Emotionalität in Lehr-Lernsituationen. Einfluss auf die Erwachsenenbildung

Eine theoretische Reflexion


Masterarbeit, 2020

103 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abbildungsverzeichnis

1. Einführung

2. Stand der Forschung

3. Methodisches Vorgehen

4. Kaleidoskop der Gefühle
4.1. Emotion, Gefühl, Stimmung & Affekt: Etymologie und interdisziplinäre Exegese auf den Forschungsgegenstand
4.2. Emotionalität im theoretischen Diskurs der Erwachsenenbildung
4.3. Historizität des Nexus Emotion & Bildung

5. Yes, I can: Emotionale Kompetenz als Ressource

6. Emotionen in erwachsenenbildnerischen Lehr- und Lernsituationen
6.1. Emotionen aus Sicht der Lernenden
6.2. Aufmerksamkeit und Flow
6.3. Aktivierende lernzentrierte Emotionen
6.4. Deaktivierende lernzentrierte Emotionen
6.5. Polarität Emotion und Motivation

7. Emotionen aus Sicht der Lehrenden
7.1. Methodisch-didaktische Reflexionen in Bezug auf Angst und Langeweile

8. Resümee und Ausblick

9. Literaturverzeichnis

Anhang

Abstrakt:

Kulturübergreifend gelten Emotionen als conditio humana. Regulativ wirken Emotionen dabei auf menschliches Verhalten und soziale Interaktionen. Emotionalität ist somit Konstituens erwachsenenbildnerischer Lehr- und Lernsituationen. Innerhalb des theoretischen Diskurs der Erwachsenenbildung zeigt sich hierbei, dass dem Topos Emotion eine lang anhaltende Phase der Ausblendung inhärent ist und (erst) durch Rolf Arnold und Wiltrud Gieseke eine Wiederentdeckung der Gefühle vollzogen wird. Der Forschungsgegenstand Emotionalität weist hierbei eine hohe Komplexität auf, denn der interdisziplinär geprägte theoretische Impetus bezüglich der Emotionsgenese ist gekennzeichnet durch ein Spannungsfeld zwischen Determiniertheit, soziokulturellen Einflüssen und Konstruktion. Ebenso ist die Reflexionsperspektive Emotionen in erwachsenenbildnerischen Lehr-und Lernsituationen durch diachrone Transitionen im Diskurs geprägt. Dies zeigt sich im Dualismus Ratio und Emotio. Eine semantische Unschärfe in der sprachlichen Utilität wird durch ein Konvolut an Begriffen (Emotion, Gefühl, Stimmung und Affekt) evoziert. Evident hingegen ist der Einfluss der Emotionen auf das Lernen. Lernzentrierte Emotionen wirken dabei aktivierend (Freude, Hoffnung) bzw. deaktivierend (Langeweile, Hoffnungslosigkeit). Emotionale Selbstreflexivität wird somit zur Kernkompetenz Lernender und Lehrender.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Emotionen – eine diachrone Wortverlaufskurve

Abbildung 2: Mehrkomponenten-Modell

Abbildung 3: Dreidimensionale Taxonomie lernzentrierter Emotionen nach Pekrun (2017)

Abbildung 4: Reziprozität von Emotionen und Lernen nach Pekrun (2018)

Abbildung 5: Klassifikation der Langeweile-Coping-Strategie

1. Einführung

„ Vermutlich liegt die Versuchung nahe, alles wie einen Nagel zubehandeln, wenn man als einziges Werkzeug einen Hammer besitzt “ (Maslow 1977, S.36).

Es besteht Konsens darüber, dass Lehr-Lernsituationen als soziale Interaktionsform durch eine hohe Komplexität geprägt sind (vgl. Herzog, 2009, S. 166): „Diese Komplexität ist vor allem dadurch bestimmt, dass nicht zwei, sondern mehrere wechselseitig wahrnehmbare Personen die Ausrichtung ihrer Aktivitäten im Zeitablauf koordinieren müssen, um kooperativ und rollenkomplementär ein thematisch fokussiertes „pädagogisches Geschäft“1 herzustellen, zu verstetigen oder zu verändern“ (Herrle, 2013, S. 602, Herv. i. O.). Wesseler (2011) betont ebenfalls die „ungeheure Komplexität von individuellen Lernprozessen“ (Wesseler, 20011, S. 1032) und Schüller-Zwierlein und Stang (2011) sehen in der steigenden Komplexität „ein konstitutives Moment einer Gesellschaft“ (Schüller-Zwierlien & Stang, 2011, S. 515). In einer komplexer werdenden Lebensumwelt (vgl. Tippelt & von Hippel, 2001, S. 13) ist somit das Streben nach Komplexitätsreduktion2 nachvollziehbar. Doch monokausales Silodenken3 verhindert andererseits Innovationen und lösungsorientierte Denkstrukturen in sämtlichen Lebensbereichen: Ist der Klimawandel nun mit CO2 -neutraleren Elektroautos oder eher mit einem radikalen Paradigmenwechsel im Konsumverhalten aller zu verlangsamen? Ist dem Fortschritt der Pränataldiagnostik eine Art Heilsbringer inhärent oder maßt sich der Mensch in Zukunft an, welches Leben der gesellschaftlichen Normalitätsdefinition entspricht? Wird die zunehmende digitale Überwachung unseres Alltags subjektive Ängste vor Terroranschlägen mindern oder tendiert diese Entwicklung zur Orwell`schen4 Dystopie? Lösen diese skizzierten Kontroversen reflexartig Emotionen bei Menschen aus, die im Idealfall skalierbar und somit empirisch vergleichbar sind?

Für die Entschlüsselung menschlichen Verhaltens wurden seit Menschengedenken Hypothesen, Erklärungsmodelle und schlussendlich Theorien gebildet, skizziert und widerlegt. Emotionen haben hierbei in den diversen Wissenschaften eine tragende Rolle gespielt. Innerhalb der Psychologie, die „dem Aspekt des Verhaltens (einschließlich bestimmter biologischer Reaktionen des Organismus) noch den des Erlebens als zentrale Ebene der wissenschaftlichen Analyse an die Seite stellt“ (Krohne & Tausch, 2014, S.9), den Neurowissenschaften, philosophischer und soziologischer Perspektiven und der (Erwachsenen-) Pädagogik. Diachron betrachtet sind die „Nikomanische Ethik“ Aristoteles5 und die Kant`sche „Kritik der praktischen Vernunft“6 hierfür exemplarische Zeitzeugen. Emotio und Ratio als Einflussfaktoren auf menschliches Verhalten wurden hierbei sowohl als Konnex als auch antagonistisch diskutiert. Die Metapher des Schl ü ssels expliziert allerdings einen sprachlichen Fallstrick. Menschliches Verhalten ist alles – außer mechanisch und monokausal. Oder wie Gieseke (2012) unter Bezug von Fuchs (2010) formuliert:

„Wir sind keine Computer. Im Computer werden, ... , Übergänge vom elektronischen Zustand in einen anderen markiert. Aber interpretieren, den Zeichen einen Sinn geben, kann nur der leiblich verfasste Mensch. Nur der Mensch hat Interesse, will Ziele erreichen und ist zur Beziehung fähig, ja benötigt sie, um als Subjekt im Leib mit Geist die notwendigen abstimmenden Verbindungsprozesse herzustellen“ (Gieseke 2012 nach Fuchs 2010, S. 68).

Emotionen beeinflussen einen bedeutsamen Teil der Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsprozesse und existenzieller Erfahrungen (vgl. Schwarz-Friesel, 2008, S.277). Konstitutiv für den Forschungsgegenstand Emotionalität ist dabei die inhärente Komplexität (vgl. Wulf, 2018, S.114) und die „komplementäre Gleichzeitigkeit und interdependente Verwobenheit von Emotion und Kognition“ (Huber, 2018, S.97). Gleichlaufend zu physiologischen Wandlungen im menschlichen Körper (z.B. Ein ganzheitliches (Bildungs-)Verständnis des Menschen ist im theoretischen Diskurs der Erwachsenenbildung axiomatisch. Akzentuiert wird der Bildungsbegriff „auf eine spezifische Beziehung zum Wissen, nämlich auf die „‘Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt’“ (Kade, Seitter & Dinkelaker, 2011, S. 197, Herv. i.O.). Wulf (2018) bezieht sich auf Johann G. Herder (1960), der Fühlen „als Garant des Seins“ (Wulf 2018 nach Herder 1960, S. 119) beschreibt. Folglich besteht zwischen der „‘Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt’“ (Kade et. al, 2011, S. 197) und Emotionalität Interdependenz. Dennoch wurde Emotionalität erst „nach einen längeren Phase der weitgehenden Ignoranz“ (vom Hövel, 2015, S.21) explizit thematisiert. Indifferentismus widerspräche allerdings im Gänze der Selbstbeschreibung der Profession. Nach Arnold (2001) fragt die Wissenschaft der Erwachsen- und Weiterbildung „nach der subjektiven Aneignung von Wissen, Deutungen und Erfahrungen in Lernprozessen, in denen Erwachsenen sich vor dem Hintergrund ihrer biographischen und lebensweltlichen Erfahrungen um eine Transformation bisheriger Deutungsmuster und Konzeptionen bemühen, wohl wissend, dass diese Prozesse durch professionelles Handeln ermöglicht und gefördert, kaum aber monokausal erzeugt werden kann“ (Arnold 2001, S.97, Herv. F.R.).

Schrader (2018a) versteht die Erwachsenenbildung darüber hinaus als „...ein Bildungsbereich, der kontinuierlich expandiert und dabei wandlungsfähig bleibt. Er orientiert sich, explizit oder implizit, an einem ‘realistischen’ Bildungsbegriff, der auf Handlungsfähigkeit zielt: in der Welt der Sachen und Symbole, in der Welt der Interaktionen, im Umgang mit personaler und sozialer Identität und mit grundlegenden Werten und Normen.“ (Schrader , 2018a, S.11, Herv. i.O.). Aus diesen Deskriptionen der Profession heraus, die Adressaten und Adressatinnen befähigen will, sich die Welt anzueignen und dabei reflexiv mit sich und anderen umzugehen, sind Emotionen ab ovo Bestandteil aller Sozialisations- und Bildungsprozesse. Die Wissenschaft der Erwachsenenpädagogik „reagiert als autopoetisches System nicht nur auf Veränderungen der Praxis oder externe gesellschaftliche Faktoren, sondern die Thematisierung von Emotionen ist eine Folge wissenschaftsinterner Forschungsentwicklungen, sei es in der erwachsenenpädagogischen Wissenschaft selbst oder in Bezugswissenschaften“ (vom Hövel, 2105 nach Arnold & Holzapfel 2008, S. 126). Dabei, so betonen Arnold et. al. (2000) innerhalb des Forschungsmemorandums, dass „eine „reine“ Lernforschung wenig Sinn“ (Arnold, Faulstich, Mader, v. Nuissl & Schlutz, 2000, S. 6, Herv. i. O.) macht. Vielmehr ist die „Erforschung von ...Strukturen und Prozessen, von Wirkungen und Ergebnissen des Lernens in unterschiedlichen lebensweltlichen und institutionellen Kontexten grundlegend und konstitutiv für die Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung“ (ebd., 2000, S. 6, Herv. F.R.). Emotionen stellen dabei eine integrale Konstituens des Lernprozesses dar (vgl. Strain & D`Mello, 2015, S. 1ff.) und fallen somit in das Forschungsgebiet der Erwachsenenbildung. Innerhalb des erwachsenenpädagogischen Diskurs erfährt Emotionalität hierbei ab 2002 eine Renaissance. Arnold (2002, 2003a, 2003b, 2005, 2009) Gieseke (2007, 2016) und Holzapfel (2002) setzen sich theoretisch mit dem Forschungsgegenstand Emotionen auseinander (Kap. 2).

Ziel der vorliegenden Masterarbeit ist es einen Einblick in die Komplexität der Emotionalität zu bieten und somit die Hypothese stützen, dass institutionelle Lehr-Lernsituationen als „soziale Interaktionsform“ (Herzog, 2009, S. 166) durch ebendiese Komplexität gekennzeichnet sind. Dabei soll die Interdisziplinarität des Forschungsgegenstandes Emotionalität expliziert werden und die theoretischen Zugänge Arnolds und Giesekes näher beschreiben werden. Ebenso wird die diachron gewachsenen Relation von Emotionen und Bildung aufgezeigt, da diese in Giesekes und Arnolds Veröffentlichungen eher randständig behandelt werden. Die theoretischen Zugänge werden hierbei durch aktuelle empirische Erkenntnisse der Bezugsdisziplinen angereichert. Dies mündet folglich in der Forschungsfrage, welche Bedeutsamkeit Emotionalität im Diskurs um erwachsenenbildnerischen Lehr-Lernsituationen zugeschrieben wird. Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden folgenden Hypothesen überprüft: Im wissenschaftlichen Diskurs werden die Lexeme Emotion und Gefühl synonym verwendet, dies führt zu einer geringen sprachlichen Trennschärfe. Emotionalität hat signifikanten Einfluss auf das Lernen Erwachsener. Die Profession der Erwachsenenbildung begibt sich bei der Auseinandersetzung mit dem Topos Emotionen auf eine Gratwanderung, um die Grenze des Psychologisch-Therapeutischen nicht zu überschreiten und damit Autonomie zu verlieren.

Im ersten Teil der Masterarbeit wird der Forschungsstand beschrieben (Kap .2) und das methodische Vorgehen (Kap. 3) expliziert. Im zweiten Teil wird der Versuch unternommen Struktur in das Begriffsdickicht der Emotionalität zu bringen und deren theoretisches Habitat (Kap. 4; 4.1.) zu beleuchten. Hierbei werden zunächst interdisziplinäre Theorieansätze skizziert. Die Explikation von Spannungsfeldern und Insuffizienzen dieser Ansätze kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Die Ansätze dienen als Reflexionsgrundlage erwachsenenbildnerischer Theorien, die im nächsten Schritt erfolgen (Kap. 4.2.). Folgend wird die Historizität des Nexus Bildung und Emotionen betrachtet (Kap. 4.3.), um anschließend mit dem Abschnitt emotionale Kompetenz (Kap. 5) den Übergang zu Emotionalität in Lehr-Lernsituationen zu vollziehen (Kap. 6, 6.1, 6.2, 6.3, 6.4). Hierbei wird das Konzept der Lern- und Leistungsemotionen Pekruns expliziert und lernzentrierte Emotionen beschrieben. Abschließend werden die wesentlichen Aussagen und Ergebnisse im Resümee zusammengefasst und ein Überblick an anschlussfähigen Forschungen aufgewiesen (Kap. 9).

2. Stand der Forschung

Doch Forschung strebt und ringt, ermüdetnie, Nach dem Gesetz, dem Grund, Warum und Wie. (Goethe)

Der Forschungsgegenstand Emotionen hat innerhalb des theoretischen Diskurses der Erwachsenenbildung eine „längere Phase der weitgehenden Ignoranz“ (vom Hövel, 2015, S.21) durchlebt. Schaller (2012) erkennt ebenfalls eine „Blindheit gegenüber ... der Rolle von Emotionen im Lernprozess“ (Schaller, 2012, S. 30) in den Diskursen der Erziehungswissenschaften. Ab 2002 erfährt der Themenkreis durch eine „Wiederentdeckung der Gefühle“ (vom Hövel, 2015, S. 21) eine Renaissance. Im Emotionsdiskurs der Erwachsenenbildung sind an dieser Stelle u.a. der Sammelband „Emotionen und Lernen: Die vergessenen Gef ü hle “ (Arnold & Holzapfel 2008) sowie die Monografien Giesekes (2007) Arnolds (2002, 2003a, 2003b, 2005, 2009) und Holzapfels (2002) zu nennen. Rolf Arnold (2003a, 2003b, 2005) hat erstmals die systemisch-konstruktivistische Perspektive durch „Grundlinien eines Emotionalen Konstruktivismus“ (Arnold, 2009, o.S.) erweitert. Arnolds Fokus liegt hierbei auf der „Ausleuchtung des Verhältnisses von Emotion und Kognition im Erwachsenenlernen“ (Arnold, 2005, S. V.). In Bezug auf Damasio (2005) erkennen Arnold und Gómez Tutor (2006) bezüglich der Interdependenz von Kognition und Emotionen „einen Vorlauf sowie eine Rahmungsfunktion des Emotionalen“ (Arnold & Gómez Tutor, 2006 nach Damasio 2005, S. 41).

Im Unterschied zu Arnold rückt Gieseke (2007) „in einem säuglings- und entwicklungspsychologischen Modell der emotionalen Regulation die Beziehung zwischen Gefühlserleben und Gefühlsausdruck in den Fokus (vom Hövel, 2015, S. 136) und betrachtet Arnolds emotionalen Konstruktivismus kritisch. Holzapfel (2002) wiederrum übt Kritik an „kognitivistischen Verkürzungen des Lern- und Bildungsbegriffes in (erwachsenen-)pädagogischen Zusammenhängen“ (Holzapfel, 2002, S.13). Integraler Bestandteil seiner Theoriebildung sind Perspektiven der Anthropologie, der Philosophie, der Soziologie und vorrangig der humanistischen Psychologie (vgl. vom Hövel, 2015, S. 145). Zu den aktuelleren Publikationen zählt vom Hövels „Emotionale Bildung oder Gefühlstechnik? Eine reflexive Untersuchung der Wiederentdeckung der Erwachsenenbildung (2015) sowie Schreyöggs Beitrag (2016) „Emotionale Reflexivität und Beziehungsfähigkeit in der Beratung“. Darüber hinaus kann Papenkorts Veröffentlichung „Bildung der Gefühle“ (2019) in EB Erwachsenenbildung (Vierteljahresschrift für Theorie und Praxis) ein Indiz dafür sein, dass das Thema wieder Einzug in den gegenwärtigen Diskurs findet. Vertiefende theoretische Einblicke, die Schnittstellen zur Erwachsenenpädagogik haben, bietet der Sammelband „Bildung und Emotion“ von Huber und Krause (2018) sowie Sigg und Zimmermanns Monographie „Emotionale Bildung. Die vergessene Seite der Bildungsdebatte. (2018)6 7. Über den deutschen Tellerrand schauend ist im europäischen Nahbereich das Projekt „ Empowering Adult`s Training. A Guide f ü r Emotional Mangagement8 zu erwähnen. In kooperativer Zusammenarbeit der Länder Island, Türkei und Spanien ist ein Leitfaden entstanden, der es Akteuren der Erwachsenenbildung erleichtern soll, sich mit dem Reflexionsgegenstand Emotionen auseinanderzusetzen.

Im Vergleich zum theoretischen Diskurs sind erziehungswissenschaftliche empirische Forschungserkenntnisse, die Emotionen zum Gegenstand haben, hingegen rar. Bereits im Jahr 2000 fordern Arnold et. al. eine grundlegende Intensivierung der empirischen Forschung im Zuge der Professionalisierung der Erwachsenenbildung (vgl. Arnold et. al., 2000, S. 4). Gieseke (2007) bezieht sich ebenfalls auf die Tragweite empirischer Forschung, da die „derzeit im Vordergrund stehenden Evaluationskonzepten [sic!] und auf Selbststeuerung ausgerichteten theoretischen Vorstellungen über Lernen nicht ausreichend interpretier- und begründbar sind“ (Gieseke, 2007, S. 18). Die empirische Emotionsforschung steht hierbei vor der grundlegenden Fragestellung einer Kausalitätskette: Henne oder Ei? Denn „Emotionen können sowohl als Ursache(-n), als auch als Wirkung(-en) von Verhalten betrachtet werden. Es stehen keine Messgeräte zur Verfügung, um Emotionen direkt zu messen“ (Hirschenhauser, 2018, S. 197). Dementsprechend widmet sich die erziehungswissenschaftliche Emotionsforschung der Beobachtung und Befragung von Adressaten und Adressatinnen sowie sonstige qualitative Erhebungsmethoden (vgl. Hirschenhauser 2018 nach Hascher 2005; Frevert 2011). Beispielhaft sei hier auf die Adressatenforschung (Schwerpunkt: Typisierung) verwiesen, hier hat sich innerhalb von 60 Tiefeninterviews der sozial-emotionale Typ extrahieren lassen (vgl. Tippelt 2018 nach Tippelt 2009, S. 115). Dieser Typus ist „am Gruppenleben und an Prozessen des Kennenlernens interessiert“ (ebd., 2018, S. 115).

Die Vermessung der Gef ü hle in Lehr-Lernsituationen verbleibt somit im Habitat der humanistischen Psychologie und den Neurowissenschaften. Die Psychologie, die als „Nachbardisziplin“ (Bauer & Marotzki, 2010, S. 296) und „empirische Grundlagenwissenschaft für die Pädagogik“ (Götz, Frenzel & Pekrun, 2018, S. 74) der Erziehungswissenschaft diachron gewachsen nahe steht, sowie die Neurowissenschaften, in der Siebert (2003) „Anregungspotenzial“ (Siebert, 2003, S. 9) erkennt, bieten einen elaborierten Forschungsstand, der als Fundus der Reflexionsperspektiven für Akteure der Erwachsenenbildung dienen kann. Emotionale Zustände lassen sich hierbei sowohl auf subjektiver, verhaltensmäßiger-expressiver und biologischer Ebene erfassen. Die Diagnostik erfolgt hierbei durch Fragebogen und Eigenschaftslisten (subjektive Beschreibung), durch „Mimik, Vokalisation, motorische Reaktionen, nonverbale[ ] Erregungsanzeichen sowie bestimmte verbale[ ] Indikatoren“ (Krohne & Tausch, 2014, S. 18) bei verhaltensmäßig-expressive Reaktionen. Für die physiologische Prozessregistrierung werden „zentralnervöse, peripherphysiologische, muskuläre, endokrine sowie immunologische Parameter herangezogen“ (ebd. 2014 nach Krohne 2010; Peper & Lüken 2012, S. 18). Dabei ist empirisches Forschen mit der Herausforderung konfrontiert, dass „[e]motionsbezogene Zustände ... nicht unmittelbar beobachtet werden [können]“ (ebd., 2014, S. 17). Lediglich gewisse Erscheinungen wie Schwitzen oder Stottern sowie die verbale Explikation können registriert werden. (vgl. ebd., 2014, S. 17). Manche empirische Resultate bezüglich des Effekts von Emotionen auf den Lernerfolg erweisen sich dennoch als deutlich belastbar. Es konnte wiederholt gezeigt werden, dass sowohl adaptive als auch maladaptive Emotionen mit verschiedenartigen Modi von Lernstrategien und Stilen der Verarbeitung positiv korrelieren (vgl. Artino & Jones, 2012, S. 170ff.; Marchand & Guiterrez, 2012, S. 150ff.). Dennoch gibt es bezüglich Einflusses von Emotionalität auf das Lernen zwei inverse Hypothesen. Knörzer, Brünken und Park (2016) beziehen sich hierbei auf Um, Plass, Hayward und Homer (2012), die unter der Perspektive des multimedialen Lernens, die „ emotions-as-facilitator-of-learning “-These und die „ emotions-as-suppressor-of-learning “ - These (Knörzer et. al, 2016 nach Um et. al. 2012, S. 619, Herv. i. O.) elaboriert haben:

„The emotions-as-facilitator-of-learning hypothesis assumes the positive emotions foster motivation and therefore, lead to better learning results. Negative emotions initate effortful learning that diverts from the emotional state (mood repair) and thus resulting in better learning otucomes. The emotions-as-suppressor-of-learning hypothesis postulates an impairing effect of both positive and negative emotions on learning as their cognitive component occupies cognitive capacity and therefore impose extraneous cognitive load“ (Knörzer et. al. 2016, S. 619).

In der Tat kennzeichnen sich Emotionen dadurch aus, dass sie die Aufmerksamkeit auf den Emotionsstimulus richten (vgl. Scherer, 2009, S. 1309ff). Dabei konzentrierte sich die Erforschung der Emotionalität meist auf die Kategorie Prüfungsangst (vgl. Pekrun & Bühner 2014, Zeidner 2014, Boekaerts & Pekrun 2015, Linnenbrink-Garcia, Patall & Pekrun. 2016). Innerhalb dieser experimentellen Studien ergab sich, dass Angst „.. die Leistung9 bei komplexen oder schwierigen kognitiven Aufgaben, die Aufmerksamkeit erfordern, reduziert, hingegen bei einfach oder repetitiven Aufgaben nicht beeinflusst oder sogar steigert“ (Pekrun, 2018, S. 224). Pekrun (2018) bezieht an dieser Stelle auch auf Eysenck (1999) und Lang & Lang (2010), die empirische Evidenz bezüglich der Prüfungsangst nachweisen konnten: „Prüfungsangst führt zu aufgabenirrelevantem Denken, das Leistungen reduzieren kann..“ (ebd., 2018 nach Eysenck 1999, Lang & Lang 2010, S. 224). Der Forschungsstand bezüglich anderer lernrelevanter Emotionen ist hingegen eher gering (vgl. Asikainen et. al. 2018, Linnenbrink-Garcia & Pekrun, 2011) und der „Aspekt der emotionalen Barrieren bei der Aufnahme und beim Umgang mit Wissen ohne unmittelbaren Prüfungshintergrund“ (Arnold & Gómez Tutor, 2006, S. 37) ist noch nicht differenziert repetierbar. Die vorhandenen empirischen Studien, die sich nicht der Prüfungsangst widmen zeigen, dass adaptive Emotionen (u.a. Lernfreude, Erfolgszuversicht) positiv mit intrinsischer Lernmotivation und Interesse10 korrelieren (vgl. Pekrun 2018 nach Pekrun et al. 2002, Zeidner 1998, S. 219). Gieseke (2012) bezieht sich auf ebenso die Reziprozität von Emotionen und Interesse:

„Erst wenn das Gelernte berührt, erfasst, im Dialog durchdacht und geübt wird sowie ins Können übergeht, wächst weiteres Interesse, sowie Interesse erst entsteht, wenn ich mich meiner emotionalen Grundlagen, zumindest was Lernen und Handeln betrifft, bewusst werde“ (Gieseke, 2012, S. 77).

Doch auch „..negative epistemische Emotionen11 wie Verwirrung [können] günstig fürs Lernen sein, weil sie dazu motivieren, die Verwirrung erzeugende kognitive Inkongruenz aufzulösen“ (ebd. 2018 nach D`Mello et al. 2014, S. 219). Konstruktivistische Positionen betonen ebenfalls die Bedeutsamkeit des Lernens durch Pertubation (vgl. Mantura & Varela 1987, Peterssen 2000, Arnold & Pachner 2013). Zu den lernzentrierten Emotionen siehe u.a. Kap. 6. / 6.1.

Kritisch betrachtet Pekrun (2018), dass innerhalb der experimentellen Emotionsforschung der Fokus auf den Wirkungen von adaptiven und maladaptiven Emotionen lag und die Differenzierung zwischen den divergenten Emotionen kaum betrachtet wurde. Folglich sieht Pekrun (2018) eine eingeschränkte Tauglichkeit der empirischen Erkenntnisse, um die Komplexität von realen Lehr-Lernsituationen abseits von Laborversuchen zu erfassen (vgl. ebd. , 2018, S. 216). Götz (2017) stützt dieses Kritik und erkennt ebenso, dass die Lernsituationen in „..ausschließlich laborbasierten Studien eher artifiziell“ (Götz, 2017, S. 49) stattfanden und daher in ihrer Generalisierbarkeit begrenzt sind. Pekrun (2018) fordert daher eine „..Berücksichtigung der Aktivierungsdimension von Emotionen. So sind z.B. sowohl Angst wie Langeweile negative Emotionen; in ihren Wirkungen aber können sich diese beiden Emotionen deutlich unterscheiden. Angst ist eine physiologisch aktivierende Emotion, die zu Handeln motivieren kann; Hoffnungslosigkeit ist deaktivierend und unterminiert jede Tätigkeit“ (Pekrun, 2018, S. 216, Herv. F.R.). Eine ausführliche Darstellung der Aktivierungsdimensionen von Emotionalität erfolgt in Kap. 4.1. / 6.1. Trotz der Kritik dienen psychologische und neurowissenschaftliche empirische Erkenntnisse „als Reflexionshintergrund, um z. B. Schwierigkeiten des Lehrens und Lernens besser beschreiben zu können“ (Becker/Roth 2004, S. 109). In zahlreichen Studien konnte zum Beispiel belegt werden, dass die Erinnerungsfähigkeit mit positiven und negativen emotionalen Lernmaterial verstärkt positiv korreliert als bei neutralem Material (vgl. Quevedo et. al, 2003, S. 132ff.). Pekrun (2018) verweist ebenso auf die Ergebnisse der Emotionsforschung, die gezeigt haben, „dass Emotionen u.a. Einfluss auf stimmungskongruenten Abruf12, abrufinduziertes Vergessen13 und abrufinduzierte Gedächtnisstärkung14 nehmen“ (Pekrun, 2018 nach Kensinger & Schacter 2016, S. 220). Doch nicht nur Lernmaterial hat Einfluss auf die Emotionalität und damit auf Gedächtnisprozesse. Dass emotional eindringliche Lebensereignisse nachhaltiger in Erinnerung bleiben (vgl. Burke et al. 1992, S. 277ff.), kann als bedeutsamer Reflexionsbaustein für das biografische Lernen (vgl. Witt , 2018, S. 2ff.) gesehen werden. Innerhalb der Depressionsforschung zeigen sich sogar, dass „biografische Variablen, ..., zur Vorhersage der aktuellen Stimmung von Depressiven ... eignen“ (Bühler & Eitel, 2008, S. 620). Arnold und Gómez Tutor (2006) erkennen, dass „[d]ie emotional-kognitiven Muster der Welterfahrung, als Teil des biografischen Prozesses, .. eine unhintergehbare Rahmung der Wissensangeignung [darstellen]; sie sind Ausdruck der „Strukturdeterminiert15 “ des Erwachsenenlernens“ (Arnold & Gómez Tutor, 2006, S. 39, Herv. i.O.).

Als relevant für die Erwachsenenbildung können sich auch die Forschungsergebnisse von Malatesta & Haviland (1985) erweisen. Malatesta & Haviland (1985) gehen hierbei von einer zunehmend „Desomatisierung von Emotionen“ (Hodoynski 2006 nach Malatesta & Haviland 1985, S.47) aus. Dies bedeutet, dass emotionale Expression und emotionale Körperreaktionen im Alter von außen nicht mehr eindeutig beobachtbar sind. So „scheint sich im Laufe der Ontogenese – zumindest in westlichen Kulturen – eine Entkopplung von Emotionsausdruck und Emotionserleben zu vollziehen“ (ebd., 2006, S. 3). Hodoynski (2006) relativiert die Ergebnisse von Malatesta & Haviland (1985) allerdings: Dass Emotionen desomantisieren, stellt allerdings keine Enität dar, sondern variiert je nach Ontogenese intraindividuell (vgl. ebd., 2006, S. 7). Dennoch beziehen sich auch Arnold und Gómez Tutor (2006) auf die „emotionale Prägung“ (Arnold & Gómez Tutor, 2006, S.41) innerhalb des limbischen Systems, die terminiert, wie Adressaten und Adressatinnen auf gewisse Gegebenheiten reagieren. Mit zunehmenden Alter erweisen sich solche Prägungen als stabil und resistiver gegenüber Änderungen (vgl. ebd., 2006, S. 41). Ebenso zeigt sich , dass Emotionen, „die aus .. vergangenen Lernsituationen „mitgebracht“ werden, eine wesentliche Rolle für die Nachhaltigkeit des Erwachsenenlernens spielen (ebd., 2006, S. 37, Herv. i. O.). Dies kann als eine bedeutsame Herausforderung für erwachsenenpädagogische Lehr-Lernsituationen betrachtet werden, da „die Nachhaltigkeit von der Möglichkeit des Aufbrechens und der kompetenzbildenden Transformation alter Strukturen abhängig ist“ (ebd., 2006, S.41).

Neben der Psychologie und den Neurowissenschaften ist es die Soziologie, die „.. zu den wichtigsten Gesprächspartner der Erziehungswissenschaft geworden ist“ (Bauer & Marotzki, 2010, S. 296). Innerhalb der vorliegenden Masterarbeit werden die (inter-)disziplinären Emotionstheorien durch empirische Forschungsergebnisse angereichert.

3. Methodisches Vorgehen

„ Methode ist die Mutter des Ged ä chtnisses “ (T.Fuller, o.J., o.S.)

Der methodische Zugang der vorliegenden Masterarbeit stellt eine Literaturanalyse dar. Webster und Watson (2002) definieren diese Forschungsmethode als solide Grundlage mit welcher es möglich sei, die Menge der existierenden Erkenntnisse darzulegen und im Anschluss daran aufzuzeigen, in welchen Bereichen weitere Forschung angestrebt werden sollte (vgl. Webster & Watson 2002, S.13)16. Für die Literaturrecherche wurde neben dem Bamberger Katalog der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek (EZB), u.a. die Datenbänke Deutscher Bildungsserver17 , Fachportal P ä dagogik18 und ERIC 19 verwendet. Ebenso wurde die Suchfunktion des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen (DIE) in den Rechercheprozess inkludiert. Die ersten Schritte der Literaturanalyse stellte eine umfängliche Suche nach bedeutsamen Veröffentlichungen zu den Begriffen Emotionen, Emotionalit ä t, Gef ü hle, emotionale Kompetenz, Lernen /Bildung und Erwachsenenbildung verwendet. Die Suchbegriffe wurden hierfür in der Anordnung a + b (Emotionen + Erwachsenenbildung) in den jeweiligen Suchfunktionen eingegeben. Hierbei wurde die wissenschaftliche Sicht in einer Phase extendiert und daraufhin der Fokus wieder auf ein Themengebiet gelegt. Diese Konzeptualisierung wird u.a. in der theoretischen Auseinandersetzung der vorliegenden Masterarbeit deutlich. So wird zuerst ein interdisziplinärer und weitläufiger Blickwinkel auf Emotionalität geboten, um im nächsten Schritt genuin erwachsenbildnerische Perspektiven zu behandeln. Huff Die vorliegende Masterarbeit bildet hierbei eine Momentaufnahme ab, die durch interdisziplinäre Zugänge geprägt ist. Infolge der ausgesprochenen Aktualität des Themas Emotionalität erscheinen in den Nachbardisziplinen (besonders in der Psychologie und den Neurowissenschaften) Veröffentlichungen in kurzen Zyklen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4. Kaleidoskop der Gefühle

Everybody knows what an emotion is, until asked to give a defintion. (Fehr & Russell, 1984, S.464)

Um sich in der Komplexität der Lexeme hinsichtlich des Topos Emotionalit ä t verstehend bewegen zu können, bedarf es einer Reduktion dieser. Bezüglich der semantischen Trennschärfe und Konnotationen des Feldes Emotionalit ä t ist eine begriffliche Divergenz in den Publikationen der einzelnen Autoren und Autorinnen festzustellen (vgl. Roth 2004, Bürmann 2008, Becker 2008, Huber & Krause 2018). Für den wissenschaftlichen Diskurs und der damit einhergehenden Professionalisierung erwachsenenbildnerisch Handelnder ist eine trennscharfe und kernprägnante Verwendung der Begrifflichkeiten konstituierend. Gieseke (2011) bezieht sich an dieser Stelle auf Rueschmeyer (1986). Dieser versteht Professionalisierung als „eine Form gesellschaftlicher Institutionalisierung von Wissensnutzung in komplexen Situationen. Wissenschaftliches Wissen in nutzbarer Form für Handeln ist dann die Vorstufe von Professionalität“ (Gieseke 2011 nach Rueschmeyer 1986, S. 385, Herv. F.R.). Aus dieser Logik heraus besteht auch eine Interdependenz zwischen professioneller Utilität und sprachlicher Trennschärfe. Im Folgenden werden nun die Termini Emotion, Gef ü hl, Stimmung und Affekt etymologisch betrachtet. Zudem wird der Versuch anschlussfähiger und interdisziplinärer Definitionen unternommen und der Frage nachgegangen, ob eine semantische Trennschärfe überhaupt möglich ist. Hierbei werden, neben der erwachsenenbildnerischen Perspektive, wissenschaftliche Betrachtungsweisen der Soziologie, der Neurowissenschaften und der Psychologie integriert. Marx et. al (2018) halten in ihrer Untersuchung als zentralen Befund fest, dass im Bereich des pädagogisch-psychologischen Wissens, welchem u.a. der Umgang mit Heterogenität von Adressaten und Adressatinnen inhärent ist, Akteure der Erwachsenenbildung über ein „insgesamt tragfähiges, aber im Vergleich zu den Schullehrkräften geringeres pädagogisch-psychologisches Wissen verfügen“ (Schrader 2018b nach Marx et. al. 2018, S. 67). Gieseke (2012) erkennt, dass „[d]ie pädagogische Psychologie .. als Kooperationspartner [fehlt]“ (Gieseke, 2012, S. 59). Innerhalb des GRETA-Kompetenzmodells20 ist das pädagogisch-psychologische Wissen und Können der erwachsenenbildnerischen Akteure in den Kompetenzfeldern Kommunikation und Interaktion sowie Didaktik und Methodik angesiedelt (vgl. Strauch, Lencer, Bosche, Gladkova, Schneider & Trevino-Eberhard, 2019, S. 7).

Für die Rezeptivität neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in erziehungswissenschaftlichen Diskursen erkennt Siebert (2003) eine dichotome Problemlage. Einerseits werden empirische Erkenntnis nicht hinreichend perzipiert, andererseits werden die Ergebnisse bisweilen ohne Relation auf pädagogische Diskurse umrissen. Dies beeinflusst die gegenseitige Akzeptanz und Anerkennung nachteilig (vgl. Nuissl, Schiersmann & Siebert, 2003, S. 5). Ein reflektierter Zugang zu den Bezugswissenschaften bietet somit die Möglichkeit diese L ü cke zu füllen. Dabei soll die Erwachsenenbildung „nicht als Anwendungsgebiet oder gar als „Testgelände“ einer pädagogikfernen Disziplin“ (Gieseke, 2006, S. 8) fungieren, sondern „als eigensinnige wissenschaftliche Partnerin, welche die Erkenntnisse aus den Bezugs-und Nachbardisziplinen im Zuge ihrer Interpretationen verändert, den eigenen Relevanzsystemen anpasst und so zu einem Akt der autonomen Aneignung gelangt“ (Gieseke, 2006, S. 8).

Eine interdisziplinäre Forschungshaltung der Erwachsenenbildung offenbart zudem das „Potential dieser Wissenschaft, deren fortschrittliche Vertreter nicht an den traditionellen Verbindungen hängen, sondern auf der Suche nach neuen Entwicklungsimpulsen sind“ (Góralska & Solarczyk, 2013, S. 43). „Der Ruf ... nach Interdisziplinarität folgt (...) einer kommunikativen Logik, nach der das Uberleben der Erziehungswissenschaft in hohem Maße von der Anschlussfähigkeit an andere abhängt: Im einen Fall wird das Kriterium der Anschlussfähigkeit durch die praktische Verwertbarkeit von Wissen gebildet, im anderen Fall bezieht es sich auf die Rezeption und Bereitstellung interdisziplinär kommunizierbaren Wissens“ (Becker, 2006,S. 63). Gieseke (2006) erkennt im „Phänomen des individuellen und kollektiven Lernens“ (Gieseke, 2006, S. 7) wegen „der Uberkomplexität des Gegenstandsbereiches“ (ebd., 2006, S. 7) ein Überforderungspotential, sollte sich nur eine einzige Wissenschaft damit auseinandersetzen. Somit ist eine „mehrperspektivische Herangehensweise ... sachlogisch und gesellschaftspolitisch opportun“ (ebd., 2006, S. 7).

4.1. Emotion, Gef ü hl, Stimmung & Affekt: Etymologie und interdisziplin ä re Exegese des Forschungsstandes

Emotionen – ein (heutzutage) ubiquitär verwendetes Wort, dessen Gebrauch ab Mitte der 1980er einen signifikanten Anstieg in deutschen Printmedien verzeichnete (siehe Abbild 1) und somit dessen zunehmende gesellschaftliche Relevanz expliziert. Die Bestseller „EQ. Emotionale Intelligenz“ von Daniel Goleman (1995), Lisa F. Barretts Monographie „How emotions are made. The secret life of the brain.“ (2017a) oder die seit 2006 monatlich erscheinende Zeitschrift „emotion“21 sind hier stellvertretend für die Popularisierung des Sujets zu nennen und können als Schnittstellen der Wissenschaft zu außerwissenschaftlichen Bereichen interpretierte werden. Die Bedeutsamkeit antizipierend und aufnehmend, wurde der Forschungsbereich im Kontext der Sozial- und Geisteswissenschaften ebenso in den Natur- und Neurowissenschaften diskursiv behandelt. Emotionen sind nicht nur Forschungsgegenstand in den entsprechenden Teildisziplinen der Psychologie, u.a. die Allgemeine Psychologie oder die Neuropsychologie (vgl. Broda & Brosca 2018, Pekrun 2011,2017, 2018). Innerhalb der Neuropsychologie werden „[ü]ber bildgebende Verfahren .. Reaktionen des Gehirns auf externe Reize visualisiert und interpretiert. Diese Visualisierungen lassen jedoch das komplexe Wechselspiel zwischen Interpretationen und Konstruktionen außer Acht, denn der Sinn des Lernens und die Psyche können .. nicht sichtbar gemacht werden“ (v. Hippel, Kulmus & Stimm, 2019, S. 41).

Als weitere Disziplinen sind die Biologie (vgl. Ermisch 1985) und die Verhaltens- oder Gehirnforschung zu nennen (vgl. Braus 2011, Glasenapp 2013) Dabei löst vor allem der biologische Zugang bei einigen Erziehungswissenschaftlern und Erziehungswissenschaftlerinnen Pertubation aus, da „Reduktionismus, eingeschränkte Aussagekraft von Erkenntnissen und Missverständnisse auf Grund von Biologismen“ (Hirschenhauser, 2018, S. 196) befürchtet werden. Sembill und Kräner (2018) hingegen fordern an dieser Stelle einen erziehungswissenschaftlichen Paradigmenwechsel und kritisieren die „fast systematische Ausblendung der biologischen Schichtung (Sembill & Kräner, 2018, S. 190). Die biologische Schichtung ist „jedoch einerseits basal, was die Genese für Affekte, Emotionen und Motivlagen betrifft, und andererseits final, betreffend die Konsequenzen all dessen, was sich auf höheren Schichtungen konstituiert.(..) Ziel ist die Versachlichen und Entmystifizieren der Bedeutung von Affekten und Emotionen jenseits von Gefühlsduselei und politischer Mobilisierung, die eher eine Manipulation als eine Aufklärung intendieren“ (Sembill & Kärner , 2018 S.190). Hirschenhauser (2018) plädiert ebenso für eine Integration biologischer Erkenntnisse und erkennt , dass „[d]as Verknüpfen von biologischen und kulturellen Perspektiven .. immer noch selten [ist]“ (Hirschenhauser, 2018, S. 195).

In vergangenen Emotionsforschungen der Psychologie prävalierten dominant evolutionstheoretische sowie funktionalistische Ansätze (vgl. Gieseke, 1995, S. 41). Evolutionstheoretische Ansätze orientieren sich an Charles Darwins Theorien (weiterführend siehe Seite 46) und betonen biologische Determiniertheit und die Bedeutsamkeit von Emotionen auf das menschliche Überleben und seine Genese (vgl. Engelen, 2012, S. 42f.). Kognitionswissenschaftliche Ansätze akzentuieren die Einschätzungs- und Bewertungstheorie (engl. appraisal theory) (vgl. Reisenzein, 2018, S. 82; weiterführend siehe Seite 22). Ebenso bestehen lernpsychologische und neurowissenschaftliche physiologische Annahmen zur Emotionalität. Die Perspektive der Lernpsychologie setzt sich mit der Reziprozität von Emotionen und Lehr-Lernsituationen auseinander (vgl. Pekrun 2018, S. 217). Neurowissenschaftliche Ansätze fokussieren hingegen prozessuale Vorgänge und Strukturveränderungen des menschlichen Gehirns.

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Abbildung 1: Emotionen. Wortverlaufskurve (DWDS-Zeitungskorpus)

Aus den wissenschaftlichen Diskursen heraus entstand eine Vielzahl von Definitionen. Bereits vor 37 Jahren erstellte das Psychologenpaar Kleinginna und Kleinginna (1981) eine Übersicht der Definitionen des Wortes Emotion. Mehr als hundert Begriffserklärungen wurden hierbei dokumentiert und im Laufe der Jahre sind etliche dazu gekommen (vgl. Krohne & Tausch, 2014 nach Kleinginna & Kleinginna 1981, S.9). Die Begriffsvielfalt des Terms Emotion lässt eine erste Problemstellung antizipieren. So hält Schmidt-Atzert (2009) fest, dass eine „..allgemein anerkannte Emotionsdefinition“ (Schmidt-Atzert, 2009, S.571) nicht vorhanden ist und bezieht sich dabei auf den emotionspsychologischen Diskurs, der noch keinen hinlänglichen Konsens bezüglich der Definition von Emotionen verzeichnen konnte (vgl. u.a. Shumann & Scherer 2014, Plass & Kaplan 2016, Santos 2016). Darüber hinaus finden sich semantische Verwandtschaften wie Befindlichkeit, Empfinden, Laune, Affekt , Stimmung und Gefühle. Dieses semantische Konvolut erschwert die sprachliche Präzision. Das Digitale W ö rterbuch der deutschen Sprache (DWDS), beheimatet an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft (BBAW), verortet den Begriff Emotion etymologisch wie folgt:

„ Emotion f. ‘ Aufregung, Gemütsbewegung ‘, Entlehnung (um 1700) von gleichbed. frz. é motion, bis ins 19. Jh. auch ‘Volksbewegung, Empörung’ (daher im Dt. ebenfalls gelegentlich in diesem Sinne). Frz. é motion, mfrz. esmotion ist nach dem Vorbild von frz. motion, afrz. mocion ‘Bewegung’ (lat. mōtio, zu lat. movēre, mōtum ‘bewegen, erregen, erschüttern’) gebildet zu frz. é mouvoir, afrz. esmovoir ‘in Bewegung setzen, erregen’, aus lat. exmovēre, Nebenform von häufigerem lat. ēmovēre ‘hinaus-, wegschaffen, entfernen, erschüttern’. Emotional Adj. ‘aus Emotionen folgend, gefühlsmäßig’ (Ende 19. Jh.)“.22

Bereits 1730 ist der Begriff Emotion in Großbritannien zugegen, tritt allerdings im deutschsprachigen Raum erst ein Jahrhundert später in den Sprachgebrauch. Neben dem Bedeutungsstrang Gem ü tsbewegung wird im Universal-Lexikon Heinrich Pierers (1835) auf die Semantik Aufstand verwiesen. Hierbei bezieht sich der Verfasser auf den, bis in die Gegenwart vorrangig in Frankreich, sprachlichen Usus soziale Unruhen als ‘émeutes‘ zu deklarieren und in eine semantische Relation mit dem Lemma ‘émotions‘ zu setzen (vgl. Frevert, 2011, S. 29). Die diachrone Entwicklung der Lexika-Einträge der „Gefühlsnomenklatur“ (ebd., 2011, S. 29) wird im Kap. 4.3 beschrieben. Dem Luxuslehnwort23 Emotion ist im deutschen Äquivalent der Wortstamm Bewegung inhärent. Als bewegend lässt sich auch der Diskurs beschreiben, der je nach wissenschaftlichen Habitat (die Bandbreite reicht u.a. von der Emotionspsychologie, der Neurowissenschaft , der Soziologie, der Philosophie24 bis hin zur Historischen Anthropologie) Emotionen unterschiedlich konzeptualisiert (vgl. Klika, 2018, S. 83). Der Umfang der Arbeiten, die in diesen Disziplinen entstanden sind, ist so umfassend, dass dieser für die Erwachsenenpädagogik nicht „einzuholen“ (Gieseke, 2007, S. 49) ist. Laut Klika (2018) ist den europäischen Diskursen hierbei eine „eigentümliche Dualität“ (ebd., 2018, S.83) anhaftend: „Emotionen erscheinen im Inneren des Menschen gleichsam „raumlos“, können aber auch durch das Verhalten für andere sichtbar werden. Postuliert wird hier eine Differenz zwischen den immateriellen psychischen Prozess und jenen materiellen des Körpers bzw. Leibes. (...)“ (ebd. , 2018, S. 83f.). Diese Dichotomie ist bis in die Gegenwart Gegenstand vieler Diskurse und kann als „ein zentrales epistemologisches Problem“ (Wulf, 2014, S. 114) beschrieben werden. Einigkeit herrscht in zahlreichen Emotionstheorien darüber, dass menschliche Neugeborene mit einer „bestimmten emotionalen Grundausstattung zur Welt kommen“ (Engelen, 2012, S.42). Ferner besteht weitestgehend Konsens darüber, dass „kulturelle Einflüsse zur Veränderung und Formung dieser angeborenen Anlagen beitragen“ (ebd. , 2012, S. 42). Je nach Emotionstheorie divergiert der Anteil des sozio-kulturellen oder biologisch-determinierten Einflusses auf die Emotionalität. Trotz dieser konnotativen Heterogenität lassen sich bezüglich der definitorischen Zugänge Überschneidungen extrahieren. Nach Hascher und Brandenberg (2018) weisen demnach zahlreiche Definitionen folgende Charakteristika auf:

„(1) Emotionen sind Gefühlsregungen, die sich meist auf einen Auslöser zurückführen lassen und daher relativ konkret bestimmbar und beschreibbar sind, z.B. Freude über einen Erfolg oder Angst vor einer Leistungssituation. (2) Emotionen sind ein Ausdruck subjektiver Bewertung und Bedeutungszuschreibung. Deshalb werden sie auch als „hot cognitions“ bezeichnet. Weist eine Situation keine persönliche Relevanz auf, dann entstehen in der Regel auch keine Emotionen; die Situation lässt einen „kalt“. (3) Werden Emotionen erlebt, dann rückt dies den Zustand einer Person in den Mittelpunkt des Bewusstseins. Emotionen begleiten unser Denken, Handeln und Tun“ (Hascher & Brandenberg, 2018 nach Hascher & Hagenauer 2011, S. 291, Herv. i. O.).

Innerhalb der Emotionspsychologie werden Emotionen u.a. mittels sogenannter Mehrkomponenten-Modelle (u.a. Izard 1999, Scherer 2009; Frenzel & Stephens 2011, Shumann & Scherer 2014) in folgende fünf Komponenten unterteilen (Abbild 2):

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Abbildung 2: F. Rauschert nach Izard (1999)

Es besteht in der Emotionspsychologie (weitestgehend) Konsens darüber, dass Emotionen aus mehreren Komponenten bestehen. Die Gewichtung der jeweiligen Komponente variiert allerdings je nach theoretischem Modell (vgl. Mitmannsgruber, 2003, S.17). Per definitionem sind Emotionen subjektiv und daher auch nicht objektiv erfassbar. Die Frage, was eine Person in einer spezifischen Situation fühlt, kann nur die Person selbst beantworten (subjektive Komponente auch affektive Komponente). Die kognitive Komponente nimmt Bezug auf die Repräsentation der intraindividuellen Bedeutung oder Relevanz eines Aspekts der aufgefassten Welt. Die expressive Komponente befasst sich mit der Frage, in welcher Art und Weise Emotionen ihren Ausdruck finden (Mimik / Gestik). (vgl. Mees, 2006, S.104-124). Die physiologische Komponente bezieht sich „einerseits auf die objektive Analyse möglicher Aktivierungen des autonomen und zentralen Nervensystems beim Erleben von Emotionen mit ihren Auswirkungen auf Eingeweide und Skelettmuskulatur, andererseits auf die von der erlebenden Person subjektiv wahrgenommen körperlichen Veränderungen“ (ebd. , 2006, S. 107). Diese Komponente lässt sich objektiv messen. Der Blutdruck, die Herzfrequenz oder Veränderungen in der Konzentration der Hormone sind hierfür Indikatoren (vgl. Brandstätter, Schüler, Puca & Lozo, 2018, S. 168). Götz (2017) präzisiert die körperliche Komponente am Beispiel der Angst:

„Im Fall der Angst erhöhen sich .. Herzrate, Hautleitfähigkeit und Muskeltonus, die Pupillen weiten sich, die Atmung wird flacher und die Blasen-, Darm – und Magentätigkeit werden gehemmt. (...) Nicht nur im Körper des Betroffenen (peripher), sondern auch in dessen Gehirn (zentralnervös) spielen sich solche physiologischen Prozesse ab“ (Götz, 2017, S. 20).

Die motivationale Komponente fokussiert die Bereitschaft des Handelns. Motivation ist eine Bedingung für Emotionsentstehung. In Abgrenzung zu Emotionen wird bei der Motivation „der Zeitpunkt der Objektbezogenheit“ (Geppert & Kilian, 2018, S.38) als Unterscheidungsmerkmal herangezogen. „Richtet sich der Bezug auf zukünftige Ereignisse, so spricht man von Motivation. Dass dies jedoch nicht so einfach ist, zeigen ... Befunde, wonach Motivation bereits eine Komponente von Emotion darstellt und deshalb die Trennung nicht so einfach vollzogen werden kann“ (ebd., 2018, S. 238). Götz (2017) erkennt in der motivationalen Komponente25 den „. evolutionspsychologischen „Sinn“ von Emotionen“ (Götz, 2017, S. 22, Herv. i. O.): Emotionen gewährleisten durch adaptives Verhalten das menschliche Überleben (vgl. Götz, 2017, S. 22).

Das Zusammenwirken der fünf Komponenten lässt sich durch ein Beispiel skizzieren: Im Kontext der betrieblichen Weiterbildung wird in einem Unternehmen XY die Teilnahme implizit erwartet und bietet somit den N ä hrboden für defensive Lernbegründungen. Das Zertifikat erhalten die Teilnehmenden bei einer erfolgreich abgeschlossenen Abschlussprüfung. Ein Adressat hat Prüfungsangst. Diese Angst zeigt sich möglicherweise darin, dass er in Sorge bezüglich des Bestehens der Prüfung ist (kognitive Komponente), er fühlt sich nervös und mulmig (subjektive/affektive Komponente), um die Prüfung zu bestehen lernt der Adressat ausgiebig (motivationale Komponente), er weist einen erhöhter Puls auf (physiologische Komponente) und zeigt einen angespannten und besorgten Gesichtsausdruck (expressive Komponente). Doch auch wenn das Komponenten-Modell einen Überblick über die Bauteile der Emotionalität bietet, ist zu bedenken, dass „die unterschiedlichen Emotionskomponenten z.T. erheblich dissoziieren“ (Geppert & Kilian, 2018, S. 169) und bislang noch keine Studien vorhanden sind, die sämtliche Komponenten inkludierten (vgl. Fontaine, Scherer, Roesch & Ellsworth, 2007, S. 1050). Ein linearer Rückschluss von Mimik und Gestik auf emotionales Empfinden von Adressaten und Adressatinnen ist nicht zulässig. Zudem zeigen spezifische Gefühle (z.B. Trauer und Freude) keine spezifisch körperliche Manifestationen (vgl. ebd., 2018, S. 169).

Broda und Borcsa (2018) beziehen sich (ebenso aus psychologischer Perspektive) auf die Dichotomie der Emotionen, in dem sie zwischen „Grundemotionen (auch Basis-und Primäremotionen / basic emotions)“ (Broda & Borcsa, 2018, S. 16) und „sekundäre[n] Emotionen (auch komplexe Emotionen)“ (ebd., 2018. S.16) differenzieren. Bei Grundemotionen ist von „Emotionsqualitäten [auszugehen], die sich über Kulturen hinweg in einem ähnlichen Ausdruck und Erleben manifestieren (ebd., 2018, S. 16). Nach Reischies (2007) umfassen den „Kanon von zentralen Emotionen .. Angst, Aggression, und Traurigkeit/Bedrücktheit. Überraschung und Ekel kommen dazu; sie sind mimisch und subjektiv sicherlich als unverwechselbare Emotionen zu charakterisieren, aber sie werden von vielen als zu kurzdauernd und einfach angesehen, als dass sie zu den wichtigsten Emotionen gezählt werden könnten“ (Reischies, 2007, S. 213). Diese „primäre[n] Emotionen“ (Damasio 1994, S. 133), synonym verwendet für „affektive Reaktionen“ (von Scheve, 2009, S. 87), „übernehmen aus evolutionärer Sicht bedeutende Funktionen für die Homöostase, die Integrität des Organismus und die (soziale) Verhaltenskontrolle und sind entscheidende Komponenten einer emotion proper. Sie zeichnen sich durch eine automatische, unbewusste und überaus schnelle Verarbeitung aus“ (ebd., 2009, S. 87, Herv. i. O.). Die bereits genannten vier Grundemotionen werden zu dem „unterteilt und ausdifferenziert, z.B. die Angst in konkrete Furcht und diffuse Ängstlichkeit, die Aggression in rivalisierende Aggression und Beutefangverhalten, Freude in Stolz, Zufriedenheit, Lust, Befriedigung, etc“ (Reischies, 2007, S. 213). Broda und Borcsa (2018) verwenden hierfür den Terminus „sekundäre Emotionen“ (Broda & Borcsa, 2018, S.16), die durch „soziale Interaktionen, Lernprozesse und kulturelle Werte geprägt (z.B. Stolz oder Scham)“ (ebd., 2018, S.16) werden. Bezüglich des „Universalisierungsanbruch der basic emotions “ (Huber, 2018, S. 94), der oftmals in der Kritik steht, lässt sich konkordant feststellen, „dass es basale somantische Reaktionen, sogenannte „core affects“ gibt“ (ebd., 2018 nach Barrett 2015, S. 94; Herv. i. O.). Izard (1994), der Emotionen mittels einer differenziellen Emotionstheorie26 beschreibt, unterscheidet „zehn fundamentale Emotionen (Interesse – Erregung, Vergnügen – Freude, Überraschung – Schreck, Kummer – Schmerz, Zorn – Wut, Ekel – Abscheu, Geringschätzung – Verachtung. Furcht – Entsetzen, Scham/Schüchternheit – Erniedrigung, Schuldgefühl – Reue), Triebe, Körperempfindungen (Hunger, Durst, Müdigkeit – Schläfrigkeit, Schmerz, Sexualität), affektiv-kognitive Strukturen der Orientierungen (Introversion – Extroversion, Skeptizismus, Geltungsbedürfnis, Vitalität, Ruhe / Gelassenheit) sowie Affektinteraktionen (Emotion und Emotion, Emotion und Trieb, Emotion und affektiv-kognitive Strukturen ...)“ (Gieseke, 2007 nach Izard 1999, S. 50).

Doch wie entstehen Emotionen? In der kontemporären Psychologie ist die Einsch ä tzungs - oder Bewertungstheorie (engl. appraisal theory) bestimmend (vgl. Reisenzein, 2018 nach u.a. Ortony, Clore & Collins 1988; Lazarus, 1991; Scherer 2001; Moors, Elsworth, Scherer & Frijda, 2013, S. 82). Die Einsch ä tzungstheorie variiert hierbei in diversen Nuancierungen. Axiomatisch für alle Derivate der Einsch ä tzungstheorie ist, dass Emotionen anhand spezifischer Kognitionen bzw. Einschätzungen (appraisals) von Gegebenheiten evoziert werden (vgl. Huber, 2018, S. 82):

„Die Einschätzung eines Sachverhaltes bestimmt (1), ob der Sachverhalt eine Emotion hervorruft oder nicht, (2) welche Emotionen er hervorruft und (3) mit welcher Intensität. Einschätzungen umfassen zwei Arten von Kognitionen: Faktische Kognitionen (Tatsachen ü berzeugungen) und evaluative Kognitionen (Wert ü berzeugungen). Im einfachsten Fall sind die (1) der Glaube, dass ein Sachverhalt sicher vorliegt oder möglicherweise vorliegen könnte und (2) die Bewertung des Sachverhaltes als positiv oder negativ Ebenso axiomatisch innerhalb der Einschätzungstheorie ist, dass „Menschen zielgesteuerte Lebewesen sind, d.h. Lebewesen, deren Verhalten und Ziele (mentale Repräsentationen von gewünschten Zuständen) initiiert und gesteuert wird“ (ebd., 2018 nach u.a. Spinath 2009; Reisenzein 2009; Micel & Castelfranchi 2015). Damit die intentionale Motivation und Regulierung von Handlungsschemata Wirkung entfalten können, ist es erforderlich, periodisch Auskünfte über den (Miss-)Erfolg bei dem Erreichen von Zielen einzuholen. Dies bezieht sich nicht nur auf aktuelle Ziele, sondern auch zukunftsrelevante Ereignisse werden unter der Prämisse der Ziel- und Wunschrealisierung betrachtet (vgl. ebd., 2018, S. 83). Der Mechanismus der Einschätzung „dient aus dieser Perspektive betrachtet dazu, den Vergleich von wahrgenommenen Sachverhalten mit den Wünschen und Zielen der Person auf einer vorbewussten Ebene der Informationsbearbeitung kontinuierlich und automatisch durchzuführen“ (ebd., 2018 nach Reisenzein 2009, S. 83). Die Einsch ä tzungstheorie wird durch eine Vielzahl empirischer Analysen gestützt (vgl. Reisenzein & Horstmann 2018, S. 441f.)

[...]


1 u.a. Johann F. Herbart prägt den Begriff „pädagogisches Geschäft“ (Herbart, 1873, S. 579).

2 Der terminus technicus Komplexit ä tsreduktion ist Teil Luhmanns Systemtheorie [„Soziale Systeme (1984)]: Luhmanns Theorie vertritt die Position, dass die Umwelt eines Systems durch höhere Komplexität konstituiert ist als das System an sich. Als komplex versteht Luhmann „eine zusammenhängende Menge von Elementen.., wenn auf Grund immanenter Beschränkung der Verfügungskapazität der Elemente nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann“ (Luhmann, 1984, S. 46). „Von Reduktion von Komplexität sollte man .. in einem engeren Sinne immer dann sprechen, wenn das Relationsgefüge eines komplexen Zusammenhangs durch einen zweiten Zusammenhang mit weniger Relationen konstruiert wird“ (Luhmann, 1984, S. 49).

3Silodenken – das heißt eine Denkhaltung und Verhaltensweisen, die alles in separate und voneinander isolierte Schubladen einsortiert, wodurch die ... Lösung hochkomplexer Probleme verhindert wird“ (Costa, 2010, S.145, Herv. F.R.).

4 George Orwells 1948 erschienener Roman »1984« (»Nineteen Eighty-Four«) schildert die dystopische Zukunft eines totalitären Überwachungsstaats.

5 „Wenn nämlich die Worte allein den Menschen tugendhaft machen könnten, so würden sie wohl mit Recht nach Theognis vielen und großen Lohn davontragen, und man müßte sich solche Reden beschaffen. Nun aber scheint es, daß sie zwar die Kraft haben, die edelgearteten unter den jungen Leuten zu ermahnen und anzuspornen und einen vornehmen und wahrhaft das Schöne liebenden Charakter an die Tugend zu fesseln; die große Menge aber vermögen sie nicht dahin zu bringen“ (Aristoteles 1179b).

6 „Denn alle Neigungen und jeder sinnliche Antrieb ist auf Gefühl gegründet, und die negative Wirkung aufs Gefühl (durch den Abbruch, der den Neigungen geschieht) ist selbst Gefühl“ (Kant, 1787, S.129) Ausschüttung des Hormons Cortisol7), treten Emotionen in Erscheinung, die in enger Interferenz mit Verhalten stehen (vgl. Hirschenhauser, 2018, S. 197).

7 „Cortisol ist von großer Bedeutung in der psychophysiol. Emotions- und Stressforschung, weil es einfach und präzise im Plasma, Urin und Speichel nachgewiesen werden kann. Zahlreiche Untersuchungen .. an gesunden und kranken Probanden ergaben, dass alle Arten von Stressoren zu erhöhter C.-ausschüttung führen“ (Häcker & Stapf, 2009, 186).

8 „This guide will be a useful tool, so that adult trainers can improve the competences needed in the emotional work towards their learners, giving pedagogical guidelines on active listening, emotional discharge and other strategies to work with adult groups about the oppressions and mistreatment they receive and that are perpetuated by them“ Online verfügbar unter: (https://www.permaculturacantabria.com/emotions-iceland/). Zuletzt aufgerufen am 22.11.2019. Der Leitfaden ist unter: https://hringsja.is/eatrain/docs/IO2_Final_Version_Teaching_Unit_English_Version_Icelandic_204.pdf zugänglich. Zuletzt aufgerufen am 22.11.2019.

9 Pekrun bezieht sich bei seinem Leistungsbegriff v.a. auf Schul leistung (vgl. Zimmermann & Spangler, 2001, S. 461ff., Herv. F. R.). Weiterführend zu Leistung im Kontext der Erwachsenbildungsforschung u.a. Eckert (2018). Arnold (2002) kritisiert u.a. den bildungspolitisch geprägten Begriff Leistung und erstellt eine Diagnose einer „Lernkultur der Wissensmast“ (Arnold, 2002, S. 45). Bildungspolitik Steuerungsgrößen wie „Leistung“ (ebd., 2002, S. 9) zentriert, „ohne zu erkennen, dass dieses Steuern ohne eine tiefe Vorstellung von seelischer Gesundheit einerseits und humanen gesellschaftlichen Bedingungen andererseits substanzlos bleiben muss (ebd., 2002, S. 9).

10 Einen vertiefenden Einblick in die Theorie der Interesse bietet Grotlüschen (2010).

11 Epistemische Emotionen werden durch die kognitiven Eigenheiten und die damit verbundene Informationsverarbeitung einer Aufgabe evoziert (vgl. Pekrun, Vogl, Muis & Sinatra, 2017, S. 1268ff). Mehr dazu unter Kap. 6.1. Die lernzentrierte Emotion Verwirrung wird im Kap. 6.3. näher beschrieben.

12Stimmungskongruenter Abruf beinhaltet, das Material leichter abgerufen werden kann, wenn es die gleiche Valenz wie die jeweilige Emotion .. hat. So kann Freude den Abruf von optimistischen Leistungserwartungen fördern, während negative Emotionen eher Misserfolgserwartungen begünstigen“ (Pekrun, 2018, S. 220, Herv. i. O.).

13Abrufinduziertes Vergessen bedeutet, dass ein Praktizieren (Abrufen) von Lernmaterial den späteren Abruf von assoziiertem Material beeinträchtigt, das nicht praktiziert worden ist, vermutlich als Folge von Hemmungsprozessen in Gedächtnisnetzwerken. Abrufinduziertes Vergessen ist typisch für Lernmaterial, das aus isolierten Einzelelementen besteht“ (ebd., 2018, S.220, Herv. i.O.).

14Abrufinduzierte Ged ä chtnisst ä rkung hingegen beinhaltet, dass der Abruf eines Teils des Materials den späteren Abruf auch für das nicht praktizierte Material erleichtert; dies geschieht bei Material, dessen Elemente untereinander stärker vernetzt sind, also z.B. bei kohärenten Texten“ (ebd., 2018, S.220, Herv. i. O).

15 siehe hierzu auch Kap. 4.2.

16 Übersetzung aus dem Englischen: F.R.

17 „Der Deutsche Bildungsserver ist ein Gemeinschaftsservice von Bund und Ländern. Sitz der koordinierenden Geschäftsstelle des Deutschen Bildungsservers ist das DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main und Berlin. Das Institut ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Der Deutsche Bildungsserver wird in Kooperation mit dem Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU), Grünwald, angeboten“ (https://www.bildungsserver.de/Impressum-59-de.html).

18 Anbieter des Fachportals P ä dagogik ist das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformationen (DIPF) in Frankfurt am Main. (vgl. https://www.fachportal-paedagogik.de/impressum.html).

19 „ERIC indexes a wide variety of non-journal sources, including work produced or funded by the U.S. Department of Education, other federal departments; state or local agencies; university affiliated programs; policy organizations; research and non-profit organizations, state and district research offices; federal technical assistance providers; professional associations; international or foreign organizations; book publishers; commercial publishers; institutional repositories; and user submissions“ (https://eric.ed.gov/?nonjournals). (1999) verwendet hierfür die Phrase „Accordion Path of Scholarship“ (Huff, 1999, S. 19), in dem sie die Transition der Triangulation Fokussierung – Forschung – Dokumentation darlegt.

20 „Das GRETA-Kompetenzmodell bildet erwachsenenpädagogische Kompetenzaspekte, Kompetenzbereiche und Kompetenzfacetten ab, die für eine Lehrtätigkeit bzw. für professionelles Lehrhandeln relevant sind. Es wurde im Projekt GRETA vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Lebniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. (DIE) in Zusammenarbeit mit acht beteiligten bundesweiten Träger- und Berufsverbänden der Erwachsenen- und Weiterbildung in Deutschland entwickelt“ (Strauch et. al., 2019, S. 1).

21 Die Zeitschrift emotion erscheint monatlich seit 2006. Herausgeber ist der Emotion Verlag Gmbh (Hamburg). Online verfügbar: https://www.emotion.de/mediadaten/zielgruppe-3964 [zuletzt aufgerufen: 19.11.2019].

22Emotion “, In Pfeifer, W. (1993) Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, digitalisiert und von Pfeifer, W. überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, [https://www.dwds.de/wb/Emotion], aufgerufen am 28.08.2019].

23 Luxuslehnwort: Unter solchen Lehnwörtern werden Lexeme verstanden „ die aufgenommen wurden, ohne dass ein materielles Bedürfnis vorlag und .. einheimische Synonyma zur Genüge vorhanden waren“ (Tappolet, 1913, S.5

24 „Besonders der Philosophie hatte man im letzten Jahrzehnt noch vorgeworfen, die Emotionen aus den eigenen Gedankengebäuden auszulassen und damit praktisch einen wesentlichen Handlungsaspekt und sinnstiftenden Teil des Menschen auszublenden. Das kann jetzt nicht mehr behauptet werden“ (Gieseke, 2012, S. 60).

25 Zur Polarität Emotion und Motivation siehe Kap. 6.5.

26 „Die differenzielle Emotionstheorie definiert Emotion als einen komplexen Prozess mit neurophysiologischen, neuromuskulären und phänomenologischen Aspekten Auf der neurophysischen Ebene ist Emotion primär definiert als Muster elektrochemischer Aktivitäten im Nervensystem, speziell im Kortex, im Hypothalamus, in den Basalganglien, im limbischen System, im Nervus facialis und im Nervus trigemus“ (Izard, 1994, S. 67) „Auf der phänomenologischen Ebene ist Emotion im Wesentlichen motiviertes Erleben und ein Erleben, das unmittelbar Sinn udnd Bedeutung für die Person hat. Das Emotionserleben kann ein Prozeß im Bewußtsein darstellen, der von Kognition völlig unabhängig ist“ (Izard 1994, S.68). je nachdem, ob er mit den Wünschen der Person (auch als Motive, Anliegen oder Ziele bezeichnet) übereinstimmt oder nicht“ (ebd., 2018 nach Arnold 1960, S. 82).

Ende der Leseprobe aus 103 Seiten

Details

Titel
Emotionalität in Lehr-Lernsituationen. Einfluss auf die Erwachsenenbildung
Untertitel
Eine theoretische Reflexion
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Erwachsenenbildung & Weiterbildung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
103
Katalognummer
V590962
ISBN (eBook)
9783346187284
ISBN (Buch)
9783346187291
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eine, einfluss, emotionalität, erwachsenenbildung, lehr-lernsituationen, reflexion
Arbeit zitieren
Florian Rauschert (Autor:in), 2020, Emotionalität in Lehr-Lernsituationen. Einfluss auf die Erwachsenenbildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/590962

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