In der vorliegenden Arbeit soll sich mit der Aufnahme, Versorgung und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Sachsen – Anhalt in den ersten Nachkriegsjahren beschäftigt werden. Dabei soll eingangs kurz der Frage nachgegangen werden, wie die Flucht und Vertreibung häufig ablief und wie sich die Aufnahme der ersten Vertriebenen darstellte. Die Kriegswirren und deren Folgezeit, in der auch die einheimische Bevölkerung mit massiven Problemen und Verlusten fertig werden musste, lassen vermuten, dass das Eintreffen der Vertriebenen und die Versorgung mit Nahrung und Wohnraum eine konsequenten Organisation erforderte. Im zweiten Teil der Arbeit soll dargestellt werden, wie das Hineinwachsen der Vertriebenen in das neue gesellschaftliche Umfeld erreicht werden sollte. Dabei wird zu untersuchen sein, welche Konzepte entwickelt wurden, um eine Aufnahme und Eingliederung zu gewährleisten, aber auch, welche Probleme bestanden und wie diese Versucht wurden zu lösen. Denn nicht nur die Einheimischen wanden sich oft gegen die Vertriebenen, auch die Vertriebenen selbst standen den Integrationsmaßnahmen zu großen teilen skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Wenn man sich mit den Vertriebenen in Sachsen – Anhalt bzw. der DDR beschäftigt, so ist es wichtig, auch die politische und kulturelle Integration zu betrachten. Es wird deshalb zu zeigen sein, wie die politisch Verantwortlichen, an vorderster Stelle SED und Sowjetische Militäradministration (SMA), Einfluss auf die Vertriebenen gewinnen wollten, welche Mittel sie dabei einsetzten und welche Haltung sie damit bei den Vertriebenen hervorriefen.
Inhalt
1 Einleitung
2 Das Eintreffen der Flüchtlinge und Vertriebenen
2.1 Das unkontrollierte Einströmen der ersten Flüchtlinge und Vertriebenen
2.2 Staatliche Maßnahmen zur Organisation und Koordination des Vertriebenenproblems
3 Bestrebungen und Erfolge der gesellschaftlichen Integration
3.1 Die Versorgung mit Wohnraum und Gebrauchsgegenständen
3.2 Die Sicherung der Ernährung
3.3 Die Eingliederung in den Arbeitsprozess
3.3.1 Integrationsversuche durch Beschäftigung in der Landwirtschaft
3.3.2 Industriearbeit und Nebeneffet Integration
3.3.3 Möglichkeiten einer selbstständigen Tätigkeit und die Bedeutung von „Umsiedlergenossenschaften“
3.3.4 Vertriebene im öffentlichen Dienst
4 Erzwungene politische und kulturelle Integration
5 Fazit
6 Literatur
Anlage 1: Organigramm: Abteilung für Umsiedlerbetreuung bei der Provinzverwaltung
Anlage 2: Tabelle: Die Wohnraumsituation der SBZ im Vergleich
Anlage 3: Grafik: Arbeitsbereiche der Vertriebenen in Sachsen – Anhalt am 31.12.1948
Anlage 4: Grafik: Vertriebene in Sachsen – Anhalt nach Herkunftsgebieten 1.3.1948
Anlage 5: Grafik: Beschäftigungszahlen der Vertriebenen Sachsen – Anhalts 1950 im
öffentlichen Dienst
1 Einleitung
Die Geschichte der Flüchtlinge und Vertriebenen war ein Forschungsgebiet, mit der sich in der DDR nur sehr distanziert auseinandergesetzt wurde. Nach 1950 fand die wissenschaftliche Auseinandersetzung kaum noch statt, höchstens in literarischen Werken wurde das Schicksal der Vertreibung aufgegriffen. Mit dem Ende der DDR setzte eine ‚wissenschaftliche Aufholjagd’ ein, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Diesem Sachverhalt muss man sich bewusst sein, wenn man sich in einer Hausarbeit mit den Vertriebenen in der DDR beschäftigt. Die verwendete Literatur ist deshalb überwiegend nach 1990 entstanden und gelegentlich finden sich noch erhebliche Lücken in den Darstellungen und Differenzen bei den verwendeten Zahlen. Besonders für die Zeit nach 1950 ist es schwierig, fundamentierte Aussagen zu treffen, da die Geschichte der Vertreibung ein Tabuthema war.
Deshalb soll sich in der vorliegenden Arbeit mit der Aufnahme, Versorgung und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Sachsen – Anhalt in den ersten sechs Nachkriegsjahren beschäftigt werden. Dabei soll eingangs kurz der Frage nachgegangen werden, wie die Flucht und Vertreibung häufig ablief und wie sich die Aufnahme der ersten Vertriebenen darstellte. Die Kriegswirren und deren Folgezeit, in der auch die einheimische Bevölkerung mit massiven Problemen und Verlusten fertig werden musste, lassen vermuten, dass das Eintreffen der Vertriebenen und die Versorgung mit Nahrung und Wohnraum eine konsequenten Organisation erforderte.
Im zweiten Teil der Arbeit soll dargestellt werden, wie das Hineinwachsen der Vertriebenen in das neue gesellschaftliche Umfeld erreicht werden sollte. Dabei wird zu untersuchen sein, welche Konzepte entwickelt wurden, um eine Aufnahme und Eingliederung zu gewährleisten, aber auch, welche Probleme bestanden und wie diese Versucht wurden zu lösen. Denn nicht nur die Einheimischen wanden sich oft gegen die Vertriebenen, auch die Vertriebenen selbst standen den Integrationsmaßnahmen zu großen teilen skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Die Frage nach der Versorgung mit Wohnraum, mit Nahrungsmitteln und mit Arbeit sind sicherlich von zentraler Bedeutung, um ein hineinwachsen in eine neue Gesellschaft zu ermöglichen. Welche Anstrengungen in dieser Hinsicht in Sachsen – Anhalt unternommen wurden, soll ebenso in dieser Arbeit Beachtung finden, wie Initiativen der Vertriebenen selbst und die Probleme, die immer wieder auftraten.
Wenn man sich mit den Vertriebenen in Sachsen – Anhalt bzw. der DDR beschäftigt, so ist es wichtig, auch die politische und kulturelle Integration zu betrachten. Es wird deshalb zu zeigen sein, wie die politisch Verantwortlichen, an vorderster Stelle SED und Sowjetische Militäradministration (SMA), Einfluss auf die Vertriebenen gewinnen wollten, welche Mittel sie dabei einsetzten und welche Haltung sie damit bei den Vertriebenen hervorriefen.
Das Wesentliche, was eine Volksgruppe ausmacht, ist ihre kulturelle Identität und die Erinnerung an die Heimat. Mit dem staatlich verordneten Schlussstrich einer gesonderten Vertriebenenpolitik sollten 1950 per Gesetz diese Erinnerungen vergessen werden. Schließlich wird in dieser Arbeit immer wieder zu fragen sein, welche Maßnahmen die Integration förderten und welche ihr entgegen wirkten.
2 Das Eintreffen der Flüchtlinge und Vertriebenen
2.1 Das unkontrollierte Einströmen der ersten Flüchtlinge und Vertriebenen
Die Situation in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges stellte sich so dar, dass durch das Vorrücken der sowjetischen und amerikanischen Truppen das Kampfgeschehen mehr und mehr in Sachsen – Anhalt tobte. Städte wie Magdeburg, Haberstadt, Zerbst, Dessau, Merseburg und Eilenburg waren großflächigen Bombenangriffen zum Opfer gefallen. Am 17. April besetzten amerikanische Truppen von Westen kommend Halle und am 18. April den Westteil der Provinzhauptstadt Magdeburg. Sowjetische Truppen erreichten am 5. Mai den östlichen Teil Magdeburgs und vollendeten somit die Besetzung. Die vorläufige Sektorengrenze bildeten in den kommenden Wochen Elbe und Mulde.[1]
In den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegswochen setzten in Sachsen – Anhalt umfangreiche Bevölkerungsbewegungen ein, an welchen die verschiedensten Menschengruppen beteiligt waren. Ausländische Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Verschleppte, die zurück in ihre Heimat wollten; vom Krieg heimkehrende Soldaten, die nicht in Gefangenschaft gerieten; befreite Häftlinge aus den Konzentrationslagern sowie Ausgebombte und Evakuierte aus Städten, welche zu Kriegszeiten von Luftangriffen bedroht waren und nun in ihre Heimat zurück wollten.[2] Letztlich trafen im Zuge des Vorrückens der Roten Armee nach Deutschland zunehmend Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten ein.
Trotz der Verbote durch die NSDAP Kreisleitungen fingen viele Menschen an, ihre Flucht vor den heranrückenden Sowjets, welchen die grausamsten Gerüchte voraus eilten, zu organisieren. Meist viel zu kurzfristig kamen dann die offiziellen Befehle zum Verlassen des Hofes, des Dorfes oder der Stadt.[3] Als die ersten Menschentrecks 1944 in Sachsen Anhalt eintrafen, wurden diese zunächst noch freundlich begrüßt sowie mit Nahrung, Unterkunft und Futter für die Tiere versorgt. Doch je länger der Vormarsch der Sowjets anhielt, um so größer wurden die Flüchtlingszüge und um so chaotischer die Situation auf den Strassen. Die allgemeine Not der in der Provinz Sachsen lebenden Menschen wurde erheblich verstärkt durch das Eintreffen, Unterbringen und Versorgen der Flüchtlinge.
Wochenlang schleppten diese sich ohne ärztliche Versorgung und meist ohne ausreichend Nahrung in endlosen Trecks von Fuhrwerken oder zu Fuß mit Schlitten, Handwagen oder Kinderwagen über die verstopften Landstraßen. Der harte Winter, die wenigen Nahrungsmittel, die hygienischen Zustände, die körperlichen und seelischen Strapazen aber auch die ständigen Tieffliegerangriffe forderten viele Opfer. Genaue Zahlen über die Opfer der Flucht und Vertreibung gibt es nicht. Darüber wird in der Forschung immer noch heiß diskutiert. Berechnungen schwanken zwischen 400.000 und ca. 2,3 Millionen Menschen, die in den letzten Kriegsjahren und dann in den folgenden Jahren Opfer der Strapazen von Flucht und Vertreibung wurden.[4] Eine endgültige Zahl lässt sich durch die Wirren des Krieges wohl nicht mehr ermitteln. Ungefähr 2 Millionen, wie sie Wolfgang Meinicke anführt, scheinen dennoch realistisch, wenn man die vielfältigen Umstände berücksichtigt – z.B. Krankheiten (Ruhr, Typhus), Erfrieren, Ertrinken, Verhungern, Kriegseinwirkungen, Mord, Selbstmord - bei den die Flüchtlinge und Vertriebenen bis 1950 ums Leben kamen.
Eindeutiger hingegen kann gesagt werden, dass Frauen, Kinder und ältere Menschen die schwerste Last an der Vertreibung trugen. Die Frauen, welche sich nach den Vorstellungen der Nationalsozialisten nur um Heim und Herd kümmern sollten, mussten nun oftmals lebenswichtige Entscheidungen treffen und waren, da ihre Männer sich im Krieg befanden, ganz auf sich gestellt. Neben der Angst um das eigene Leben, bangten sie um das ihrer Männer, Kinder und Verwandten und fürchteten die Brutalität der heranrückenden russischen Soldaten. Vergewaltigungen und Plünderungen waren an der Tagesordnung.
Als die Rote Armee durchgezogen war, kehrten viele, die sich zuvor in den Wäldern und Bergen der Heimat versteckt hielten, zurück in ihre Dörfer. Nun folgten häufig verbale und körperliche Übergriffe. Jene Deutschen, die nicht zu den 4,5 Millionen zählten, die vor den Sowjets bereits geflohen waren,[5] bekamen nun den angestauten Frust ab, der sich in der Zeit der Nazidiktatur bei den unterdrückten Völkern anstaute.
In der Phase der Flucht vor der Roten Armee und der Phase der „wilden Vertreibung“ trafen bis zum Kriegsende 200.000 bis 250.000 Menschen in Sachsen – Anhalt ein.[6] Noch fanden die Flüchtlinge und Vertriebenen bei der Kernbevölkerung Sachsen – Anhalts, vor allem auf dem Land, Unterkunft und wurden als Gäste durchaus mitfühlend aufgenommen. Dies änderte sich, als deutlich wurde, dass die Vertriebenen nicht in ihre Heimat zurück kehren können. Bis zur Potsdamer Konferenz sollten weitere 60'000 bis 100'000 Deutsche aus den Ostgebieten in Sachsen – Anhalt eintreffen.
Nach der Potsdamer Konferenz beginnt die Phase der „organisierten Vertreibung“, in welcher weitere hunderttausende Vertriebene Sachsen – Anhalt erreichten. 1950 wurden 777.963 Vertriebene bei einer Volkszählung erfasst.[7] - Andere Quellen sprechen von 1.051.024 Vertriebenen 1949 (24,4 % aller Flüchtlinge der SBZ).[8]
Die Vertreibung der Deutschen nach der Konferenz von Potsdam unterscheidet sich weniger durch eine wirklich humanere Behandlung seitens der Polen, Tschechen oder Russen, sondern eher dadurch, dass diese besser organisiert war. Es wurden Güterwagen bereitgestellt und Sammellager in Deutschland zur ersten Unterbringung und weiteren Verteilung auf die einzelnen Gemeinden errichtet. Immer noch erfolgte die Ausweisungen aus der Heimat sehr kurzfristig und die Mitnahme persönlicher Güter war auf 30 bis 50 kg reduziert. Ebenso wurde die Mitnahme finanzieller Mittel stark eingeschränkt. Der Mangel an geeigneten Transportmöglichkeiten, die ständigen Gepäckkontrollen, die willkürlichen Aussortierungen des Gepäcks und die Überfälle auf die Trecks bzw. Züge durch umherziehende Banden ließen die Vertriebenen in Sachsen – Anhalt meist nur mit den Dingen ankommen, die sie noch auf dem Leib trugen.[9]
Neben den körperlichen Belastungen, welche die Vertriebenen erleiden mussten, sind auch die seelischen Strapazen nicht zu vergessen. Bilder von liegengebliebenen Karren mit dem letzten Hab und Gut, Bilder von erfrorenen Kindern am Straßenrand und verhungerten Greisen bestimmten die endlosen Tage und Woche der Flucht. Meist konnte das Gesehene ein Leben lang nicht verarbeit, geschweige denn vergessen werden. Zu den psychischen Belastungen zählte ferner die Ungewissheit, wann man zurück in die Heimat kehren könne. „Kein anderes Problem beschäftigte die Flüchtlinge so sehr, denn die Bindung an die Heimat war ungebrochen und der Wille, so schnell wie möglich zur Normalität des Lebens zurückzukehren, übermächtig.“[10]
Der massenhafte Zustrom der Vertriebenen zwang die Gemeinden in kürzester Zeit Auffang- und, Durchgangslager einzurichten. Besonders auf Bahnhöfen oder an der zunächst schwer zu überquerenden Elbe entstanden solche, meist von freiwilligen Helfern betreute Einrichtungen. Notunterkünfte waren weiterhin Schulen, Turnhallen, Gaststätten, Fabrikhallen, aber auch ehemalige Bunker, Kriegsgefangenen- und Konzentrationslager. Dabei muss an dieser Stelle auch auf die Doppelbelastung hingewiesen werden, welche in Sachsen – Anhalt herrschte. Einerseits mussten die Flüchtlinge versorgt werden, die weiter in die westlichen Besatzungszonen ziehen wollten bzw. sollten und anderseits mussten jene auf die Gemeinden und Städte verteilt werden, die in der Region ihre neue Heimat finden sollten.[11] Nicht zuletzt blieben auch deshalb zunächst viele Flüchtlinge in der SBZ, da sie hofften innerhalb kürzester Zeit in ihre Heimatgebiete zurückkehren zu können.
Neben der Unterbringung in den Lagern umfassten die ersten noch weitgehend improvisierten und spontanen Hilfsmaßnahmen die Versorgung mit Lebensmitteln, die Vermittlung einer Beschäftigung, die Versorgung mit lebenswichtigen Bedarfsgegenständen (z.B. Kleidung) und die medizinische Betreuung der oftmals völlig entkräfteten Flüchtlinge. Dabei ist nochmals daran zu erinnern, dass die Einheimischen selbst unter den Folgen des Krieges massiv zu leiden hatten. Die Ernährungslage war im ganzen Land und besonders in den Städten katastrophal. (Vgl. 3.2.) So begann man frühzeitig, Vertriebene in solche Regionen umzuleiten, die landwirtschaftlich geprägt waren. Eine Strategie, die auch von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) in der gesamten SBZ verfolgt wurde. Die ländlichen Regionen boten am ehesten noch Möglichkeiten für Unterkunft, Nahrung und Beschäftigung, da viele Städte durch die bestehenden Kriegsschäden kaum in der Lage waren, ihre eigenen Bürger angemessen zu versorgen bzw. zu unterstützen.
Da die ersten Flüchtlinge relativ unorganisiert in der Provinz Sachsen und anderenorts eintrafen, gab es Probleme bei der Verteilung auf die Gemeinden. Oftmals wurden die Vertriebenen, ohne mit der örtlichen Verwaltung zu reden, aus den Lagern in die Gemeinden geschickt und als sie dort ankamen, stießen sie auf Ablehnung und Unverständnis von Seiten der Einheimischen. Gründe hierfür waren u.a. die eigenen hohen Zerstörungen, die schon vorhandenen Vertriebenen oder die Probleme in der zusätzlichen Versorgung (Nahrung, Wohnung) von weiteren Bedürftigen. So fanden die Wanderungen der Flüchtlinge kein Ende und das Gefühl der Hilflosigkeit bzw. des Unerwünschtseins verstärkte sich weiter. Wochenlang zogen die Menschen auf den Straßen umher und mussten neue Strapazen auf sich nehmen, um endlich einen Platz zum Wohnen und Leben zu finden.
Sachsen, welches besonders unter den Zerstörungen des Krieges zu leiten hatte, handelte besonders rücksichtslos und drastisch. Am 10. August wies die Landesverwaltung die Kommunen an, bis Monatsende über zwei Millionen Vertriebene in die Länder Thüringen, Brandenburg und Sachsen – Anhalt abzuschieben. Daraufhin wurden Eisenbahnzüge und Trecks zusammengestellt, welche die Flüchtlinge über die Grenzen brachten und auf freiem Feld aussetzten. Das dies für die betroffenen Länder weitere Probleme mit sich brachte, ist allzu verständlich. Wie „Schachfiguren“ wurden die Vertriebenen zwischen den einzelnen Verwaltungsstellen hin und her geschoben ohne Rücksicht, dass sie durch die langen Wege bereits entkräftet und gehetzt waren.[12]
2.2 Staatliche Maßnahmen zur Organisation und Koordination des Vertriebenenproblems
Die umherirrenden Vertriebenen machten täglich deutlich, dass eine organisierte Vertriebenenpolitik und –aufnahme unbedingt notwendig war. Relativ früh erkannte die Provinzregierung von Sachsen – Anhalt, welche am 1. Juli 1945 ihre Arbeit aufnahm, die Notwendigkeit einer gesteuerten und geplanten Vertriebenenpolitik.
Die Provinzverwaltung mit ihrem Präsidenten Dr. Erhard Hübner (LDP) war stets unter Anleitung und Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmacht tätig. Die Leitung der SMA in der Provinz Sachsen unterstand Generaloberst Kusnezow. Wichtigstes Kriterium beim Aufbau der Provinzverwaltung war für die Besatzungsmacht die Personalfrage. Besonders bei der Besetzung von Schlüsselpositionen wurde in der SBZ von vornherein darauf geachtet, möglichst treue Kommunisten einzusetzen. So ist es nicht verwunderlich, dass der 1. Vizepräsident der Provinzverwaltung, R. Siewert (KPD), ein Kommunist war und die Personalabteilungen und Polizei unter sich hatte. Die 1. Vizepräsidenten in den gebildeten Bezirkesverwaltungen, Magdeburg, Halle- Merseburg und Dessau, hatten die gleichen Zuständigkeitsbereiche wie der 1. Vizepräsident der Provinzverwaltung und waren ebenfalls mit Kommunisten besetzt.[13] Walter Ulbricht sagte zu dieser frühen Sicherung des politischen Einflusses: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten.“[14]
In Bezug auf die Vertriebenenpolitik zeigt sich, dass die sowjetische Besatzungsmacht sowie die KPD/SED - Funktionäre bemüht waren, die unorganisierten Massenbewegungen der Vertriebenen schrittweise besser zu lenken und zu steuern. Dabei wird deutlich, dass die Sowjetunion eine zwiespältige Rolle einnahm. Einerseits hat sie die brutalen Vertreibungsaktionen durch die Polen und Tschechen nicht nur geduldet sondern sich aktiv daran beteiligt, auf der anderen Seite mussten sie sich als Besatzungsmacht wohl oder übel der Aufnahme und Unterbringung der Vertriebenen stellen. Natürlich erkannten die Sowjets schnell, dass eine Verweigerung dieser Aufgabe zu großen Problemen und gesellschaftlichen Spannungen in ihrer Besatzungszone und darüber hinaus geführt hätte.
Die Provinzverwaltung setzte sich gleich in den ersten Tagen nach ihrer Gründung mit den beschriebenen Problemen auseinander. (Vgl. 2.1 ) Dies war keine leichte Aufgabe, angesichts der unorganisierten Ankunft tausender Vertriebener und dem ziellosen Umherirren der noch immer unterkunftssuchenden Flüchtlinge. Bis Ende Juli 1945 war landesweit noch nichts von einem kontrollierten und abgestimmten Vorgehen in der Vertriebenenfrage zu erkennen. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass die entsprechenden Institutionen noch nicht vorhanden waren, was aber um so mehr die Leistung jener Bürgermeister und Gemeindevorsteher hervorhebt, die versuchten, die Menschen notdürftig unterzubringen und zu verpflegen.[15]
Am 18. August 1945 erhielt die Provinzverwaltung von der SMA den Auftrag, die Verpflegung der Vertriebenen sicher zu stellen und ihre Aufteilung entsprechende der Bevölkerungsdichte, dem Vorhandensein von Wohnraum und von Arbeitsmöglichkeiten durchzuführen. Im Zuge dessen erfolgte am 23. August 1945 die „Verordnung zur Flüchtlingsbetreuung der Provinz Sachsen“ (Plan der Umsiedlerbetreuung) von Seiten des Präsidiums der Provinzverwaltung.[16]
Nach diesem Plan waren die drei wichtigsten Maßnahmen die „Errichtung von Aufnahmelagern“, zweitens die „Erfassung des gesamten zur Verfügung stehenden Wohnraumes“ verbunden mit der „Feststellung der Zahl der jetzt bereits in den einzelnen Gemeinden befindlichen Flüchtlinge“ und drittens die Sicherstellung einer besseren sanitären, hygienischen und ärztlichen Betreuung der bereits bestehenden Lager.[17]
Um die beschriebenen Maßnahmen umzusetzen wurde ebenfalls am 23. August 1945 die „Abteilung für Umsiedlerbetreuung“ bei der Provinzverwaltung geschaffen. (Vgl. Anlage 1). Allerdings zeigte sich in der damaligen Realität, dass es große Diskrepanzen zwischen Forderungen und realen Umsetzungsmöglichkeiten gab. Die guten Ansätze und Maßnahmen um die Vertriebenen mit Wohnung, ausreichend Nahrung und einer Arbeitsmöglichkeit zu versorgen, konnten oftmals wegen kleinere Hindernisse, sowie sturen und verständnislosen Bürgern bzw. Bürgermeister nicht umgesetzt werden.[18]
Weitere Schwierigkeiten ergaben sich im Zuge der Gründung der Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler (ZVU). Diese für die ganze SBZ zuständige Behörde wurde erst im September 1945 gegründet und sollte die Errichtung und den weiteren Ausbau von Quarantänelagern sowie eine abgestimmte Arbeit mit den Umsiedlerabteilungen der Länder und Provinzen organisieren. Die Begeisterung der Länder und Provinzen hielt sich in Grenzen, als nun Anweisungen direkt von der ZVU in die Kommunen gingen. Die Provinz Sachsen beschwerte sich z.B. in Briefen über die Eingriffe in „ihren“ Kompetenzbereich. Statt sich um die massiven Probleme der Vertriebenen zu kümmern, beschäftigten sich die Behörden mit Kompetenzstreitigkeiten. Da die SMAD kein Interesse hatte, durch institutionelle Streitigkeiten Unruheherde und Proteste in der Bevölkerung entstehen zu lassen, schaltete diese sich ein und entschied meist zu Gunsten der ZVU. Es dauerte längere Zeit, bis die Länder verstanden, dass es auch ihnen nützt, wenn Vertriebenenprobleme durch überregionale Maßnahmen zu lösen versucht werden. Beispielsweise die Ablehnung der Vertriebenen durch große Teile der Bevölkerung, die mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln und damit verbunden deren hohe Preise, die unverschämten Mieten sowie die unterbezahlten Arbeitsplätze sind nur einige Probleme, die in der gesamten SBZ bestanden.[19]
Wie das Organigramm der Abteilung für Umsiedlerbetreuung bei der Provinzverwaltung deutlich macht, nimmt die Aufnahme und Betreuung der Vertriebenen in den Lagern und deren Versorgung bzw. weitere Unterbringung einen zentralen Stellenwert ein. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die eigentliche Arbeit nicht durch die Bestimmungen, welche aus der Verwaltung kamen geschehen ist. Als Beispiel sei die Ernährung der Vertriebenen erwähnt. Laut Verwaltungsvorschrift der SMA vom 1. Mai 1947 sollte jeder Vertriebene zwei warme Mahlzeiten bekommen. Dies in die Realität umzusetzen glich schon fast einem Wunder. War man doch froh, wenn man überhaupt genügend Nahrung hatte. Oftmals versuchten die Lagermitarbeiter durch falsche Belegungszahlen die Ernährungslage zu verbessern. Aber es gab auch das Gegenbeispiel, wo das Lagerpersonal in die „eigene Tasche bzw. eigene Küche“ wirtschaftete.[20]
Durchgangslager, Kreisauffanglager (Quarantänelager) und Dauerlager sind die drei Lagertypen, welche für die Versorgung der Vertriebenen geschaffen wurden.[21] Erste Lager für Flüchtlinge und Vertriebenen waren bereits im Mai 1945 in ganz Sachsen – Anhat entstanden. Diese zunächst durch lokale Bemühungen entstandenen provisorischen Lager bzw. Unterkunftsmöglichkeiten wurden durch die Umsiedlerbehörde zu ordentlichen Auffanglagern ausgebaut und in ein System eingebunden. An den Landesgrenzen und Elbübergängen (z.B. Tangermünde, Magdeburg, Wittenberg) wurden so genannte ‚Durchschleusungslager’ zum Zwecke der Registrierung, einer ersten ärztlichen Untersuchung und Krankenisolierung errichtet. Zudem war es Ziel die umherziehenden Vertriebenen in den Lagern zu sammeln um das Risiko auftretender Probleme (z.B. Krankheiten, Tod, Kriminalität) zu verhindern. Von diesen Lagern ging es dann recht zügig weiter in die ‚Auffanglager der Kreise’, wobei je nach Bedarf durchaus auch mehrerer ‚Kreislager’ pro Kreis vorhanden waren. Die medizinische Betreuung und Quarantäne der Vertriebenen sollte in diesen Lagern gewährleistet werden. So wurden die Ankömmlinge nach der Einweisung sofort entlaust und ärztlich untersucht. Dadurch gelang es im Verlauf der Jahre 1946/47 Krankheiten und Seuchen, wie Fleckfieber, Krätze, Ruhr und Diphtherie, fast vollständig zu beseitigen.[22] Dies war ein großer Erfolg, denn 1945 mussten Magdeburg und Stendal wegen sich ausbreitender Seuchengefahr zeitweilig abgeriegelt werden. Die Seuchen stellten für die Vertriebenen ebenso wie für die Kernbevölkerung hohe Risiken dar.[23]
[...]
[1] Vgl. Mehlhase, Thomas: Flüchtlinge und Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg in Sachsen – Anhalt, Münster u.a. 1999, S. 30.
[2] Vgl. Meinicke, Wolfgang / von Plato, Alexander: Alte Heimat – neue Zeit. Flüchtlinge, Umgesiedelte, Vertriebene in der SBZ und in der DDR, Berlin 1991, S. 29.
[3] Vgl. Meinicke, Wolfgang / von Plato, Alexander (1991): a.a.O., S. 26.
[4] Vgl. Franzen, K. Erik: Die Vertriebenen. Hitlers letzte Opfer, München 2001, S. 184 & Meinicke, Wolfgang / von Plato, Alexander (1991): a.a.O., S. 27.
[5] Vgl. Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, BfpB, Bd. 193, Bonn 1996, S. 40.
[6] Vgl. Mehlhase, Thomas (1999): a.a.O., S. 40-43
[7] Vgl. Franzen, K. Erik (2001): a.a.O., S. 280.
[8] Vgl. Wille, Manfred: Die Vertriebenen in der SBZ und die Politik ihrer Einbürgerung in die Gesellschaft, in: Königseder, Angelika / Panzig, Christel (Hrsg.): Zweite Heimat, Lutherstadt Wittenberg 2004, S. 29. & Mehlhase, Thomas (1999): a.a.O., S. 223
[9] Vgl. Kelo, L. / Müller-Reißmann, F.: Flucht und Vertreibung, in: Königseder / Panzig (Hrsg.): Zweite Heimat, Wittenberg 2004, S. 86f.
[10] Meinicke, Wolfgang / von Plato, Alexander (1991): a.a.O., S. 28.
[11] Vgl. Wenzel, Mario: „Die Lösung der wohl schwierigsten Aufgabe ...“. Die Bemühungen der Behörden bei der Aufnahme, Versorgung und Unterbringung der Heimatvertriebenen in der Lutherstadt Wittenberg, in: Königseder, Angelika / Panzig, Christel (Hrsg.): Zweite Heimat, Wittenberg 2004, S. 92.
[12] Vgl. Just, Regine: Die Lösung der Umsiedlerfrage auf dem Gebiet der DDR. dargestellt am Beispiel Sachsen, Magdeburg 1985. & Mehlhase, Thomas (1999): a.a.O., S. 52f.
[13] Vgl. Mehlhase, Thomas (1999): a.a.O., S. 47f.
[14] Vgl. Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entläst ihre Kinder, Köln, Berlin 1955, S. 358.
[15] Vgl. Wenzel, Mario: (2004), a.a.O., S. 92.
[16] Vgl. Mehlhase, Thomas (1999): a.a.O., S. 54.
[17] Vgl. Plan der Umsiedlerbetreuung, in: Verordnungsblatt der Provinz Sachsen, 1. Jahrg, Nr. 3, S. 17.
[18] Vgl. Mehlhase, Thomas (1999): a.a.O., S. 60.
[19] Vgl. Meinicke, Wolfgang / von Plato, Alexander (1991): a.a.O., S. 35-38.
[20] Mehlhase, Thomas (1999): a.a.O., S. 86f.
[21] Vgl. Wille, Manfred: Die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler – Möglichkeiten und Grenzen ihres Wirkens (1945-1948), in: Wille / Hoffmann / Meini>
[22] Vgl. Meinicke, Wolfgang / von Plato, Alexander (1991): a.a.O., S. 41.
[23] Vgl. Meinicke, Wolfgang / von Plato, Alexander (1991): a.a.O., S. 31.
- Arbeit zitieren
- Christian Tischner (Autor:in), 2004, Die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen nach 1945 - unter besonderer Berücksichtigung des heutigen Bundeslandes Sachsen - Anhalt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59245
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