Politisches Wissen - Möglichkeiten und Grenzen der empirischen Erfassung und gesellschaftliche Bedeutung


Diplomarbeit, 2005

168 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
1.2 Problemstellung und Ziele
1.3 Gang der Arbeit

2. Politisches Wissen in der wissenschaftlichen Literatur der USA - Ein zentrales Forschungsinteresse
2.1 Vorbemerkungen
2.2 Politisches Wissen - Definition und inhaltliche Ausfüllung
2.3 Erhebungsdaten
2.4 Was weiß die amerikanische Bevölkerung über Politik? Ein Überblick
2.4.1 Aggregatebene
2.4.2 Detailanalyse des politischen Wissens
2.4.3 Zeitliche Entwicklung politischen Wissens
2.5 Struktur des politischen Wissens
2.5.1 Individuelle Strukturen und Muster des politischen Wissens
2.5.2 Ergebnisse für die US-Bürger
2.5.3 Verteilung des Wissens über bestimmte Gruppen
2.5.3.1 Allgemeine Verteilung des Wissens
2.5.3.2 Genauere Betrachtung der Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen
2.6 Zusammenfassung

3. Notwendigkeit von politischem Wissen Herausforderungen
3.1 Vorbemerkungen
3.2 Heuristiken und shortcuts als Ersatz für politisches Wissen
3.2.1 Systematisierung von heuristischen Prinzipien
3.2.2 Das Heuristic-Systematic Model (HSM)
3.3 Ergebnisse und Folgerungen - Untersuchungen zu Heuristiken
3.3.1 Source cues
3.3.2 Hintergrundinformationen
3.3.3 Stimmzettelpositionierung als shortcut
3.3.4 Institutionelle Hilfestellungen
3.3.5 Schlussfolgerungen
3.4 Politisches Wissen als wichtiger Faktor für politische Entscheidungen
3.4.1 Vorbemerkungen
3.4.2 Studien zu Informationseffekten
3.4.2.1 Vollständige Information
3.4.2.2 Konsequenzen der Anwendung von Heuristiken
3.5 Fazit zur gesellschaftlichen Bedeutung politischen Wissens
4. Einflussfaktoren des politischen Wissens
4.1 Vorbemerkungen
4.2 Ein einfaches Pfadmodell
4.3 Genauere Betrachtung einzelner Einflussfaktoren
4.3.1 Politisches Interesse und politisches Wissen
4.3.2 Bildung und Erziehung als Einflussfaktoren
4.3.3 Lebensalter und politisches Wissen
4.3.4 Geschlecht und politisches Wissen
4.3.5 Massenmedien und deren Wirkungen
4.3.6 Diskussionsverhalten und politisches Wissen
4.3.7 Besondere Ereignisse - Der 11. September
4.4 Fazit

5. Studien aus dem deutschsprachigen Raum
5.1 Vorbemerkungen
5.2 Überblick und Ergebnisse
5.2.1 Eine internationale Vergleichsstudie
5.2.1.1 Vorbemerkungen
5.2.1.2 Erläuterungen
5.2.1.3 Ergebnisse
5.2.1.4 Fazit und Konsequenzen
5.2.2 Jugendliche und politisches Wissen
5.2.2.1 Vorbemerkungen
5.2.2.2 Ergebnisse
5.2.3 Jugendliche und politisches Wissen - Ein Ost-West-Vergleich
5.2.3.1 Vorbemerkungen
5.2.3.2 Ergebnisse
5.3 Schlussfolgerungen

6. Entwicklung und Präsentation des Fragebogens
6.1 Vorbemerkungen
6.2 Messung politischen Wissens
6.3 Offene oder geschlossene Antwortmöglichkeiten
6.4 Antworten auf Faktenfragen
6.5 Umgang mit zufälligen Antworten (Raten)
6.5.1 Vorgaben von mehreren Antwortmöglichkeiten
6.5.2 Die “don’t know” Kontroverse
6.6 Erstellung des Fragebogens
6.6.1 Vorab zu klärende Aspekte
6.6.2 Begründung, Einteilung und Kennzeichnung der Items
6.6.3 Der Fragebogen
6.6.4 Klärung einzelner Fragen

7. Zusammenfassung und Fazit

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang

1. Einleitung

1.1 Hinführung zum Thema

Seit den späten 50er bis Mitte der 80er Jahre fokussierten sich die Untersuchungen über den politischen Entscheidungsprozess der Staatsbürger in Amerika fast ausschließlich auf kognitive Fähigkeiten und politisches Wissen (vgl. Kuklinski et al. 2001: 410; vgl. auch Dudley und Gitelson 2002: 176).

Dieser Einleitungssatz verweist bereits auf den Stellenwert, den das politische Wis- sen der Bevölkerung in der amerikanischen politik- und sozialwissenschaftlichen Forschung einnimmt. Keineswegs ist dies auf den deutschen Raum übertragbar. Hier stellt politisches Wissen einen weitgehend vernachlässigten Aspekt dar. Vereinzelt können zwar Studien in den Bereichen der Medien-, der Sozialisationsforschung und der pädagogischen Forschung überwiegend mit Jugendlichen als Forschungsobjekt gefunden werden. Allerdings steht bei diesen das politische Wissen nicht im Vorder- grund, sondern nimmt meistens nur eine Nebenrolle ein, um dessen Zusammenhang mit dem Medienverhalten oder der schulischen Sozialisation der Jugendlichen zu ergründen. Dieser Mangel im deutschsprachigen Raum ist angesichts der langen For- schungstradition und des immensen Forschungsaufwandes und -interesses v.a. in den Vereinigten Staaten nur schwer nachvollziehbar.

Mündigkeit der Bürger1 gilt traditionell seit der Zeit der Aufklärung (vor allem in der Orientierung an Immanuel Kant) in Deutschland als eine zentrale Konzeption und ein zentrales Ziel einer an demokratischen Werten orientierten Bildungsarbeit. Diese Mündigkeit2 setzt wiederum politisches Interesse, politisches Wissen, demokratische Einstellungen und individuelle sowie soziale Fähigkeiten voraus (vgl. Wanka 2001: 88). Politisches Wissen gilt folglich als Vorraussetzung für die Mündigkeit der Staatsbürger. Dem gegenüber ist das mangelnde Interesse an Untersuchungen im Bereich des politischen Wissens sehr unverständlich. Auch das in einer repräsentativen Demokratie wie der Bundesrepublik angestrebte

Bürgerschaftsverständnis spielt eine entscheidenden Rolle in punkto politischer In- formiertheit der Staatsbürger. Detjen unterscheidet vier Bürgerschaftskonzeptionen:

1. Politisch völlig desinteressierte, passive und unwissende Bürger (perfect pri- vatists).
2. politisch sachkundige und begrenzt interessierte, aber ansonsten passive Menschen (reflektierte Zuschauer oder private citizens).
3. politisch fähige und gelegentlich bereite, also interventionsfähige Bürger (private citizens being ready to intervene).
4. politisch hoch interessierte, von der Demokratie zutiefst überzeugte und zur dauerhaften Partizipation fähige und bereite Aktivbürger (public citizens) (vgl. Detjen: Leitbilder).

Der Gruppe der politisch Desinteressierten kann ein extremer Mangel an politischem Wissen attestiert werden. Diese erste Bürgerschaftskonzeption genügt keineswegs den Vorstellungen in einer repräsentativen Demokratie. Politisch desinteressierte und vor allem unwissende Bürger sind anfällig gegenüber Populismus und stellen deshalb eine Gefahr für die Demokratie dar. Jedoch bilden diese Desinteressierten eine recht große Gruppe der deutschen Bevölkerung. Es muss aber klar sein, dass dieses Bür- gerschaftsverständnis für Bildungsarbeiter, für Politiker und für die Bundesrepublik insgesamt nicht akzeptabel ist. Hingegen sind die weiteren Konzeptionen wesentlich leichter akzeptierbar, wobei die vierte Vorstellung der public citzens wohl kaum für eine Mehrheit erreichbar erscheint und eher Wunschvorstellung bleibt. Diese Art der Bürgerschaft trifft nur auf eine kleine Minderheit der Bürger zu. Gemeinsam ist den letzten drei Konzeptionen aber die notwendige Vorraussetzung politischer Sachkun- de auf kognitiver Ebene bzw. politisches Wissen (vgl. Detjen: Leitbilder). Auch hier wird wiederum die Wichtigkeit und Zentralität politischen Wissens der Bürger für diese selbst, aber auch für die Bundesrepublik und alle Demokratien deutlich. Ver- wunderlich erscheint es, dass zwar politisches Wissen in Deutschland als notwendig und unerlässlich angesehen wird, es aber kaum Bemühungen gibt, die Wissensstände der Bürger tatsächlich abzuprüfen. Wie weiter oben bereits angeführt, ist dies in der amerikanischen politikwissenschaftlichen Forschung ganz anders.

Mit Hinblick auf die amerikanischen Arbeiten zu politischem Wissen schreiben Kuk linski et al.: „With few exceptions, this research reached the familiar verdict that most citizens know little about politics, do not care to know much about it, and often make ill-considered and superficial judgments […]” (2001: 410). Diese Feststellung über die mangelnde Informiertheit bzw. das geringe politische Wissen des amerika- nischen Durchschnittsbürgers stellt einen regelrechten Konsens inmitten verschiede- ner Forscher und verschiedener Forschungsbereiche dar (vgl. Mondak und Davis 2001: 199).

Allerdings, so gut auch der Wissensstand der amerikanischen Bevölkerung erforscht sein mag, so uneinig ist man sich über die Konsequenzen, die aus defizitärem Poli- tikwissen für eine Demokratie entstehen (vgl. Gilens 2001: 379). Der Einleitungssatz von Bartels (1996: 194) bekräftigt diese Aussage: “The political ignorance of the American voter is one of the best documented features of contemporary politics, but the political significance of this political ignorance is far from clear”. Die Klärung der Bedeutung politischer Ignoranz für eine demokratische Gesellschaft stellt eine zentrale Aufgabe dieser Arbeit dar.

1.2 Problemstellung und Ziele

Wie bereits oben angemerkt, ist im deutschen oder deutschsprachigen Raum ein regelrechter Mangel an wissenschaftlicher Literatur im Bereich des politischen Wissens festzustellen. Falls aber politisches Wissen einen wichtigen Einflussfaktor für politische Partizipation in einer Demokratie darstellt, ist dieses geringe Forschungsinteresse nicht nachvollziehbar und ungenügend.

Als zentrales Anliegen und zentrales Ziel dieser Arbeit können zwei Hauptpunkte genannt werden. Zunächst soll ein Überblick über den aktuellen Stand der Forschung im Bereich politisches Wissen gegeben werden. Dabei muss und kann hauptsächlich auf amerikanische Literatur und die dortigen Ergebnisse zurückgegriffen werden. Allerdings werden später auch einige wenige Studien aus dem deutschen Sprachraum herangezogen und deren Ergebnisse erläutert.

Aufbauend auf diesem Fundament soll als zweiter Hauptpunkt ein für spätere For- schung verwendbarer und tauglicher Pretest zur Generierung endgültiger Fragebögen oder standardisierter Interviewfragen geschaffen werden. Diese Arbeit soll einen Anfang und ein erstes Bemühen darstellen, die blinden Flecke in der Forschungs-

landschaft zumindest zu schmälern und eine Basis sowie Orientierungspunkte für nachfolgende Forschungsarbeiten für die Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. Die Aufgabe der Entwicklung eines Pretests zieht sich wie ein roter Faden durch diese Arbeit und soll vom Leser immer im Hintergrund mitbedacht werden. Vor allem auf eine möglichst gute Standardisierung, um die Entwicklung des politi- schen Wissens im Zeitverlauf verfolgen zu können, wird hier Wert gelegt. Dies drängt sich schon allein auf Grund der Probleme auf, die aus der Literatur hervorge- hen und mit mangelnder Vergleichbarkeit der Items über die Jahre hinweg begründet werden. Auch Ländervergleiche im Bereich politisches Wissen sind ebenfalls sehr rar gesät, wobei wiederum erhebliche potentielle wissenschaftliche Errungenschaften noch im Dunkel verborgen liegen. Deshalb muss in der vorliegenden Arbeit die Standardisierung der Items so weit vorangetrieben werden, dass zumindest auf einer beschränkten Basis - beispielsweise Außenpolitik der Länder - internationale Ver- gleiche möglich erscheinen.

Das Thema politisches Wissen ist in der Literatur keineswegs unumstritten und wird zuweilen aufs Heftigste und völlig kontrovers diskutiert. In dieser arbeit wird deshalb auch jenen Standpunkten Rechnung getragen, welche Wichtigkeit und Bedeutung politischen Wissens in Zweifel ziehen. Eine kritische Reflexion dieser Arbeiten ist notwendig.

1.3 Gang der Arbeit

Zunächst einmal sollen amerikanische Forschungsergebnisse im Bezug auf das politische Wissen der amerikanischen Bürger vorgestellt werden. Dabei wird zu einem großen Teil auf die Ergebnisse von Delli Carpini und Keeter (1996) eingegangen. Diese Studie wird allgemein als die bisher ausführlichste und umfangreichste Arbeit im Bereich politischen Wissens angesehen.

Anschließend soll über die verschiedenen Ansätze zu den Konsequenzen von politi- schem Wissen oder eben nicht vorhandenen politischen Wissens Aufklärung gesucht werden. Dabei werden sehr kontroverse Thesen dargelegt. Je nach Einschätzung der Wichtigkeit von politischem Wissen gelangen diese unterschiedlichen Ansätze sogar zu völlig entgegen gesetzten Auswirkungen vorhandenen bzw. nicht vorhandenen Wissens. Während die einen politisches Wissen als zentrale Bedingung für Demokra tie betonen, versuchen andere die Bedeutung von politischem Wissen für die Staats bürger, aber auch für das Staatssystem (die Demokratie) zu diskreditieren.

Abschließend wird dargelegt, dass informierte Bürger als ein zentrales Element repräsentativer Demokratien gelten können und es wird die Wichtigkeit politischen Wissens für das Volk einer solchen Demokratie eingeschätzt. Folglich wird die gesellschaftliche Bedeutung politischen Wissens ergründet.

Im dritten Bereich der Arbeit wird versucht, die verschiedenen Variablen, die politisches Wissen beeinflussen und bestimmen, etwas genauer zu beleuchten, um Aufklärung vor allem im Hinblick auf den zu erstellenden Fragebogen zu erhalten.

Nach der Klärung der verschiedenen Einflussfaktoren politischen Wissens schließt sich ein Überblick über die Literatur an, bei der die Bundesrepublik eine Rolle spielt. Dazu kommt noch eine Arbeit aus Österreich. Dieser Teil soll u.a. auch den Bedarf an weiteren Untersuchungen in der Bundesrepublik und deren Dringlichkeit aufzei- gen.

Der fünfte und letzte Teil dieser Arbeit beschäftigt sich damit, das Forschungsinte- resse im deutschen Sprachraum oder im Bereich der Bundesrepublik anzuregen. Hieraus lassen sich neue Erkenntnisse über die deutschen Bürger gewinnen und Ver- gleiche zur amerikanischen Bevölkerung anstellen. Zum Zwecke der Durchführung oder Einführung in diesen Forschungsbereich soll gegen Ende und als Ergebnis der Arbeit ein Vorschlag für einen Fragebogen/Pretest entwickelt werden, der ausgehend von der hier verwendeten Literatur erste Hilfestellungen für zukünftig durchzufüh- rende empirische Forschung geben kann. In dieser Arbeit werden Methoden aufge- zeigt, wie politisches Wissen erfasst werden kann. Der erstellte Fragebogen liefert ein passendes Instrument zur Messung politischen Wissens. Zunächst werden nun aber die Ergebnisse der amerikanischen Forschung dargestellt.

2. Politisches Wissen in der wissenschaftlichen Literatur der USA - Ein zentrales Forschungsinteresse

2.1 Vorbemerkungen

Das politische Wissen der amerikanischen Bevölkerung hat schon seit geraumer Zeit das Interesse verschiedenster Wissenschaftler geweckt. Es herrscht weitgehender Konsens darüber, dass die amerikanische Bevölkerung relativ schlecht über den poli- tischen Alltag und über den gesamten politisch relevanten Bereich informiert ist. Allerdings existieren von Wissenschaftler zu Wissenschaftler unterschiedliche Inter- pretationen der Ergebnisse und verschiedene Auslegungen bzgl. der Befunde und deren Konsequenzen. Vor allem hinsichtlich der Konsequenzen für die Demokratie, die Wahlbeteiligung und sonstige politische Partizipation besteht Uneinigkeit.

Anhand einer der ausführlichsten Arbeiten mit politischem Wissen der amerikanischen Bevölkerung als Untersuchungsgegenstand, vorgelegt von Delli Carpini und Keeter im Jahre 1996, mit dem Titel „What Americans know about politics and why it matters“, werden im folgenden Bereich generelle Ergebnisse präsentiert. Dabei stellt die Arbeit von Delli Carpini und Keeter die Hauptreferenz dar. Allerdings werden oft auch andere Referenzen, vor allem um die doch sehr unterschiedlichen Interpretationen zu verdeutlichen, herangezogen.

2.2 Politisches Wissen - Definition und inhaltliche Ausfüllung

„An informed citizenry, able to appreciate its interests and make intelligent judg- ments, is essential to democracy. The obligation to be politically informed has been a theme in democratic theory and practice. As Rousseau put it, ‘the very right to vote imposes on me the duty to instruct myself in public affairs […]’“ (Bennett 1989: 422). Um überhaupt eine Vorstellung, aber auch eine Eingrenzung und Konkretisierung des Begriffes „politisches Wissen“ zu erhalten, ist es zunächst einmal notwendig diesen Begriff zu definieren. Delli Carpini und Keeter (1996: 10; vgl. auch 294) ge- ben dabei ihre Definition folgendermaßen an:

„We define political knowledge as the range of factual information about politics that is stored in long-term memory.”

Diese Definition muss nun genauer analysiert werden und bedarf Erläuterungen: Der Begriff information unterscheidet politisches Wissen von anderen politikwissen- schaftlichen Schlüsselkonzepten wie Einstellungen, Werten, Überzeugungen oder Meinungen. Die Betonung von Faktenwissen grenzt die Definition von Kognitionen ab, die falsch sind oder nicht richtig getestet werden können. Diese Definition von politischem Wissen unterscheidet im Langzeitged ä chtnis gespeicherte Informationen von Informationen, die nie richtig verarbeitet wurden oder im Kurzzeitgedächtnis gespeichert, dann aber wieder vergessen wurden. Der Begriff range unterscheidet das Konzept politisches Wissen von den einzelnen Fakten, die darin enthalten sind. Politics wird der Definition von Davis Easton entnommen und beinhaltet die autori- tative Allokation von Gütern, Diensten und Werten. Dadurch wird das Konzept poli- tisches Wissen von anderen Wissensarten abgegrenzt. Dies geschieht aber in einer Weise, durch die das Konzept nicht völlig abgeschlossen wird und durchaus be- gründbar bleibt, was als politisch relevantes Wissen angesehen werden kann (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 10-12).

Bei genauerer Betrachtung, was die Bürger eigentlich im politischen Bereich wissen sollten, kommen Delli Carpini und Keeter zu der Aussage, dass das was der Staat ist und was er tut von großer Bedeutung sei (vgl. 1993: 1182; 1996: 63; 2000: 23). „Ac- cording to Neuman, knowledge of what the government is includes ‘the basic struc- ture of government - its basic values, such as citizen participation, majority rule, separation of powers, civil liberties, and its basic elements […]’” (Delli Carpini und Keeter 1996: 63-64; vgl. auch Delli Carpini und Keeter 1993: 1182; Bennett 1988: 477). Anders ausgedrückt, kann ein gewisses institutionelles Basiswissen über die Funktionsweise des politischen Systems - „knowledge about how government works“ - als ein bestimmendes Element politischen Wissens gelten (vgl. Popkin und Dimock 1999: 118, 142).

Wissen über das, was der Staat tut, kann folgendermaßen mit Inhalt gefüllt werden: „‘The democratic citizen is expected to be well-informed about political affairs. He is supposed to know what the issues are, what their history is, what the relevant facts are, what alternatives are proposed, what the party stand for, what the consequences are’“ (Delli Carpini und Keeter 1996: 64; vgl. auch Bennett 1988: 477).

Zusätzlich zu diesen beiden Dimensionen kann noch eine dritte angeführt werden, nämlich wer der Staat eigentlich ist bzw. durch wen er gebildet wird. Damit sind z.B. Politiker selbst gemeint oder auch die Parteien, die in der politischen Landschaft von Demokratien eine erhebliche Rolle spielen. Die Kenntnis politischer Schlüsselfiguren stellt ein zentrales Element politischen Wissens dar (vgl. Bennett 1988: 478). Be- gründet kann die Einführung dieser dritten Dimension damit werden, dass die Bürger einer modernen (repräsentativen) Demokratie die Aufgabe haben, die Handlungen der von ihnen gewählten Delegierten regelmäßig zu bewerten und diese entweder wieder zu wählen oder ihnen das Vertrauen zu entziehen. Als Vorraussetzung für solche Bewertungsakte gilt wenigstens die Kenntnis der Personen und Parteien und der von diesen vertretenen Positionen (in ihren Grundzügen) (vgl. Delli Carpini und Keeter 1993: 1182; 1996: 65).

Zusammenfassend können also drei Kategorien von Wissensbereichen unterschieden werden: „ the rules of the game, the substance of politics, and people and parties “. Als Conclusio zu dieser Einteilung kann gefolgert werden: „The more citizens can draw on knowledge from these areas (breadth) and the more detailed the information within each area (depth), the better able they are to engage in politics“ (Delli Carpini und Keeter 1996: 65). Nach Weissberg kann die Dringlichkeit und Notwendigkeit von politischem Faktenwissen auch folgendermaßen verdeutlicht und ausgedrückt werden: „’Factual knowledge of the political system’ is necessary for ‘effective poli- tical participation […] The immense complexities of modern bureaucratic govern- ment makes [sic] such information a virtual prerequisite for political action’“ (Ben- nett 1988: 477). Politisches Wissen wird also als eine notwendige Voraussetzung angesehen, um am politischen Entscheidungsprozess effektiv zu partizipieren (vgl. Gaventa 1999: 60-61; Wanka 2001: 153). „A common conclusion in an increasing number of studies is that factual knowledge is the best single indicator of sophistica- tion and its related concepts of ‘expertise,’ ‘awareness,’ ‘political engagement,’ and even ‘media exposure’“ (Delli Carpini und Keeter 1993: 1180). Allerdings kann Fak- tenwissen nicht als hinreichende Bedingung für Engagement und Partizipation ange- sehen werden. Zusätzlich muss die Information noch in Kontexte eingeordnet werden um Relevanz zu erlangen. Jedoch wenn schon die notwendige Bedingung, also politisches Faktenwissen, nicht erfüllt ist, kann es auch nicht zu einer Erfüllung der hin- reichenden Bedingung kommen (vgl. Dudley und Gitelson 2002: 178). Folglich besitzt zunächst einmal die Erfüllung der notwendigen Bedingung Priorität.

2.3 Erhebungsdaten

In ihrem Buch werteten Delli Carpini und Keeter fünfzig Jahre Survey Forschung aus den Archiven des Roper Center for Public Opinion Research hinsichtlich Fragen zu politischem Wissen aus. Insgesamt konnten 200.000 verschiedene Fragen in den Archiven gefunden werden, wovon ca. fünf Prozent irgendwie den Bereich der politischen Information betreffen. Weniger als zwei Prozent der Fragen des Roper Centers konnten als direkte Messung von Tatsachen- oder Faktenwissen deklariert werden, was schließlich zu 3.500 über einen Zeitraum von fünfzig Jahren erhobenen Fragen führte (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 66).

Zusätzlich werden von den beiden Wissenschaftlern noch verschiedene weitere Quel- len herangezogen, wovon die stärkste Betonung auf den National Election Studies (NES) und verschiedenen selbst durchgeführten Surveys liegen. So konnten insge- samt 3.700 Fragen herangezogen werden, die in irgendeiner Weise Tatsachenwissen anbelangten und in ihre Untersuchungen aufgenommen wurden (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 67).

Selbstverständlich verwenden andere Autoren, die hier zitiert werden, auch andere Quellen und andere Fragen zur Erhebung politischen Wissens. Auf diese wird aber nur in besonderen Fällen, wenn es notwendig erscheint, eingegangen. Die Darstellung der Masse an Daten, die bei Delli Carpini und Keeter Verwendung findet, sollte nur zur Verdeutlichung dienen und klarmachen, wie ausführlich versucht wird, politisches Wissen in der Wissenschaft zu rechtfertigen und zu etablieren.

2.4 Was weiß die amerikanische Bevölkerung über Politik? Ein Überblick

Im Folgenden sollen nun Ergebnisse zum Wissen der amerikanischen Bevölkerung über Politik kurz vorgestellt werden. Die Befunde sind zunächst auf aggregierter Ebene dargestellt, bevor etwas genauer auf spezifische Fakten eingegangen wird. Die von den verschiedenen Autoren gefundenen Resultate können aus Platzgründen nicht in ihrem gänzlichen Umfang dargestellt werden. Dies ist meist auch nicht notwendig und würde vielleicht sogar beim Leser Langeweile verursachen. Es wird daher ver- sucht, lediglich einen angemessenen und anschaulichen Überblick zu liefern. Die Wissenskategorien orientieren sich zunächst an den drei weiter oben festgelegten Bereichen rules of the game, people and parties und substance of politics. Der Be- reich substance of politics wird noch weiter zerlegt in die Bereiche Innenpolitik und Außenpolitik. Bei der später folgenden genaueren Betrachtung der Ergebnisse wird zusätzlich noch eine Kategorie „politisch relevantes Wissen“ eingeführt. Diese Kate- gorie enthält nicht direkt politisches Wissen im engeren Sinne. Allerdings kann Wis- sen aus verschiedenen Bereichen zu einem besseren Politikverständnis beitragen und ist teilweise sogar notwendig für ein grundlegendes und besseres Verständnis von Politik (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 12). Beispielsweise werden die beiden Bereiche Geschichte und Geografie als solch relevantes Wissen eingestuft.

2.4.1 Aggregatebene

Abbildung 1: Aggregierte Verteilung des politischen Wissens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Delli Carpini und Keeter 1996: 68

Wie aus Abbildung 1 entnommen werden kann, erzielt die amerikanische Bevölke rung im Bereich Institutionen und Prozesse nach ihrer Verteilung und mit einem Me- dian von 49 das beste Ergebnis. Delli Carpini und Keeter vermuten, dass dieser Be- reich eher durch leichte Fragen gekennzeichnet ist. Es könnte auch daran liegen, dass Institutionen und Prozesse relativ stabil sind oder dass dies schlichtweg der Bereich ist, der im schulischen Unterricht vornehmlich gelehrt wird (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 68).

Schlechtere Ergebnisse entstehen in den drei anderen Bereichen, von denen die Au- ßenpolitik mit einem Median von 44 noch am besten abschneidet. Wenigstens diese drei Politikbereiche sind asymmetrisch verteilt, wobei die Tendenz ganz klar hin zu den niedrigeren Wissenslevels geht. Außerdem muss erwähnt werden, dass in kei- nem Fall der Median die 50 Prozent Marke übersteigt (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 69).

Im nun folgenden Abschnitt sollen die einzelnen Teilbereiche des politischen Wissens etwas genauer betrachtet werden.

2.4.2 Detailanalyse des politischen Wissens

Zur Begründung, warum Institutionen und Prozesse (auch als „ rules of the game “ bezeichnet) herausragende Relevanz z.B. für politische Beteiligung besitzen, führen Delli Carpini und Keeter (1996: 69) an: „Whether as a spectator or a player, to be a part of a game one must understand the rules.“ Als Vorabergebnis kann festgehalten werden, dass einfache, vorschnelle und simplifizierende Schlüsse aus den gewonne- nen Resultaten nicht gezogen werden können (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 71). Dies gilt nicht nur für den Bereich der Institutionen und Prozesse, sondern in gleicher Weise auch für die anderen Bereiche. Eine genauere Betrachtung der Kate- gorien liegt hiermit nahe.

Mehr als ein Siebtel der gestellten Fragen im Bereich Institutionen und Prozesse können von wenigstens 75 Prozent der Befragten beantwortet werden. Darin enthal- ten sind sehr einfache Fragen z.B. über die Präsidentschaft oder den Kongress. Aber auch schwierigere Fragen, wie nach dem Wissen, was die UN ist und ob die USA dazu gehören, konnten von wenigstens 75 Prozent beantwortet werden. Weitere 34 Prozent der Items konnten von wenigstens der Hälfte (bis unter 75 Prozent) der Be fragten korrekt beantwortet werden. Darin waren u.a. die Definitionen von Begriffen wie Filibuster, Rezession oder Monopol enthalten. 37 Prozent der Fragen konnten nur ein Viertel bis unter 50 Prozent der Befragten beantworten. Diese Items enthiel- ten u.a. so kritische Bereiche wie die Definitionen von liberal und konservativ. Auch weniger als 50 Prozent konnten den Begriff der NATO richtig zu den Antwortkate- gorien zuordnen. Die restlichen 15 Prozent der Fragen konnten von weniger als ei- nem Viertel der Befragten richtig beantwortet werden. Darin waren Begriffe wie Kollateralschaden oder Fiskalpolitik enthalten. (Vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 71-73)

Für eine etwas genauere Betrachtung sei für die oben behandelten wie für die folgen- den Ergebnisse auf die Tabellen A-1 bis A-4 im Anhang verwiesen. Der Bereich people and parties liefert ebenfalls ein sehr differenziertes Bild des poli- tischen Wissens. Etwa elf Prozent der Fragen wurden von drei Viertel oder mehr der Befragten richtig beantwortet. Darunter waren stark in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeiten wie Präsidenten und Vize-Präsidenten oder Präsidentschaftskandi- daten vertreten. Auch einige ausländische Persönlichkeiten wie z.B. Nelson Mandela oder Saddam Hussein konnten von mehr als 75 Prozent der Befragten korrekt identi- fiziert werden. Bezüglich der Parteien wussten z.B. 90 Prozent der Testteilnehmer, dass beide Parteien nach Kampfbeginn den Krieg am Persischen Golf unterstützten. Wiederum 31 Prozent der Fragen konnten allerdings nur von weniger als einem Vier- tel der Probanden richtig beantwortet werden. Darunter sind solch wichtige Persön- lichkeiten wie etwa der damalige General und erst kürzlich zurückgetretene Außen- minister Collin Powell oder der damalige Verteidigungsminister und jetzige Vizeprä- sident Dick Cheney. Als ausländische Persönlichkeit sei hier der erste Präsident der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik Vaclav Havel genannt. Somit kann abschließend und zusammenfassend festgestellt werden, dass 62 Prozent der Items im Bereich people and parties von weniger als 50 Prozent der Befrag- ten korrekt beantwortet werden konnten (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 73- 79).

Im Bereich der Innenpolitik konnten elf Prozent der Fragen von mehr als drei Viertel der Testpersonen zutreffend gelöst werden. Dabei wurden z.B. Fragen nach Öl- knappheit in den 70er Jahren oder die Tatsache, dass Pestizide und Düngemittel auch weiter entfernte Bereiche verschmutzen können, von mindestens 75 Prozent korrekt beantwortet. Die letzten 35 Prozent der Fragen konnten nur von weniger als einem Viertel der Befragten richtig beantwortet werden. Fragen in diesem Bereich betrafen u.a. die Höhe des Defizits im Bundeshaushalt oder die Armutsrate der Schwarzen oder von Kindern. Auch hier lässt sich wiederum als Resümee festhalten: 60 Prozent der Fragen im Bereich der Innenpolitik konnten von weniger als der Hälfte der Befragten richtig gelöst werden (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 79-82). Der Bereich der Außenpolitik umfasst insgesamt mehr als 500 Fragen über den Zeit- raum von 1940 bis 1994. Davon wurden 14 Prozent von wenigstens 75 Prozent der Befragten korrekt beantwortet. Beispielhaft sei hier die richtige Identifikation der Sowjetunion, von Cuba und China als kommunistische Staaten genannt. Weiter konnten wenigstens drei Viertel der Testteilnehmer mindestens eine Besatzungs- macht in Deutschland nennen. Auch das Handelsdefizit der USA in den 80er und 90er Jahren war ein Fakt, der mindestens 75 Prozent der Befragten bekannt war. Von mindestens drei Viertel der Leute wurde das Ozonloch als Umweltschaden klassifi- ziert, der die ganze Welt betrifft. Ein entsprechender Wert war für das Wissen über den Bestand an Feindseligkeiten gegenüber den USA im Mittleren Osten festzustel- len. Wie viele amerikanische Soldaten im Vietnamkrieg getötet wurden, dass die Tschechoslowakei im Warschauer Pakt war und dass Kanada in der NATO ist, wuss- ten schließlich weniger als 25 Prozent der Befragten (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 82-86).

Die beiden Wissensfelder Geografie und Geschichte, die als wichtige Wissensberei- che gelten und mit politischem Wissen in enger Verbindung stehen, liefern schließ- lich ein ähnliches Bild in ihrer Verteilung. So konnten von den insgesamt 147 Items im Bereich Geografie zehn Prozent von mehr als drei Viertel der Befragten beant- wortet werden. Weitere 31 Prozent wurden von 50-74 Prozent der Befragten korrekt benannt. Von 25-50 Prozent der Teilnehmer wurden weitere 31 Prozent der Fragen richtig beantwortet. Folglich konnten die restlichen 29 Prozent der Fragen von weni- ger als einem Viertel als richtig bezeichnet werden. Geschichtliches Wissen stellt den hier zuletzt präsentierten Bereich dar. 25 Prozent der insgesamt 111 Items konnten von wenigstens 75 Prozent der Befragten beantwortet werden. Weitere 31 Prozent der Fragen konnten von wenigstens der Hälfte bis zu 74 Prozent und nochmals 32 Prozent der Items von 25-49 Prozent der Teilnehmer richtig benannt werden. Für weniger als ein Viertel der Teilnehmer konnten weitere 12 Prozent der Items als rich- tig eingestuft werden (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 86-89). Eine etwas andere Vorgehensweise findet sich bei Bennett (1988; 1996). Von Inte- resse in seinen Untersuchungen ist natürlich auch der Informationsstand der ameri- kanischen Bevölkerung. Allerdings liegt sein Fokus in der Tradition von Hyman und Sheatsley, die 1947 erste Untersuchungen über politisches Wissen der amerikani- schen Bevölkerung anstellten, eher auf dem unteren Segment der wenig Wissenden. Dieses Segment wird als „know-nothings“3 bezeichnet und stellt einen harten und nicht unbeträchtlichen Kern in der amerikanischen Bevölkerung dar. Bei Hyman und Sheatsley gehören diejenigen Befragten zur Kategorie der know-nothings, die aus fünf Fragen zu außenpolitischen Themen höchstens eine Frage richtig beantworten konnten. Einer etwas anderen Konzeption des Begriffes know-nothings folgt Bennett in seiner 1988 veröffentlichten Arbeit. Er legt als Referenz und als Einteilung für die Kategorie der know-nothings den akademischen Standard für Prüfungen und Tests an. Danach sind alle, die nach diesem Standard den Test nicht bestanden haben „Mitglieder“ der besagten Kategorie. Folglich ist eine korrekte Beantwortung von mindestens 60% der Fragen notwendig, um nicht in diesen Kreis zu fallen.4 Beden- kenswert ist nun das Ergebnis bei Bennett, dass 29% der in seiner Arbeit untersuch- ten Testpersonen zur Kategorie der know-nothings gehören. Allgemein kann auch hier wiederum der Mangel an politischem Wissen oder besser gesagt das schlechte Abschneiden der Amerikaner bei Wissens- oder Informationstests erkannt werden. Nach der üblichen fünfstufigen Noteneinteilung, verteilen sich die Untersuchten wie folgt: 16% erhielten die Note A, 22% die Note B, 19% die Note C, 15% D und eben 29% die Note F. Selbst bei einer Festsetzung der Durchfallgrenze auf 50% muss im- mer noch einer Masse von 20% der Befragten „know-nothingism” attestiert werden. Dies stellt einen doch nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung dar, der mangelndes politisches Wissen aufweist (vgl. Bennett 1988: 477-478, 480-483).

Im Sinne von Delli Carpini und Keeter (1996: 69) kann als Resümee gezogen wer- den: „Taken as a whole, these figures suggest that the American public, while not as politically informed as one might hope, is also not as uninformed as some characteri- zations have suggested“. Bedenkenswert ist aber in jedem Fall der nicht geringe Teil der amerikanischen Bevölkerung, der sehr wenig bis kein politisches Wissen auf- weist und oben mit know-nothings etikettiert wurde. Ein extremes Beispiel für abso lut mangelnde Informiertheit und Aufmerksamkeit der Wähler soll hier noch ange führt werden: Bei der Vorwahl (primary) der demokratischen Partei in Oklahoma zur Senatswahl, konnte eine kurz zuvor verstorbene Kandidatin 21% der Stimmen auf sich vereinigen. Das absolut verwunderliche allerdings ist, dass diese Kandidatin in der darauf folgenden Stichwahl immer noch 24% der Stimmen erhielt (vgl. Goidel 2000: 143-144).5 Dies ist natürlich ein extremes Beispiel, ein Einzelfall und kann deshalb nicht als repräsentativ gelten. Deshalb dürfen zu einfache und simplifizie- rende Schlüsse bzgl. des Wissenstandes der amerikanischen Bevölkerung nicht ge- zogen werden. Vielmehr muss eine genauere und speziellere Betrachtung herangezo- gen werden.

Die bis hierher dargestellten Erläuterungen geben nur einen sehr beschränkten Ein- blick in die Dimensionen des politischen Wissens. So werden bei den obigen Unter- suchungen nur die Kategorien richtig und falsch unterschieden. Diese Kategorien sind jedoch nicht tiefer ausdifferenziert. Delli Carpini und Keeter (1996: 91) stellen den Sachverhalt wie folgt dar: „Thus far we have treated factual knowledge as a sim- ple matter of right or wrong. This works for some facts (for example, naming the vice president), but for most facts of import there are degrees of knowledge.”

Somit erscheint die Einteilung in richtig-oder-falsch Kategorien für viele Fragen des politischen Wissens als zu einfach.

Es wurde Folgendes festgestellt: Je strenger die Anforderungen für richtige Antwor- ten sind oder je genauere Details zur korrekten Beantwortung verlangt werden, desto niedriger ist die „Trefferquote“ für richtige Antworten. Befragte tun sich logischer- weise mit einfacherer Information leichter als mit komplexerer. Wichtig erscheint daher auch die Untersuchung von Fragen, die es ermöglichen, nach Richtigkeitsgra- den oder eben der Tiefe des Wissens zu unterscheiden. Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass das politische Wissen der Testpersonen keine besonders tiefgrün- dige Struktur aufzeigt (vgl. Bennett 1996: 223; Delli Carpini und Keeter 1996: 91). So konnten beispielsweise 50% der Befragten ein Recht nennen, das durch das “fifth Amendment” garantiert wird. Allerdings konnten nur 2% der Befragten ein weiteres, garantiertes Recht nennen. Dies stellt einen dramatischen Abfall dar und weist auf sehr oberflächliches Wissen hin. So konnten bei „surface knowledge“ durchschnitt- lich 41% der Fragen korrekt beantwortet werden, bei tiefem Wissen hingegen fiel diese Zahl radikal auf nur 16% (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 92). Eine anschauliche und auch ausführlichere Betrachtung liefert Tabelle 1.

Tabelle 1: Wissenstiefe bei einzelnen Items

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Delli Carpini und Keeter 1996: 92-93

Allerdings darf bei den geringen Wissensständen im Bereich des tiefgründigeren Wissens eine Aussage bzw. Tatsache nicht übersehen werden. Das, was Delli Carpini und Keeter als „surfice knowledge“, also als oberflächliches Wissen bezeichnen, konnte eben auch im Durchschnitt nur zu 41% richtig beantwortet werden (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 92). Die Bedeutung dieser Zahl sollte man sich verdeutli- chen, wenn politische Kompetenz der Bevölkerung im Mittelpunkt steht. Bis hierhin wurden nur einzelne Punktaufnahmen politischer Informiertheit der ame rikanischen Bevölkerung geliefert. Allerdings besitzt der Vergleich des politischen Wissensstandes der Amerikaner zwischen verschiedenen Zeitpunkten besondere Relevanz. Deshalb sollen im folgenden Abschnitt Vergleiche verschiedener Erhebungen zu verschiedenen Zeitpunkten behandelt werden.

2.4.3 Zeitliche Entwicklung politischen Wissens

Ein wichtiger Aspekt, der neben den oben behandelten punktuellen Ergebnissen als sehr interessant und fruchtbar erscheint, ist die zeitliche Entwicklung des politischen Wissens. Sind die Wissensbestände der amerikanischen Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten gestiegen, haben sie sich verringert oder sind sie eher stabil geblieben? Auch im Hinblick auf diese Frage geben die Untersuchungen von Delli Carpini und Keeter (1996) Aufschluss.

Hier spielen die Determinanten bzw. die individuellen Faktoren6 des politischen Wissens, „ability“, „opportunity“ und „motivation“ eine tragende Rolle, um Hypo- thesen und Aussagen zu finden, wie die Entwicklung im Bereich verschiedener Wis- sensbestände in den letzten 50 Jahren verlief (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 106; vgl. auch Bennett 1996: 221; Bennett et al. 1996: 11-12). Auf Grund der Wich- tigkeit dieser Determinanten scheint es erforderlich, diese im Folgenden kurz zu er- läutern und Thesen über die Entwicklung dieser Determinanten abzugeben, bevor auf die tatsächlichen Ergebnisse der Untersuchung eingegangen wird.

ABILITY

„Fähigkeit“ (ability) beschreibt ein recht weit gefasstes Gebiet von Fertigkeiten und Eigenschaften aus dem physischen, kognitiven und sozialen Bereich. Zur Findung von Hypothesen im Bereich der Fähigkeiten der amerikanischen Bevölkerung kön- nen die Bildung und die veränderte Bildungspolitik herangezogen werden. Aller- dings besitzen hier, wie auch in den Bereichen von Möglichkeit (opportunity) und Motivation, sehr gegenläufige und widersprüchliche Aussagen Evidenz. So kann der ständigen Ausweitung und Verlängerung der formalen Bildung in den USA nach dem zweiten Weltkrieg ein sehr förderlicher Effekt im Hinblick auf politisches Wis sen zugeschrieben werden. Im Vergleich zu den 40er Jahren durchlaufen in den 90er Jahren wesentlich mehr Menschen in Amerika eine weitaus längere formale Bildung. Somit erzielen sie durchschnittlich höhere Abschlüsse im Vergleich zu früheren Jahrzehnten. Da nun Politikunterricht in der öffentlichen Bildung Amerikas seit jeher einen hohen Stellenwert einnimmt, müsste sich folglich das politische Wissen erhöht haben. Dazu kann aber auch ein Gegenargument gefunden werden: Eine zeitlich län- gere Bildung muss nicht gleich eine Zunahme an Wissen bedeuten. Es werde zwar länger gelernt und es werden mehr Leute unterrichtet, aber es kann sein, dass inhalt- lich weniger gelehrt wird. Eine Verwässerung der Curricula hin zu eher unterhalten- der Bildung mit Mangel an Tiefe könne ein gravierendes Problem darstellen und zur Folge haben, dass trotz Ausweitung der Bildung (Quantität) auf Grund qualitativer Mängel kein Effekt auf politisches Wissen stattfindet (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 106-110).

Folglich kann keine eindeutige Aussage und Prognose für die Entwicklung von Fä- higkeiten im Bereich des politischen Wissens getroffen werden: „In theory, public education in the United States has as one of its central goals the training of citizens in basic civic skills. There are reasons to suspect, however, that in practice this goal has not been given the attention accorded it in theory“ (Delli Carpini und Keeter 1996: 110). Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass mit einem so drasti- schen Anstieg der Bildungsabschlüsse und einer solchen Ausweitung der Schulbil- dung Verbesserungen im Bereich politischen Wissens erreicht werden.

OPPORTUNITY

Die zweite Determinante des politischen Wissens wird mit opportunity bezeichnet. Diese Determinante hängt von drei verschiedenen Faktoren ab: Dem allgemeinen Stand an Wissen bzgl. eines Themas, der Frequenz der Verbreitung dieses Wissens und den Möglichkeiten der Kommunikationstechnologie, ein breites Publikum zu erreichen (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 110).

Bildung wird auch hier als ein entscheidender Faktor angesehen. Durch sie werden nicht nur die Fertigkeiten vermittelt, sich Information oder Wissen anzueignen, son- dern darüber hinaus werden auch Inhalte selbst vermittelt. Aber hier tritt das gleiche Problem hervor, wie es bereits weiter oben diskutiert wurde. Die formelle Zunahme an Bildung ist nicht automatisch mit einer Zunahme an politischem Wissen zu ver knüpfen (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 110-111).

Ebenfalls gegenläufige und widersprüchliche Hypothesen können bzgl. den Mas- senmedien bzw. den Kommunikationstechnologien erstellt werden. So wird den Massenmedien, mit der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien wie Fern- sehen und Internet ein großer Beitrag zur Verbesserung des politischen Wissensstan- des der Bevölkerung zugeschrieben. Es existieren jedoch auch kritischere und bis- weilen gegenläufige Standpunkte. Es werde sehr viel irrelevante Information verbrei- tet. Für den Konsumenten werde es zunehmend schwieriger, zwischen wichtigen und unwichtigen Themen zu unterscheiden. Auch inhaltlich konkurrieren seit längerer Zeit zunehmend Unterhaltungsprogramme (z.B. im Fernsehen) mit Informationspro- grammen (z.B. in den Printmedien), was zu einer Formatanpassung der Letzteren an Erstere und zu einer inhaltlichen Verflachung führt. Aber zusätzlich ist natürlich nicht nur der Vergleich zwischen Printmedien und Fernsehen von Bedeutung. Natür- lich ist auch die Betrachtung relevant, was oder welche Sendungen im Fernsehen konsumiert werden: Nachrichtensendungen verzeichnen einen Konsumrückgang, Unterhaltungsprogramme hingegen erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Analog dazu wird ein allgemeiner Rückgang im Bereich der Zeitungsleserschaft beklagt. Die Abwendung von Zeitungen als Informationsquelle und die Hinwendung zum Fernse- hen als primäre Quelle wird deshalb als negativ bewertet, da Printmedien (vor allem Zeitungen) als effektiver und effizienter im Bereich der politischen Information be- trachtet werden (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 112-114; Bennett 1989: 432- 433; Bennett et al. 1996: 11-12).

MOTIVATION

Motivation als letzte der drei Determinanten des politischen Wissens rührt nun eben- falls von drei bestimmenden Faktoren her. Zunächst einmal resultiert Motivation aus einem politischen Interesse, sei es genereller Natur oder aus persönlicher Betroffen- heit. Als zweiter Faktor kann das Gefühl der politischen Effektivität, d.h. der Glaube, dass die Teilnahme am politischen Prozess Sinn macht und persönlich lohnend ist, angeführt werden. Und schließlich sei noch der letzte Faktor, ein bürgerliches Pflichtgefühl, dass man sich auf Grund höherer Prinzipien politisches Wissen aneig- nen soll, genannt. Zusammenfassend kann Motivation im politischen Bereich auch als psychologische Involviertheit in das Politische bezeichnet werden (vgl. Delli Car pini und Keeter 1996: 114; Bennett et al. 1996: 11).

Folgende Hypothese kann generiert werden: Der gesellschaftliche Wandel (z.B. Änderungen in der Bildung) müsste die Motivation, im politischen Bereich zu lernen, erhöht haben. Aber auch hier gibt es wiederum gegenläufige Argumentationen. Die zunehmende Konfliktträchtigkeit und Komplexität der gesellschaftlichen Probleme führen den Bürger eher weg vom politischen Bereich hinein ins Apolitische (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 114-115).

Betrachtet man nun diese widersprüchlichen Hypothesen, so muss festgestellt wer- den: Es können vorweg keine Aussagen über die Entwicklung des Bestandes an poli- tischem Wissen getroffen und höchstens vage Vermutungen geäußert werden. Des- halb erscheint es notwendig, einen genaueren Blick auf die zeitliche Entwicklung im Bereich politisches Wissen zu werfen. Dabei sind im Folgenden die Ergebnisse des selbst durchgeführten Survey von Delli Carpini und Keeter im Fokus.7

Die beiden Forscher versuchten u.a. mit ihrem selbst durchgeführtem Survey Fragen zu wiederholen und nachzustellen, die bereits in den 40er und 50er Jahren schon einmal gestellt wurden. Damit konnten Vergleiche im aggregierten Wissen der Bevölkerung zwischen den 40er bzw. 50er Jahren und dem Jahr 1989, dem Jahr der Erhebung des Survey, durchgeführt werden. Anzumerken ist allerdings, dass den Ergebnissen hier sehr vereinfachende Annahmen unterstellt wurden. Beispielsweise wurde ein linearer Zusammenhang angenommen und auch nur zwei weit auseinander liegende Erhebungszeitpunkte berücksichtigt.

Insgesamt konnten 15 Vergleiche zwischen den älteren Daten und den Daten der beiden Wissenschaftler durchgeführt werden. Daraus resultierte das Ergebnis, dass die Bevölkerung heute etwas besser informiert erscheint oder eben etwas mehr Wis- sen besitzt als noch in den 40er und 50er Jahren. Dabei zeigten die Befragten in neun Fragen Wissenszuwächse und in den restlichen sechs Fragen Wissensabnahmen zwi- schen einem und zehn Prozent gegenüber ihrem Gegenpart in den früheren Erhe- bungszeiträumen auf. Ferner lieferten sie nur bei drei Fragen Zuwächse von mehr als zehn Prozent. Außerdem kann aus dem insgesamt kleinen mittleren Wissensanstieg über alle 15 Fragen hinweg der Schluss gezogen werden, dass das politische Wissen der Bevölkerung zeitlich ziemlich stabil ist (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 116).

Die Conclusio, dass das Wissen auf aggregierter Ebene relativ stabil über die Zeit bleibt, wird durch die weiteren Ergebnisse der genaueren Untersuchung von Delli Carpini und Keeter (1996: 116-122) bestätigt. Somit gibt es sowohl starke Wissenszuwächse als auch starke Wissensabnahmen in manchen Bereichen, wobei der Großteil der gefragten Items überraschende Stabilität aufweist. Delli Carpini und Keeter (1996: 105-106) kommen daher zu der Aussage:

„We find that in spite of numerous changes in their political, social, eco- nomic, and technological environments, Americans are essentially no more nor less informed about politics than they were fifty years ago. This suggests that positive and negative environmental changes have cancelled each other out. It also demonstrates how difficult it is for society to raise its aggregate level of political knowledge. Viewed most pessimistically, it may indicate in- herent limits to how informed the general public is willing and able to be. “

Um genauere Aussagen über die Entwicklung politischen Wissens auf einer niedrige- ren Ebene treffen zu können, bietet sich die Untersuchung von Jennings (1996) an. Dabei können die Vorteile einer Panelstudie genutzt werden, die zu drei Zeitpunkten (1965, 1973 und 1982) die Stände und die Entwicklung des politischen Wissens von High school Absolventen aus dem Jahre 1965 mit den Wissensständen ihrer Eltern vergleichbar macht. So werden zwei Generationen über verschiedene Zeitpunkte hinweg gegenüber gestellt. Auch in dieser Studie wurde eine überwiegende Stabilität der Wissensstände erkannt. Allerdings existieren auch hier Ausnahmen, die eine et- was genauere Behandlung rechtfertigen. Bei „textbook knowledge“, also Schulwis- sen, konnte die jüngere Generation Vorteile verzeichnen. Dieses Gap verringerte sich allerdings mit der Zeit, was auf ein bestimmtes Vergessen der Fakten durch die jün- gere Generation in diesem Wissensbereich zurückzuführen ist. Bei „surveillance facts“, also aktuellen politischen Ereignissen, konnte hingegen ein Lernzuwachs bei den Jüngeren festgestellt werden. Dies ist mit einer Politisierung, die mit dem Über- gang vom Jugend- ins Erwachsenenalter einhergeht, zu erklären. Bei geschichtlichen Fakten wurde ein prägender Einfluss des Alters konstatiert. So bestimmt vor allem das persönliche Miterleben das Wissen über bestimmte geschichtliche Tatsachen. Am besten prägen sich geschichtliche Ereignisse ein, wenn sie sich während des Ü- bergangs vom späten Jugend- ins Erwachsenenalter ereignen. Weiter wurde eine große Stabilität der Wissensstände ab dem mittleren Lebensalter erkannt. Deshalb

interpretiert auch Jennings seine Ergebnisse ähnlich wie Delli Carpini und Keeter: Die Wissensbestände sind überwiegend stabil (vgl. Jennings 1996: 228, 233-239, 240-241, 249). Der Nutzen von Panelstudien wird hier sehr deutlich. Nur solche Untersuchungen lassen genauere Aussagen über die (individuelle) Entwicklung der Wissensstände zu. Leider sind Untersuchungen, die Panelstudien nutzen, sehr rar gesät. Die Durchführung solcher Studien ist wesentlich aufwändiger als normale und einfache Zufallserhebungen. Dennoch sollten vor allem im Zusammenhang mit politischem Wissen Panelverfahren gebührend Beachtung finden.

Vergleiche der Wissensstände amerikanischer Bürger zu verschiedenen Zeitpunkten stehen auch im Mittelpunkt der Arbeiten von Bennett (1988; 1989; 1996). Er ver- sucht, wie bereits weiter oben angedeutet, in der Tradition zu Hyman und Sheatsley die Informationsstände der Amerikaner festzustellen und mit Erhebungen früherer Jahre zu vergleichen. Angeführt wurde bereits das Ergebnis aus seiner 1988 veröf- fentlichten Arbeit. Dabei stellte er einen Anteil von 29% know-nothings in der Be- völkerung Amerikas fest. Verglichen mit den ersten Ergebnissen von Hyman und Sheatsley von 1947, die einen Anteil von ca. 32% attestierten, kann dies kaum als Verbesserung, schon eher als eine geringfügige Verschlechterung des Informations- standes angesehen werden. Dies gilt vor allem dann, wenn man die extremen Fort- schritte im Bildungssektor berücksichtigt. Dieser geringen bis kaum vorhandenen Veränderung kann das Attribut „bemerkenswert“ zugeschrieben werden. Das abge- lieferte Bild der Amerikaner stellt sich ziemlich als das gleiche wie in den 40er Jah- ren dar (vgl. Bennett 1988: 476, 480, 482-483).

Als Problem dieser Untersuchung gilt allerdings die Verwendung doch sehr unter- schiedlicher Wissenstests in den Vergleichsjahren (vgl. Bennett 1988; 1996: 219). Deshalb wird in einer weiteren 1996 präsentierten Arbeit versucht, (größere) Simila- rität zwischen den 1946 und 1994 verwendeten Methoden herbeizuführen, indem ähnlichere Fragen Verwendung finden. Auch bei einem Vergleich der beiden 1946 und 1994 durchgeführten Untersuchungen konnten keine großen Unterschiede fest- gestellt werden. 32,9% der Bevölkerung können im Jahre 1994 nicht eine der fünf gestellten Fragen korrekt beantworten.8 In einer weiteren 1989 veröffentlichten Ar- beit untersucht Bennett ebenfalls das Wissen der Amerikaner zu zwei verschiedenen

Zeitpunkten. Als „glücklichen“ Umstand kann man hier die Möglichkeit betrachten, die Antworten auf drei vollständig identische Fragen, die sowohl 1967 als auch 1987 gestellt wurden, zu vergleichen.9 Diese Untersuchung attestierte sogar signifikante Verschlechterungen des politischen Wissens. 1987 schnitt also das Sample signifi- kant schlechter ab, als das Pendant von 1967 (vgl. Bennett 1989: 426-427; 1996: 224-225).10 Folgende Grafik liefert und erleichtert einen Vergleich der Ergebnisse der beiden Erhebungszeitpunkte:

Abbildung 2: Vergleich der Wissensstände von 1967 und 1987

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bennett 1989: 427

Als Problem kann diese Stabilität des politischen Wissens und der sogar verzeichnete Rückgang im politischen Wissen angesehen werden, da trotz Ausdehnung, Verlänge- rung und immensen Verbreitung der formalen (Schul-) Bildung keine Verbesserun- gen bei der politischen Informiertheit erkannt werden konnten. Diese Tatsache kann allerdings auch anders interpretiert werden. Die Expansion im Bildungsbereich hat evtl. sogar eine weitere Verschlechterung im politischen Wissen verhindert oder ge- bremst. Wenn jedoch die Bildung einer noch größeren Verschlechterung entgegen- gewirkt hat, müssen andere starke Faktoren vorhanden sein, die für die Misere ver antwortlich zeichnen (vgl. Bennett 1989: 427; 1996: 224; vgl. auch Delli Carpini und Keeter 1991: 598-599).

„Despite an advantage in education, today’s public is certainly no better informed about public affairs and, in fact, appears slightly less so than the citizenry in the 1960s, and perhaps even in the 1940s and 1950s. The obvious question is why“ (Bennett 1989: 429).

Um diese Frage zu ergründen müssen zunächst einmal die Prädiktoren oder Einflussfaktoren politischen Wissens untersucht werden.11

Zwei extrem wichtige Faktoren, die sehr großen Einfluss auf politisches Wissen aus- üben, können im politischen Interesse und in der Nutzung von Printmedien, genauer gesagt im Zeitungslesen, gefunden werden. Vor allem der Rückgang im politischen Interesse der Bevölkerung, wobei politisches Interesse als stärkster Prädiktor politi- schen Wissens angesehen wird, zeichnet für die Ergebnisse verantwortlich (vgl. Bennnett 1996: 227; 1989: 432). Der Mangel bzw. der dramatische Rückgang an politischem Interesse hat negativen Einfluss auf die Motivation neue Informationen aufzunehmen. Da aber bestimmte Informationen notwendig sind, um Nachrichten oder politische Ereignisse zu verstehen und reflektieren zu können, erzeugt Ignoranz wiederum Ignoranz. Dies scheint eine Abwärtsspirale und ein Teufelskreis zu sein. Politisches Interesse wird als Schlüsselvariable für politisches Wissen angesehen. Der Mangel an politischem Interesse stellt somit die Hauptursache für die Defizite im aktuellen Wissensstand (vgl. Bennett 1989: 433; 1996: 227-228).

Auch die Änderung des Zeitungsleseverhaltens der Bevölkerung, womit ein starker Rückgang an Zeitungslesern gemeint ist, trägt zur prekären Situation bei. Dabei ist vor allem eine Ablösung der Zeitung durch das Fernsehen als primär genutztes Me- dium bedenklich, da (wie bereits weiter oben erwähnt) Printmedien effektivere und effizientere Wissensvermittler sind. Allerdings hat nicht allein der Konsum von mas- senmedialen Inhalten Effekte auf politisches Wissen. Echtes Interesse an politischen Nachrichten ist von zentraler Bedeutung (vgl. Bennett 1989: 433; 1996: 228; vgl. auch Bennett et al. 1996: 12, 20).

Dennoch gibt es auch Gründe dafür, diese extreme Betrachtungsweise zu relativie- ren. So konnten bei Delli Carpini und Keeter (1996) neben dem überwiegenden sta- bilen Teil der Wissensbestände auch bedeutende Ausnahmen gefunden werden. Von den insgesamt 33 Vergleichsbeobachtungen12 mit wesentlichen Wissensänderungen konnten 25 mit Wissenszuwächsen und nur 8 mit Wissensabnahmen verbunden wer- den. Diese 33 Beobachtungen stellten signifikante Abweichungen von der erwarteten Norm dar. Zusätzlich zur reinen Feststellung der Abweichungen konnte auch gezeigt werden, dass diese begründbar und erklärbar sind. So konnte z.B. verstärkte oder verminderte Medienpräsenz als erklärender Faktor herangezogen werden. Auch be- sondere Umstände können zu Wissenszuwächsen oder eben Wissensabnahmen auf aggregierter Ebene führen. Als Beispiel seien erhebliche Unterschiede im Wissens- stand genannt, die je nachdem, ob die Befragung in einem Präsidentschaftswahljahr durchgeführt wurde oder eben nicht, auftreten (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 122-130).

Auf Grund dieser Ergebnisse ist wiederum zu konstatieren, dass sowohl positive, wie auch negative Schlüsse gezogen werden müssen: „The good news is that in spite of concerns over the quality of education, the decline in newspaper readership, the rise of sound-bite journalism, the explo- sion in national political issues, and the waning commitment to civic engage- ment, citizens appear no less informed about politics today than they were half a century ago. The bad news is that in spite of an unprecedented expansion in public education, a communications revolution that has shattered national an international boundaries, and the increasing relevance of national and interna- tional events and policies to the daily lives of Americans, citizens appear no more informed about politics“ (Delli Carpini und Keeter 1996: 133).

Trotz dieser etwas indifferenten Aussagen ziehen Delli Carpini und Keeter (1996: 106) ein positives Resümee: „Although what Americans know about politics has changed very little, there is some evidence that it is changeable, and although Americans appear less educated than one might hope, there is evidence that they are educable.“

Anders hingegen reagiert Bennett auf die gefundenen Ergebnisse. Ausgelöst durch die Stabilität des politischen Wissens bzw. den Rückgang in den Wissensbeständen gelangt er zu enormen Zweifeln an der Verbesserungsfähigkeit der Bürgerschaft. Da keinerlei Zuwächse bei den Staatsbürgern im Bereich politischer Informiertheit fest- stellbar sind, kann an dieser Facette der demokratischen Theorie, nämlich der Kom- petenzverbesserungsfähigkeit gewöhnlicher Bürger, gezweifelt werden (vgl. Bennett 1988: 476-477, 487; 1995: 526; gegenteilige Ergebnisse siehe Dutwin 2000: 19-24).

Zusätzlich hat der (niedrige) Informationsstand der Bevölkerung Einfluss auf die Qualität der öffentlichen Meinung. Diese wird durch mangelndes Wissen verzerrt (vgl. Bennett 1996: 228). Da die öffentliche Meinung wiederum Einfluss auf Politi- ker und deren Handlungen ausübt, sind Bedenken angebracht. Andere Autoren schlagen sogar noch drastischere Richtungen ein und senden sehr ernst zu nehmende Warnungen: „Lippmann believed that citizens’ ignorance had repeatedly contributed to the Western democracies’ foreign policy disasters throughout the twentieth centu- ry“ (Bennett 1996: 229). Ein weiterer Punkt, der als bedenkenswerte und beunruhi- gende Konsequenz von mangelnder politischer Information angesehen werden kann, liegt in der Verführbarkeit der Masse durch politische Eliten: „Until Americans be- come better informed about politics, they may remain easy marks for the manipulati- on by elites and their media managers that has some scholars worried about the futu- re of democracy in America“ (Bennett 1989: 434; vgl. auch Detjen: Leitbilder).

2.5 Struktur des politischen Wissens

Zwei verschiedene Bedeutungen müssen innerhalb des Begriffes „Struktur“ unter- schieden werden, um diesen sinnvoll mit politischem Wissen verknüpfen zu können. Die erste Bedeutung betrifft das Individuum und die Art und Weise, wie das politi- sche Wissen durch das Individuum strukturiert wird. Die zweite Bedeutung hingegen betrifft die vorkommenden Muster und Verteilungen des Wissens auf einer höheren Ebene, nämlich die Verteilung über einzelne Bevölkerungsgruppen - aufgegliedert beispielsweise nach Einkommen, Alter, Geschlecht etc - hinweg (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 136).

Im Folgenden wird zunächst auf die individuellen Muster des Wissens im politischen Bereich eingegangen, bevor die Gruppenebene des politischen Wissens betrachtet wird.

2.5.1 Individuelle Strukturen und Muster des politischen Wissens

Von großer Bedeutung vor allem für die Messung des Konstrukts „politisches Wis- sen“ ist die Struktur des Wissens auf individueller Ebene. Wichtig wird hier die Un- terscheidung zwischen Generalisten und Spezialisten. Dabei soll der Frage nachge- gangen werden, ob die Individuen vornehmlich dazu tendieren, sich in einem be stimmten Bereich besonders gut auszukennen, beispielsweise wenn dieser Bereich besondere Relevanz für ihre Lebensumstände in sich birgt oder ob Menschen eher dazu neigen, sich im ganzen politischen Bereich entweder gut oder schlecht auszu- kennen. Spezialist bedeutet in diesem Zusammenhang vereinfachend ausgedrückt Folgendes: Eine Person kann eine Frage zu einem bestimmten Bereich z.B. zur Rentenpolitik beantworten. Sie kann auch sehr wahrscheinlich weitere Fragen zu diesem Bereich, aber weniger wahrscheinlich Fragen zu anderen Themen oder Bereichen wie beispielsweise zur Außenpolitik beantworten.

Generalist hingegen bedeutet, dass eine Person, die in einem bestimmten Bereich sehr gut informiert ist, dazu tendiert, ebenfalls in anderen politischen Bereichen gutes Wissen parat zu haben. Wer also gutes Wissen im Bereich rules of the game besitzt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch im Bereich people and parties über gute Kenntnisse verfügen. Falls aber ein Individuum, das als Generalist zu klassifizieren ist, in einer Kategorie ein niedriges Niveau an Wissen aufweist, so wird es in allen politischen Wissensbereichen eine niedrige Kompetenz haben (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 152). Folglich besitzt die Frage große Relevanz, ob politisches Wissen einer Person durch ein eindimensionales (bei Vorkommen von Generalisten) oder mehrdimensionales (pluralistisches) Modell (Spezialisten) beschrieben werden kann (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 138-141).

Die Einteilung in Generalisten oder Spezialisten hat nun verschiedene Implikationen zur Folge, von denen nur zwei kurz angesprochen werden: Methodisch hat die Enteilung erhebliche Auswirkungen auf die Auswahl der anzu- wendenden Messverfahren. So kann im Fall von Spezialisten ein einfacher Index von Wissensfragen, der z.B. nur einen bestimmten Bereich abdeckt, nicht genügen, um generelle Aussagen über den politischen Gesamtwissensstand einer Person zu erhal- ten. Falls hingegen ein eindimensionales Modell hinreichend für individuelle Wis- sensmuster ist, können durch richtige Auswahl von nur wenigen Items gute Aussa- gen über generellere Wissensstände auch in anderen Bereichen getroffen werden (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 136-137; 1993: 1184, 1202).13

Mehr als Aspekt einer theoretischen Überlegung angesiedelt, liegt nun die zweite Implikation aus den verschiedenen Modellen. Delli Carpini und Keeter (1996: 137) erläutern dieses Problem folgendermaßen:

„ […] [T]here are reasons for doubting whether the aggregation of the opin- ions of issue specialists would produce the same determination of the public good as would the deliberation of generalists. Nonetheless, if the pluralist model is an accurate description of how information is distributed among citi- zens, then low aggregate levels of political knowledge may be less problem- atic to the functioning of democracy than is often implied. If, however, citi- zens are generalists, the questions of how informed the public is and who is more or less informed become critical.“

2.5.2 Ergebnisse für die US-Bürger

Delli Carpini und Keeter können überzeugend die überwiegende Eindimensionalität des politischen Wissens darlegen. Dabei finden sie heraus, dass auf nationaler Poli- tikebene durch mehrdimensionale Modelle nur marginale Verbesserungen gegenüber einem eindimensionalen Modell erzielt werden können (vgl. z.B. Delli Carpini und Keeter 1996: 146; 1993: 1185; eine gegenteilige Ansicht findet sich bei Iyengar 1990: 161-162).

Natürlich existieren auch hier wiederum Ausnahmen zur Regel, die auf gewisse Spe- zialisierungstendenzen hinweisen. Bei Schwarzen wird beispielsweise eine für die Annahme des eindimensionalen Modells untypische Struktur erkannt. „Blacks were significantly less knowledgeable then nonblacks on foreign policy, economic policy, and general political knowledge, but there were no substantive or statistically signifi- cant differences on race-relevant issues” (Delli Carpini und Keeter 1996: 146). Auch weitere Beispiele können angeführt werden. So sind jüngere Personen zwar wesent- lich geringer informiert über Parteien und in der Öffentlichkeit stehende Personen. In den Bereichen hingegen, die grundsätzlich in der Schule unterrichtet werden, besteht jedoch kaum ein Unterschied zu älteren Personen (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 146; 1993: 1185).

Sehr wichtig ist anzumerken, dass die gerade dargestellten Ergebnisse ihre Gültigkeit nur auf nationaler Ebene besitzen. Für die Staaten- oder Lokalebene müssen andere Aussagen festgehalten werden. Dass die drei Ebenen als unterschiedliche Domänen behandelt werden müssen, wurde gezeigt. Beispielsweise hängt nationales Politik- wissen signifikant mit der Variable Geschlecht zusammen. Für lokales Politikwissen existiert hingegen kein solcher Zusammenhang (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 147-148).

Somit sind drei Politikebenen, die National-, die Länder- und die Lokalebene zu un- terscheiden, da sich die Muster des politischen Wissens in ihnen sehr unterschiedlich darstellen. Abschließend zu den individuellen Mustern und Gruppenstrukturen des politischen Wissens kann mit Delli Carpini und Keeter (1996: 142) der Schluss ge- zogen werden:

„To the general question of whether the U.S. public is composed of informa- tion specialists, the answer is no. Knowing, for example, that a citizen is in- formed about foreign affairs is a strong indicator that he or she is also in- formed about domestic affairs, about the institutions and processes of gov- ernment, and about other aspects of politics. Although for several categories of knowledge (information about racial and gender issues, about partisan poli- tics, and about local politics) we find some evidence of separate factors, these factors are still quite highly correlated with one another, indicating that most people who are knowledgeable in one area are also knowledgeable in others“ (vgl. auch Delli Carpini und Keeter 1993: 1184-1186, 1203).

Die Feststellung überwiegender Generalisten in der amerikanischen Bevölkerung hat natürlich eine Vereinfachung der Messinstrumente zur Folge. So können bereits mit wenigen Fragen zu politischem Wissen, die nicht notwendigerweise alle Wissensbe- reiche abdecken müssen, ausreichende und adäquate Messungen politischen Wissens durchgeführt werden. Da aber die Annahme der Eindimensionalität nicht einfach auf die Bundesrepublik übertragbar ist, gilt es in dem hier zu entwickelnden Fragebogen eine größere Menge an Fragen aus den verschiedensten Bereichen des politischen Wissens abzuprüfen. Allerdings könnte eine nachträgliche Feststellung eines (ausrei- chenden) eindimensionalen Modells zukünftige Forschungsarbeit erleichtern, da die Masse und Fülle an Fragen reduziert werden kann. Man könnte dann sogar einen Wissenstest von solch geringem Umfang problemlos in Umfragen einbauen, die ei- nen anders gelagerten Fokus haben. Zunächst steht hier allerdings politisches Wissen im Vordergrund und tatsächliche und zuverlässige Aussagen können erst nach aus- führlicher empirischer Forschungsarbeit getroffen werden.

2.5.3 Verteilung des Wissens über bestimmte Gruppen

Nicht nur das individuelle Ausmaß des Wissens, sondern auch die Verteilung der Wissensbestände über die verschiedenen Bevölkerungsschichten oder Bevölkerungs gruppen besitzt wesentliche Relevanz. Politisches Wissen kann als Ressource für

Interessensdurchsetzung oder auch als Vorraussetzung für Beförderung bzw. Weiterentwicklung des „Allgemeinwohls“ angesehen werden. Deshalb gilt es zunächst die allgemeine Verteilung des Wissens, dann aber auch die genaue Verteilung zwischen den Bevölkerungsgruppen in Betracht zu ziehen.

2.5.3.1 Allgemeine Verteilung des Wissens

Delli Carpini und Keeter (vgl. 1996: 153-154) konnten bzgl. der allgemeinen Vertei- lung des politischen Wissens über die gesamte Bevölkerung hinweg nur eine kleine Zahl absolut uninformierte Personen identifizieren. Ebenfalls gibt es sehr wenige nahezu perfekt Informierte (vgl. z.B. Bennett 1988: 482; 1989: 426; 1995: 523). Die große Masse der Bevölkerung rangiert im mittleren Bereich des politischen Wissens, wenn man diese z.B. in zehn Prozentschritten von wenig bis viel Wissen skaliert. Folglich beschreibt eine Normalverteilung oder Glockenkurve die Verteilung des Wissens allgemein recht anschaulich. Aus diesen Ergebnissen lässt sich die These ableiten, dass die amerikanische Öffentlichkeit doch besser informiert ist als ange- nommen und als ihr auch weitgehend unterstellt wird. Ferner scheint der überwie- gende Teil der Bevölkerung zwar nicht ein überragendes, so doch zumindest ein sehr moderates Niveau an Wissen inne zu haben.

Diese positiven Folgerungen dürfen jedoch nicht überbewertet werden, da die allge- meine Verteilung nichts über die spezifische Verteilung des Wissens über verschie- dene Bevölkerungsgruppen hinweg aussagt. So könnte das Wissen gleich über unter- schiedliche Schichten und Gruppen verteilt sein. Es könnte aber auch denkbar sein, dass z.B. die durch andere Faktoren am meisten Benachteiligten (z.B. Personen mit niedrigen Einkommen) auch über weniger Wissen verfügen. Als eine Konsequenz wären gerade die in der Gesellschaft am meisten Benachteiligten zugleich durch ihr defizitäres (politisches) Wissen am wenigsten im Stande, im politischen Bereich für eine Verbesserung ihrer Lage zu sorgen. Entsprechend dieses Zusammenhangs könn- te politisches Wissen, falls über die (sozialen) Schichten gleich verteilt, eine Verrin- gerung ökonomischer und sozialer Ungleichheiten bedeuten und einen Ausgleichsef- fekt zur Folge haben. Eine Ungleichverteilung politischen Wissens könnte aber eben genau die sozioökonomischen Ungleichheiten widerspiegeln, wenn nicht sogar ver- stärken (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 154-155). Deshalb muss eine genauere Betrachtung der Verteilung des politischen Wissens herangezogen werden.

2.5.3.2 Genauere Betrachtung der Unterschiede zwischen den Bevölkerungs gruppen

Historisch gesehen nennen Delli Carpini und Keeter vier zentrale (Macht-) Kämpfe in der amerikanischen Geschichte: zwischen Frauen und Männern, zwischen ökono- misch gut und schlecht Gestellten, zwischen weißer und schwarzer Bevölkerung und zwischen den Generationen. Unter anderem resultieren diese Kämpfe aus dem histo- rischen Ausschluss der Armen, der Frauen, der Schwarzen und der jungen Erwach- senen von der politischen Partizipation und allgemeinen politischen Rechten. Zwar ist dieser Ausschluss der benachteiligten Gruppen rechtlich aufgehoben, dennoch lässt eine vollständige Integration in die politische Sphäre immer noch auf sich war- ten (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 156).

Folglich kommen Delli Carpini und Keeter (1996: 156) zu den Annahmen: Soziale und ökonomische Bedingungen beeinflussen zum Großteil die Möglichkeiten sich politisch zu informieren. Auch die historische Exklusion hat zur Entwicklung von Normen beigetragen, die Barrieren für politisches Engagement darstellen. Deshalb werden wahrscheinlich die damals ausgeschlossenen Gruppen auch heute noch weniger politisch informiert sein als andere, besser gestellte Gruppen.

Diese Annahmen konnten sehr zwingend bestätigt werden. So sind allgemein ausge- drückt Männer durchschnittlich besser informiert als Frauen, Weiße besser als Schwarze, Personen mit höheren Einkommen besser als Personen mit niedrigeren Einkommen und ältere Personen besser als jüngere (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 165-157; 1991: 607; Bennett, Rhine und Flickinger 2000: 177; Bennett 1996: 227).

Etwas genauer betrachtet konnten von insgesamt 68 Fragen in nur fünf Fällen Frauen besser abschneiden als Männer. Schwarze konnten in keinem Bereich die Ergebnisse von Weißen erreichen, genauso wie in keiner der Fragen Bürger mit niedrigem Ein- kommen besser abschnitten als Bürger mit hohem Einkommen. Wenn nun die Merkmale Alter, Geschlecht, Hautfarbe und Einkommen kombiniert in die Betrach- tung integriert waren, dann ergeben sich doch sehr dramatische Einsichten. Die bei- den Extrembeispiele werden hier herangezogen: Ältere, weiße Männer mit sehr ho hem Einkommen schneiden in beiden Untersuchungen am besten ab. Hingegen ran gieren in beiden Untersuchungen schwarze Frauen mit sehr niedrigem Einkommen auf dem letzten Platz (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 157-161).Somit hat sich die Aussage erhärtet, dass Personen, die sozioökonomisch benachteiligt sind, auch auf Grund ihres Mangels an politischem Wissen, am wenigsten ihre Interessen in den politischen Prozess einbringen können.

Veranschaulicht und detaillierter gezeigt werden die Ergebnisse in folgender Abbildung. Die Datengrundlage für diese Abbildung liefert ein eigens von Delli Carpini und Keeter 1989 erhobener Telefonsurvey.

Abbildung 3: Gruppenunterschiede politischen Wissens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Delli Carpini und Keeter 1996: 162

Diese eindeutig feststellbaren Wissensunterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen sind aus demokratietheoretischer Perspektive wenig erfreulich, da genau die oben dargestellte (Ressourcen-) Hypothese zutrifft. Die gefundenen Wissensklüfte (Knowledge Gaps) sind ein Indiz für eine breite Kluft politischer Partizipationschan- cen. Jedoch handelt es sich hierbei lediglich um Momentaufnahmen, die noch nichts über eine längerfristige Entwicklung aussagen. So könnte angenommen werden, dass sich diese Wissensunterschiede im Laufe der Zeit und mit zunehmender Gleichbe- rechtigung z.B. für Schwarze oder für Frauen verringert haben. Falls so ein positiver Trend feststellbar wäre, so bestünde die Hoffnung, dass sich die Differenzen zwi- schen den einzelnen Gruppen eines Tages ausgleichen bzw. zumindest stark annä- hern und sich somit die Partizipationschancen von benachteiligten Gruppen verbes- sern. So müssten die Veränderungen des sozialen, des ökonomischen und des politi- schen (rein rechtlich garantierten) Status von Schwarzen und Frauen die Wissens- kluft zu den Weißen bzw. Männern mittlerweile wenigstens etwas verringert haben. Auch die immer geringer werdenden Kosten für und die ständige Verfügbarkeit der neuen elektronischen Medien könnte die Kluft im Bereich des politischen Wissens zwischen ärmeren und reicheren Bevölkerungsschichten wenigstens abgeschwächt haben (vgl. Delli Carpini und Keeter 1996: 161).

Um die Entwicklung in den Wissensklüften über die Zeit erkennbar zu machen, wer- den im Folgenden zwei Fragen herangezogen. Erstens wurde die Frage, welche der beiden großen amerikanischen Parteien die konservativere ist, bereits über einen sehr langen Zeitraum hinweg untersucht. Die zweite Frage betrifft das Wissen, welche Partei gerade im „House of Representatives“ über eine Mehrheit verfügt.14

Bei der Untersuchung der Antworten auf die beiden Fragen konnte eine erstaunliche Stabilität in den Wissensklüften mit wenigen Ausnahmen festgestellt werden. Dabei variiert und schwankt zwar das Niveau des Wissens, jedoch verlaufen die Entwick- lungen in den jeweils getrennt betrachteten Bezugsgruppen relativ synchron. So kann vor allem in der Differenz zwischen Männern und Frauen auf keinen Fall von einer Annäherung der Wissensbestände bzw. einer Abnahme der Wissenskluft gesprochen werden. Auch die Kluft zwischen den Einkommensklassen ist als sehr stabil anzuse hen. Ferner ist das Wissensniveau in absoluter Betrachtung sowohl bei Frauen und

Männern als auch bei den unterschiedenen Einkommensschichten 1994 relativ gleich dem der 50er oder 60er Jahre. Lediglich in der Wissenskluft zwischen Weißen und Schwarzen konnte es zwischen den 60er und den frühen 70er Jahren zu einer Annä- herung kommen. Allerdings konnte dieser Abstand nicht gehalten werden und die Wissenskluft weitete sich in der Folgezeit wieder so stark aus, dass sie 1988 kaum geringer war als zu Anfang der hier aufgezeigten Daten (vgl. Delli Carpini und Kee- ter 1996: 163).

Auf Grund ihrer anschaulichen Darstellung kann folgende Abbildung zur Verdeutlichung dieser zeitlichen Entwicklungen beitragen. Hier wird aus Platzgründen nur die Entwicklung des Gender Gaps dargestellt. Die Entwicklung des Gaps zwischen Schwarzen und Weißen findet sich im Anhang (Abbildung A-1).

Abbildung 4: Zeitliche Entwicklung des Gender Gaps

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Delli Carpini und Keeter 1996: 164

2.6 Zusammenfassung

Abschließend sollen nun die wichtigsten Ergebnisse dieses Abschnittes kurz noch einmal dargelegt werden. Positiv stimmt zunächst einmal die Feststellung, dass die amerikanische Bevölkerung eher aus politischen Generalisten besteht als aus Spezia- listen. Dies vereinfacht die Messung des politischen Wissens mit Hilfe von Wissens- tests wesentlich. So können Tests, die nur eine beschränkte Anzahl politischer Berei- che oder gar nur einen Bereich abdecken (z.B. Außenpolitik), als ausreichend für die Einschätzung des allgemeinen Wissenstandes über die verschiedenen hier identifi- zierten Bereiche erachtet werden.

Des Weiteren sind viele Bürger über Politik wenigstens (annähernd) mittelmäßig informiert. Dies kann zuversichtlich stimmen, da zumindest eine gewisse Basis an politischem Wissen als notwendige Bedingung für politische Partizipation vorhanden sein muss (vgl. z.B. Gaventa 1999: 60-61). Allerdings darf diese positive Darstellung nicht über den insgesamt doch als mangelhaft und verbesserungswürdig einzustufenden Zustand der amerikanischen Bevölkerung im Bereich politischer Informiertheit hinwegtäuschen (vgl. Goidel 2000: 145).

[...]


1 In dieser Arbeit wird konsequent nur die männliche Form verwendet. Dies erfolgt nur aus Gründen der Verein- fachung, der einfacheren Lesbarkeit und keinesfalls aus Gründen der Diskriminierung. Durch Verwendung der männlichen Form werden immer auch Frauen mit eingeschlossen. Falls die weibliche Form im Text vorkommt, dann sind auch explizit weibliche Personen gemeint.

2 Das Konzept der Mündigkeit besteht nach Wanka (2001: 88) aus drei Hauptkomponenten: „ […] [S]elbständige, individuelle, rationale Meinung- [sic] und Urteilsbildung, Partizipationsbereitschaft und Partizipationsvermögen in Gesellschaft und Staat […]“.

3 „Know-nothingism“ kann als „unfamiliarity with political affairs“ konzeptualisiert werden (Bennett 1988: 477).

4 Bennett rechtfertigt diese doch relativ strenge Anforderung nach akademischem Standard damit, dass der Test sehr gut korrigiert wurde und doch viele Antworten leicht der Kategorie zugerechnet wurden. Außerdem sieht er den Test insgesamt als relativ einfach an (vgl. Bennett 1988: 482-483).

5 Es ist zwar nicht klar und vollkommen unverständlich, wie eine bereits verstorbene Kandidatin überhaupt auf den Stimmzettel zur Abstimmung gelangen kann. Dieser Aspekt wird bei Goidel (2000) allerdings nicht be- handelt. Deshalb kann dieser schockierende Vorfall berechtigterweise hinterfragt und angezweifelt werden.

Dennoch wird hier von einer Vertrauenswürdigkeit des Autors ausgegangen und deshalb das Beispiel gebracht.

6 Die individuellen Faktoren hängen natürlich bis zu einem gewissen Grad mit strukturellen oder systemischen Faktoren, wie z.B. dem Massenkommunikationssystem zusammen (vgl. Bennett et al. 1996: 12-14). Dies wird durch die folgende Behandlung verdeutlicht, so dass keine explizite Betrachtung erforderlich ist.

7 Die weiteren, genaueren und wesentlich umfangreicheren Untersuchungen von Delli Carpini und Keeter können und sollen hier auch aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht im Detail behandelt, sondern nur ihre generellen Ergebnisse dargelegt werden.

8 Gründe dafür, warum hier eine engere Grenze für know-nothingism als 1946 angelegt werden, liefert Bennett (1996: 224-225). Z.B. wurde deshalb 1946 die Grenze bei einer richtig gegebenen Antwort gezogen, da der damals verwendete Test als leichter einzustufen ist.

9 Aufgabe bei der Beantwortung der drei Fragen war die Identifizierung und Namensnennung des Gouverneurs des Heimatstaates, des Vertreters im House of Representatives und des Vorsitzenden/des Leiters des lokalen Schulbezirks (vgl. Bennett 1989: 424).

10 Um die Ergebnisse etwas genauer auszuführen: 17% in 1987 im Vergleich zu 9% in 1967 konnten keine der drei Fragen richtig beantworten. Hingegen 24% in 1967 und nur 19% in 1987 konnten alle drei Fragen korrekt beantworten.

11 Trotz geringer Abweichungen können dieselben Variablen über die Dekaden hinweg mit politischem Wissen assoziiert werden. Dies bedeutet, dass zu mindest die gleichen Faktoren politisches Wissen heute und vor Jahrzehnten beeinflussen (vgl. Bennett 1989: 430: 1996: 226).

12 Hier wurden die Ergebnisse der ausführlicheren Untersuchungen zugrunde gelegt.

13 Delli Carpini und Keeter (1993: 1198-1199; 1996: 304-305) kommen nach ausführlicher Untersuchung ver- schiedener Items zur Empfehlung von nur fünf Fragen. Diese fünf Items werden von den Autoren nicht nur als hinreichend, sondern sogar als gut bzgl. der Kriterien Schwierigkeit (difficulty) und Trennschärfe (discrimina tion) bezeichnet. Auch schneidet dieser doch sehr kurze Index sehr gut im Vergleich zu längeren Fragenkatalogen ab. Hier kann der Vorteil bzgl. der Messung politischen Wissens verdeutlicht werden, wenn ein eindimensionales Modell die Verteilung des Wissens ausreichend gut beschreibt.

14 Methodisch ist die Verwendung von nur zwei Fragen als genaue Wissensmessung bedenklich, da zwei Items subjektiv als sehr wenig betrachtet werden. Allerdings sind dies die einzigen beiden Fragen, die konstant über einen solch langen Zeitraum, in stets fast identischer Weise und vor allem regelmäßig gestellt wurden. Dies begründet die Verwendung der Fragen und hilft wenigstens teilweise den geringen Umfang an Items zu recht- fertigen.

Ende der Leseprobe aus 168 Seiten

Details

Titel
Politisches Wissen - Möglichkeiten und Grenzen der empirischen Erfassung und gesellschaftliche Bedeutung
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
168
Katalognummer
V58839
ISBN (eBook)
9783638529297
ISBN (Buch)
9783638743006
Dateigröße
1220 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politisches, Wissen, Möglichkeiten, Grenzen, Erfassung, Bedeutung
Arbeit zitieren
Diplom Handelslehrer Thomas Jungwirth (Autor:in), 2005, Politisches Wissen - Möglichkeiten und Grenzen der empirischen Erfassung und gesellschaftliche Bedeutung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58839

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