Leseprobe
Inhalt
Einleitung
Die Missionsgesellschaften
Stärkende Einflüsse
Schwächende Einflüsse
Fazit
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
Deutsch-Südwestafrika stellt ein zwar forschungsliterarisch weniger rezensiertes, dafür umso kontroverser zu diskutierendes Kapitel der deutschen Geschichte dar. Bedingt durch die Besonderheiten in der Geographie und den Umgang der Kolonialverwaltung mit der Kolonie nimmt dieses eine spezielle Position in der deutschen Geschichtsschreibung ein und erscheint schwer zu bewerten. Viele Gruppen aus Kolonialverwaltung, Siedlern, Unternehmer, indigenen Bevölkerungsgruppen, Militär und Missionen trafen aufeinander. Es wurden hochgradig fragwürdige Entscheidungen getroffen, die es schwierig machen, eine klare Aussage über den Erfolg oder Misserfolg der kolonialen Verwaltung zu treffen.
Bereits der Seminartitel impliziert die ungewisse Bilanz, welche aus der kolonialen Tätigkeit des Deutschen Reiches in Deutsch-Südwestafrika zu ziehen ist. Zu ambivalent sind die Strukturen, Probleme und das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure vor Ort. Es fällt häufig schwer, in Anbetracht der vielen verschiedenen Interessensgemeinschaften mit ihren individuellen Absichten herauszukristallisieren, ob diese eher begünstigend oder hemmend auf die Stabilität der Kolonie gewirkt haben. Eine allgemeine Zusammenfassung ist im Ausmaß dieser Untersuchung weder sinnvoll noch zielführend, vielmehr wird sich auf einen Akteur konzentriert. Es soll untersucht werden, ob und inwieweit die Missionsgesellschaften zur Stärkung oder Schwächung der deutschen Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika beigetragen haben.
Die Missionsgemeinschaft stellt einen sehr frühzeitig agierenden und prinzipiell unabhängigen, de facto aber kooperativen Partner der Kolonialverwaltung dar. Während viele andere der beteiligten Gruppen wirtschaftliche oder politische Ziele verfolgten, war das deklarierte Engagement der Missionsgesellschaften auf die indigenen Bevölkerungsgruppen und deren Missionierung ausgerichtet. Interessant ist nun zu untersuchen, in welchem Ausmaß an diesem Ziel festgehalten wurde, sobald das Wohl dieser Menschen durch die Kolonialverwaltung gefährdet wird und welche Konsequenzen daraus entstehen. Gegenstand der Untersuchung sind die Jahresberichte der Rheinischen Missionsgesellschaft. Hierbei handelt es sich zwar um Eigendarstellungen, welche aus bestimmten Perspektiven und Weltanschauungen heraus verfasst wurden, allerding sind die Quellen umfassend und in der Regel von Zeitzeugen verfasst, weshalb die Interpretation selbiger unter Berücksichtigung einiger Einschränkungen zielführend ist.
Die Missionsgesellschaften
Nach ihrer Entstehung um die 1820er Jahre fasste die Rheinische Missionsgesellschaft als eine der ersten deutschen Missionen um 1840 Fuß in Deutsch-Südwestafrika. Nachdem bereits seit den 1830 Jahren in der Kapkolonie Missionsarbeit unternommen wurde, beschloss die Generalversammlung der Rheinischen Mission, auch die Gebiete der Nama und Hererostämme zu missionieren. Im März des Jahres 1841 Sie unterhielt dort zunächst kleinere Stationen, die im Laufe der Zeit ausgebaut und erweitert wurden. Hier fand unter anderem Unterricht und Dialog mit den Indigenen statt. Das erklärte, primäre Ziel „war und blieb aber die Verbreitung des Christentums.“1 Weitere Missionsgesellschaften folgten in den darauffolgenden Jahren.
Die Auswirkungen und der Einfluss der Stationen hingen unter anderem mit ihrem Standort zusammen. So lieferte die Mission in Windhuk eindrucksvolle Zahlen von 937 getauften Gemeindemitgliedern und über 400 Unterrichtsteilnehmende im Namagebiet.2 Die meisten anderen Gemeinden verfügten nicht über derartige Ausmaße, hier wird von 20-40 Kindern im Unterricht berichtet.3
Im späteren Verlauf der kolonialen Besetzung gewann auch die katholische Mission an Einfluss. Diese pflegte eine eher handwerklich orientierte Ausbildung, gewann aber nicht denselben Stellenwert unter den indigenen Bevölkerungsgruppen wie die Rheinische Missionsgesellschaft. Dies hielt beide aber dennoch nicht davon ab, sich einem nicht unerheblichen Konkurrenzkampf hinzugeben.
Mit dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft in Südwestafrika wandelten sich die Aufgaben der Missionsgemeinschaften. Zwar wurde deren Engagement damit nicht beendet, aber fortan trugen sie neben ihren Missionstätigkeiten zusätzlich Sorge, das „Deutschtum“ weiter zu erhalten und die ansässigen Siedler mit ihrer Gemeindearbeit zu betreuen.4
Stärkende Einflüsse
Die grundsätzlich unterstützende Haltung, insbesondere der Rheinischen Missionsgesellschaft, ist schwer zu übersehen. Bereits seit Beginn von Lüderitz‘ Unternehmungen unterstützen und befürwortete sie diese.5 Auch der Wunsch nach einer einheitlichen Herrschaft und die patriotische Nähe zum Mutterland machte es leicht, Partei zu ergreifen und die kolonialen Bemühungen zu unterstützen.
Neben ihrer missionarischen Tätigkeit gingen die Missionare auch Amtshandlungen nach. Diese umfassten neben der Trauung hauptsächlich die Taufe, aber auch andere Aufgaben fielen in ihren Bereich. So berichtet ein Missionar von Land, welches an die indigenen Bevölkerungsgruppen verpachtet wird.6 Insofern ist davon auszugehen, dass die Mitglieder der Mission lokale Experten waren. Versiert in der Kenntnis der Probleme und Sorgen der indigenen und ihrer Sprache mächtig, stellten sie eine verlässliche Quelle für die Kolonialverwaltung dar, wenn es um Anliegen der Bevölkerung ging. Die Taufen und Gemeindezählungen bildeten ab, in welchem Ausmaß sich Menschen in den Missionsgebieten versammelten. Zudem war die Mission bestrebt, die Stämme zur Sesshaftigkeit zu bewegen. Dies und die Bevölkerungsdaten hatten sowohl strategisch-militärische als auch verwaltungstechnische Vorteile. Ob die Daten allerdings im nötigen Maße ausgetauscht wurden, ist fraglich, wie beispielsweise die Entwicklung des Aufstandes zeigt. Nichtsdestotrotz war es den kirchlichen Vertreterinnen und Vertretern der Rheinischen Mission möglich, die Stimmung der Bevölkerung aufzunehmen, weiterzuleiten und in gewissem Maße zu beeinflussen.
Außerdem herrschte in vielen Punkten Übereinstimmung mit den Zielen der Regierung und der Rheinischen Mission. So war die Regierung bestrebt, die Mischehen zu verhindern und deren Aufkommen zu verringern. Diese Position entsprach auch der der Missionsgesellschaft, sodass die Missionare in diesem Fall dabei halfen, die Erlasse der Regierung durchzusetzen.7 Sowohl die öffentliche Befürwortung als auch die Weigerung, entsprechende Ehen zu vollziehen, waren höchstwahrscheinlich im Sinne der Regierung. Ob dies eine tatsächliche Stärkung letzterer bzw. der Kolonie an sich zur Folge hatte, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Zwar bewirkte eine lokale Unterstützung der Kolonialverwaltung und ihrer Maßnahmen sicher eine verbesserte Durchsetzungskraft, allerdings war diese nur sehr punktuell. Es ist auf jeden Fall zu hinterfragen, ob das Mischehenverbot überhaupt eine Auswirkung auf die Bevölkerung und deren Zusammenleben gehabt hat, zumal nicht einmal klar ist, inwieweit die Missionare dieser Maßnahme tatsächlich Folge geleistet haben. Insofern lässt sich eine grundsätzlich verstärkende Haltung zwar diagnostizieren, deren Wirkung wird sich allerdings nicht signifikant gezeigt habt.
Dennoch erschien der Einfluss der Missionsstationen sich dahingehend auszuwirken, dass eine regierungsfreundlichere Position von den Missionierten vertreten wurde. Dies zeigt sich an einem Beispiel, in dem die Stämme um eine Station herum den Aufständen anschließen, während die Missionsgemeinde selbst der Regierung treu blieb.8
Auch die Tatsache, dass die Missionen das Erlernen der deutschen Sprache förderten und aktiv gestalteten wirkte sich positiv auf die Verwaltung der Kolonie aus. Dies erleichterte die Kommunikation der deutschen Siedler oder Soldaten mir den indigenen Bevölkerungsgruppen erheblich. Zwar sind diese Erfolge nicht explizit herausgestellt, aber der Fortschritt der Lernprozesse wird in den Jahresberichten vielfach dokumentiert. Hier ist allerdings zu erwähnen, dass großteils die Kinder unterrichtet wurden, welche nicht zu den primären Adressaten der Kolonialpolitik gehörten. Außerdem ist erneut zu berücksichtigen, in welchem begrenztem Ausmaß die Mission tätig war. Ob die Gesamtpopulation nach wenigen Jahren bereits merklich bessere Deutschkenntnisse aufwies, ist sicher zu bezweifeln, aber eine Verbesserung der Kommunikation wird stattgefunden haben. Diese konnte sich prinzipiell –selbst in geringem Ausmaß – nur positiv auf die Stabilität der Kolonie auswirken, da die Sprachbarriere ein signifikantes Problem darstellte.
Eine eventuell leicht unterschätzte Tätigkeit der Missionare stellte die Seelsorge an den deutschen Truppen in Deutsch-Südwestafrika dar. Die Patres sorgten bei den stationierten Truppen mit ihren Gesprächen für Aufarbeitung der Einsätze, was in der damaligen Zeit einer psychologischen Betreuung der Soldaten am nächsten kam.9 Sowohl die militärischen Forschungen der Moderne als auch medizinische Erkenntnisse validieren den hohen Stellenwert der Psychologen im militärischen Einsatz, insbesondere bei Auslandseinsätzen. Im selben Kontext sollte auch die medizinische Unterstützung durch Lazarettarbeit erwähnt werden. Hier nennen die Berichte zwar keine Zahlen, aber es ist davon auszugehen, dass die medizinische Versorgung die Verluste mindern konnte oder zumindest der Truppenmoral dienlich sein konnte. Gerade ein Herrschaftssystem, was sich auf Ordnung durch Gewalt und nicht durch Kooperation verlässt, ist auf eine einsatzfähige, schlagkräftige und gesunde Armee angewiesen, zu welcher die Anstrengungen der Missionsgesellschaft beigetragen haben.
Eine besondere Rolle kam den Missionaren bei der Verhandlung mit den indigenen Stammesführern zu. Da die Missionare zum Teil bereits seit mehreren Jahren vor Ort waren, kannten sie sich mit den lokalen Gegebenheiten besser aus. Ihre Funktion als Lehrer und Prediger, welche eine Bühne gleichsam für Inhalte wie auch für Propaganda bot, erleichterte es, Einfluss auf die indigenen Bevölkerungsgruppen zu nehmen. Aus dieser Rolle heraus waren sie vor Ort die beste Wahl, um aus einer vermeintlich neutralen, aber, wie bereits gezeigt, pro-deutschen Position heraus zu verhandeln. Besonders die Kenntnis der Sprachen erleichterte die Kommunikation, ebenso wie die häufig bereits vorhandene Beziehung zu den lokalen Herrschern.
Während viele der bisherigen Punkte eher eine passive Verstärkung der deutschen Präsenz darstellten, nahm die Mission eine Schlüsselrolle in der Landnahme durch die deutschen Funktionäre ein. Diese begünstigten Vertragsabschlüsse mit den Deutschen, obwohl bereits Engländer in diesen Gebieten Propaganda gemacht hatten. Relevant ist hier auch das Argument des Stammesführers, der Kaiser habe bereits seit Jahren Missionare gesandt,10 obgleich dies nicht den Tatsachen entsprach. Somit erschein dieser vertraute Kontakt ein ausschlaggebendes Argument zu sein, den Deutschen den Vorzug gegenüber den Briten zu geben. Die Einflussnahme war damit allerdings noch nicht abgeschlossen. So nahm beispielsweise ein Missionar, obwohl er seine Unabhängigkeit beteuerte, Einfluss und signalisierte deutlich die Position, die er vertrat, indem er unmittelbar vor Vertragsabschluss offen sichtbar die Fahne des deutschen Reiches präsentierte. Engel spricht von „betrügerischen Geschäftspraktiken“ und konstatiert, die Rheinische Mission sei in den Ruf geraten, die Herero um ihr Land zu bringen.11
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1 Speitkamp: Kolonialgeschichte, S.91.
2 BArch R 1001/6461 Bl. 57.
3 BArch R 1001/6461 Bl. 59-60.
4 Engel: Missionsgesellschaft, S. 162.
5 Engel: Missionsgesellschaft, S. 143.
6 BArch R 1001/6461 Bl. 60f.
7 BArch R 1001/6461 Bl. 61.
8 BArch R 1001/6461 Bl. 64.
9 BArch R 1001/6461 Bl. 70-73.
10 Engel: Missionsgesellschaft, S. 144.
11 Ebd. S.145.