Antoni Tàpies gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler. Beeinflusst von den Dadaisten und den Surrealisten, von der mittelalterlichen katalanischen Mystik und den fernöstlichen Philosophien wie Zen, Yoga und Tantrismus, entwickelte der Katalane eine ihm ganz eigene Bildsprache.
Neben seinem schöpferischen Werk hat Antoni Tàpies eine große Anzal theoretischer Schriften verfasst, die einen tiefen Einblick in sein Verständnis von Kunst und ihrer Rolle in der Gesellschaft ermöglichen. Die vorliegende Arbeit versucht anhand seiner Schriften aus den Jahren 1955 bis 1974 das Kunstverständnis des Antoni Tàpies nachzuvollziehen und zu untersuchen, welche Rollen er dem Künstler und dem Betrachter innerhalb des künstlerischen Schaffens- und Wirkungsprozesses zuschreibt. Nach einem kurzen Überblick über sein Leben und seine künstlerische Entwicklung wird im Hauptteil der Arbeit eine Analyse seiner Texte vorgenommen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Leben und Werk Antoni Tàpies
3 Das Kunstverständnis des Antoni Tàpies
3.1 Vorbemerkung
3.2 Vom Wesen und der Aufgabe der Kunst
3.3 Die Rolle des Künstlers
3.4 Die Rolle des Betrachters
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Antoni Tàpies gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler. Er wird häufig als Künstler des Informel[1] bezeichnet, auch wenn er sich selbst keinesfalls auf eine Kunstrich-tung reduzieren lassen möchte[2]. Sein vielseitiges künstlerisches Werk umfasst sowohl Materialbilder, Graphiken, Buchillustrationen, Objekt-Assemblagen, keramische Skulpturen und Bühnenbilder. Tàpies Kunst versucht, die Spaltung zwischen Mensch und Kosmos aufzuheben[3].„Er liebt das hermetisch Verschlossene, Mystische, Dunkle, die Verrätselung, das, was sich jeder einfachen Lesart entzieht.“[4]
Beeinflusst von den Dadaisten und den Surrealisten, von der mittelalterlichen katalanischen Mystik und den fernöstlichen Philosophien wie Zen, Yoga und Tantrismus, entwickelte der Katalane eine ihm ganz eigene Bildsprache. Zentral im Schaffen von Tàpies ist der Umgang mit Textur und Materie. Dabei geht es ihm jedoch nicht um die Ästhetik der Materie, sondern um ihre magischen Eigenschaften und ihr Verwandlungspotential. Dadurch gelangt er zu einem Verständnis seines Werkes als einem Akt der Wahrnehmung der Welt, in der die Materie untrennbar mit dem dargestellten Bild verbunden ist[5].
Neben seinem schöpferischen Werk hat Antoni Tàpies eine große Anzahl theoretischer Schriften verfasst, die einen tiefen Einblick in sein Verständnis von Kunst und ihrer Rolle in der Gesellschaft ermöglichen. In der vorliegenden Arbeit möchte ich anhand seiner theoretischen Schriften aus den Jahren 1955 – 1974 das Kunstverständnis des Antoni Tàpies nachvollziehen, und untersuchen, welche Rollen er dem Künstler und dem Betrachter innerhalb des künstlerischen Schaffens- und Wirkungsprozesses zuschreibt. Dazu gebe ich zunächst einen kurzen Überblick über sein Leben und seine künstlerische Entwicklung, um dann in einem Hauptteil die Analyse der Texte vorzunehmen.
2 Leben und Werk Antoni Tàpies
2.1.1 Jugend
Am 13. Dezember 1923 als Sohn eines Rechtsanwaltes geboren verbringt Antoni seine gesamte Schulzeit in Barcelona[6]. Der spanische Bürgerkrieg bricht aus als er 13 ist. Er erlebt die Straßenkämpfe in Barcelona und später die Bombenangriffe aus nächster Nähe. Es sind Eindrücke die ihn sein Leben lang prägen. Schon als Kind ist er oft krank. Mit 18 Jahren muss er aufgrund eines Herz- und Lungenleidens mehrere Monate in einem Sanatorium in den Bergen Kataloniens verbringen. Er liest viel, beschäftigt sich u.a. mit Nietzsche und Schopenhauer[7]. Kurz darauf beginnt er zu zeichnen und denkt zum ersten Mal darüber nach Künstler zu werden.
2.1.2 Frühwerk
Ein Jurastudium, das er 1943 beginnt, bricht er ab, um sich ganz der Malerei zu widmen. Eine Kunstakademie besucht er nur kurz, er bleibt zeitlebens Autodidakt. Seine ersten Werke entstehen 1945 und sind stark vom Dadaismus geprägt. Es sind Zeichnungen und Gemälde von Christusfiguren und mystischen Wesen, sowie Collagen aus Kartons, Zeitungs- und Toilettenpapier, abgeschabten, zerbröckelten Materialien und verkohltem Holz. Zum Teil erinnern seine ersten Werke an infantile Kunst und die Kunst von Geistes-kranken. Ab 1947 entstehen hauptsächlich Porträts und Selbstporträts in perspektivischer Komposition, die verschiedene Symbole und kosmische Elemente enthalten[8], deutlich beeinflusst von surrealistischen Künstlern wie Miró, Klee oder Max Ernst.
Ein Jahr darauf gründet Tàpies mit einer Gruppe von Schriftstellern und Malern aus Barcelona die Zeitschrift „Dau al Set“ („Der Würfel mit der Sieben“). In ihr veröffentlichen die jungen Künstler Artikel aller Art, stark beeinflusst vom Surrealismus und dem magisch verspielten Geiste Joan Brossas, Dichter und enger Freund Tàpies. Ebenfalls 1948 stellt Tàpies zum ersten Mal zwei seiner Bilder in Barcelona aus.
2.1.3 Von der Figur zum Material
Es folgt eine lange Periode der unermüdlichen Stilsuche. Tàpies experimentiert mit verschiedenen Materialien: gegenstandslose Materialbilder entstehen zur gleichen Zeit wie reduzierte Menschenbildnisse im Stil einer Art brut, realistisch gezeichnete Porträts oder figurative Kohlezeichnungen surrealistischer Art.
1950 werden seine Bilder zum ersten Mal in einer Einzelausstellung in Barcelona gezeigt. Kurz darauf erhält er ein Stipendium der französischen Regierung und geht für ein Jahr nach Paris. Dort bekommt er die Möglichkeit Picasso zu besuchen; eine Begegnung, die ihn stark beeindruckt. In den darauf folgenden Jahren erhält sein Werk durch Teilnahmen an der Biennale in Venedig und mehreren Ausstellungen in den USA, Schweden und Frankreich auch im Ausland immer mehr Anerkennung. Immer wieder lösen seine Bilder Diskussionen und Skandale aus, wie etwa auf der 3. Hispano-Amerikanischen Biennale in Barcelona.
Mehr und mehr verbannt er figurative Darstellungen aus seinem Werk. Ab 1952 entstehen die ersten Vorstufen seiner berühmten Mauerbilder, die das Existenzgefühl der Nachkriegs-jahre in Spanien auf eindrückliche Weise vermitteln. Die Mauer mit ihren vielen Bedeutungen (Trennung, Eingeschlossensein Zeuge für den Lauf der Zeit; romantischer Zauber von Ruinen; das Stoffliche an sich; Möglichkeiten verschiedener Verteilung und Verbindung großer Masse,...[9]) wird zu einem oft wiederholten Thema der tàpiesschen Kunst. Für seine Materialbilder untermischt Tàpies die Farbe mit Erde, Leim und Marmorstaub. Als Ergebnis zeigen sich raue, perforierte und relifierte Flächen. Häufig kratzt er Linien und Zeichen in das noch weiche Material. Das Durchstechen und Zerschneiden des Bildträgers wird Signal und führt zum Skandal.
Zur gleichen Zeit beginnt er sich intensiv mit östlicher Philosophie zu beschäftigen: Yoga, Tantrismus, Buddhismus und Zen beeinflussen seine Arbeit. Er reist viel, nimmt an Ausstellungen in aller Welt teil und gewinnt einige Preise. Verstärkt zeichnet sich nun auch seine Vorliebe für alte, ärmliche Materialen, wie z.B. Stofffetzen, Bindfäden oder Pappe ab. Angedeutete überdimensionale Körperteile und Alltagsgegenstände wie Stuhl und Bett werden zu Motiven. Bewusst sucht er Motive, die als nicht würdig gelten, abgebildet zu werden (wie z.B. eine Achselhöhle), und visualisiert so eine asiatische Weisheit: nichts ist gering. Die Farbe verliert zugunsten des Materials immer mehr an Bedeutung, in seinen Bildern dominieren Grau- und Brauntöne, Ocker und Beige. Diese strenge und mystisch verschlossene Bildwelt orientiert sich an der katalanischen Realität der Nachkriegszeit.
Die von Brüchen und Identitätskämpfen geprägte Geschichte seiner katalanischen Heimat hinterlässt insbesondere ab den sechziger Jahren deutliche Spuren in Tàpies Werk[10]: die gelbe Flagge mit den vier roten Streifen, Fußspuren von Sardana-Tänzern[11], Namen von Freiheitskämpfern und wichtigen katalanischen Persönlichkeiten prägen seine Bilder. Diese Spuren zeigen aber nicht nur seine Verbundenheit zu seiner Heimat, sie haben auch eine politische Dimension im Spanien Francos. Mit seinen Werken der sechziger und siebziger Jahre bekennt sich Tàpies zum Katalanismus, den Franco zu unterdrücken suchte.
2.1.4 Mystische Zeichen
Parallel zu den hermetischen Materialbildern entstehen zeichnerische Werke auf Papier, die besonders die Linie und das skripturale Element betonen. Buchstaben, Hieroglyphen und Zahlen sind fester Bestandteil der tàpiesschen Kunst. Besonders die Form des Kreuzes und die Buchstaben A, T, V, S, R und M spielen eine wichtige Rolle in seinem Werk. Die Inter-pretation dieser Zeichen lässt viele Deutungen zu und bleibt weitestgehend dem Betrachter überlassen. Die Buchstaben A und T lassen sich zwar eindeutig als Initialen Tàpies (und auch die seiner Frau Theresa) deuten, doch auch andere Lesarten sind möglich. Tàpies beschäftigt sich seit Anbeginn seiner künstlerischen Tätigkeit mit den katalanischen Mystikern des Mittelalters. Vor allem Ramón Lull[12] und die von ihm entwickelte „Kunst der Kombinatorik“ fasziniert den Künstler. Idee dieser Theorie ist es, dass die Kombination verschiedener Wissensgebiete zu einer „einenden Erleuchtung“ führt[13]. In der Kombinatorik Llulls werden die Buchstaben A, S, T, V, X, Y und Z mit verschiedenen Bedeutungen belegt. Wendet man diese Theorie auf das tàpiessche Werk an, so ergeben sich vollkommen neue Deutungsmuster. Auch die Form der Buchstaben kann zur Interpretation herangezogen werden: so wird das S zur doppelten Windung und Schlaufe. Die von Tàpies verwendeten Zeichen offenbaren ihren Sinn erst in dieser vieldeutigen Verhüllung und Verrätselung.
[...]
[1] Die informelle Kunst ist eine Richtung der gegenstandsfreien Malerei und Graphik, die seit etwa 1945 - im Ggs. zur geometrischen Abstraktion - abgegrenzte Formen und feste Kompositionsregeln ablehnte, um durch frei erfundene Zeichen oder durch Rhythmus und Struktur ineinander greifender Flecken und Linien Geistiges unmittelbar auszudrücken. (vgl. Brockhaus - Die Enzyklopädie. 18. Auflage, F.A.Brockhaus Gmbh, Mannheim 1989)
[2] vgl. Tàpies 1983, S. 181.
[3] vgl. Gimferrer 1976, S. 8.
[4] Catoir 1987, S.7.
[5] vgl. Museu d´Art Contemporani de Barcelona, Informationsmaterial zur Retrospektive „Tàpies“, März 2004.
[6] alle autobiographischen und sein Werk betreffenden Details in diesem Kapitel begründen sich, soweit nicht anders gekennzeichnet auf Catoir 1987, S.9-56 und S. 153-156.
[7] vgl. Tàpies 1983, S. 169.
[8] vgl. Gimferrer 1976, S. 12.
[9] vgl. Tàpies 1976, S. 134f.
[10] vgl. Gimferrer 1976, S. 44
[11] Sardana ist ein alter katalanischer Volkstanz, bei dem die Tänzer einen Kreis bilden und sich gegenseitig an den Händen halten. Er wird auch heute noch häufig an Feiertagen auf öffentlichen Plätzen getanzt.
[12] auch Raimundus Lullus genannt, 1232-1315, katalanisches Universalgenie (Theologe, Philosoph, Dichter, Missionar, Wissenschaftler), verhalf dem Katalanischen zur Literatursprache des Mittelalters. Vgl. Catoir 1987, S. 14.
[13] vgl. Catoir 1987, S. 14.
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