Psychosoziale Problematik des kehlkopflosen Menschen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

33 Seiten, Note: 1 (sehr gut)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Die Bedeutung der Sprache

II. Psychische Reaktionen des Laryngektomierten und das Leben nach der Laryngektomie
II.1 Die Krankheitsbewältigung

III. Die Veränderungen im sozialen Umfeld und die Stigmatisierung

IV. Der Einfluß von psychosozialen Faktoren

V. Die Rehabilitation des Laryngektomierten und die Stellung des Sprachheiltherapeuten

VI Sozialmedizinische Gesichtspunkte

VII Quellenverzeichnis

I. Die Bedeutung der Sprache

Mit meiner Sprache kann ich mein körperliches und seelisches Befinden ausdrücken, sowie meine Wünsche und Bedürfnisse formulieren. Ich kann mich über die Sprache mit meinen Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen verständigen und austauschen.

Die Sprache ist eine Möglichkeit, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Ich kann spontan singen, rufen, schreien oder lachen.

Mit Worten begegnen wir anderen Menschen.

„Wer die Welt seines Denkens und Erlebens anderen nicht mitteilen kann, gerät in die Gefahr sozialer Isolation und Vereinsamung.“ (SPIECKER-HENKE, 1997, 5) In jedem Sprachereignis sind zwei grundlegende Aspekte zu beachten:

- Über die Sprache und das Sprechen werden Informationen, bzw. Nachrichten ausgetauscht.
- Durch die Stimme jedoch erhält die Information den eigentlichen Gehalt.

„Die Stimme ist ein Spiegel der Seele.“ (SPIECKER-HENKE, 1997, 4)

Nach De Maddalena (1997) passen sich Gesprächspartner in einer Konversation in bezug auf Sprachstil und anderen kommunikativen Verhaltensweisen wechselseitig einander an. Je mehr sich die Gesprächspartner im Kommunikationsverhalten ähneln und anpassen, desto größer ist die wahrgenommene Attraktivität des jeweiligen Gesprächspartners. Denn die Stimme ist der Träger der Sprache und bewertet das Gesagte emotional. Die Stimme ist somit auch Ausdruck der Persönlichkeit und Stimmung des Sprechenden.

Eine optimale wechselseitige Anpassung wird demnach durch das reduzierte Stimmrepertoire des Kehlkopflosen erschwert.

Für De Maddalena (1997) zeigt sich die Behinderung des Kehlkopflosen nicht nur durch körperliche und funktionelle , sondern gerade durch die interaktionelle Veränderung, die sich „aus der konkreten Gestaltung der Mensch-Umwelt- Relation heraus ergibt.“

Die Ersatzstimme

Auch wenn eine „neue“ Stimme angebildet werden kann, so hat die neue Stimmfunktion doch Begrenzungen.

Ein befreiendes Lachen oder ein erlösender Ausbruch an Trauer, Wut oder Angst sind nicht mehr möglich.

Der Stimmausdruck, der Sympathie oder vielleicht Ablehnung in der zwischenmenschlichen Beziehung verdeutlicht, ist gänzlich verloren. Somit kann sich die Seele nicht mehr richtig Gehör verschaffen und das psychisch Erlebte läßt sich nicht adäquat mitteilen.

Dadurch, daß der Kehlkopflose mit seiner Ersatzstimme „nur“ sprechen ihr aber keine Sprechmelodie oder Betonung verleihen kann und er dieses auch selbst weiß und wahrnimmt, kann es zur Ablehnung dieser Stimme führen.

II. Psychische Reaktionen des Laryngektomierten und das Leben nach der Laryngektomie

Nach einer Laryngektomie leiden alle Patienten unter einem sog. „Amputations- schock“ (LÜDTKE 1987, 127).

Auf diesen folgt eine Zeit, die geprägt ist von Wut und Aggressivität, Anklage, sowohl gegen sich selbst als auch gegen Außenstehende, und tiefer Traurigkeit. Erst nach Durchleben dieser einzelnen Phasen ist es dem Patienten möglich, sein Schicksal verstehen und möglicherweise akzeptieren zu können.

Im Vordergrund aller psychischen Reaktionen steht die Depression. Die Stärke dieser Depressionen hängt erwiesenermaßen mit Kriterien aus der Vergangenheit und der jeweiligen Persönlichkeit zusammen:

- Liegen Erfahrungen mit Operationen positiver oder negativer Art vor
- bisheriges Verhältnis zu Ärzten
- Kann man über seine Probleme und Ängste sprechen oder verschließt man sich eher
- Kommt man allgemein gut mit Menschen aus
- wie bewältigt man Veränderungen
- Sicherheit in beruflicher und familiärer Situation
- wie stark und anpassungsfähig ist die eigene Persönlichkeit

Ein weiterer Faktor ist die erhöhte Reizbarkeit. Mit der Laryngektomie geht nicht nur die Stimme verloren, sondern auch die körperliche Vitalität. Konnte man früher aufgestaute Emotionen z.B. durch körperliche Arbeit abbauen, ist dies nun nur noch begrenzt oder meist gar nicht mehr möglich. Dadurch, dass man jetzt fast alle Gefühle unterdrücken muss, suchen sie sich „in einer gereizten Grundstimmung“ (LÜDTKE 1987, 135) ihren Weg. Betrachtet man das Ganze von der psychischen Ebene aus, setzt sich die Reizbarkeit „aus unbewussten Selbst- und Fremdvorwürfen gekoppelt mit einer Ungeduld über den Kehlkopfverlust“ (LÜDTKE 1987, 135) zusammen. Erhält der Patient ein Zuviel an Behütung oder auch Zeichen von Desinteresse, was als Unverständnis seitens der Mitmenschen zu beurteilen ist, wird die Reizbarkeit noch intensiviert.

In verschiedenen Untersuchungen und Befragungen kamen diverse Faktoren einer Laryngektomie zum Vorschein, die zu einer (möglichen) Persönlichkeitsänderung führen können:

Bei vielen führen die körperlichen Beschwerden und Einschränkungen zu psychischen Problemen. Dabei ist es gar nicht nur der Sprachverlust, der den Patienten zu schaffen macht, sondern eher noch die als ekelerregend beurteilten Absonderungen aus dem Tracheostoma. Die Patienten empfinden sich selber dadurch als unsauber und abstoßend für ihre Umwelt, oft tritt auch ein Gefühl von Peinlichkeit und Scham auf.

Vor allem bei Frauen kommt häufig noch hinzu, dass sie sich aufgrund des Stomas als weniger attraktiv oder feminin ansehen und Angst haben, nicht mehr reizvoll auf ihren Partner zu wirken.

Eine zusätzliche psychische Belastung nach der Operation besteht auch durch weitere Behandlungsmaßnahmen wie Bestrahlung, Chemotherapie und Medikamente. Manche Patienten haben Zweifel, inwieweit und ob die jeweilige Behandlungsmethode überhaupt zur Heilung beiträgt.

Gerade bei der Chemotherapie treten starke Nebenwirkungen auf, was einen emotionalen Konflikt beim Patienten hervorruft: „Auf der einen Seite soll die Chemotherapie helfen, das Leben zu verlängern, auf der anderen Seite fühlt der Patient sich oft erst aufgrund der Behandlung richtig krank.“ ( LÜDTKE 1987, 131)

Dadurch kann der Patient das Vertrauen in die Therapie zum Teil verlieren. Hier bedarf es besonders der Unterstützung seiner Familie und den Menschen in seinem momentanen Umfeld.

Der krebskranke Mensch und sein Leben nach der Laryngektomie

Mit dem Verlassen der Klinik und der Rückkehr in die alte Umgebung ist die Krebserkrankung noch lange nicht überstanden. Es wurde zwar der Krebs an sich entfernt, so dass man diesen Menschen, was den Krebs angeht, als geheilt bezeichnen kann. Allerdings beginnt jetzt erst der Teil der Genesung, der entscheidend ist für den weiteren Lebensverlauf: nämlich die Verarbeitung der ganzen Geschehnisse, die aufgrund des ersten Schocks und der vielen Ereignisse im Krankenhaus bisher kaum berücksichtigt wurde.

Sicherlich steckt hinter jeder Art von Krebs ein schlimmes Schicksal, allerdings ist das Leben danach für einen Laryngektomierten noch besonders erschwert. Der Patient verliert nicht nur seine Stimme und damit auch ein Stück seiner Identität und Überzeugungskraft, sondern es bleibt auch die einmal gewesene Erkrankung durch das Stoma immerzu in Erinnerung und für jeden sichtbar! Hinzu kommen außerdem die Befürchtungen, dass man nun anfälliger für Krankheiten aufgrund des offenen Zugangs zur Trachea ist, oder dass man sich am Stoma verletzen könnte, z.B. durch einen Unfall.

Kommt ein Patient nun aus dem Krankenhaus wieder nach hause, beginnt er verstärkt, sich Gedanken über seine Vergangenheit und die möglichen Fehler, die zur Erkrankung geführt haben könnten, zu machen. Dies endet so gut wie immer „in Selbstvorwürfen und Schuldzuweisungen“ ( LÜDTKE 1987, 133). Mit voranschreitender Genesung beschäftigt sich der Laryngektomierte jedoch auch wieder mit Plänen für die Zukunft, was leider durch die Angst vor einer erneuten Erkrankung und einem wiederkehrenden Leidensweg vermindert wird. Gerade aufgrund dieser Angst stellt die Nachuntersuchung auch für die meisten eine enorme psychische Belastung dar.

Viele lassen sich von der „statistisch festgelegten 5-Jahres-Überlebensgrenze“

( LÜDTKE 1987, 134) verängstigen. Bei einigen tritt sogar aufgrund des Stomas eine fortwährende Erstickungsangst auf, wodurch die Respiration wiederum das Seelenleben beeinflusst.

Nach den Überlegungen über das Gewesene und die Zukunft folgt die gegenwärtige Situation, die mit einer Identitätskrise einhergeht. Auf der einen Seite will man nun endlich seinen ganzen angestauten Gefühlen freien Lauf lassen, jedoch fällt dann schnell auf, dass etwas Wesentliches dafür nicht zur Verfügung steht, nämlich die Stimme als Ablassventil von Emotionen. Auf der anderen Seite will sich der Patient aber auch nicht hängen lassen und so schnell wie möglich in sein altes Leben und die damit verbundenen Rollen zurückzukehren. An dieser Stelle tritt meist die schmerzliche Erfahrung ein, dass man den Körper nicht mehr so belasten kann, wie es früher einmal der Fall war und dass man mit dieser „unwiderruflichen Veränderung“ (LÜDTKE 1987, 134) von nun an leben muss.

Die bereits erwähnten psychischen Faktoren wie Depressionen und Reizbarkeit treten in vielen Situationen des ‚neuen’ Lebens auf. Als eine Ursache für diese psychischen Reaktionen kann man die „gestörte Ernährungsweise“ (LÜDTKE 1987, 135) nennen. Dies ist insofern besonders schwierig für den Patienten, weil Essen und Trinken in erster Linie „lustvolle Bedeutung haben und zudem als orale Ersatzbefriedigung für erlittene Frustrationen“ (LÜDTKE 1987, 135) gelten. Eng damit hängt auch der Verlust des Riechens zusammen. Ein befragter Patient gibt an, dass er es vermisst, Gerüche und Düfte wahrzunehmen, auch wenn er im Prinzip weiß, wie es riechen müsste.

Bei Befragungen über postoperative Persönlichkeitsveränderungen beschrieben sich Laryngektomierte als reizbarer, nervöser und sogar aggressiver als vor der Erkrankung. Als Grund dafür gaben sie einmal an, dass sie sich unverstanden fühlten. Ein weiteres Argument dafür war, dass „sie das Rauchen aufgegeben hätten“ (LÜDTKE 1987, 136). Wenn auch legal, fällt Rauchen unter die Kategorie Sucht und jede Sucht muss man sich nicht nur körperlich, sondern vor allem geistig ‚abgewöhnen’, um mit dem ‚Verlust’ fertig zu werden. In den meisten Fällen macht ein Entzug auch nur Sinn, wenn es vom Patienten so gewollt ist. In Folge einer Laryngektomie bleibt gar keine Zeit, sich das Rauchen überhaupt abgewöhnen zu können, man wird als Krebskranker vor keine andere Wahl gestellt. Diese Patienten müssen also nicht nur mit dem Verlust des Kehlkopfes und der Diagnose Krebs fertig werden, sie müssen zusätzlich dazu auch noch den Prozess der Entziehung ihrer Sucht bewältigen; die Psyche wird also noch durch einen weiteren Aspekt erschüttert, der aufgrund der Krebserkrankung und der damit verbundenen medizinischen Eingriffe für alle Außenstehenden erst einmal in den Hintergrund rückt.

Auf die Frage nach den schlimmsten Folgen der Laryngektomie wurde natürlich der Verlust der Sprache genannt. Zusätzlich äußerten einige Patienten Schwierigkeiten bei gewissen Bewegungen, die vermehrte Schleimbildung, aber auch „Isoliertheit und Kontaktarmut“ (LÜDTKE 1987, 136). Trotz aller Einschränkungen im postoperativen Leben lässt sich feststellen, dass gut 80% der befragten Patienten sich wieder operieren lassen würden.

Wie ein Mensch einen solchen Einschnitt in sein Leben, nämlich die Entfernung des Kehlkopfes, verkraftet und bewältigt, hängt letzten Endes von seiner Persönlichkeit ab. Menschen, die schon präoperativ labil oder sogar asozial veranlagt waren, kommen weitaus schlechter mit ihrer neuen Lebenssituation klar, weil in ihrem psychischen Empfinden ganz klar die negativen Gesichtspunkte der Laryngektomie herausstechen. Sie bezeichneten sich als wert- und nutzlos, litten unter Minderwertigkeitsgefühlen und waren leicht verletzbar. Aus ihrem Gefühl von gehemmt sein, entwickelte sich schließlich, dass sie lieber schwiegen und sich abkapselten. Sie wurden unsicher und unselbständig, worauf die Umwelt mit übersteigerter Fürsorge reagierte.

Bei einigen Patienten verschlechterte sich das Verhältnis zu ihrer Umwelt postoperativ, bei anderen traten keine großartigen Veränderungen durch die Laryngektomie auf. Wiederum andere erlebten sogar eine Verbesserung in ihrer Lebensführung. Nach der Krankheit war und lebte man nun nicht nur gesünder, sondern vor allem bewusster. Zusätzlich hatte sich eine engere Bindung innerhalb der Familie entwickelt. Es lässt sich sagen, dass Patienten, die präoperativ über ihre Gefühle gesprochen haben und vom Arzt ausreichend informiert wurden, nach der Operation weniger emotional gestört waren.

Vertreter einer anderen Ansicht sind der Meinung, dass eine Laryngektomie als ein „fundamentaler Eingriff in die Persönlichkeit mit traumatischer Wirkung“

(LÜDTKE 1987, 138) angesehen werden kann. Wie und ob das ganze Geschehen verarbeitet werden kann, hängt von der emotionalen Stabilität des jeweiligen Patienten und seiner Neigung ab, angstbesetzte Probleme sachlich zu lösen.

In einer weiteren Befragung zeigt sich sehr deutlich, dass der psychische Zustand nach einer Laryngektomierte im engen Zusammenhang mit dem Alter, der körperlichen Verfassung und dem beruflichen Werdegang steht. Die befragten jüngeren Patienten, die körperlich fit und beruflich wieder aktiv waren, wiesen eine positive Lebenseinstellung auf im Gegensatz zu älteren Laryngektomierten, denen es an körperlicher Kraft auch aufgrund des Alters fehlte und die bereits durch die Krankheit in den Vorruhestand gegangen waren. Sie litten an Depressionen und Isoliertheit.

Ein Faktor, der wohl bei jeder ernsteren Erkrankung eine Rolle spielt, ist der Suizid. Einige, wenn nicht sogar viele Krebskranke spielen mehr oder weniger ausgeprägt mit dem Gedanken, doch lieber sterben zu wollen als krank und schwach und von anderen abhängig zu sein. Allerdings lässt sich bei Kehlkopflosen feststellen, „dass die Selbstmordquote genau so hoch ist wie bei anderen großen Operationen auch.“ (LÜDTKE 1987, 137). Laryngektomierte seien sogar eher „optimistisch und lebensfreudig“ (LÜDTKE 1988, 137) eingestellt.

In einer weiteren Studie, deren Ergebnis hierzu passend ist, wurde herausgefunden, dass bei einem Menschen ein immenser Lebenswille entsteht, wenn man eine solch schwierige Operation und Krankheit überlebt hat.

Patienten, die eine Laryngektomie positiv bewältigt haben, können ihre Erfahrungen an andere weiter geben und vielleicht sogar Mut machen, dass ein Leben nach der Operation anders, aber trotzdem lebenswert ist. Menschen, die aufgrund von mangelnder Unterstützung, Isoliertheit u.v.a. nie den Weg aus der Krankheit in ein ¸normales' Leben gefunden haben, werden ihr ganzes Leben unter der Laryngektomie und ihren Folgen leiden.

Abschließend sollte noch erwähnt werden, dass man das Verhalten eines Laryngektomierten in der postoperativen Zeit vielleicht nicht nur von dem Standpunkt einer Persönlichkeitsveränderung betrachten sollte, sondern eher noch von einer Persönlichkeitsentwicklung ausgehen sollte. Durch die Operation treten selbstverständlich schwerwiegende Veränderungen im Leben des Patienten und damit auch in seiner Psyche auf, aber im Ganzen gesehen ist es ebenso eine Entwicklung in seinem Leben und seiner Persönlichkeit.

II.1 Die Krankheitsbewältigung

Phasen der Krankheitsbewältigung bei Kehlkopfkrebs

1. Schock: Die Patienten fühlen sich überwältigt und betäubt. Sie erleben eine lebensbedrohliche Situation, denken an Schmerzen, Verluste und an den Tod und würden am liebsten flüchten. In dieser Phase findet die Operation statt. Wichtig ist es in dieser Phase, dass die Patienten Beruhigung erfahren, dass sie Aussicht auf eine lebenswerte Zukunft haben und dass sie Kontakt zu anderen Betroffenen haben, die ihr Leben trotzdem meistern.
2. Auseinandersetzung:Es kommt zur emotionalen Beteiligung seitens der Patienten. Sie kriegen z. B. Wutanfälle, haben Angst, isolieren sich oder machen sich selber Vorwürfe. Diese Phase ist von depressivem Erleben und Zukunftsängsten geprägt.
3. Reaktionen: Die Patienten befinden sich in der Stimmrehabilitation und haben einen sicheren Umgang mit den Hilfsmitteln erlernt. Sie müssen sich mit der veränderten Situation zuhause und evtl. auf der Arbeit auseinandersetzen. Freundschaften und Bekanntschaften werden erprobt.
4. Integration: (Die Integration geschieht nur im optimalen Fall.) Die Lebensumstände werden neu geordnet. Der Patient kann nun wie selbstverständlich mit seinem veränderten Körper umgehen. Er hat sich wichtige Lebenskreise erschlossen und ist in der Lage seine Zukunft für sich und für andere zu planen (vgl. MAREK, 1999, 6-9).

Es gibt auch viele wissenschaftliche Arbeiten über Krankheitsverarbeitungen. Das Krankheitskrisenmodell von Moos und Tsu (1977) ist eins davon. Dies Modell geht davon aus, dass die Krankheit für den Patienten eine Lebenskrise ist. Anpassungs- und Bewältigungsreaktionen sind notwendig, diese sind aber von individuellen, krankheitsbedingten und von Umgebungsfaktoren abhängig. Die Haupttypen der Bewältigungsmechanismen in diesem Modell sehen wie folgt aus:

1. Verleugnung oder Minimierung der Ernsthaftigkeit der Krankheit
2. Sammeln von Informationen über die Erkrankung
3. Suchen nach Beruhigung und emotionaler Unterstützung
4. Erlernen der krankheitsspezifischen Verhaltensweisen
5. Aufstellen konkreter, erreichbarer Ziele in der Rehabilitation
6. Kognitive Vorstellung verschiedener Verläufe der Erkrankung und Vorbereitung, auf die damit verbundenen möglichen Probleme
7. Bedeutungsverleihung, Attribution: Der Erkrankung einen übergeordneten Sinn verleihen, z. B. durch den Glauben oder durch eine philosophische Haltung

Außerdem gibt es noch das Modell von Lipowski (1969, 1970), welches sich die kognitive Einschätzung und Bedeutung nennt. Bei dieser Theorie, die von Alter, Persönlichkeit, Glaube, sozialer Umgebung und Typ der Erkrankung beeinflusst wird, werden drei Verhaltensstile unterschieden:

- Tachling: Der Patient ist aktiv und sieht die Krankheit als Herausforderung an. Zur Bewältigung werden Strategien eingesetzt. Der Patient geht offen und bewusst mit seiner Krankheit um, sucht sich Informationen darüber und er ist aufmerksam gegenüber neuen Symptomen. Durch dieses Verhalten kommt es zu einer aktiven Kommunikation mit der Umwelt. Die Entfremdung wird verhindert und die Angst des Patienten hält sich in Grenzen.
- Capitulation: Der Patient ist passiv, zieht sich sozial zurück, zeigt wenig Interesse an seiner Krankheit und wenig Zusammenarbeit mit den Therapeuten. Er ist von anderen abhängig und ist der Meinung, dass seine Krankheit nicht beeinflussbar ist. Er zeigt sich oft apathisch und ist sehr unkommunikativ. Die Ärzte sind für ihn allmächtig und allwissend.
- Avoidance: Dieser Verhaltensstil tritt meist auf, wenn der Patient sowieso
schon ein Selbstwertgefühl hat, das von Unabhängigkeit, Maskulinität und Unverletzlichkeit geprägt ist. Die Erkrankung wird bei ihm durch kognitive Minimierung oder extremer Verleugnung aus dem Bewusstsein verdrängt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Psychosoziale Problematik des kehlkopflosen Menschen
Hochschule
Universität Bremen  (Pädagogik)
Veranstaltung
Laryngektomie
Note
1 (sehr gut)
Autor
Jahr
2002
Seiten
33
Katalognummer
V5883
ISBN (eBook)
9783638136105
ISBN (Buch)
9783638639125
Dateigröße
757 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychosoziale, Problematik, Menschen, Laryngektomie
Arbeit zitieren
Meike Schröder (Autor:in), 2002, Psychosoziale Problematik des kehlkopflosen Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5883

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