"Liebe Seele, trachte nicht nach dem ewigen Leben, sondern schöpfe das Mögliche aus." Anhand dieses kurzen Verses von Pindaros, einem griechischen Dichter des 5. Jh.v.Chr., wird das Ziel, welches Camus in seinem Essay „Mythos des Sisyphos“ verfolgt, schon vorweggenommen. Denn in dem zitierten Vers wird eine Diesseitsorientierung des Menschen gefordert; das Streben des Menschen nach einem metaphysischen Sinn wird verneint und somit der Fokus auf die eigene Existenz und der mit ihr verbundenen Möglichkeiten des Lebens gerichtet. Das hier angedeutete Programm verfolgt Camus in seinem Essay konsequent. Zunächst stellt er die für ihn dringlichste aller philosophischer Fragen, nämlich die nach dem Sinn des Lebens. Dieser Sinn kann für den modernen Menschen nicht mehr in einer transzendenten Wirklichkeit liegen, denn alle Versuche eine jenseitige Wahrheit zu finden, scheiterten am Unvermögen des Verstandes seine eigenen Grenzen zu sprengen. Somit wird der Welt allerdings zugleich jeder objektiv wahre Wert als moralischem Dogma abgesprochen.
Der andauernde Versuch des Menschen klare und deutliche Einsichten über das wahre Wesen der Welt, einem ihr immanten Sinn, zu gewinnen, erzeugt so das Absurde. Die hier angesprochene Mangelsituation in der sich der Mensch befindet, wirft ihn schließlich auf seine eigene Existenz als letzter Instanz der Erkenntnisfähigkeit zurück. Dieser Vorgang setzt die Entwicklung des vollen Bewusstseins als Bewusstsein von sich selbst voraus. Erst durch das Einnehmen dieser Meta-Ebene kann der Mensch neue, sichere Gewissheiten erkennen. Auf diesen im weiteren beschriebenen und im Wesen des Menschen angelegten Prinzipien, versucht Camus schließlich, ein der Hoffnung und jeder Illusion beraubtes handlungstheoretisches System zu errichten, das das menschliche Handeln am Diesseits ausrichtet und so eine neue Form von bewusster Verantwortung als handlungstheoretisches Prinzip setzt.
Inhaltsverzeichnis
A. Darstellung der Programmatik
B. Das Absurde als erstes Prinzip
I. Das Absurde und der Selbstmord
II. Die absurden Mauern - Definition des Absurden durch seine Ursprünge
1. Analyse des absurden Gefühls
2. Das Absurde auf der Ebene des Verstandes
3. Begriffliche Definition des Absurden
III. Konsequenzen aus der Erkenntnis des Absurden
1. Haltung des bewussten Menschen
2. Der philosophische Selbstmord
3. Haltung des absurden Menschen zum Selbstmord
C. Ethische Konsequenzen
A. Darstellung der Programmatik
Liebe Seele, trachte nicht nach dem ewigen Leben, sondern schöpfe das Mögliche aus Anhand dieses kurzen Verses von Pindaros, einem griechischen Dichter des 5.Jh. v. Chr., wird das Ziel, welches Camus in seinem Essay „Mythos des Sisyphos“ verfolgt, schon vorweggenommen. Denn in dem zitierten Vers wird eine Diesseitsorientierung des Menschen gefordert; das Streben des Menschen nach einem metaphysischen Sinn wird verneint und somit der Fokus auf die eigene Existenz und der mit ihr verbundenen Möglichkeiten des Lebens gerichtet. Das hier angedeutete Programm verfolgt Camus in seinem Essay konsequent. Zunächst stellt er die für ihn dringlichste aller philosophischer Fragen, nämlich die nach dem Sinn des Lebens. Dieser Sinn kann für den modernen Menschen nicht mehr in einer transzendenten Wirklichkeit liegen, denn alle Versuche eine jenseitige Wahrheit zu finden, scheiterten am Unvermögen des Verstandes seine eigenen Grenzen zu sprengen. Somit wird der Welt allerdings zugleich jeder objektiv wahre Wert als moralischem Dogma abgesprochen. Der andauernde Versuch des Menschen klare und deutliche Einsichten über das wahre Wesen der Welt, einem ihr immanten Sinn, zu gewinnen, erzeugt so das Absurde. Die hier angesprochene Mangelsituation in der sich der Mensch befindet, wirft ihn schließlich auf seine eigene Existenz als letzter Instanz der Erkenntnisfähigkeit zurück. Dieser Vorgang setzt die Entwicklung des vollen Bewusstseins als Bewusstsein von sich selbst voraus. Erst durch das Einnehmen dieser Meta-Ebene kann der Mensch neue, sichere Gewissheiten erkennen. Auf diesen im weiteren beschriebenen und im Wesen des Menschen angelegten Prinzipien, versucht Camus schließlich, ein der Hoffnung und jeder Illusion beraubtes handlungstheoretisches System zu errichten, das das menschliche Handeln am Diesseits ausrichtet und so eine neue Form von bewusster Verantwortung als handlungstheoretisches Prinzip setzt.
B. Das Absurde als erstes Prinzip
I. Das Absurde und der Selbstmord
Die Grundfrage der Philosophie nach Camus ist die Frage, ob es das Leben wert ist gelebt zu werden aufgrund der Tat die die Antwort darauf nach sich zieht1. Denn urteilt man, dass es das Leben nicht wert ist, ist der Selbstmord der notwendig nächste Schritt.
Ein solches Urteil ginge aus folgender Überlegung hervor: „Es heißt gestehen, dass man mit dem Leben nicht fertig wird oder es nicht versteht“2. Denn „aus freiem Willen sterben setzt voraus, dass man, [...] das Fehlen jedes tiefen Grundes, zu leben, die Sinnlosigkeit dieser täglichen Betriebsamkeit, die Nutzlosigkeit des Leidens [erkannt hat].“3
Anhand dieses Zitates wird das Menschenbild Camus´ klar: der Mensch ist ein Mängelwesen mit Bewusstsein. Ihm fehlt von Natur aus die mentale Möglichkeit zur vollen Erkenntnis und trotzdem strebt sein Bewusstsein ständig nach dieser. Der Mensch sucht einen Sinn in der Welt, er sucht ein Ziel, eine Idee, auf das sich seine Handlungen, um gerechtfertigt zu sein, berufen können. Doch gerade dieses Ziel ist es, das im Dunkeln liegt, in einem dem Verstand nicht zugänglichen Raum. So ist der moderne Mensch zum teleologischen Fehlschlag verdammt und sich darüber sogar bewusst. „Eine Welt, die man - selbst mit schlechten Gründen - erklären kann, ist eine vertraute Welt. Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusionen und des Lichts beraubt ist, fühlt sich der Mensch fremd.“4. Gerade dieses Fremdheitsgefühl des Menschen, das Gefühl von der Welt getrennt zu sein, in gewissem Sinne nackt der Welt gegenüber zu stehen und sich sowohl über die Bipolarität wie die Unfähigkeit die Kluft zwischen den beiden Polen, dem Ich und der Welt, überschreiten zu können, bewusst zu sein, das ist das absurde Gefühl:
„Diese Entzweiung zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Handelnden und seinem Rahmen, genau das ist das Gefühl der Absurdität“5.
Das absurde Gefühl ist also zunächst durch die Unfähigkeit der Welt, auf unsere Fragen zu antworten, uns ihren Sinn und somit das Ziel unseres Lebens zu vermitteln, bedingt. Allerdings stellt sich die Frage, ob das Fehlen eines offenliegenden Grundes für das Leben, gleichzeitig sein Ende bedeuten muss. Anscheinend nicht, denn sonst hätten all jene Menschen, denen ihr Verstand die Sinnlosigkeit der Welt klar und deutlich aufzeigte, Selbstmord begangen.
Dies erklärt Camus wie folgt: „In der Bindung des Menschen an sein Leben gibt es etwas, das stärker ist als alles Elend der Welt. Das Urteil des Körpers gilt allemal soviel wie das des Geistes, und der Körper scheut die Vernichtung. Wir gewöhnen uns ans Leben, ehe wir uns ans Denken gewöhnen.“5 Mit eigenen Worten: der Selbsterhaltungstrieb ist stärker als die Erkenntnisse unseres Geistes; er ist die treibende Feder unserer Existenz. Somit wäre der (Selbsterhaltungs-) Trieb natürlicher und die gemeinsame Basis des Menschen mit der Außenwelt. Erst der Verstand und das Bewusstsein vom eigenen Ich trennen den Menschen von dieser.
Auch wenn der Verstand dem Leben jeden Sinn abspricht, bedeutet dies also nicht notwendig, dass das Leben es nicht wert ist, gelebt zu werden.6
Doch die Frage nach dem Selbstmord als Konsequenz aus dem Bewusstsein von einer sinnentleerten Welt bleibt weiter offen, denn das Grundproblem, der Wille dieser Tatsache auszuweichen, bleibt auch bei Verneinung der oben gestellten Frage bestehen: das Ausweichen durch Hoffnung:
„Die Hoffnung auf ein anderes Leben, das man sich verdienen muss, oder die Betrügerei jener, die nicht für das Leben-selbst leben, sondern für irgendeine große Idee, die das Leben überschreitet, es sublimiert, ihm einen Sinn gibt und es verrät.“7
Damit entstehen neue Fragen, die im weiteren erläutert werden:
„Rührt diese Beleidung der Existenz, diese Verleugnung, in die man sie stürzt, daher, dass sie keinerlei Sinn hat? Verlangt ihre Absurdität, dass man ihr mittels Hoffnung oder durch Selbstmord entflieht - eben dies muss man erhellen, verfolgen und verdeutlichen und dabei alles übrige außer acht lassen.“8 Die entscheidende Frage, die in seinem Essays behandelt werden soll, wurde damit gestellt. Sie führt zu einer weiteren: „gibt es eine Logik bis zum Tod?“9
Die als absurde Betrachtung benannte Untersuchung dieser Frage, führt den Menschen an seine äußerste Grenze, an der die Existenz durch das Denken sich selbst bestimmt. Alles objektive wird über Bord geworfen; zurück bleibt allein das Ich, das Subjekt wird zum alleinigen Maßstab für die Wahrheit.
Karl Jaspers formuliert dies folgendermaßen: „Diese Begrenzung führt mich zu mir selbst. Ich bin ich selbst da, wo ich mich nicht mehr hinter einen objektiven Standpunkt zurückziehe, den ich lediglich repräsentiere - da, wo weder ich selbst noch die Existenz eines andern mehr Objekt für mich werden kann.“10
II. Die absurden Mauern - Definition des Absurden durch seine Ursprünge
Bevor die oben gestellten Fragen gelöst werden können, muss zunächst aber das Absurde noch näher bestimmt werden. Die Methode, die Camus dabei anwendet, stützt sich auf das „Gefühl, dass jede wirkliche Erkenntnis unmöglich ist. Wir vermögen nur Erscheinungsformen aufzuzählen und das Klima spürbar zu machen.“11
Somit versucht er „die Summe der Folgeerscheinungen“11 aus dem Klima des Absurden zusammenzufassen, das Absurde durch die praktischen Erscheinungsformen, die es annehemen kann, zu definieren.
Ausgehend von der Betrachtung der verschiedenen Instanzierungen des Absurden wird das ordnende Bewusstsein schließlich als entscheidendes Erkenntnisinstrument festgelegt, denn „mit dem Bewusstsein fängt alles an, und nur durch das Bewusstsein hat etwas Wert.“12
1. Analyse des absurden Gefühls
Bei der Analyse des absurden Gefühls werden verschiedene Ebenen der Realisierung betrachtet. Im allgemeinen entsteht es, wie oben bereits erwähnt, aus einer Fremdheitserfahrung des Ichs der Welt gegenüber.
Dieses Fremdheitsgefühl zeigt sich einerseits, wenn die Kette der alltäglichen Handlungen für einen Moment zerrissen ist, das alltägliche Schaffen für einen Moment als sinnlos erscheint und ein Sinn, der die Handlungen aufs Neue legitimieren könnte, nur durch innere Anstrengungen erzeugt wird. In diesem Momenten springt Einen die Frage nach dem Warum unvermittelt an; Ü berdruss stellt sich ein. „[Er] steht am Ende der Handlungen eines mechanischen Lebens [...] Die einfache Sorge ist aller Dinge Anfang.“13
In diesem Moment, dem Moment, in dem man den Überdruss an sich selbst wahrnimmt, erwacht das Bewusstsein; und es erscheinen zwei Möglichkeiten vor ihm:
Entweder kehrt man zurück in die Kette alltäglicher unbewusster Handlungen oder man verharrt in der Betrachtung der Sinnlosigkeit, die durch die nicht zu beantwortende Frage nach dem Warum entsteht.
Das Bewusstsein von der Sinnlosigkeit wird durch das Gefühl der Fremdheit der Welt gegenüber erzeugt, denn die „ursprüngliche Feindseligkeit der Welt kommt, durch die Jahrtausende hindurch, wieder auf uns zu. Eine Sekunde verstehen wir die Welt nicht mehr, denn jahrhundertelang haben wir in ihr nur Bilder und Gestalten gesehen, die wir zuvor in sie hineingelegt hatten, und nun fehlen uns die Kräfte, von diesem Kunstgriff Gebrauch zu machen. Die Welt entgleitet uns, da sie wieder sie selbst wird. Die von der Gewohnheit verstellten Kulissen werden wieder, was sie wirklich sind.“14
Mit eigenen Worten: die Welt kann uns keine Wahrheiten mehr „erzählen“, die Ordnung verliert sich und mit ihr geht die Sicherheit verloren, die doch notwendig für den Menschen als Fundament aller gewohnten Handlungen ist. (vgl. Sartre: „Der Ekel“).
Dieselbe Sinnlosigkeit erscheint vor dem menschlichen Bewusstsein bei der Beschäftigung mit dem Tod. In gewisser Weise ist er das Endziel der Existenz, „denn wir Leben [stets] auf die Zukunft hin: morgen, später, wenn du eine Stellung haben wirst, mit den Jahren wirst dus verstehen.“15 Diese Kette von Verweisen auf die Zukunft ist Bestandteil eines jeden Lebens und in das Unendliche fortsetzbar, wobei der Tod am Ende steht. „Man kann jedoch nie genug darüber staunen, dass alle so leben, als ob niemand [vom Ende] wüsste “16
Doch das Ende in Gestalt des Todes wird früher oder später alles Sterbliche einholen.
„Das Grauen [vor dem Tod] rührt in Wirklichkeit von der rechnerischen Seite des Ereignisses her. Wenn die Zeit uns erschreckt, dann, weil sie den Beweis führt, die Lösung kommt erst hinterher.“17 Und gerade diese Einsicht zeigt uns die Sinnlosigkeit auf, denn welche Mühe der Mensch auch immer im Leben auf sich nimmt, die Behebung des strukturellen Problems des Mangels kann er nicht beheben; vielmehr fungiert gerade seine Endlichkeit als Hauptargument für seine Fremdheit und gegen jeden Einheitsglauben, denn „im tödlichen Licht dieses Verhängnisses tritt die Nutzlosigkeit in Erscheinung. Keine Moral und keine Anstrengung lassen sich a priori vor der blutigen Mathematik rechtfertigen, die über uns herrscht.“18
Die hier beschriebene Nutzlosigkeit der menschlichen Handlungen, Ideen und Wahrheiten angesichts des Todes ist der Inhalt des absurden Gefühls.
[...]
1 Vgl. S. 17
2 S. 14
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Ebd.
5 S. 16
6 Vgl. S. 17
7 Ebd.
8 Ebd.
9 S. 18
10 Ebd.
11 S. 21
11 Ebd.
12 S. 23
13 Ebd.
14 S. 24
15 S. 23
16 S. 25
17 S. 26
18 Ebd.
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