Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2 Bedeutende Faktoren fur den Schulerfolg im Umfeld der Migranten
2.1 Die Bedeutung der Sprache
2.1.1 Bedeutung der Muttersprache fur das Erlernen der Zweitsprache
2.1.2 Bedeutung der zuhause gesprochenen Sprache
2.2 Bedeutung der Kultur
3. Mogliche Ursachen des Bildungsmisserfolgs von Migranten im Umfeld der Schule
3.1 Diskriminierung
3.1.1Individuelle Diskriminierung
3.1.2 Institutionelle Diskriminierung
3.2 Das dreigliedrige Schulsystem
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die PISA-Studie, die im Jahre 2001 veroffentlicht wurde, sorgte fur Aufsehen bei den Verantwortlichen des Bildungssystems, stellte es ihm doch ein schlechtes Zeugnis aus. Denn im Vergleich zu den anderen OECD-Landern hatte es einen unterdurchschnittli- chen Wert erreicht. Zudem wurde deutlich, dass gerade in Deutschland der Bildungser- folg in erheblichem MaBe von der sozialen Herkunft abhangt, also vom soziookonomi- schen Status und dem Bildungsabschluss der Eltern. Das betrifft u. a. auch die Migran- ten, die signifikant schlechtere Leistungen im Vergleich zu den einheimischen erbrach- ten. Dieser Umstand wurde von einigen genutzt, um damit das schlechte Abschneiden von Deutschland bei PISA zu erklaren. Damit wurde von ihnen die Schuld nicht dem Schulsystem zugeschrieben, sondern den mangelnden Kompetenzen der Schuler mit Migrationshintergrund. Dieser Darstellung widerspricht jedoch Diefenbach (2010: 13), denn zum einen erreichten andere Lander wie Australien und Kanada mit einem hohe- ren Migrantenanteil in der Schulerschaft ebenso gute Leistungen wie die einheimi- schen Schuler und zum anderen schnitten auch deutsche Bundeslander mit niedrigen Migrantenkonzentrationen schlecht ab.
Doch seit PISA 2000 ist schon einige Zeit vergangen und mittlerweile hat sich Deutschland deutlich verbessert und liegt nun uber dem OECD-Durchschnitt (vgl. OECD 2016: 5). Dennoch ist es dem deutschen Bildungssystem nicht gelungen, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln. Diese Tatsache wirkt sich vor allem nachteilig auf Menschen mit Migrationshintergrund aus (nachfolgend Migranten genannt), also Personen, die entweder selbst eingewandert sind oder von mindestens einem Elternteil abstammen, das nicht in Deutschland geboren ist. Migranten entstammen oft dem so- zial schwachen Milieu und weisen zudem eher Probleme mit der deutschen Sprache auf, was Einfluss auf den Bildungserfolg hat.
Sie werden haufiger in der Grundschule zuruckgestellt, besuchen haufiger den Schul- kindergarten und mussen ofter die Klassenstufe wiederholen. Zudem werden sie eher auf Sonderschulen und Hauptschulen verwiesen, wahrend dies seltener zugunsten des Gymnasiums geschieht (vgl. Diefenbach 2010: 79).
Doch wo liegt nun genau der Grund dafur, dass Migranten schlechter im deutschen Bildungssystem abschneiden als ihre deutschen Mitschuler? Diefenbach (2010: 160) hat bei ihrer Auseinandersetzung mit diesem Thema festgestellt, dass die Forschungs- lage uber Nachteile von Migranten im Schulsystem schwach ausfallt.
Man konnte den Grund fur die schlechten Leistungen der Migranten bei ihnen selbst suchen, was sich in Kulturdefiziten, mangelnder Motivation oder Bildungsaspirationen zeigen konnte oder das Schulsystem dafur verantwortlich machen, da es sich nicht in passender Weise um die Migranten kummert. Wenn dies der Fall ware, so wurde das deutsche Bildungssystem keine Chancengerechtigkeit fur alle seine Schuler ermogli- chen, denn dazu mussten die Kinder mit gleichen Voraussetzungen ins Schulleben starten konnen. Da es aber das Ziel eines jeden demokratischen Staates ist, Bildungs- gerechtigkeit fur jeden moglich zu machen und Menschen nur an ihrer Leistung zu be- urteilen, darf es nicht bei der Theorie bleiben, sondern es mussen MaBnahmen getrof- fen werden, um dieses Ziel zu erreichen, damit Migranten nicht zu einer „randstandigen Sonder-Schulergruppe, deren Bildungsschicksal die breite Offentlichkeit in Deutschland nicht interessiert“, werden (Gogolin 2013: 42).
Ein Grund am verspateten Interesse von Bildungserfolgen von Migranten kann in der Tatsache begrundet liegen, dass sich Deutschland lange Zeit gewehrt hat, sich als Einwanderungsland zu bezeichnen (vgl. Steinbach 2009: 30), was sich auch an AuBe- rungen von hochrangigen Politikern bis uber die Jahrtausendwende hinaus beobachten lasst (vgl. Dernbach 2006). Durch die lange Verweigerungshaltung wurden Reformen und Anpassungen erst spat in den Blick genommen, was den Ruckstand in dieser Fra- ge erklaren konnte (vgl. Steinbach 2009: 30).
Einen groBen Anteil der Migranten machten die Gastarbeiter aus, die meisten kamen aus der Turkei. Man ging davon aus, dass sie nach Beendigung ihrer Beschaftigung in ihr Heimatland zuruckkehren wurden, weshalb sich mit deren Bildung und Integration nicht viel beschaftigt wurde (vgl. ebd.). Doch sie sind geblieben und stellen seitdem gemeinsam mit ihren Nachkommen das deutsche Bildungssystem auf die Probe. Es ist zu fragen, ob es ihm gelingt, die Nachteile, die aus sozialer Herkunft und dem Migrati- onshintergrund entstammen, wieder auszugleichen. Denn nur dann wurde man von Bildungsgerechtigkeit sprechen konnen.
2 Bedeutende Faktoren fur den Schulerfolg im Umfeld der Migranten
2.1 Die Bedeutung der Sprache
Obwohl viele Faktoren fur den Schulerfolg maBgeblich sind, ist man sich einig, dass das Beherrschen der Landessprache von groBer Bedeutung ist. Denn die Grundlage, um etwas zu verstehen und somit zu lernen, liegt in der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen. Die Frage, die sich stellt, ist, in welchem MaBe sie von Bedeutung ist und wie sehr die zuhause gesprochene Sprache zum Schulerfolg beitragt.
Weiterhin bedarf es der Analyse, welche Wichtigkeit der Muttersprache (L1) bei der Erlernung der Zweitsprache (L2) zukommt, um zu erkennen, ob Defizite in der L1 die Ursache fur die schlechten Leistungen in der L2 sind. Darauf soil folgend eingegangen werden.
2.1.1 Bedeutung der Muttersprache fur das Erlernen der Zweitspra- che
Da bei vielen Migranten der Spracherwerb in einer anderen Sprache als Deutsch ge- schieht, stellt sich die Frage, inwiefern diese Tatsache erschwerend auf das Erlernen der Zweitsprache wirkt. Bei der Frage welchen Einfluss die L1 auf den Erwerb der L2 bzw. welchen Anteil am Bildungserfolg sie hat, existieren zwei Positionen, die eine be- sagt, dass sich das Beherrschen der L1 positiv auf L2-Kompetenzen auswirkt, wohin- gegen die andere Ansicht einen negativen bzw. keinen Zusammenhang darin sieht (vgl. Kempert u. a. 2016: 181). Dabei ist gut belegt, dass Lesefahigkeiten in der L1 auf die L2 ubertragen werden konnen, was bei mundlichen Fahigkeiten noch nicht der Fall ist (vgl. ebd.: 189). Ebenso ist laut Kempert u. a. nicht eindeutig nachgewiesen, dass fortschrittliche L1-Kompetenzen positive Auswirkungen auf Lernprozesse in der Zweit- sprache haben. Man konne jedoch von der Annahme ausgehen, dass die L1 keine negativen Effekte auf die L2 habe (ebd.: 224f). Damit ist keine eindeutige Befundlage gegeben, was weitere Forschung notig macht, um diese Frage befriedigend beantwor- ten zu konnen. Eine Erklarung fur die Diskrepanzen der konkurrierenden Positionen versucht Strobel zu liefern:
Die verschieden Teilnehmer der Diskussion um die Zusammenhange zwischen Sprachgebrauch und Bildungserfolg berufen sich in ihrer Argumentation auf unter- schiedliche Mechanismen. Dabei kommen sie zu teils gegensatzlichen Aussagen im Hinblick auf den Zusammenhang von Sprachgebrauch und Kompetenzerwerb. Gleichzeitig finden sich in den unterschiedlichen Studien oft widerspruchliche Be- funde. Daher liegt die Vermutung nahe, dass hier moglicherweise gegenlaufige Mechanismen gleichzeitig am Werk sind und die sichtbaren Einflusse des Sprach- gebrauchs auf den Kompetenzerwerb von weiteren Bedingungen abhangen. (Strobel 2015: 20)
Man kann nun weiterdenken und Fragen ob sich der Gebrauch von L1 und L2 positiv auf das Erlernen von Fremdsprachen auswirkt und somit zum Schulerfolg beitragt.
Denn bei Kindern die zweisprachig aufwachsen wird davon ausgegangen, dass sie Vorteile beim Erlernen einer Fremdsprache haben, da das fruhe Auseinandersetzen mit mehreren Sprachen dazu fuhrt, ein Bewusstsein uber die Mechanismen von Sprache zu entwickeln (vgl. Kempert u. a 2016: 225). Ein solcher Beleg konnte bei einer Unter- suchung von Neuntklasslern erbracht werden. So konnte festgestellt werden, dass zweisprachige Migranten bessere Kompetenzen in Fremdsprachen vorzuweisen hatten als ihre einsprachigen Mitschuler, jedoch konnte dieser Effekt in der Oberstufe des Gymnasiums nicht mehr beobachtet werden (vgl. Sachverstandigenrat deutscher Stif- tungen fur Integration und Migration 2016: 28f.).
2.1.2 Bedeutung der zuhause gesprochenen Sprache
Dass das Beherrschen der Verkehrssprache positiv auf den Bildungserfolg wirkt, scheint plausibel zu sein, doch die Frage ist, wie sehr das der Fall ist. Kempert u. a. (2016: 224) konnten nach Betrachtung verschiedener Studien bestatigen, dass das Beherrschen der Verkehrssprache einen deutlichen positiven Einfluss auf den Bil- dungserfolg von Migranten hat. Die Frage, die sich stellt, ist, woran es liegt, dass Mig- rantenkinder oft Sprachdefizite in der Schulsprache aufzuweisen haben und wer die Verantwortung dafur tragt. Von einigen wird dann die Familie als Ursache ausgemacht, die zuhause kein deutsch mit den Kindern spricht. Auch die Kultusministerien gehen von dieser Ursache aus, was wohl daran liegen konnte, dass sie am Bestehen des Systems interessiert sind und keine groBen Veranderungen wunschen (vgl. Auernhei- mer 2013: 14). Das kann am besten bewerkstelligt werden, wenn die Schuld am schlechten Abschneiden nicht dem Bildungssystem zugeschrieben wird, sondern im Umfeld der Migranten gesucht wird. Deshalb vermutet man, dass die zuhause gespro- chene Sprache Ursache fur die Sprachdefizite ist. Man nimmt dabei an, dass Kinder die zuhause mit ihren Eltern kaum Deutsch sprechen, schlechtere Kompetenzen in dieser Sprache entwickeln. Bei IGLU 2016, einer Studie, die die Leseleistungen von Grundschulkindern am Ende der vierten Klasse untersucht, konnte dazu ein Zusam- menhang festgestellt werden. Bei fast allen Teilnehmerlandern wurden bei Kindern, die die Testsprache zuhause nicht oder kaum sprechen, niedrigere Leseleistungen festge- stellt, wobei erhebliche Unterschiede in den Leistungsabweichungen bestehen (vgl. Bos u. a. 2017: 22). In Deutschland sind das 16,6 % der Schuler mit einer erreichten Punktzahl von 509 Punkten, das sind 40 Punkte weniger im Vergleich zu den Schulern, die zuhause immer oder fast immer Deutsch sprechen, was etwa einem Ruckstand von einem Schuljahr entspricht (vgl. Wendt & Schwippert 2017: 223f.). Vergleicht man dieses Ergebnis mit den anderen Teilnehmerlandern, so muss man feststellen, dass gera- de in Deutschland der Abstand zwischen beiden Gruppen uberdurchschnittlich groB ist (vgl. ebd.). Bei Kanada und England betragt der Unterschied zwischen beiden Gruppen nur 10 Punkte (vgl. ebd.). Es gelingt demnach anderen Bildungssystemen besser, die Diskrepanz zwischen den Leseleistungen klein zu halten, was zeigt, dass die zuhause uberwiegend gesprochene auslandische Sprache, nicht unbedingt zu erheblichen ne- gativen Folgen in den Leseleistungen der Testsprache fuhren muss.
Trotz dieser Ergebnisse muss man beachten, dass die Leseleistungen nur einen Bau- stein der Deutsch-Kompetenzen ausmachen, und somit nur Teilweise darauf hindeu- ten, dass der wenige Sprachgebrauch in der Verkehrssprache zuhause, zu Sprachdefi- ziten fuhrt. Deshalb muss man gut daruber nachdenken, ob man die Leseleistungen als entscheidende Referenz fur die Sprachkenntnisse nimmt oder weitere Faktoren miteinbezieht.
Die Aussagekraft der Leseleistungen ist auch fur den Schulerfolg begrenzt, denn IGLU konnte belegen, dass die sie nur geringfugig mit der Deutschnote zusammenhangen, welche jedoch wichtigster Indikator fur eine Schulempfehlung ist, und somit den Bil- dungserfolg maBgeblich mitbestimmt (vgl. Bos u. a. 2017: 23).
Auch Diefenbach (2010: 163) auBert kritisch uber den hergestellten Zusammenhang zwischen der zuhause gesprochenen Sprache und den Schulerfolg, sie sieht diese These in Deutschland empirisch nicht belegt. Und da sich der Sprachgebrauch daheim vom Unterrichtsdeutsch unterscheide, sei er auch kein guter Indikator fur die Deutsch- kenntnisse (ebd.). Denn das Deutsch, das in der Schule gesprochen wird, ist eine Fachsprache, die sich am konzeptionell Schriftlichen orientiert und sich somit deutlich von der Umgangssprache unterscheidet (vgl. Gogolin 2013: 40).
Auch zeigt sich ein differenziertes Bild der Sprachleistungen in Deutschland, wenn man die verschiedenen Ethnien betrachtet. So konnte bei PISA-II festgestellt werden, dass 50 % der Vietnamesen, die zuhause nur ihre Landessprache sprechen, nur geringfugig schlechtere Leseleistungen erbringen als die einheimischen Schuler (vgl. Nauck & Lot- ter 2016: 131). Turkischstammige Schuler hingegen, die den groBten Anteil von Mig- ranten in deutschen Schulen ausmachen (vgl. Diefenbach 2010: 48), schneiden dabei von allen Migrantengruppen am schlechtesten ab (vgl. Nauck & Lotter 2016: 131). Auch nach der Betrachtung ihrer sozialen Herkunft lassen sich immer noch Defizite feststellen (vgl. Kempert u. a. 2016: 224).
Doch es finden sich auch positive Effekte bei Schulern, die zuhause kein Deutsch sprechen, so konnte festgestellt werden, dass sie bei vergleichbaren Bedingungen uber eine hohere Lernmotivation verfugen, einen besseren Schulabschluss anstreben als ihre Mitschuler, die zuhause Deutsch sprechen und ein positives Selbstkonzept vorzuweisen haben (Stanat 2006: 211).
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