Die Position der Bundesregierung zu Emissionsverschärfungen im Verkehrssektor

Eine kritische Auseinandersetzung am Beispiel des Abgasskandals


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

20 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Position der deutschen Bundesregierung bei Emissionsverhandlungen auf EU-Ebene bis 2015

2. Der Abgasskandal 2015

3. Position der deutschen Bundesregierung nach dem Abgasskandal

4. Die Haltung der deutschen Bundesregierung zusammengefasst
4.1 Die Argumentation aus wissenschaftlicher Perspektive
4.2 Die Position der deutschen Bundesregierung im Kontext historischer Verantwortung

Fazit

Quellenverzeichnis

Einleitung

Deutschland galt in der Europäischen Union lange Zeit als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Der deutsche Klimaschutzplan 2050 wird als einer der ambitioniertesten weltweit gehandelt. Das nationale Klimaziel im Verkehrssektor lautet: die Emissionen bis zum Jahr 2030 um 40 bis 42 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Aktuell beobachtet man im Verkehrssektor allerdings eine gegenteilige Entwicklung. Die CO2-Emissionen steigen seit Jahren und haben den Vergleichswert von 1990 im Jahr 2016 bereits überholt. Dem entgegen steht die Position Deutschlands, bei der letzten klimapolitischen Verhandlung zur CO2- Emissionsminderung für Neuwagen, im Oktober vergangenen Jahres. Die Bundesumweltministerin Schulze (SPD) sprach sich für eine Verschärfung um lediglich 30 Prozent aus, während das Europaparlament eine Reduktion um 40 Prozent forderte. Womit sich die Diskrepanz, zwischen ambitioniertem Klimaschutz auf der einen Seite und Vermeidung strengerer Abgasnormen zur Erreichung des selbstgesteckten Ziels auf der anderen Seite, erklären lässt und wie haltbar die Argumente wissenschaftlich gesehen sind, wird im Folgenden untersucht. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Abgasskandal im Jahr 2015 und der Rolle des Volkswagenkonzerns sowie der deutschen Automobilindustrie in Bezug auf die politische Positionierung der deutschen Bundesregierung. Im zweiten Teil soll die Frage geklärt werden, ob die angeführte Argumentation sich einem klimaethischen Gerechtigkeitsprinzip zuordnen lässt. Das Fazit der Arbeit bildet eine zusammenfassende Bewertung der klimapolitischen Position im Verkehrssektor nach wissenschaftlichen und klimaethischen Aspekten.

1. Position der deutschen Bundesregierung bei Emissionsverhandlungen auf EU-Ebene bis 2015

Im Jahr 1995 legte die Europäische Kommission eine Strategie zur Minderung von CO2-Emissionen und zur Senkung des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs zwecks Klimaschutzes fest. Durch Selbstverpflichtung der Automobilindustrie sollte der CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2010 auf 120g/km reduziert werden. Die Automobilindustrie in Europa (ACEA) reagierte darauf mit dem selbstgesetzten Ziel bis 2008 die CO2-Emissionen auf 140g/km im Durchschnitt zu reduzieren. Das selbstgesteckte Ziel blieb unerreicht. Im Jahr 2008 lag die durchschnittliche CO2-Emission bei 152g/km. Ausgangswert im Jahr 1995 war 186g/km CO2 (vgl. Kommission der europäischen Gemeinschaften 2007, S. 7). Bei der Auswertung der Strategie und des Vorgehens der Automobilindustrie wurde ersichtlich, dass die Reduktion primär durch Verbesserung der Fahrzeugtechnik erreicht wurde. Die steigende Nachfrage nach größeren Wagen und stärkerer Leistung wurde ebenso identifiziert (ebd.).

Auf das Verfehlen der Selbstverpflichtung der europäischen und insbesondere deutschen Automobilindustrie, reagierte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nachsichtig. Zwar wäre es „nicht gut“, dennoch würde sie verhindern, dass es eine generelle gesetzliche verankerte Reduktion gibt: „Jedenfalls werde ich mit aller Kraft, die ich habe, dagegen anlaufen.“ (vgl. Merkel 2007). Stattdessen stehe die Europäische Union nach ihrem Verständnis für „Vielfalt in der Produktion“ und das ließe sich auch auf die Automobilindustrie beziehen (ebd.). Noch im Jahr 2007 wurde ein Vorschlag der Europäischen Kommission an das Parlament eingereicht, der gesetzliche Vorgaben zur Erreichung der bis dato selbstgesteckten CO2-Ziele enthielt. Zu diesem Zeitpunkt stellten Vertreter der Automobilindustrie Bundeskanzlerin Merkels Aufgeschlossenheit für ihre Belange fest (vgl. Becker et al. 2015). So wurde beispielsweise bekannt, dass die Kanzlerin den Verband der Automobilindustrie bat Vorschläge zu konkreten Gesetzesvorhaben zu konzipieren (vgl. Schmidt 2018, S. 408f.). Berichten zufolge habe Merkel sich in einem persönlichen Brief auch an Barroso (EU-Kommissionschef) gewandt und ihn darum gebeten Hersteller sogenannter Premiumfahrzeuge, was insbesondere deutsche Hersteller wie Daimler, Volkswagen und BMW sind, nicht stärker in die Pflicht zu nehmen als Hersteller von Kleinwagen (vgl. Schiltz 2007). Parallel dazu wurde auch zwischen Günter Verheugen (SPD), damaliger EU-Industriekommissar und EU- Umweltkommissar Stavros Dimas um die neuen Abgaswerte gestritten. Verheugen, der in diesem Prozess die Position der deutschen Automobilindustrie und die sich damit deckende Haltung der deutschen Bundesregierung einnahm, stimmte für eine Reduktion der CO2-Emission auf 130g/km bis 2015. Stavros Dimas Ziel von 120g/km wurde revidiert und dem Vorschlag Verheugens Folge geleistet. Verheugen argumentierte, wie auch Angela Merkel, erfolgreich mit dem Verweis auf die breite Produktpallette, die in der EU produziert werden würde und den Kostendruck auf Automobilhersteller vonseiten der Käufer_Innen. Befürchtet werde laut Verheugen, dass die Produktion auf Grund der strengen europäischen Vorgaben, die mit Strafzahlungen verbunden (95 € je g/km CO2) und somit verpflichtend seien, ins Ausland verlagert oder Käufer_innen zum Kauf anderer Marken außerhalb der EU verleitet würden (vgl. Braun et al. 2007). Verheugen plädierte ebenso wie die deutsche Bundesregierung für niedrigere Strafen bei Verstößen für Premiumhersteller (vgl. Schiltz 2007). In diesem Zusammenhang bezichtigte Dimas Bundeskanzlerin Merkel die offizielle Führungsrolle im Klimaschutz zu vernachlässigen und forderte sie auf, auch in der Verkehrspolitik, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Schließlich wurde die Verordnung im Jahr 2009 erlassen. Erstmals gab es verbindliche CO2-Standards, die die zuvor geltende Selbstverpflichtung der Automobilindustrie ersetzten. Der erste CO2-Standard setze zunächst einen Wert von 130 Gramm pro Kilometer (g/km) für neue Pkw mit Zulassungsjahr 2015, verglichen mit einem Startwert von 146 g/km im Jahr 2009 fest (vgl. Schmidt 2018, S. 256). Das festgelegte Ziel von 130g/km ist als ein Richtwert zu verstehen, der sich auf den Durchschnitt aller produzierten PKW (Flotte) eines Herstellers bezieht. Einen weiteren und wichtigen Kern bildete der Beschluss bis zum Jahr 2020 95g/km Flottenziel zu erreichen. Dieses sollte im Jahr 2013 nochmal seitens der deutschen Bundesregierung in Frage gestellt werden.

Über das 2008 vereinbarte EU-Ziel von 95g/km Flottenwert ab dem Jahr 2020 wurde 2013 in Brüssel erneut verhandelt. Die geplante Vorgabe sollte vereinbarungsgemäß im Rahmen der vorangegangenen Entwicklung geprüft werden. Nach erfolgter Überprüfung stand ein Kompromiss im Raum, der vorsah, dass die CO2-Höchstgrenze für die Flotte jedes Autoherstellers in der Zeit von 2015 bis 2020 von 120g/km auf 95g/km reduziert werde. Bis 2025 sollten die Grenzwerte sich weiterhin minimieren (vgl. Brühl 2013). Die deutsche Bundessregierung gab an diesen Vorschlag zunächst noch prüfen zu müssen. Binnen einiger Tage gelang es daraufhin die Verabschiedung der CO2-Grenzwerte zu verschieben und anschließend durch die Schaffung einer von der Bundesregierung initiierten Sperrminorität, zu verhindern. Berichten zufolge drohte die Bundesregierung auf Regierungsebene wiederholt mit dem Szenario, dass die deutsche Automobilindustrie aus Europa abziehen und somit hohe Arbeitsplatzverluste verursachen würde (vgl. ebd.). In einem Vorschlagspapier, das dem Magazin SPIEGEL ONLINE vorlag, machte sich Deutschland für weitere Einschränkungen des Gesetzesentwurfs stark. Demnach sollten im Jahr 2020 nur 80 Prozent der Flotte eines Herstellers die Auflagen erfüllen müssen. „Jährlich soll der Anteil dann um fünf Prozentpunkte steigen - ehe erst im Jahr 2024 wirklich die Gesamtflotten der Hersteller im Schnitt höchstens 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen“ (vgl. Spiegel Online 2013a). Weiterer Knackpunkt in den Verhandlungen waren die sogenannten Supercredits. Um die Herstellung von CO2-freundlichen E-Fahrzeugen zu fördern, können Hersteller klimaschonende Automobile mehrfach anrechnen lassen, um die Grenzwerte zu erfüllen. Der Anrechnungsfaktor sollte ursprünglich bei zwei liegen und bis 2023 auf eins sinken. Die Bundesregierung Deutschland forderte einen höheren Anrechnungsfaktor und die vor 2020 produzierten E-Autos mitzählen zu dürfen (vgl. Spiegel online 2013b). In der finalen Fassung hieß es abschließend, dass nur 95% der Flotte eines Autoherstellers den Abgaswert erreichen müssen. Erst ab dem 31.12.2020 sollen die neuen Vorgaben von 95g/km für die gesamte Flotte gelten (vgl. Spiegel Online 2013c).

Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass die deutsche Bundesregierung sich in internationalen Verhandlungen gegen die Vorschläge der EU stellt. Insbesondere Kanzlerin Merkel übt persönlichen Einfluss auf der internationalen Regierungsebene zugunsten deutscher Automobilhersteller aus. Die enge Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie ist gekennzeichnet durch starkes Vertrauen und persönliche Beziehungen zur Kanzlerin (vgl. Brühl 2013).

2. Der Abgasskandal 2015

Im September 2015 wurde durch eine amerikanische Studie bekannt, dass das deutsche Automobilunternehmen Volkswagen bei der Überprüfung von Abgaswerten eine eigens zur Manipulation entwickelte Software eingesetzt hat. Die CO2-Werte der Diesel-Fahrzeuge wurden dadurch zu Gunsten des Unternehmens verändert und dementsprechend auch öffentlich beworben. Die Abgasgesetzgebung wurde umgangen und die CO2-Werte mit Hilfe der Software statt technischer Innovation nachgebessert (vgl. Bandelow/ Kundolf 2018, S.166). „Die Software bemerkte, dass ein Auto auf dem Prüfstand stand, und steuerte dann die Abgase so, dass sie innerhalb der Normen lagen, während sie im Realbetrieb bis zum 35-fachen überstiegen.“ (Schmidt 2018, S. 13). Die Software stammt vom Automobilzulieferer Bosch und wurde im Jahr 2007 an Volkswagen ausgehändigt. Laut Bosch mit dem Hinweis darauf, dass diese gegen geltendes Gesetz verstoßen würde (vgl. Schmidt 2018, S. 18). Kritisiert wird in diesem Zusammenhang häufig, dass der Skandal lediglich durch seine Öffentlichkeitswirksamkeit und besondere Gesetzeslage in den USA zu öffentlichem Interesse in Deutschland führte. Wohingegen es im September 2014 bereits Veröffentlichungen dieser Werte vom Magazin Der Spiegel und dem Handelsblatt gab, die keine besondere Beachtung in den Massenmedien und der nationalen Politik fanden (vgl. Schmidt 2018, S.14f.).

3. Position der deutschen Bundesregierung nach dem Abgasskandal

Die Haltung der deutschen Bundesregierung war nach Bekanntwerden der Manipulationen durch Volkswagen weiterhin der Automobilindustrie zugewandt. Die Gesetzgebung wurde nicht zugunsten des Klimaschutzes, stattdessen jedoch zugunsten der Automobilhersteller, verändert. Als Konsequenz des Abgasskandals folgte die Erhöhung der bislang geltenden Grenzwerte für Dieselmotoren im Februar 2016 durch das EU-Parlament. Die neue Regelung sieht vor, die Prüfung von CO2-Emissionen im Fahrbetrieb zu messen, andererseits aber ebenso Spielräume für die Überschreitung zu erlauben. Vom Jahr 2020 gilt für neue Diesel-Pkw ein Grenzwert von 120g/km (Schmidt 2018, S. 179). Den ursprünglichen Wert sollen neuzugelassene Diesel-Pkw zwischen September 2017 und Januar 2020 um das doppelte überschreiten dürfen. Ab 2020 soll eine Überschreitung nur noch um die Hälfte gestattet sein. In diesem Fall hat sich Deutschland für die Annahme der Neuregelung ausgesprochen (ebd.). Der Abgasskandal legte auch Fehler der Bundesrepublik in der Gesetzgebung offen. Im Dezember 2016 gab die Europäische Kommission bekannt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland sowie gegen sechs andere Mitgliedsstaaten der EU einzuleiten. Gegenstand der Vertragsverletzung war ein nicht eingeführtes gesetzliches Sanktionssystem gegen Automobilhersteller, sollten diese gegen geltende EU-Fahrzeugemissionsvorschriften verstoßen. Deutschland hat ähnlich wie andere Mitgliedsstaaten keine Sanktionen für die Nutzung manipulierter Technik festgelegt. Zu dem Zeitpunkt der Eröffnung des Vertragsverletzungsverfahrens, war die Frist für die Umsetzung fast neun Jahre abgelaufen. Das Versäumnis trägt mitunter dazu bei, dass der Volkswagenkonzern in Deutschland keine Strafverfolgung diesbezüglich zu befürchten brauchte (vgl. Katzemich 2016). Hinweise auf die Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen wurden von staatlicher Seite somit nicht hinreichend verfolgt, da die Konzerne strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten (vgl. Borgeest 2017, S. 60). Elzbieta Bienkowska (EU-Kommissarin für Industrie und Unternehmen) betont, dass die Bundesrepublik Deutschland es verpasst hat, über die Einhaltung der Rechtsvorschriften bei der Automobilindustrie zu wachen. Gemäß europäischer Verordnung Nr. 715/2007, sind die Mitgliedsstaaten aufgefordert über wirksame Sanktionsmechanismen zu verfügen, um Fahrzeughersteller von Verstößen abzuhalten. Diese hätten der EU bis Januar 2009 mitgeteilt werden sollen. In Deutschland oblag die Verantwortung dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur als oberste Bundesbehörde wie auch dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) als Bundesoberbehörde (vgl. Borgeest 2017, S. 60). Deutschland und das Vereinigte Königreich weigerten sich zudem „alle in ihren nationalen Untersuchungen gesammelten Informationen offenzulegen, die potenzielle Unregelmäßigkeiten bei den Emissionen […] bei Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns […] betreffen.“ (European Commission 2016). Die mangelnde Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland in dem europäischen Verfahren gegen den Volkswagenkonzern, gilt für die deutsche Position in Klimafragen bezüglich des Verkehrssektors als bezeichnend. Anlässlich der Weltklimakonferenz COP23 in Bonn richtete Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) im November 2017 einen Brief an Miguel Arias Cañete, Kommissar für Klimaschutz und Energie in Brüssel. Inhalt der Bitte war es bei der kommenden CO2- Gesetzgebung „die Innovationskraft der Automobilindustrie nicht durch zu eng gestrickte EU-Gesetzgebung ersticken“ zu lassen. Konkret schlug Gabriel vor, die Reduktionsziele nach 2021 erst wieder im Jahr 2030 zu überprüfen. Ein verbindliches und strafbewehrtes Ziel bis 2025 gelte es zu verhindern. „Eine Verschärfung der Reduktionsziele von 2021 um mehr als 20 Prozent bereits bis 2025 birgt aus meiner Sicht die Gefahr, sich negativ auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Branche auszuwirken.“ (Gabriel 2017, S. 2). Damit einhergehend sei eine Quote für E-Fahrzeuge keine willkommene Option, da diese nicht auf die Nachfrage eingehe und somit auch nicht der „ Ausgestaltung des Markts“ entspreche. Gabriel schloss den Brief mit dem Satz: „ Dies liegt aus meiner Sicht auch im Interesse der Kommission, denn alle Länder, in Europa und weltweit, profitieren vom Fortschritt, den die deutsche und europäische Automobilindustrie durch ihre langjährige Expertise und ihre Wettbewerbskraft auf dem Weltmarkt vorantreibt und damit Arbeitsplätze sichert.“ (Gabriel 2017, S. 2). Die Bundesregierung fürchte, dass ein zu schneller Umstieg auf neue Antriebe zu Arbeitsplatzverlusten führe hieß es im Oktober 2018 nach wie vor, als sich die EU-Staaten auf eine Verschärfung der CO2-Ausstöße bei Neuwagen eines Herstellers einigten. Umweltministerin Schulze (SPD) hat sich stellvertretend für die Regierung und gegen die Haltung ihres Ministeriums für eine Verschärfung um lediglich 30% eingesetzt. Das Europaparlament hingegen hatte eine Reduktion um 45 Prozent gefordert. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich in dieser Debatte für eine Reduktion von nicht mehr als 30% aus, da sonst die Gefahr bestehe die Automobilindustrie aus Europa zu vertreiben. Während der Verhandlungen, die von Schulze auf europäischer Ebene geführt wurden, fand ein enger Austausch zwischen ihr und Bundeskanzlerin Merkel statt (vgl. Zeit Online 2018). „Es ist kein Geheimnis, dass ich noch mehr Ehrgeiz für möglich und richtig gehalten hätte.“, sagte Umweltministerin Schulze nach den Verhandlungen und stellt sich so offen gegen die Bundesregierung (Schulze, 2018a). In der Aktuellen Stunde am 28.09.2018 zum Thema Abgasskandal sprach sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) daraufhin explizit für die Weiterverwendung von Dieselmotoren aus. Es würden allein bei der Firma Bosch über 50.000 Arbeitsplätze am Diesel hängen. Er betonte in dieser Debatte vor allem eines im Blick zu haben: „nämlich Wohlstand und wirtschaftliche Prosperität, damit wir uns das, was wir hinsichtlich sozialer Sicherheitsstandards und vielem mehr entscheiden, überhaupt leisten können.“ (vgl. Scheuer 2018, S. 4). Die Umrüstung aller manipulierten Diesel-Fahrzeuge zu weniger CO2-Ausstoß sieht Scheuer aus technischer Sicht als unmöglich an: „3,1 Millionen Euro4-Fahrzeuge gibt es in Deutschland, und die sind technisch gar nicht hardwarenachrüstbar; sie sind technisch nicht nachrüstbar. Auch mit einem Nobelpreis für Hardwarenachrüstung geht es nicht.“ (Scheuer 2018, S. 2).

Im Januar 2019 wurde bekannt, dass Verkehrsminister Scheuer in einem Brief an die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc darum bat, die geltenden Stickoxidgrenzwerte nochmals zu überprüfen. Die Grenzwerte, die Scheuer anzweifelte, seien auf ihre wissenschaftliche Herleitung zu prüfen und eine Neubewertung, zwecks Gewährleistung der Mobilität in Deutschland, zu unterstützen. Aktuell geht aus einer Bilanz des Umweltbundesamts hervor, dass die Luftverschmutzung in deutschen Großstädten, vor allem aus Diesel-Abgasen, höher ist als gesetzlich zugelassen (vgl. UBA 2019). Scheuer zielt mit seiner Bitte darauf ab, die Gesetze dahingehend zu korrigieren. Vonseiten der Kommission hieß es, es werde geprüft ob die aktuell geltenden Grenzwerte ausreichend streng seien oder eine Verschärfung dieser erarbeitet werden müsse (vgl. Zeit Online 2019a). „Der Minister wird nicht nachlassen, die Debatte um die Grenzwerte auf europäischer Ebene zu führen. Denn wenn es zu Einschränkungen für Europäerinnen und Europäer im Alltag kommt, sollte die Europäische Kommission die Anliegen eines Mitgliedsstaates ernst nehmen“ (Strater 2019) hieß es bei der Regierungspressekonferenz vom 13.03.2019.

4. Die Haltung der deutschen Bundesregierung zusammengefasst

Durch die Verhandlungen bzgl. der Abgasnormen im Verkehrssektor, zieht sich seitens der Bundesregierung ein erkennbarer roter Faden. Immer wieder wurde in den vergangen drei Jahrzehnten auf die, mit den deutschen Autoherstellern verbundenen, Arbeitsplätze verwiesen. Gleichermaßen wurde die Nachfrage nach leistungsstarken Premiummodellen und der damit verbundene Kostendruck auf die Automobilhersteller betont. Wiederkehrend in der Argumentation ist auch der potentielle Abzug der Automobilindustrie aus Deutschland und die damit einhergehenden Folgen: Schwächung der Marke Made in Germany, Einschnitte in der Wirtschaftskraft und das Risiko soziale Sicherheitsstandards ggf. nicht weiter gewährleisten zu können. Im Folgenden werden die Kernargumente nach aktuellem wissenschaftlichem Stand erörtert.

4.1 Die Argumentation aus wissenschaftlicher Perspektive

„Vielfalt in der Produktion“ und die „ breite Produktpallette“, die in der EU und insbesondere in Deutschland, von den Premiumherstellern produziert würden, waren von Merkel und Verheugen erfolgreich als Argumente eingesetzt worden, um gegen zu strenge verbindliche Vorgaben im Jahr 2007 zu stimmen. Betrachtet man die Argumente aus dem heutigen Blickpunkt lässt sich feststellen, dass der Trend zu CO2-ärmeren Automobilen sich international immer mehr durchsetzt. Auf globaler Ebene wird die Nachfrage nach E-Mobilität von verschiedenen Staaten gefördert. So hat beispielsweise Frankreich für den Wechsel von Dieselfahrzeugen auf E-Autos eine Prämie von 10.000 € im Vergleich zu Deutschland, wo es die Prämie in einem Wert von max. 4.000 € gibt (vgl. Götze et al. 2017). Die Volksrepublik China hat staatlich eine Quote von 8% E-Mobilität im Straßenverkehr festgesetzt (ebd.). Im Jahr 2017 wurde in Deutschland über eine ähnliche Quote diskutiert. Während die damalige Umweltministerin Hendricks (SPD) sich klar für die Quote aussprach, war Außenminister Gabriel in China um den chinesischen Präsidenten von einer Abwendung ebendieser, zu Gunsten der deutschen Automobilhersteller, zu überzeugen (vgl. Götze et al. 2017). Der Volkswagenkonzern vertreibt in China knapp 40% seiner hergestellten Fahrzeuge und lässt diese auch vor Ort produzieren. Die chinesische E-Auto Quote dürfte dem Konzern demnach zusetzen, sofern es kein Umdenken auf die Entwicklung von E-Mobilität seitens Volkswagen gibt (vgl. Zeit Online 2019b). Im selben Jahr wurde in Deutschland das Ziel formuliert bis 2020 eine Million E-Autos zuzulassen. „Die tatsächliche Marktentwicklung zeigt jedoch, dass sich diese Zielerreichung […] voraussichtlich auf das Jahr 2022 verschieben wird. Für die Abweichung […] gibt es verschiedene Gründe. Dazu zählen unter anderem die mangelnde breitere zeitnahe Verfügbarkeit von Fahrzeugmodellen, die spätere Umsetzung des Förderprogramms zum Aufbau der Ladeinfrastruktur, fehlende rechtliche Rahmenbedingungen und die zeitliche Verzögerung bei der Implementierung des Umweltbonus.“ (Nationale Plattform Elektromobilität 2018, S. 6). Es lässt sich feststellen, dass der Kundenstamm in seiner Nachfrage im Verlauf der Jahre kaum durch Kampagnen, Kaufprämien etc. gelenkt wurde. Ein staatlicher Einsatz zur Förderung von E-Mobilität hätte die Produktpallette vermutlich breiter werden lassen und die Vielfalt samt Innovation dahingehend angekurbelt. 2017 wurde die Argumentation in ähnlicher Weise von Außenminister Gabriel weitergeführt. Gabriel gab an, dass die zu strenge Überwachung von CO2-Grenzwerten zu einer „ Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit“ führen würde und die „ Innovationskraft“ zu ersticken drohe (Gabriel 2017). Experten zufolge geht die Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit für Automobilhersteller in Europa derzeit vom chinesischen Markt aus. Forschung und Produktion von E-Mobilität werden in China staatlich vorangetrieben, was China zu dem fortschrittlichsten Hersteller von E-Automobilen macht. Der Import nach Europa und insbesondere Norwegen könnte somit die europäische Nachfrage decken, wenn deutsche Automobilhersteller nicht hinreichend in die Entwicklung ihrer Modelle investieren oder diese bewerben. Ein politisch gesetztes Ziel wie in China könnte in dieser Hinsicht die Autohersteller dazu drängen ihr Angebot umzurüsten und ihre Wettbewerbsfähigkeit bezogen auf E-Mobilität weiter auszubauen. Das Risiko, das E-Fahrzeuge nicht ausreichend fortschrittlich in der EU hergestellt werden, birgt eine offensichtliche Gefahr für einige Arbeitsplätze der deutschen Automobilbranche, da es für Autohersteller üblich ist, in direkter Nähe zum Markt zu produzieren bspw. China (vgl. Le Petit 2017). Dass die europäische Gesetzgebung, wie von Verheugen 2007 vermutet, sich auf die Wettbewerbsfähigkeit oder steigende Kosten in der Produktion negativ auswirkt und somit dem Druck der Käufer_innen nicht mehr Stand halten kann, ist 2015 in einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie widerlegt worden. Die Studie legte folgendes Ergebnis vor: „ It is concluded that post 2020 EU LDV CO2 legislation has no direct impact on the cost competitiveness of EU component manufacturing as the legislation is targeted at the CO2 performance of LDVs and not at factors that determine the costs of producing them or their components.“ (Valdani Vicari & Associati et al. 2015 S.141). Die Studie widerlegt mit ihrem Ergebnis das Argument, dass die Herstellung von CO2-ärmeren Automobilen durch die steigenden Kosten, ins Ausland verlagert werden würde. Es ist ebenso fraglich inwiefern die Vielfalt, die nach Merkel und Verheugen in der Produktion bewahrt werden solle, nicht auf E-Mobilität bspw. übertragen werden könne. Ein starker, staatlich geförderter Markt könne wie Le Petit schlussfolgert neben China in Europa für mehr Wettbewerbsfähigkeit sorgen und zur Vielfalt des Angebots beitragen (vgl. Le Petit 2017). Sofern die Kosten in der Herstellung nicht durch die Gesetzgebung tangiert werden, können auf Käufer_Innen in diesem Zusammenhang auch keine Mehrkosten übertragen werden, was demnach ebenso wenig zum Kauf anderer Marken außerhalb der EU anreizt. Im Gegenteil wurde bei einer von Greenpeace initiierten Studie, die 2007 von dem Meinungsforschungsinstitut Emnid durchgeführt wurde ermittelt, dass 78% der Befragten bei der Neuanschaffung eines Autos auf Verbrauch und Klimaverträglichkeit achten würden. 48% der 1001 Befragten wären zudem bereit dafür höhere Anschaffungskosten in Kauf zu nehmen (vgl. Emnid 2007, S. 13). Das Argument Verheugens aus demselben Jahr, mit der Befürchtung, dass zu strenge CO2-Grenzwerte Käuferinnen zu dem Kauf anderer Marken verleiten würden, ist verglichen mit den Ergebnissen der Studie, nicht haltbar. Im Gegenteil ist die Wettbewerbsfähigkeit des Volkswagenkonzerns zeitweise durch einen Image-Schaden auf Grund des Abgasskandals geschwächt worden. Eine 2017 veröffentlichte Studie von Aral zeigt auf, dass im Jahr 2013 vor dem Abgasskandal 45% der deutschen Autofahrer den Konzern als umweltfreundlich beschrieben, während es im Jahr 2017, nach Bekanntwerden der Manipulation, nur noch 19% der Autofahrer waren (vgl. Aral 2017, S. 10). Dem gegenüber steht, dass Volkswagen trotz des bekanntgewordenen Abgasskandals in den Jahren 2017, wie auch 2018 einen neuen Absatzrekord verbuchte (vgl. Zeit Online 2019b). Das am häufigsten verwendete Argument der Bundesregierung ist die Sorge um den Verlust von Arbeitsplätzen. Unbestritten ist, dass Elektromotoren einfacher zusammenzusetzen sind als benzinbetriebene Verbrennungsmotoren, da sie über deutlich weniger Bestandteilen verfügen. Einige Einzelteilzulieferer und Arbeitskräfte in der Produktion wären somit unmittelbar von einer Zunahme der E-Mobilität betroffen (vgl. Herrmann 2018). Bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Automobilbranche als Arbeitgeber, gibt es widersprüchliche wissenschaftliche Ergebnisse, die stets mit verschiedenen Szenarien in der Weiterentwicklung der Verkehrspolitik einhergehen. So forderte die Partei Die Grünen in ihrem Wahlkampf 2017 ab dem Jahr 2030 Neuwagen mit Verbrennungsmotoren in Deutschland nicht mehr zuzulassen und die E-Mobilität somit voranzutreiben. Das Forschungsinstitut ifo kam in einer Studie zu dem Schluss, dass mindestens 620.000 Arbeitsplätze in Deutschland von einem absoluten Verbot von Verbrennungsmotoren für Neuwagen betroffen wären. 457.000 Menschen würden demnach in der Automobilindustrie Teile herstellen, die nur für Verbrennungsmotoren benötigt würden. Weitere 163.000 Menschen seien in Bereichen beschäftigt, die an die Nutzung dieser Motoren gekoppelt seien, so bspw. die Kraftstoffproduktion. Ebenso sehen die Ergebnisse der Studie aber auch Potential in neuen Beschäftigungsfeldern verbunden mit E-Mobilität (vgl. Vetter 2017). Eine andere Studie der European Association of Electrical Contractors (AIE) kommt zu dem Ergebnis, dass bei einem Szenario von 35% mehr E-Mobilität in Europa, 200.000 neue Arbeitsplätze in der Wertschöpfungskette entstehen würden (vgl. Archer 2018). Auf Europa gerechnet, zeigt die Studie „Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigung am Standort Deutschland (ELAB)“ des Fraunhofer Instituts, dass 306.000 Arbeitsplätze in diesem Szenario bis 2030 verloren gehen, wobei nur 84.000 davon einem Anstieg von E-Mobilität geschuldet sind, während die restlichen Arbeitsplätze auf Grund von Produktionsfortschritten abgeschafft werden würden (vgl. Archer 2018). Bei dieser Gegenüberstellung kann von einem Zuwachs an Arbeitsplätzen innerhalb der EU gerechnet werden. Die besagte Studie des Fraunhofer-Instituts rechnet in Deutschland mit einem Wegfall von 75.000 Arbeitsplätzen, wobei schon 25.000 neue Stellen in der Produktion von E-Mobilität gegengerechnet wurden (vgl. Herrmann 2018). An der Studie waren neben der Gewerkschaft IG Metall auch die Autohersteller BMW, Daimler und Volkswagen sowie einige Zulieferer beteiligt. Die Studie des Fraunhofer-Instituts wird somit zumindest für Deutschland als die „offizielle Einschätzung des Autostandorts Deutschland“ gehandelt (Sorge/ Kaiser 2018).

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Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Position der Bundesregierung zu Emissionsverschärfungen im Verkehrssektor
Untertitel
Eine kritische Auseinandersetzung am Beispiel des Abgasskandals
Hochschule
Technische Universität Dortmund
Note
1,3
Jahr
2019
Seiten
20
Katalognummer
V588203
ISBN (eBook)
9783346186089
ISBN (Buch)
9783346186096
Sprache
Deutsch
Schlagworte
abgasskandals, auseinandersetzung, beispiel, bundesregierung, eine, emissionsverschärfungen, position, verkehrssektor
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Die Position der Bundesregierung zu Emissionsverschärfungen im Verkehrssektor, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/588203

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