksichtigung, Theorie, Dritten, Weges, Anthony, Giddens, Individualisierung, Thema, Soziologie
Arbeit zitieren
Florian Link (Autor:in), 2006, Individualisierung und Politisches System unter besonderer Berücksichtigung der Theorie des Dritten Weges von Anthony Giddens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58268

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Individualisierung und Politisches System unter besonderer Berücksichtigung der Theorie des Dritten Weges von Anthony Giddens



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden