Michel Foucaults Ausführungen zur Literaturwissenschaft sind widersprüchlich aufgefaßt worden. Sei es, daß ihm mangelhafte theoretische Ausarbeitung attestiert wurde, sei es, daß geäußert wurde, seine Ausführungen seien wenig spektakulär oder er widerspreche sich gar selbst- immer wieder ist scharfe Kritik zu vernehmen. Dennoch sind Foucaults diesbezügliche Schriften mit größtem Interesse und bis heute noch nicht abzuschätzenden Auswirkungen rezipiert worden. Foucaults diskursanalytischer Ansatz nimmt in der Theoriedebatte der Literaturwissenschaften nach wie vor einen breiten Raum ein. Daher erscheint die Fragestellung interessant, inwiefern seine theoretischen Entwürfe als konkrete Arbeitsgrundlage für die Beschäftigung mit der Literatur dienen können. Wer zum Kern der Ausführungen Foucaults vordringen will, sieht sich schnell mit einem strittigen Punkt konfrontiert: Welchen Stellenwert schreibt Foucault dem Subjekt in literarischen Diskursen zu? Diesem Problemkomplex soll auch hier nachgegangen werden, und zwar unter der besonderen Prämisse, zum einen das Subjekt als Erschaffer von Literatur, als Autor, zu fokussieren, um dann im zweiten Schritt zu einer Auslegung der Thesen Foucaults zur Person im literarischen Text zu gelangen, sprich zu narratologischen Implikationen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit kann es nicht sein, eine umfassende Darstellung des Subjektbegriffes nach Foucault zu erarbeiten. Vielmehr sollen zwei Äußerungen Foucaults, in denen die Problematik essayistisch zugespitzt formuliert wird, als Reverenz seines Standpunktes herbeigezogen werden: zum einen ist dies die Rede „Was ist ein Autor?“ (im folgenden bei Zitaten mit WA abgekürzt), die Foucault im Jahr 1969 gehalten hat, zum anderen der Essay „Die Fabel hinter der Fabel“ (FF) aus dem Jahr 1966. Auch sollen diese beiden Texte nicht en Detail referiert werden. Eine textnahe Betrachtung wird aber immer dann einsetzen, wenn eine besondere Relevanz für die Fragestellungen dieser Arbeit vorliegt. Um den Blickwinkel zu weiten, soll darüber hinaus noch Bezug auf andere Aussagen Foucaults zu Thema genommen werden. Noch eine Bemerkung zur Methode: diese Arbeit hat zwar Foucaults diskursanalytischen Ansatz zum Thema- das heißt aber nicht, daß hier auch mit dieser Methode gearbeitet werden soll. Es darf daher nicht verwundern, wenn, entgegen der nachdrücklichen Forderungen Michel Foucaults, immer wieder danach gefragt wird, was der Autor in seinen Texten zum Ausdruck bringen wolle.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Diskurs und Autorschaft
2.1 Das Problemfeld der Autorschaft
2.2 Zuordnungskriterien
2.3 Autorschaft als Schutz vor dem Rauschen der Diskurse
2.4 Strukturalistische Einwände
3. Foucaults Analysen als literaturwissenschaftliches Programm
3.1 Das diskursive Schattentheater
3.2 Unklarheiten und Kritikpunkte
4. Schluß
5. Bibliographie
1. Einleitung
Michel Foucaults Ausführungen zur Literaturwissenschaft sind widersprüchlich aufgefaßt worden. Sei es, daß ihm mangelhafte theoretische Ausarbeitung attestiert wurde[1], sei es, daß geäußert wurde, seine Ausführungen seien wenig spektakulär oder er widerspreche sich gar selbst- immer wieder ist scharfe Kritik zu vernehmen.
Dennoch sind Foucaults diesbezügliche Schriften mit größtem Interesse und bis heute noch nicht abzuschätzenden Auswirkungen rezipiert worden. Foucaults diskursanalytischer Ansatz nimmt in der Theoriedebatte der Literaturwissenschaften nach wie vor einen breiten Raum ein. Daher erscheint die Fragestellung interessant, inwiefern seine theoretischen Entwürfe als konkrete Arbeitsgrundlage für die Beschäftigung mit der Literatur dienen können.
Wer zum Kern der Ausführungen Foucaults vordringen will, sieht sich schnell mit einem strittigen Punkt konfrontiert: Welchen Stellenwert schreibt Foucault dem Subjekt in literarischen Diskursen zu? Diesem Problemkomplex soll auch hier nachgegangen werden, und zwar unter der besonderen Prämisse, zum einen das Subjekt als Erschaffer von Literatur, als Autor, zu fokussieren, um dann im zweiten Schritt zu einer Auslegung der Thesen Foucaults zur Person im literarischen Text zu gelangen, sprich zu narratologischen Implikationen.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit kann es nicht sein, eine umfassende Darstellung des Subjektbegriffes nach Foucault zu erarbeiten. Vielmehr sollen zwei Äußerungen Foucaults, in denen die Problematik essayistisch zugespitzt formuliert wird, als Reverenz seines Standpunktes herbeigezogen werden: zum einen ist dies die Rede „Was ist ein Autor?“ (im folgenden bei Zitaten mit WA abgekürzt), die Foucault im Jahr 1969 gehalten hat, zum anderen der Essay „Die Fabel hinter der Fabel“ (FF) aus dem Jahr 1966. Auch sollen diese beiden Texte nicht en Detail referiert werden. Eine textnahe Betrachtung wird aber immer dann einsetzen, wenn eine besondere Relevanz für die Fragestellungen dieser Arbeit vorliegt. Um den Blickwinkel zu weiten, soll darüber hinaus noch Bezug auf andere Aussagen Foucaults zu Thema genommen werden.
Noch eine Bemerkung zur Methode: diese Arbeit hat zwar Foucaults diskursanalytischen Ansatz zum Thema- das heißt aber nicht, daß hier auch mit dieser Methode gearbeitet werden soll. Es darf daher nicht verwundern, wenn, entgegen der nachdrücklichen Forderungen Michel Foucaults, immer wieder danach gefragt wird, was der Autor in seinen Texten zum Ausdruck bringen wolle.
2. Autor und Diskurs
2.1 Das Problemfeld der Autorschaft
In dem Vortrag „Was ist ein Autor“ versucht Foucault darzulegen, was Diskurse, die mit der Kategorie der Autorschaft belegt sind, auszeichnet (S. 1015 ff.). Er greift die beliebte zeitgenössische Formel vom vermeintlichen „Tod des Autors“[2] auf und macht an zwei wesentlichen Aspekten fest, daß aus der Debatte bisher inkonsequente Schlüsse gezogen worden sind:
Zum einen benennt er den Charakter der Schrift als ausdrucksloses Zeichensystem. Das Schreiben hätte sich zu einem Zeichenspiel entwickelt, welches vorrangig an die Ebene der Signifikanten gebunden sei und nicht so sehr an die durch diese Zeichen verkörperten Bedeutungen. Hier entdeckt Foucault ein der Schrift innewohnendes Paradoxon: denn gleichzeitig sei es der zeitgenössischen Praxis des Schreibens quasi wesenhaft, auf etwas über die bloße Zeichenhaftigkeit der Schrift liegendes hinauszugehen: das Schreiben
ist nur auf sich selbst bezogen und doch ist es nicht in der Form der Innerlichkeit gefangen: Es fällt mit seiner entfalteten Äußerlichkeit zusammen. Dies bedeutet, dass Schreiben [„écriture“] ein Spiel von Zeichen ist, das sich weniger am bedeuteten Inhalt [„signifié“] als an der Natur des Bedeutenden [„signifiant“] ausrichtet. Dies besagt aber ebenso, dass diese Regelhaftigkeit des Schreibens immer wieder von ihren Grenzen her auf die Probe gestellt wird (WA, S. 1008)
Dann aber, so ist zu folgern, kann nicht mehr die Rede davon sein, daß sich die Schrift von der Gebundenheit an den „Ausdruck“ einer dahinterstehenden Bedeutungsebene befreit hätte.
Zum anderen setzt Foucault das Schreiben in Bezug zum Tod. Als wesentlichen Motivationsgrund zum Schreiben sieht er das Bedürfnis, den Helden unsterblich werden zu lassen. Dieses Muster hätte jedoch in der jüngeren Vergangenheit- Foucault bleibt hier sehr unpräzise- einen Wandel erfahren: es sei nun nicht mehr so, daß die Erzählung den Tod abhält, vielmehr habe „das Werk, das die Aufgabe hatte, unsterblich zu machen,[...] das Recht erhalten, zu töten, seinen Autor umzubringen“ (WA, S. 1009). Dieser Tod werde allerdings nicht mehr im Werk dargestellt, er vollzöge sich im Leben des Autors. Fortan erfülle das Schreiben nicht mehr den Zweck, den Helden unsterblich zu machen, vielmehr würden die individuellen Züge des Schreibers/Autors verwischt. Nicht ohne Grund nennt Foucault als Beispiele für Autoren, die durch ihr Werk dem „Tod“ erlagen, neben Flaubert auch zwei prominente Vertreter der klassischen Moderne: Kafka und Proust. Diesen beiden Schriftstellern wird eine außergewöhnliche Nähe von Werk und Leben nachgesagt; Kafka beispielsweise wird immer wieder mit seinen Romanprotagonisten K. und Josef K. in eins gesetzt. Diese Romancharaktere mögen als stellvertretend für Grundthemen moderner Literatur angesehen werden, die sich auf ihren Erschaffer übertragen haben.
In dem Moment, in dem der Autor etwas zu Papier gebracht hat, ist er nicht mehr mit dem Geschriebenen gleichzusetzen; die Schrift verweist nicht unmittelbar auf das Innenleben des Autors. Im Umkehrschluß meint dies, daß das Schreiben bzw. Reden den Tod für die Dauer der Rede aufzuhalten vermag. Es wird erkennbar, daß der Schrift, wie sie in unserer Kultur aufgefaßt wurde und wird, ein Drang zur Transzendenz des vermeintlich dahinterstehenden Subjektes anhaftet. An anderer Stelle, nämlich in dem Essay „Das unendliche Sprechen“, hat Foucault das, was er mit diesen beiden Themen meint, eindrücklich formuliert:
Vielleicht gibt es im Wort eine Wesensverwandtschaft zwischen Tod, grenzenlosem Sich-selbst-Verfolgen und Selbstdarstellung von Sprache. Vielleicht ist die sich ins Unendliche verlängernde Spiegelkonfiguration, die gegen die schwarze Wand des Todes steht, fundamental für jedes Sprechen, seitdem es nicht mehr spurlos vergehen will.[3]
Nun wird auch ersichtlich, was Foucault mit den inkonsequenten Schlüssen meint: es gibt ihm zufolge einige Begriffe, in denen auch nach dem vermeintlichen „Tod des Autors“ die Vorstellung vom universalen, ingeniösen Schöpfertum fortgeschrieben werden würde: Nach der Abwendung vom Autor hätte sich der Fokus des analytischen, literaturwissenschaftlichen etc. Blicks auf den Werkbegriff und den Akt des Schreibens selber verlagert.
Am Beispiel des Nachlasses Friedrich Nietzsches führt er einen solchen Werkbegriff, wie er meint, ihn im zeitgenössischen Kontext beobachtet zu haben, ad absurdum: durch die Auflistung etwa seiner Waschzettel macht er deutlich, daß „das Werk“ als künstlerisch abgeschlossenes Produkt ein problematisches Zuordnungskriterium ist- und legt damit nahe, daß man sich wohl nach wie vor auf den Autor im Sinne eines ingeniösen Schöpfersubjektes beruft und nicht auf den Text als bloße Oberflächenstruktur und in seiner reinen Materialität. Die Vorstellung der Autorperson wird durch die Zeichenhaftigkeit des Textes transzendiert.
Die Schrift begreift Foucault als
eine Form der Duplikation, da sie nicht den Signifikat, sondern die lautlichen Elemente darstellt, die ihn bedeuten [...] . Schreiben hieße also für die abendländische Kultur von vornherein, sich in einen virtuellen Raum der Selbstdarstellung und der Verdoppelung zu stellen [...] .[4]
Ähnlich verhielte es sich mit dem Aspekt des Schreibens an sich: wenn die Schrift als ein Zeichensystem und das Schreiben sich durch die Abwesenheit des Autors auszeichnet, dann bedeutet dies logischerweise, daß sie trotzdem noch an ein Autorsubjekt gebunden ist. Die übliche Auffassung vom Schreiben „lässt im trüben Licht der Neutralisierung das Spiel der Repräsentationen weitergehen, die ein bestimmtes Bild des Autors geformt haben.“ (WA, S. 1001).
Es folgen einige Ausführungen zur Eigenschaft des Autornamens und der mit Autorschaft belegten Diskurse:
„Der Autorname ist nicht im Personenstand der Menschen lokalisiert, nicht in der Fiktion des Werks, sondern in dem Bruch, der eine bestimmte Gruppe von Diskursen und deren singuläre Erscheinungsweise hervorbringt.“ (S. 1015).
Der zu untersuchende Begriff wird damit als eine relationale Erscheinung geschildert.
Gerade in solchen Überlegungen, in denen der herkömmliche Umgang mit Zuschreibungen auf den Kopf gestellt wird, wird aber auch ersichtlich, daß Foucault mit einer unsauberen, unexakten Begrifflichkeit arbeitet. Der Begriff „Diskurs“ etwa hat in seinen Schriften mehrere Bedeutungen, die offensichtlich völlig undifferenziert nebeneinander verwendet werden. Als Diskurse werden zum einen einzelne Aussagen, also bestimmte Reden, Texte oder ähnliches gekennzeichnet- so, wenn er beispielsweise die Frage aufwirft, wie man „mehreren Diskursen denselben Autor zuschreiben“ (WA, S. 1020) könne. Darüber hinaus meint „Diskurs“ bei Foucault aber auch den übergeordneten, beispielsweise wissenschaftlichen Diskurs im Sinne einer Debatte zu einem bestimmten Thema, so zum Beispiel „den“ literarischen Diskurs, „den“ sozialwissenschaftlichen Diskurs usw.: die Aussage, daß einige Diskurse mit Autor-Funktion belegt seien und andere nicht, basiert auf einem solchen Umgang mit dem Begriff Diskurs (WA, S. 1015).
Foucault untersucht noch einen weiteren Gesichtspunkt der Kategorisierung von Diskursen: Autorschaft kann nämlich Foucault zufolge viel weiter reichen als bis zur bloßen Urheberschaft eines Buches, Liedes, Artikels und so fort. Er spielt auf solche Autoren an, die mit ihren Werken oder Diskursen einen völlig neuen diskursiven Raum erschlossen haben, innerhalb dessen sich fortan ganze Denkmodelle, geistige Gebäude und –schulen herausbilden können. Foucault redet von Denkern oder Wissenschaftlern, die durch ihr Werk „eine unbegrenzte Diskursmöglichkeit geschaffen“ (WA, S. 1022) haben. Gemeint ist eine grundlegende Veränderung der Voraussetzungen, unter denen bestimmte Themen diskutiert werden; Diskursivitätsbegründungen lassen auch andere Denkmodelle zu, die sich innerhalb des neu eröffneten Feldes bewegen, obwohl sie vielleicht genau das Gegenteil oder auch einfach etwas ganz anderes als der Diskursivitätsbegründer selber aussagen. In einem anderen Vortrag hat Foucault sich gesondert mit diesem Phänomen, welches er vor allem dem 19. Jh. zurechnet, beschäftigt:
Marx, Nietzsche und Freud haben nicht die Zeichen in der abendländischen Welt vermehrt; sie haben Dinge, die an sich keinen Sinn haben, nicht mit einem Sinn versehen; vielmehr haben sie das Wesen des Zeichens verändert und auch die Art und Weise, wie Zeichen generell gedeutet werden können.[5]
[...]
[1] Geisenhanslüke, S. 15.
[2] Die Einzelheiten, die hinter diesem Schlagwort stehen, können hier nicht resümiert werden, finden sich jedoch beispielsweise in der Zeitschrift „Akzente“ wieder. Dort läßt sich gut verfolgen, wie die Debatte vom „Tod des Erzählers“ (Adorno, Theodor: Form und Gehalt des zeitgenössischen Romans. In: Akzente 5, 1954) über den „Tod des Helden“ und den „Nouveau Roman“ (Robbe-Grillet, Alain: Bemerkungen über einige Wesenszüge des herkömmlichen Romans. In: Akzente 1, 1958.) zunehmend den Spielraum des Subjektes in der Literatur einschränken konnte.
[3] Foucault: Das unendliche Sprechen, S. 91.
[4] Foucault: Das unendliche Sprechen, S. 92.
[5] Foucault: Nietzsche, Freud, Marx, S. 730.
- Arbeit zitieren
- Boris Kruse (Autor:in), 2002, Michel Foucault und die Frage nach dem Subjekt in der Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59030
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