Phronesis (Aristoteles, Nikomachische Ethik)


Seminararbeit, 2004

14 Seiten, Note: 2


Leseprobe


I. Inhalt

1. Einleitung

2. Phronêsis
2.1 Systematischer Ort
2.2 Inhaltliche Bestimmung

3. Die phronêsis in ihrer Wechselbeziehung zu den aretê êthikê und ihre Relevanz für das gute Leben

II. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

“Das oberste dem Menschen erreichbare Gut stellt sich dar als eine Tätigkeit der Seele im Sinne der ihr wesenhaften Tüchtigkeit.”[1] Schon an dieser sehr frühen Stelle in der Nikomachischen Ethik definiert Aristoteles auf Grundlage der Annahme, dass der Mensch ein Wesen ist, welches strebt, das Gut, zu dem es strebt. Dieser Bestimmung geht zunächst die Feststellung voraus, dass nach Meinung der Leute das oberste Gut und somit höchste Ziel (telos teleiotaton) im guten vollendeten Handeln (eu prattein) und Leben (eu zên), welches mit der eudaímonia gleichgesetzt wird, besteht. Ausgangspunkt für Aristoteles Überlegungen bildet also eine Feststellungen des common sense, die keines weiteren Beweises zu bedürfen scheint, da sie quasi ontologisch festgeschrieben ist: Der Mensch ist ein strebendes Wesen und das letzte Ziel seines Strebens ist die eudaímonia.[2]

Die eingangs zitierte Aussage gibt nun eine Antwort auf die sich aufdrängende Frage, was der Mensch zu tun vermag, um seinem Glück bestmöglich auf die Sprünge zu helfen. Sicherlich steht außer Frage, dass der Mensch über sein Maß an Glück, wie wir es verstehen, nicht zu entscheiden hat, denn er ist den kontingenten Widerfahrnissen des Lebens letztlich doch immer ausgeliefert. Das macht deutlich, dass Glück eventuell keine wirklich adäquate Übersetzung des Begriffs eudaímonia darstellt oder aber unser Alltagsbegriff von Glück fehlschlägt. Halten wir fest, dass hier eine Glückseligkeit gemeint ist, die nur im Bezug auf das gesamte Leben betrachtet werden kann, die das Ziel allen Strebens markiert und die sich in einer Tätigkeit der Seele gemäß ihrer ihr wesenhaften Tüchtigkeit manifestiert.

Welches ist nun die der menschlichen Seele wesenhafte Tüchtigkeit? Die dem Menschen eigentümliche Leistung, die in dem sogenannten ergon -Argument angenommen wird, ist die gemäß der Vernunft (logos) oder anders dem rationalen Element. Das ergon liegt in der Tätigkeit selbst, nicht in einem entstehenden Produkt. Der Vollzugscharakter des menschlichen Lebens wird hervorgehoben. Das Argument in seiner Verfasstheit birgt Probleme in sich: Kann man annehmen, dass dem Menschen eine bestimmte Funktion oder Aufgabe ontologisch beigelegt ist?[3] Aristoteles setzt dies für seine Theorie voraus, denn ansonsten könnte er sie so nicht verfassen. Würde er nicht von einer derartigen Seinsbestimmung des Menschen ausgehen, so könnte er nicht das gute Leben als eines einer bestimmten Seinsverfassung gemäßes betrachten, sondern müsste andere Kriterien finden.

Der Mensch soll also, wenn er die eudaímonia erreichen will, in seinem Sein so verfasst sein, dass seine Seele im Sinne des logos tätig ist. Für das Handeln bedeutet dies, dass es eine (möglichst tugendhafte) Form der Vernunft geben muss, die leitend wirkt. Diese soll im Weiteren betrachtet werden, da in ihr die Ermöglichung von menschlichem Glück mitbegründet liegt.

2. Phronêsis

2.1 Systematischer Ort

In Kapitel 13 des Ersten Buches der Nikomachischen Ethik widmet sich Aristoteles einer näheren Bestimmung der menschlichen Seele, indem er sie in zwei Elemente unterteilt: zum einen das irrationale und zum anderen das rationale Element. Zunächst erläutert Aristoteles nun, dass das irrationale Element sich wiederum aufspaltet in eines, welches allen Lebensformen gemeinsam und somit “an dem Wertcharakter des Menschen keinen Anteil hat”[4], womit das Streben nach rein vegetativer Erfüllung gemeint ist, und eines, welches in der Lage ist, Anweisungen des rationalen Elements Folge zu leisten und somit in gewisser Hinsicht teilhat an jenem. Dieses Element der Seele ist durch den Begriff “Strebevermögen” wohl sehr treffend bezeichnet und umfasst den Bereich des voluntativ-affektiven. Durch dieses Vermögen werden die Handlungsziele bestimmt und es wird zugleich als ein Teil des rationalen Seelenteils betrachtet; zu diesem “hinhörenden” Element tritt dann noch “das Rationale im eigentlichen Sinn”[5].

Da das Handeln des Menschen offensichtlich durch zwei Seelenteile beeinflusst ist, unterscheidet Aristoteles nun zwei Arten von Tugenden, die also zu gutem Handeln und somit zur eudaímonia führen, gemäß ihrer Verankerung in der Seele: die ethischen Tugenden, die ihren Sitz im Strebevermögen haben, und die dianoetischen Tugenden, welche auch als Verstandesvorzüge bezeichnet werden können. Die Aufmerksamkeit soll im Folgenden bei der Betrachtung der dianoetischen Tugenden liegen, da die phronêsis sich als die handlungsleitende, also jene, welche den Einfluss auf das Strebevermögen ausüben sollte, unter ihnen herauskristallisieren wird.

In Buch VI der Nikomachischen Ethik beschäftigt sich Aristoteles nach eingehender Analyse der ethischen Tugenden, d.h. der bestmöglichen Verfasstheit des Strebevermögens, mit dem eigentlichen rationalen Seelenteil und seiner bestmöglichen Verfasstheit. Wie auch der irrationale Seelenteil sich aufspaltet, so spaltet sich auch der im eigentlichen Sinne rationale Seelenteil auf: “ein Teil, mit dem wir jene Formen des Seienden betrachten, deren Seinsgrund Veränderung nicht zulässt (logistikon), und ein Teil, mit dem wir veränderliches Sein betrachten (doxastikon).”[6] /[7] Da es in unserer Betrachtung um den Handlungsspielraum des Menschen geht, wird das Augenmerk auf dem Element des rationalen Seelenteils liegen, das sich mit dem veränderlichen Sein beschäftigt und “wir müssen also erfassen, welches die beste Gesamtform (dieses Seelenteiles) ist: das wäre dann gleichbedeutend mit deren besonderer Trefflichkeit”[8].

[...]


[1] Aristoteles NE: Seite 17.

[2] Sie wird in der Forschung entweder als dominantes oder inklusives Telos betrachtet, zur Diskussion dieser Zuschreibungen vgl. Höffe (1999: Seite 223) und Rese (2003: Seite 72).

[3] Vgl. zu dieser Problematik Wolf (1995: Seite 84ff).

[4] Aristoteles NE: Seite 31.

[5] ebd.: Seite 32.

[6] Aristoteles NE: Seite 154.

[7] Zur Problematisierung der unklaren Differenz zwischen logistikon und doxastikon vgl. Ebert: Seite 175f.

[8] Aristoteles NE: Seite 154.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Phronesis (Aristoteles, Nikomachische Ethik)
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Aristoteles: Nikomachische Ethik
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
14
Katalognummer
V58563
ISBN (eBook)
9783638527194
ISBN (Buch)
9783656813293
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Phronesis, Nikomachische, Ethik), Aristoteles, Nikomachische, Ethik
Arbeit zitieren
Clara Maria Schreiber (Autor:in), 2004, Phronesis (Aristoteles, Nikomachische Ethik), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58563

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