Auf welche Weise greift Charles Baudelaire die Werke Victor Hugos auf? Wie hat Charles Baudelaire die Lektüre der „Fantômes“ schriftstellerisch weiterverarbeitet? Diese Fragen stehen im Zentrum der vorliegenden Arbeit.
Am 23. September 1859 schrieb Charles Baudelaire in einem Brief an Victor Hugo: "Les vers que je joins à cette lettre se jouaient depuis longtemps dans mon cerveau. Le second morceau a été fait en vue de vous imiter.“ Mit dem ‚zweiten Stück‘ meinte Baudelaire das Gedicht XCI, "Les petites vieilles". Es ist, ebenso wie „Le Cygne“ und „Les sept vieillards“, Victor Hugo gewidmet. Die Nachahmung sei in der Tat sichtbar, heißt es in Baudelaires Gesamtwerk, in dem außerdem berichtet wird, dass "Les sept vieillards" und "Les petites vieilles" erstmals unter dem gemeinsamen Titel "Fantômes parisiens"1859 in der Revue contemporaine erschienen sind. In Baudelaires berühmte Les fleurs du mal wurde die Sammlung "Tableaux parisiens", die diese Gedichte enthält, erst 1861, also in die zweite Auflage, aufgenommen. "Fantômes"lautet die Überschrift eines Gedichts, das Victor Hugo 1828 verfasste und ein Jahr später veröffentlichte. Schon Baudelaires Titel "Fantômes parisiens" ist ein Hinweis darauf, dass ein Bezug zu Hugo herstellbar ist. Und es gibt noch viele weitere Nachahmungs-Merkmale, wie die Analyse im ersten Kapitel dieser Arbeit zeigt. "Baudelaire hat mit dem Titel ‚Fantômes parisiens‘ […] einen Titel Hugos aus dessen Gedichtband Les Orientales aufgegriffen (‚Fantômes‘) und neu akzentuiert.“, bestätigt Karlheinz Stierle in Der Mythos von Paris.
Es wird in dieser Arbeit nachgewiesen, dass er Hugos Gedicht umakzentuiert und dabei in einem Vers sogar eine lexikalische, syntaktische und stilistische Übernahme vornimmt. Baudelaire macht eine Inversion in der Age-Kategorie, indem er Hugos "jeunes filles" in „petites vieilles“ transformiert. Er schafft Ambivalenzen, wo Hugo klare Aussagen bringt und regt dadurch den Leser zum Nachdenken an. Im letzten Kapitel wird erläutert, um welche Art des eingangs erwähnten Imitierens es in Baudelaires Versen über die kleinen alten Frauen geht. Anhand der Definition der Parodie nach Verweyen/Witting sowie eines Ausschnitts der Parodie-Definition nach Genette wird untersucht, ob "Les petites vieilles"die wichtigsten Kriterien für die Klassifikation als Parodie erfüllt.
Inhaltsverzeichnis
- Imitation im Zeichen der Inversion.
- ,,Les petites vieilles": Baudelaire's kreative Lektüre von Victor Hugos „Fantômes“
- Analytische Betrachtungen
- Die Vorlage: „Fantômes“ (Victor Hugo).
- Teil I: Sterblichkeit aller Menschen
- Teil II: Tod der Mädchen und Totentanz
- Teil III: Tanzgenuss mit traurigem Ende
- Teil IV: Trauer um das tote Mädchen
- Teil V: Tanz auf dem Totenfest.
- Teil VI: Zusammenfassung mit Didaxe
- Die Lektüre: „Les petites vieilles\" (Charles Baudelaire)
- Teil I: Monster als Randfiguren
- Teil II: Blick auf die Vergangenheit.
- Teil III: Verfolgung der alten Frauen.
- Teil IV: Zusammenfassung mit direkter Ansprache
- Baudelaire und Hugo: Zwiespältiges Verhältnis
- Paradigmenwechsel von der Romantik zur Moderne
- Der Tod als Schwellenerfahrung
- Spannung durch Dissonanz und Erotisierung.
- ,,Les petites vieilles\" - eine Parodie?
- Ausblick: Vom Vers- zum Prosagedicht.
- Literaturverzeichnis
- Baudelaires Interpretation von Hugos "Fantômes" im Gedicht "Les petites vieilles".
- Die Analyse des Verhältnisses zwischen Baudelaire und Hugo und dessen Einfluss auf Baudelaires Dichtung.
- Die Untersuchung des Paradigmenwechsels von der Romantik zur Moderne in Baudelaires Lektüre.
- Die Rolle von Erotik und Tod in den Gedichten.
- Die Frage, ob "Les petites vieilles" als Parodie von "Fantômes" zu betrachten ist.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese wissenschaftliche Arbeit untersucht die kreative Lektüre von Victor Hugos Gedicht „Fantômes“ in Charles Baudelaires Gedicht „Les petites vieilles“. Die Arbeit analysiert die beiden Gedichte, beleuchtet das Verhältnis zwischen den beiden Autoren und betrachtet Baudelaires Einbezug von Hugos Werk in Bezug auf einen Paradigmenwechsel von der Romantik zur Moderne.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel analysiert die beiden Gedichte „Fantômes“ und „Les petites vieilles“ in Hinblick auf deren Struktur, Inhalt und sprachliche Besonderheiten. Es wird gezeigt, wie Baudelaire in „Les petites vieilles“ Elemente aus Hugos Gedicht aufgreift und sie in einer umgekehrten Perspektive neu interpretiert.
Das zweite Kapitel untersucht das Verhältnis zwischen Baudelaire und Hugo und beleuchtet, wie sich diese Beziehung auf Baudelaires Lektüre von „Fantômes“ auswirkt. Es wird deutlich, dass Baudelaires Verhältnis zu Hugo sowohl durch Bewunderung als auch durch Kritik geprägt ist.
Das dritte Kapitel widmet sich der Frage, wie Baudelaire in „Les petites vieilles“ einen Paradigmenwechsel von der Romantik zur Moderne vollzieht. Es werden die Unterschiede in der Behandlung des Themas Tod, die Rolle der Erotik und der Einsatz von Dissonanzen und Erotisierung in beiden Gedichten analysiert.
Schlüsselwörter
Diese wissenschaftliche Arbeit beschäftigt sich mit der Analyse von Charles Baudelaires kreativer Lektüre von Victor Hugos Gedicht "Fantômes" in seinem Gedicht "Les petites vieilles". Wichtige Schlüsselwörter sind dabei: "Imitation", "Inversion", "Romantik", "Moderne", "Tod", "Erotik", "Parodie", "Dissonanz" und "Lektüre". Die Arbeit beleuchtet die Beziehung zwischen beiden Autoren, das Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation, sowie die spezifischen Merkmale der modernen Lyrik Baudelaires.
- Arbeit zitieren
- Birgit Kaltenthaler (Autor:in), 2020, "Les petites vieilles". Baudelaires kreative Lektüre von Victor Hugos "Fantômes", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/590847