Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie Bildung funktioniert, wenn Menschen wegen einer Extremsituation zuhause bleiben müssen. Die Ausarbeitung definiert zunächst das Recht auf Bildung und Notstand. Anschließend wird der gesundheitspolitische Anlass wegen COVID-19 näher erklärt, um ein Verständnis davon zu haben, weshalb überhaupt die Schulen geschlossen sind. Im dritten Kapitel geht es um eine Vorstellung konkreter digitaler Lernangebote, die in dieser Situation von zuhause eingesetzt werden könnten. Die Ausarbeitung fokussiert sich dabei auf die Einsetzbarkeit von den Lernmanagementplattformen Moodle und Adobe Connect, welche in dieser Zeit für E-Learning häufig zur Anwendung kommen. Neben einer breiten Analyse der digitalen Angebote werden zudem die analogen Lernformen angesprochen, da sie von vielen Bildungsministerien als Plan B fungieren.
Als zweiten Weg wird die analoge Hausaufgaben-Beschäftigung erklärt, mit der Frage verbunden, inwieweit sie in erzieherischen und didaktischer Funktionen einen Mehrwert darstellt und welche Schwierigkeiten es bei der Lernform in der Quarantäneform geben könnte. Als weitere analoge Lernform wird die Freie Arbeit kurz vorgestellt, welcher ein reformpädagogischer Lernansatz ist und in der laufenden Debatte sehr selten thematisiert wird. Zum Schluss wird ein Gesamtfazit gezogen, welche Lernkonzepte sich am ehesten für die eingetretene Ausnahmesituation anbieten, in der die Schülerinnen und Schüler von zuhause aus bestmöglich lernen können.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vom Recht auf Bildung in Notstandsituationen
2.1. Definitionen
2.1.1. Definition „Recht auf Bildung“
2.1.2. Definition „Notstand“
2.2. Anlass der Notsituation
3. Digitalisierte Lernangebote von Schulen
3.1. E-Learning-Lernangebote
3.2. Konzeptvorstellung von E-Learningplattformen
3.2.1. Moodle
3.2.2. Adobe Connect ©
4. Erziehungswissenschaftliche Analyse von Lernplattformen
4.1. Unterrichtsbezogene Analyse
4.1.1. Methodisch-didaktische Umsetzungen durch das Fünfstufenmodell
4.1.2. Inklusive Anforderungen
4.1.3. Soziales Lernen und soziale Entwicklung
4.2. Fortbildungsbezogene Analyse
4.3. Medienpädagogische Analyse
4.3.1. Infrastrukturelle Voraussetzungen
4.3.2. Digitale Medienkompetenz von Lernenden
4.3.3. Digitale Medienkompetenz von Lehrkräften
5. Analoge Lernkonzepte für zuhause
5.1. Analoge Hausaufgaben
5.2. Freie Arbeit – Ansatz aus der Freinet-Pädagogik
6. Fazit
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
In der vorliegenden Ausarbeitung wird hauptsächlich gendergerechte Sprache verwendet. Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass in Ausnahmefällen feminine oder maskuline Formen geschlechtsunabhängig verstanden werden sollen.
1. Einleitung
Wie funktioniert Bildung, wenn Menschen wegen einer Extremsituation zuhause bleiben müssen? Vor wenigen Wochen war eine solche wissenschaftliche Fragestellung in der Bundesrepublik Deutschland noch ein theoretisches Gedankenexperiment, während es sich jetzt um eine der dringendsten Fragestellungen im Bildungsbereich handelt.
Die wissenschaftliche Ausarbeitung definiert zunächst das Recht auf Bildung und Notstand. Anschließend wird der gesundheitspolitische Anlass wegen COVID-19 näher erklärt, um ein Verständnis davon zu haben, weshalb überhaupt die Schulen geschlossen sind. Im dritten Kapitel geht es um eine Vorstellung konkreter digitaler Lernangebote, die in dieser Situation von zuhause eingesetzt werden könnten. Die Ausarbeitung fokussiert sich dabei auf die Einsetzbarkeit von den Lernmanagementplattformen Moodle und Adobe Connect, welche in dieser Zeit für E-Learning häufig zur Anwendung kommen.
Die technischen Möglichkeiten dieser Plattformen werden kurz aufgezeigt. Danach sollen sie unter erziehungswissenschaftlichen Gesichtspunkten kritisch analysiert werden. Es wird in diesem Kapitel die Frage beantwortet, wie Lehrkräfte auf die Plattformen vorbereitet sind. Außerdem soll eine Analyse aufzeigen unter welchen methodischen und didaktischen Gesichtspunkten E-Learning gelingen könnte. Des Weiteren werden die Plattformen auf ihre inklusiven Anforderungen hin untersucht, um die Nutzung von barrierefreien Möglichkeiten auch möglich machen zu können. Zudem analysiert die Arbeit, inwieweit die E-Learningangebote die sozialen Entwicklungsziele der Schülerinnen und Schüler im Blick haben. Anschließend werden in einer medienpädagogische Analyse weitere für Onlineunterricht relevante Fragestellungen geklärt. Einerseits geht es um die infrastrukturellen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler als auch der Lehrerinnen und Lehrer. Andererseits soll die allgemeine Medienkompetenz der beiden Gruppen aufgezeigt werden, was die vielseitige Untersuchung des E-Learnings aus mehreren Blickwinkeln abschließt.
Jedoch sollen neben den digitalen Angeboten auch noch die analogen Lernformen angesprochen werden, da sie von vielen Bildungsministerien als Plan B fungieren. Als zweiten Weg wird die analoge Hausaufgaben-Beschäftigung erklärt, mit der Frage verbunden, inwieweit sie in erzieherischen und didaktischer Funktionen einen Mehrwert darstellt und welche Schwierigkeiten es bei der Lernform in der Quarantäneform geben könnte. Als weitere analoge Lernform wird die Freie Arbeit kurz vorgestellt, welcher ein reformpädagogischer Lernansatz ist und in der laufenden Debatte sehr selten thematisiert wird. Da es aber in Deutschland öffentliche Gemeinschaftsschulen gibt, die nach dem Prinzip „Unterricht ergänzt die Freiarbeit und nicht umgekehrt“ arbeiten, findet die Freiarbeit in dieser Ausarbeitung auch seine erziehungswissenschaftliche Berücksichtigung (vgl. Schöber/ Schabinger 2017, 4). Es sollen in Bezug auf die Ausnahmesituation sowohl die positiven als auch negativen erziehungs- und bildungsrelevante Merkmale beschrieben werden.
Zum Schluss wird ein Gesamtfazit gezogen, welche Lernkonzepte sich am ehesten für die eingetretene Ausnahmesituation anbieten, in der die Schülerinnen und Schüler von zuhause aus am bestmöglichsten lernen können.
Die Ausarbeitung konzentriert sich auf die obengenannten Facetten und lässt die Fragestellungen offen, inwieweit die datenschutzrechtliche Lage E-Learning zum momentanen Zeitpunkt zulässt oder inwieweit andere digitale Lernspiele, Tutorials oder außerschulische Online-Unterrichte sich besser eignen könnten, um das optimale Bildungsangebot zu schaffen. Angesichts seiner geringen Präsenz in der öffentlichen Debatte müsste diese Fragestellung andere wissenschaftliche Forschungsarbeiten untersuchen.
2. Vom Recht auf Bildung in Notstandsituationen 2.1. Definitionen
2.1.1. Definition „ Recht auf Bildung “
Wer das „Recht auf Bildung“ zitiert, kann sich auf mehrere international ratifizierte Menschenrechtskonventionen beziehen. In Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention ist das Recht des Kindes auf Bildung festgeschrieben, wie auch als allgemeines kulturelles Menschenrecht in Artikel 13 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, kurz UN-Sozialpakt, verankert (United Nations 1976, Art (13)). Dieses Recht, das für alle Menschen gilt, jedoch aber für Kinder von besonderer Bedeutung ist, wurde in Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention bekräftigend konkretisiert.
Um das Recht des Kindes auf Bildung zu verwirklichen, soll der Besuch der Grundschule verpflichtend und kostenlos für alle sein. Weiterführende Bildungsangebote, wie die allgemeinbildender und berufsbildender Schulen, als auch das Hochschulwesen soll für alle angeboten werden, welche nach Möglichkeiten ebenfalls unentgeltlich sein sollte. Auch sollen die Staaten Maßnahmen treffen, die einen regelmäßigen Schulbesuch fördern und den Anteil derjenigen, welche die Schule vorzeitig verlassen, verringern. (vgl. United Nations 1990, Art. 28 (1))
Die in den UN-Konventionen und festgeschriebenen Artikel zu Bildung sind in Deutschland geltendes Recht: Gemäß Artikel 59 Abs. 2 des Grundgesetzes bilden sie einen verbindlichen Bestandteil der deutschen Rechtsordnung, sodass bei einem etwaigen Verstoß eine juristische Klagemöglichkeit besteht. (vgl. Niendorf/Reitz 2016, 17)
2.1.2. Definition „ Notstand “
In Deutschland sind zwei Arten von Notständen in der Verfassung definiert. Es gibt zum einen den äußeren Notstand (Verteidigungs- und Spannungsfall) und den inneren Notstand (innere Unruhen und Naturkatastrophen).
Unter äußerem Notstand versteht die Verfassung einen Zustand, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Dies muss in Deutschland durch den Verteidigungsfall festgelegt werden, der einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag, der Zustimmung des Bundesrats und der Unterschrift vom Bundespräsidenten bedarf. (vgl. Dudenredaktion 2015)
Beim inneren Notstand handelt es sich laut Staatsrecht um die Abwehr drohender Gefahren für den Bestand oder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Bundes oder eines der Länder, die von innen her drohen. Es kann hierbei auch um die Abwehr der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung in Fällen von besonderer Bedeutung gehen. Ähnliche Regelungen wie im inneren Notstand gelten im Katastrophenfall bei Eintritt einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalls (ebd.). Normalerweise ist die Abwehr derartiger Gefährdungen Ländersache (vgl. ebd.). Das betroffene Bundesland kann zu diesem Zweck u. a. Polizeikräfte anderer Bundesländer und Bundespolizeieinheiten anfordern (vgl. ebd.). Ist es nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr in der Lage, kann die Bundesregierung die Polizei direkt ihren Weisungen unterstellen und ggf. auch die Bundeswehr im Inneren einsetzen (vgl. ebd.).
Für besondere Krisenlagen wurden 1968 diese sogenannten Notstandsgesetze beschlossen, bei welchen es sich nicht um einzelne Gesetze, sondern um Grundgesetzänderungen handelt. Der Grundgesetzartikel 11 regelt seit diesem Jahr auch, dass das Freizügigkeitsrecht „zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen” eingeschränkt werden darf. Die Regelungen sind seit der Beschlussfassung vor 52 Jahren noch niemals angewendet worden. (vgl. Svent-Ivany 2020)
2.2. Anlass der Notsituation
Seit Ende 2019 breitet sich weltweit das neue Coronavirus aus, welches in Wuhan (China) erstmals entdeckt wurde. Das neuartige Coronavirus wird nun SARS-CoV-2 genannt, die Infektion COVID-19. COVID steht für „Corona Virus Disease“ und 19 für das Entdeckungsjahr. In der Zwischenzeit hat das SARS-CoV-2 auch Europa, Afrika und Amerika erreicht. Am 30. Januar 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den internationalen Gesundheitsnotstand erklärt. (vgl. Vuicharda/ Widmerb/ Krause 2020, 175)
Deutschland reagierte nicht prompt, weil Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Ausbreitung von COVID-19 zu diesem Zeitpunkt unproblematisch hielt. Tatsächlich hatte er zu Beginn der Pandemie erklärt, Deutschland sei gut vorbereitet und das Virus noch mit der Grippe verglichen. Erst am 24. Februar 2020 wurden größere Schutzmaßnahmen vorgeschlagen, um den rasanten Anstieg der Infektionen zu begrenzen. Während des Verfassens dieser Ausarbeitung hat die Bundesregierung keinen inneren Notstand wegen der Coronavirus-Pandemie ausgerufen, jedoch die Freizügigkeit mit Verweis auf das Bundesinfektionsschutzgesetz eingeschränkt. Von der Absage von Großveranstaltungen, der Schließung von Einrichtungen wie Schulen oder Kitas „bis hin zum Abriegeln ganzer Städte" gebe es zahlreiche Zwischenstufen. (vgl. Gensing 2020)
Die Ausgangsbeschränkungen wurden umgesetzt, danach schlossen die Landesregierungen tatsächlich ihre Bildungseinrichtungen, weil der Anstieg von Infektionen immer größer wurde. Baden-Württemberg war am 17. März 2020 das letzte Bundesland, welches Kindergärten und Schulschließungen vollzog (vgl. Kultusministerium Baden-Württemberg 2020a). Mit der gewünschten Verlangsamung sollen Krankheitsfälle über eine längere Zeitperiode verteilt werden können, um einerseits das Gesundheitssystem zu entlasten und gleichzeitig soll Zeit für die Entwicklung eines Impfstoffs geschaffen werden. Laut der Johns-Hopkins-Universität gab es bis zum 18. April 2020 über 2,3 Millionen bestätigte Corona-Infizierte, wovon 157.440 nachweislich starben, die Dunkelziffer liegt jedoch weit höher (vgl. Johns-Hopkins-Universität 2020).
3. Digitalisierte Lernangebote von Schulen
Seitdem bundesweit Schulschließungen vollzogen worden sind, muss sich das Lernarrangement für die Schülerinnen und Schüler mit sofortiger Wirkung verändern. Die Schülerschaften müssen von zuhause aus arbeiten und zahlreiche Landesregierungen setzen nun auf digitale Angebote. Viele Länder stellen durch die Ausnahmesituation 2020 Open-source-Lernmanagementsysteme allen Schulen kostenfrei bereit, auch wenn man den Schulen die Anschaffung anderer digitaler Angebote offenlässt (vgl. Kultusministerium Baden-Württemberg 2020a). Als die Schließung aller Bildungseinrichtungen bekannt gegeben wurden, machen sich auch vermehrt Unternehmen bemerkbar, die gerade in Notsituationen digitale Lernmedien verkaufen wollen, um einen hohen Preis verlangen zu können (vgl. Morris/Pressman 2020, 28). In der wissenschaftlichen Hausarbeit sollen mehrere Produkte aufgezeigt werden, welche in der Bundesrepublik eingesetzt werden. Dabei sollen auch die didaktischen und pädagogischen Möglichkeiten zur Binnendifferenzierung angeführt werden, um leistungs- und altersspezifische Anforderungen gerecht werden zu können. Es ist allerdings herauszustellen, dass die Begutachtung der einzelnen Digitalangebote schwerpunktmäßig auf seine Einsetzbarkeit in Krisensituationen zielt.
3.1. E-Learning-Lernangebote
E-Learning begann schon 2005 ein wichtiges Thema in der Hochschullehre und der außerbetrieblichen Bildung zu werden. Im schulischen Kontext ist diese digitale Lernform, zumindest im deutschsprachigen Raum, jedoch kaum verbreitet (vgl. Petko 2010, 9). Als Grund hierfür wird gesehen, dass der Begriff E-Learning trotz seiner Konjunktur relativ unscharf geblieben ist (vgl. ebd.). Prof. Dr. Dominik Petko von der Universität Zürich beschreibt mehrere Richtungen, die das E-Learning abdecken kann. Für Notsituationen am Relevantesten ist die Möglichkeit von distance learning, welche ein Studium oder Unterricht von zuhause ermöglichen kann (vgl. ebd.). Die Ort- und Zeitflexibilität ist der offensichtlichste Vorteil des Lehren und Lernens im Internet und kommt daher in Quarantänesituationen als Angebotsmedium in die nähere Auswahl (vgl. Petko 2010, 9f.).
Viele der bisherigen Ansätze des Fernlernens wurden durch digitale Errungenschaften vereinfacht. Während in der Anfangszeit zunächst nur Studienbriefe eingescannt wurden, können mit der Zeit schon Audio- und Videodateien und Einsendeaufgaben eingefügt werden. Außerdem verbesserte sich distance learning dadurch, dass die Kommunikationsfähigkeit innerhalb der E-Learningprogramme eingeführt wurde. Dies sollte einen vertieften und intensiveren Austausch zwischen Lernenden und Lehrerenden ermöglichen (vgl. Stahl/Koschmann/Suthers 2006, 410). Die Programme sind nicht nur mit den privaten und öffentlichen Chatfunktionen ausgestattet, sondern weisen in ihren Grundfunktionen auch Fortschritte in der Digitalisierung: Das virtuelle Klassenzimmer ist ein verknüpfendes E-Learning-Element, welches Live-Unterricht ermöglichen kann. Im virtual classroom nutzen alle durch das Internet verbundenen Kursteilnehmer zur selben Zeit ein mobiles Endgerät und lernen zusammen. Grundvoraussetzung dafür ist, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur gleichen Zeit das Gleiche hören, sehen und erleben, genau wie in einem realen Raum. Sie befinden sich also am selben virtuellen Ort. Die Lernenden können beispielsweise mit den Sprechfunktionen ihres mobilen Endgeräts direkt mit der Gruppe kommunizieren und auch bearbeitete Dateien austauschen. Verknüpft ist ein virtuelles Klassenzimmer normalerweise auch mit interaktiven Whiteboards, sodass Schüler per Fingerdruck oder mit einem kabellosen Stift den digitalen Bildschirm für alle oder nur für sich mitbearbeiten können. Als erweitertes Kommunikationsmedium ist es in einem Live-Online-Kurs möglich, dass nicht nur die Lehrkräfte für alle in Bild und Ton präsent sind, sondern auch die gesamte Schülerschaft, was als harte Kontrollfunktion hochsensible Persönlichkeitsrechtsfragen mit sich bringt.
3.2. Konzeptvorstellung von E-Learningplattformen
3.2.1. Moodle
Moodle ist ein Akronym und steht für „Modular Object Oriented Learning Environment“ (Ingelbrink/Sander 2014, 242). Die kostenfrei angebotene Open-Source-Software wird seit 1999 fortwährend aktualisiert und mit neuen Funktionen ausgestattet (vgl. Höbarth 2007, 61). Die Lernplattform wird seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 in Baden-Württemberg als öffentlich bereitgestelltes Lernmanagementsystem eingesetzt (vgl. Kultusministerium Baden-Württemberg 2020a).
Nach dem Erziehungswissenschaftler Dr. Christian Ingelbrink von der Universität Münster zeichnet sich Moodle durch einfache Installation und hoher Benutzerfreundlichkeit aus (vgl. Ingelbrink/ Sander 2014, 242). In dieser Ausarbeitung sollen auf einige für E-Learning relevante Funktionen eingegangen werden, welche auch für den Vergleich mit anderen Lernplattformen relevant sind.
Die Lehrkräfte, welche im Programm als Teache r bezeichnet werden, richten Lerngruppen ein, beispielsweise den Deutschkurs der achten Klasse. In diesen geben sie Aufgaben und Materialien digital an die Schülerinnen und Schüler aus, sodass sie im nächsten Schritt die Schüler-Arbeiten digital austauschen, korrigieren und bewerten können. Für das Gelingen von E-Learning ist die Frage von großer Relevanz, welche Lern- und Kommunikationsangebote Moodle anbieten kann (vgl. Dethloff 2019, 13). Die Verständigung kann auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. Teacher und Kursteilnehmende können entweder in für alle sichtbaren Lerngruppenformen diskutieren oder in Privatchats, ähnlich wie in den sozialen Medien, sich austauschen (vgl. ebd., 13f.). Es gibt zudem die Möglichkeit Text-Chats einzurichten, in welchem sich die Teilnehmer*innen treffen und zur gleichen Zeit diskutieren können (vgl. ebd.).
Die Lehrkraft, welche einen Kurs erstellt, kann den aufbereiteten Lernstoff in Lektionen aufteilen (vgl. ebd., 14). Nach jedem Fertigstellen eines Abschnitts kann die nächste Einheit von der Lehrkraft freigestellt werden (vgl. ebd.). Es ist sogar möglich, dass automatisch, z.B. bei richtiger oder falscher Antwort die Teilnehmer*innen an einen bestimmten Lernabschnitt automatisch geführt werden (vgl. ebd.). Dadurch bietet die E-Learningplattform eine Binnendifferenzierung entsprechend der persönlichen Fähigkeiten der Teilnehmer (vgl. Brunn 2018, 457).
Für die Erstellung einer Seite kann die Lehrperson hauptsächlich auf ein großes Spektrum an schriftlichen Aufgaben und Testverfahren zurückgreifen. An dieser Stelle muss hinzugefügt werden, dass die Erstellung einer Kursseite sehr zeitintensiv für Lehrerende wahrgenommen wird (vgl. Dexheimer 2011, 31). Hauptsächlich wird bei der Erstellung eines Kurses das Aufgabentool verwendet, in welchem die Teilnehmer*innen eine Aufgabenstellung erhalten, die sie bearbeiten (vgl. Dethloff 2019, 13). Sie bearbeiten die Aufgabe entweder direkt in Moodle oder laden Dateien in die Plattform hoch, die dann bewertet werden. Neben einer individuellen Bearbeitung der Aufgaben, gibt es auch Gruppen- und Kollektivaufgaben. In einer Wiki können Lehrkräfte das Ziel ausgeben, dass Erfahrung und Wissen gemeinschaftlich gesammelt wird und zielgruppenorientiert zu dokumentieren. Eine Wiki ist eine Website, deren Inhalte nicht nur gelesen werden, sondern auch direkt bearbeitet und geändert werden können. Die Lerngruppe erarbeitet hierzu gemeinschaftlich Texte, welche mit Tabellenkalkulationen oder Bilddateien ergänzt werden. Die Lernform wird auch kollaboratives Schreiben bezeichnet. Dafür muss man nur auf einer Seite des Wiki auf Bearbeiten klicken, verändert oder ergänzt den Text und speichert ihn ab (vgl. ebd., 15). Das Arbeitsprodukt lässt sich sogar aus Moodle hinaus ins Netz veröffentlichen. Wikis werden in der Erziehungswissenschaften als partizipativen, selbstorganisierten und interaktiven Schreibprozess gesehen, welches gemeinschaftliches Arbeiten voraussetzt (vgl. Enders 2016, 149).
Auch der Bewertungsvorgang des Teacher kann bei Moodle unterschiedlich erfolgen. Es gibt die Möglichkeit der gegenseitigen Beurteilung unter den Teilnehmenden, welche Form sich beispielsweise bei Wikis empfiehlt. Bei anderen Arbeitsaufträgen können sie von den Lehrenden Musterlösungen zur Kommentierung erhalten. Mit Hilfe dieser Kommentare sollten die Schülerinnen und Schüler ihre Aufgabenlösung noch einmal kritisch durchsehen und verbessern. Das Befragungsmodul erlaubt Befragungen, Umfragen und Abstimmungen, welche sowohl als Feedbackmöglichkeit, als auch für Arbeitsaufträge eingesetzt werden können. Beim Zukauf kostenpflichtiger Software-Programme können darin auch interaktive Videos implementiert werden, in denen Infos oder Quizfragen ergänzt werden. (vgl. Dethloff 2019, 14f.)
Für Teacher ist die Möglichkeit gegeben, mit der Datenbank den Lernprozess zu vereinfachen und zu beschleunigen. Einerseits können Kursteilnehmende gemeinsam eine vorkonfigurierte Datenbank aufbauen, die Dateien, Abbildungen, URLs etc. zur Verfügung stellt (vgl. ebd.), andererseits können Teacher Lernprozesskontrolle beschleunigen. Durch das Verbinden von Textdateien können beispielsweise Bewertungen automatisch unmittelbar in Bescheinigungen, Notentabellen, Zeugnissen eingetragen werden, was Graderkonfiguration bezeichnet wird (vgl. Stöcker/ Becker/ Garmann/ Heine/ Kleiner/ Werner/ Grzanna/ Bott 2014, 303). Dafür wären nur wenig Programmierkenntnisse und die Fähigkeit, Tabellenkalkulationsprogramme zu bearbeiten, erforderlich. Für den Schulalltag würde diese mögliche Nutzung der Datenbank sowohl erhebliche Zeit- und Arbeitsressourcen einsparen und außerdem viele Onlineaufgaben sogar sofort automatisch auswerten können. Hinzugefügt werden muss, dass es sich hierbei nur um eine ganz niederschwellige Aufgabe der Graderkonfiguration handelt: In einem Pilotprojekt von der Hochschule Hannover wurde eine Moodle -Datenbank so konfiguriert, dass sie Programmieraufgaben von Informatikstudierenden vollständig automatisch bewertet, was von den Studierenden mehrheitlich als hilfreich bezeichnet wurde (vgl. ebd., 304).
Lediglich für ein virtuelles Klassenzimmer reicht die Moodle -Plattform jedoch nicht aus: Die Funktionen für Audio- und Videokonferenzen oder Whiteboard sind nicht integriert und somit nicht ganz so leistungsfähig wie einige kommerzielle Systeme.
3.2.2. Adobe Connect ©
Umfangreichere Austauschmöglichkeiten bietet das kostenpflichtige Lernmanagementsystem Adobe Connect, welches die Bedingungen für ein virtuelles Klassenzimmer beinhaltet (vgl. Jankowski/ von Osthoff/ Zöller-Greer 2012, 126). Das US-amerikanische Softwareunternehmen bietet das Lernmanagementsystem für 3220 Euro im Jahr an, bei welchem bis zu 200 Teilnehmende mitmachen können (vgl. Adobe Inc. 2020). Statt Kursen gibt es in Adobe Connect Meetings, was eine Live-Konferenz darstellt. Dazu erstellt der Lehrende einen Meetingraum, der zur Durchführung eines Kurses verwendet wird. Dieser kann auch stets wiederverwendet werden. Der Raum besteht aus verschiedenen Bedienfeldern, die Pods genannt werden. Einzelne Pods enthalten eine Liste von Meeting-Teilnehmenden, Anmerkungsfelder, in denen Aufgaben gestellt werden, ein für alle Teilnehmenden sichtbarer Meeting-Chat, sowie freigegebene Dateien und Videos. Die Lehrkraft kann auch Teilnehmende vom Hauptmeetingraum auf andere Arbeitsräume verteilen, in denen Gruppenarbeit möglich wäre und ebenfalls Aufgaben erteilt werden können. Innerhalb eines Meetingraumes können Teilnehmende ihre Computer und Mobilbildschirme oder Dateien freigeben, in Chats miteinander kommunizieren, Audio und Video übertragen und an interaktiven Onlinediensten teilnehmen. (vgl. Adobe Inc. 2018)
Sämtliche Funktionen eines virtuellen Klassenzimmers würden mit Adobe Connect ermöglicht und setzt von der Schülerschaft voraus, dass man einen mobiles Endgerät mit Zugang zum Internet und einen Kopfhörer mit Mikrofon besitzt. Auch berührungsempfindliche Whiteboards können durch Adobe Connect unterschiedlich zum Einsatz kommen: Sie können einerseits den klassischen Tafelanschrieb handschriftlich ersetzen oder durch Tastaturschrift extern angeschrieben werden. Auf Whiteboards können neben den Funktionen auch Präsentationen, Grafiken oder Videos angezeigt werden. Alle Teilnehmende können dann über das Lernmanagementsystem überlappend das Whiteboard öffentlich oder privat, schriftlich und audiovisuell bearbeiten und abspeichern. Damit würde auch gleichzeitig jeder Tafelanschrieb erhalten bleiben, was für Lernaufbereitungen oder Testvorbereitungen eine willkommene Funktion für die Schülerschaft darstellt. (vgl. Jankowski et al. 2012, 155)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Adobe Connect-Screen für Lernende
Adobe Connect ist zudem in der Lage, Sprache in Text direkt zu transkribieren.
Gesprochenes Hochdeutsch könnte damit sofort in grammatikalisch korrektes Schriftdeutsch umgewandelt werden. Das Programm schafft es bei einzelnen gesprochenen Wörtern bereits, sie direkt in Diagrammen statistisch anzuordnen. So kann der Lehrende sich beispielsweise ein Feedback einholen, indem er die Teilnehmenden anonym befragt und bekommt so über automatisch erstellte Balkendiagramme ein differenziertes Bild. (vgl. ebd., 135f.)
Lehrkräfte haben in ihrer Moderatorenrolle die Möglichkeit, Inhalte vom eigenen Computer freizugeben, abgegebene Aufgaben in den Pods einzusehen und zu bearbeiten, Unterrichte aufzuzeichnen, abzuspeichern und sie den Teilnehmenden später zur Verfügung zu stellen. Man kann den Raum als Lehrkraft individuell so ausgestalten, dass er wie ein Klassenzimmer aussieht. Nur eine Graderkonfiguration, die Bewertungen in eine zentrale Datenbank einträgt, existiert in dem Programm nicht. Lehrende könnten diese aber über eine Tabellenkalkulation selbst anlegen, welche dann nur für sie sichtbar wäre. (vgl. Adobe Inc. 2018)
Die Funktionsvielfalt der Lernsystemsoftware bringt den Nachteil mit sich, dass die Benutzeroberfläche von Informatikwissenschaftlern als „etwas verwirrend“ bezeichnet wird (vgl. Jankowski et al. 2012, 125).
4. Erziehungswissenschaftliche Analyse von Lernplattformen 4.1. Unterrichtsbezogene Analyse
4.1.1. Methodisch-didaktische Umsetzungen durch das F ü nfstufenmodell
Wie man E-Learning methodisch und didaktisch als Lehrkraft vorbereiten und umsetzen kann, ist entscheidend für die erfolgreiche Durchführung eines E-Learning-Lernangebots. Das reine Bereitstellen von Materialien reicht alleine allerdings nicht aus, um aktives Online-Lernen zu fördern. Die Bedeutung der Lernbegleitung bzw. der fachlichen Unterstützung der Lernenden in virtuellen Bildungsangeboten wurde lange unterschätzt (vgl. Arnold/ Kilian/ Thillosen/ Zimmer 2018, 260). Lernen mit digitalen Medien galt zunächst als eine individuelle, autodidaktische Form des Kompetenzwettbewerbs. Deren hohe Erwartungen wurden aber nicht erfüllt, denn die optische und soziale Präsenz einer Lehrkraft erhöht die Aufmerksamkeit und damit auch die Lernchancen (vgl. ebd.). Aus diesem Grund muss E-Learning keine rein informatische, sondern auch als erziehungswissenschaftliche und somit interdisziplinäre Fachrichtung verstanden werden.
Die australische Pädagogin Prof. Gilly Salmon entwickelt seit mehr als 30 Jahren Lernszenarien und Geräte rund um das Thema „digitales Lernen“. Salmon beschreibt in ihrem Fünf-Stufen-Modell einen strukturierten Bildungsprozess, mit dessen Hilfe der Einstieg in das Online-Lernen und -Lehren geebnet wird. Im Modell wird dargestellt, welche Ansprüche an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einer jeweiligen Stufe gestellt werden und welche didaktischen Aufgaben auf die Teacher zukommen. (vgl. Klante/ Gundermann 2019, 1)
Mit Salmons Fünf-Stufen-Modells soll erreicht werden, dass ein kollaboratives Online-Lernen, eine verbesserte Interaktionskultur und eine höhere Zufriedenheit aller am E-Learning Teilnehmenden ermöglicht wird. Die verschiedenen Stufen werden zunächst im Überblick vorgestellt und anschließend genauer erklärt:
In der ersten Stufe geht es um die Bereitstellung eines individuellen Zugangs und die Schaffung einer positiven Grundeinstellung. Anschließend entwickeln die Teilnehmenden in Stufe 2 eine digitale Identität, während in Stufe 3 der gegenseitige Informationsaustausch Schwerpunkt der Bildungsarbeit wird. Danach soll in Stufe 4 zusammen Wissen geschaffen werden. Abschließend sollen in Stufe 5 die Teilnehmenden selbstständig interagieren, sodass sie nach persönlichem Nutzen und Zielen suchen. Salmon ist sich bewusst, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Regel unterschiedliches Vorwissen und Vorerfahrungen mitbringen, und damit nicht alle gleich viel Zeit auf den unterschiedlichen Stufen verbringen werden. (vgl. ebd.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Fünfstufenmodell nach Gilly Salmon
Stufe 1 – Zugang und Motivation
Die Teilnahmevoraussetzung am E-Learning ist ein unkomplizierter Zugang zur digitalen Infrastruktur. Neben der Zuverlässigkeit dieser Infrastruktur, müssen die technischen Geräte einfach zu benutzen sein. Gleichzeitig hängt erfolgreiches E-Learning auch von der Motivation der Teilnehmenden ab, ebenso natürlich auch von der Eigenmotivation der unterrichtenden Lehrpersonen. Verunsicherung und die Angst Fehler zu machen, könnte Online-Lernen genauso behindern, wie technische, infrastrukturelle Probleme. (vgl. Klante/ Gundermann 2019, 1f.)
Salmon empfiehlt, den Zugang zur Lernplattformen so einfach wie möglich zu gestalten (vgl. ebd.). Bei Moodle melden sich alle mit einer zuvor automatisch zugesandten ID auf der entsprechenden Seite an, mit der sie auf die E-Learningplattform ihrer Einrichtung zugreifen können (vgl. Dethloff 2019, 2). Die Rollen sind in der ID bereits zugeteilt, sodass sofort Arbeitsaufträge bearbeitet werden können (vgl. ebd.). Bei Adobe ist der Zugang komplizierter, da zusätzlich Webcam und Headset benötigt werden und außerdem noch Installationen von Programmen oder Verbindungstests durchgeführt werden müssen (vgl. Sperl 2015, 4f.). Nach einer erfolgreichen Anmeldung ist eine kurze Einführung in das System geboten. Auch in Zeiten mobiler Endgeräte und sozialer Netzwerke kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Lernenden Erfahrungen im Online-Lernen oder der Nutzung von Lernplattformen besitzen (Klante/ Gundermann 2019, 2). Daher sollten Lehrende direkte Ansprechpartner für technische Probleme benennen, alternativ gibt es im Internet zahlreiche Tutorials zum Einstieg zu finden. Ebenso wichtig ist die Motivation der Lernenden, den jeweiligen Kurs zu besuchen und sich aktiv zu beteiligen. Dazu müssen Lernende erfahren, was sie in der jeweiligen Lerneinheit mit welchem Ziel lernen (vgl. ebd.). Darüber hinaus sollten sie aber auch die Gelegenheit haben, Funktionen der Lernplattform selbst auszuprobieren (ebd.). Es wird zudem ausdrücklich gewünscht, unter kontrollierten Bedingungen Fehler machen zu dürfen, um Eigeninitiative in der neuen Lernumgebung zu fördern. Wie eine solche Kontrolle jedoch in Moodle in Quarantänesituationen aussehen kann, wird nicht genauer spezifiziert. Bei Adobe existiert dagegen eine Videochatfunktion und die Möglichkeit, dass Lehrkräfte im Zuge der Whiteboardfähigkeit auf den Bildschirm ihrer Schülerinnen und Schüler bei Bedarf zugreifen können.
Stufe 2 – Online-Sozialisation
In der zweiten Stufe soll den Teilnehmenden den Wert des Zusammenarbeitens im E-Learning verständlich gemacht werden und sie zur Kooperation befähigen (vgl. Salmon 2003, 32). Den Lernenden soll durch das Erstellen praktischer Übungen die Möglichkeit gegeben werden, sich online näher kennen zu lernen, damit für die angestrebte Zusammenarbeit eine Vertrauensbasis geschaffen werden kann (vgl. Klante/ Gundermann 2019, 2). Lehrkräfte sollten, vergleichbar mit einem Unterrichtseinstieg, Kennenlernrunden durchführen, bei denen die Aufgaben so einfach gestaltet sind, dass alle Teilnehmenden direkt mitmachen können. Selbst in Klassen, die sich bereits lange kennen, kann dieser Schritt wertvoll sein. Wichtig ist aber auch, dass die Teilnehmenden sich aufeinander beziehen, etwa, indem Beiträge im E-Learningportal kommentiert werden sollen (vgl. Salmon 2003, 34). Besonders in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern wie Sachunterricht, Gemeinschaftskunde, Geschichte oder Ethik bieten sich solche Runden an. Wenn noch der persönliche Austausch über Video möglich ist, böte sich der Austausch in sprachwissenschaftlichen Fächern an, was die Kommunikation vom Schriftlichen auf das Mündliche verlagert. Die Lehrkraft wäre demnach physisch anwesend, würde allerdings sich in der Situation zurückhalten, um die schülerinterne Kollaboration zu fördern (vgl. ebd.).
In der Online-Sozialisierungszeit wird der Unterricht erst dann lehrerzentriert, wenn Regeln für den gemeinsamen Umgang definiert werden. Hierbei geht es um die Verbindlichkeit, Pünktlichkeit, Rede- und Schreibrechte, sowie ihren Reihenfolgen. Die Phase entscheidet darüber, ob sich ihre Teilnehmenden in dem Online-System wohlfühlen und ein Selbstverständnis als Mitglied einer virtuellen Lerngruppe entwickeln können (vgl. Klante/ Gundermann 2019, 2).
Stufe 3 – Informationsaustausch
Die Lernenden werden ihren Schwerpunkt auf die inhaltliche Arbeit setzen, wobei die Lehrkräfte kursrelevante Themen einstellen müssen. Wesentlich für das E-Learning ist allerdings auch der Austausch mit anderen Lernenden über den Kursinhalt, um ein gemeinsames Verständnis für das Thema zu entwickeln. Zwar bieten die genannten Angebote einen Chatraum an, welcher diesen Austausch ermöglicht, allerdings findet dieser letztlich ohne Kontrolle statt. Daher beschränkt sich die Aufgabe des Lehrenden auf die Bereitstellung geeigneter Lernmaterialien. Vertiefende Informationsquellen sollten im Sinne der Binnendifferenzierung eingearbeitet werden. In der Gewöhnungsphase sollten einfache Recherchearbeiten bzw. kooperative Aufgaben erledigt werden. Die Lehrkraft sollte ausdrücklich auf die verschiedenen Werkzeuge der Lernplattformen zurückgreifen und diese vielfältig nutzen. Lernziel dieser Stufe ist die Fähigkeit der Teilnehmenden, adäquat mit Informationen umzugehen. Hierbei sollten Lehrkräfte ihre Klasse unterstützen und geeignete Strategien für den Umgang mit Informationsflut entwickeln. Es eignen sich hierfür klare Arbeitsaufträge, Termine und Fristen als unterstützende Orientierung. (vgl. Salmon 2003, 39f.)
Stufe 4 – Wissenskonstruktion
In dieser Ebene stehen die intensiven Diskussionen der Lernenden im Vordergrund, die Lehrkraft fungiert lernbegleitend. Salmon hält Aufgaben für wirksam, die es ermöglichen, verschiedene Perspektiven auf einen Inhalt sichtbar zu machen, unterschiedliche Standpunkte zu diskutieren und gemeinsam Ideen zu entwickeln (vgl. Salmon 2003, 41). Ziel der Kommunikation und Kooperation ist die gemeinsame Konstruktion von Wissen (Klante/ Gundermann 2019, 4). Durch die Interaktion wird Wissen geteilt und durch Diskussion und Präsentation vertieft (ebd.). In dieser Stufe sollten die Lernenden die Möglichkeit erhalten, die Werkzeuge für ihre Wissenskonstruktion selbst auszuwählen (ebd.). E-Learningsoftware stoßen an ihre Grenzen, da es die von Salmon vorgeschlagenen Funktionen wie Concept-und Mind Mapping in Moodle nicht gibt. Lediglich besitzen die Lernsoftware ausreichend Werkzeuge für kollaboratives Schreiben. Explizit werden auch eigenständige Gruppenarbeitstreffen empfohlen, um sich als Schülerin oder Schuler auf den E-Learning-Unterricht vorzubereiten (vgl. ebd.). Diese Möglichkeit besteht bei Adobe (vgl. ebd.).
Stufe 5 – Entwicklung
Auf der höchsten Ebene agieren die Teilnehmenden selbstständig mit ihrer Online-Gruppe. Sie sind in der Lage, selbst Impulse für eine Diskussion zu geben und diese aufrecht zu erhalten. Aus der Schülerschaft heraus werden sich eigene Ziele gesetzt. Wird diese Stufe erreicht, kann man auch von einer Learning-Community sprechen. Lehrende befinden sich nur noch in der Rolle des Lernbegleiters und geben Hinweise auf interessante Informationsquellen, die ihren Teilnehmenden eine Weiterentwicklung ermöglichen. Darunter kann man sich z. B. themenbezogene Events mit Experten aus der Praxis vorstellen, mit denen ein Live-Gespräch geführt wird. Im Sinne der Nachhaltigkeit individuellen Lernens sollte die Reflexion des Lernprozesses im Fokus der Lernenden stehen. Wichtig für die Lernenden ist, sich des eigenen Lernstils und der eigenen Lerngewohnheiten bewusst zu werden und die gemeinsam gewonnenen Lernerfahrungen zu reflektieren, um adäquate Lernstrategien für die Zukunft daraus abzuleiten. (vgl. ebd., 5)
4.1.2. Inklusive Anforderungen
Die über Jahrzehnte gewachsene gesellschaftliche Sonderbehandlung von Menschen mit Behinderung erweist sich gegenüber Bestrebungen zum sogenannten Disability Mainstreaming, zur Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in alle gesellschaftlichen Bereiche, als Denkstruktur, die sich nur langsam aufbrechen lässt (Bosse 2011, 19). In der bundesdeutschen Diskussion ist das Thema „Inklusion und digitale Medien“ noch unterbelichtet (vgl. Schaumburg 2015, 41). Wenn es um inklusive Anforderungen geht, wird darunter oftmals ausschließlich die technische Ermöglichung des Zugangs für Menschen mit Behinderung verstanden (vgl. ebd., 13f.; Schluchter 2010, 17). Medienkompetenz ist jedoch etwas, was alle Menschen erwerben können (vgl. Moser 2010, 244). „Allen gleichermaßen Mediennutzung zu ermöglichen, Medienkompetenz in allen räumlichen, sozialen und generativen Bereichen zu verankern, soziale und politische Teilhabe für alle zu ermöglichen, [...] seien es ältere Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit formal niedriger Bildung oder Menschen mit Behinderung“ ist Ziel der inklusiver Medienpädagogik (Bosse/ Jäcklein-Kreis 2012, 8). Medien für alle ermöglichen zu können, ist auch im Recht auf Bildung verankert.
Einige Forschungsergebnisse beschreiben spezielle Hard- und Software für den sonderpädagogischen Bereich als technologischen Fortschritt (vgl. Schaumburg 2015, 41). Grundlegend muss allerdings der Frage nachgegangen werden, inwieweit digitale Angebote zum heutigen Stand in Notsituationen diesen Schülerinnen und Schüler gerecht werden können und nicht, wie sie die Technik in Zukunft nutzen könnten.
Die Fähigkeiten von Adobe Connect besitzen in Bezug auf die Barrierefreiheit viele Elemente, die für den Unterricht in sonderpädagogischen und inklusiven Strukturen vorteilhaft sind. In der Studie „Mediennutzung von Menschen mit Behinderungen“ wurde eine durchgehende Untertitelung sowie der Ausbau von Audiodeskription gefordert, um in der mediatisierten Gesellschaft teilhaben zu können (vgl. Bosse/ Hasebrink 2016, 112). In dem Programm von Adobe ist eine direkte Transkription möglich, sodass diesem Phänomen begegnet werden könnte. Schülerinnen und Schüler, welche Schwierigkeiten beim Schreiben haben, weil beispielsweise die mobilen Endgeräte sie durch zu kleine Tasten motorisch ausschließen, könnten durch die Lernsoftware per Spracheingabe Texte verfassen und korrigieren. Über die Lernsoftware werden Sprachcomputer ersetzt, welche die Defizite kommunikationsbeeinträchtigter Teilnehmenden ausgleichen (vgl. Bock 2008, 80). Mit E-Learning bleiben auch die Chancen für Schülerinnen und Schüler in den Vorbereitungsklassen erhalten, Deutsch sprechen lernen zu können. Es bestünde bei videochatfähigen Programmen nicht nur die Möglichkeit, dass Lehrkräfte mit ihren Zweitsprachelernenden Deutsch lernen, sondern dass über die direkte Transkription auch die Schriftsprache angezeigt wird. Dies kann den Schriftspracherwerb insbesondere im Bereich der phonologischen Informationsverarbeitung vereinfachen, welcher im deutschen Sprachraum noch als größter Risikofaktor für Zweitsprachenlernende vermutet wird (vgl. von Goldammer 2010, 75).
Neben sprachlichen Anforderungen bedarf es auch einer Betrachtung der räumlichen inklusiven Bedingungen. Im Prinzip könnte das Lernmanagementsystem auch als Geometriesoftware eingesetzt werden, welche Schülerschaften mit körperlichen Defiziten ermöglicht, Zeichnungen und Konstruktionen trotz motorischer Grobmotorik passgenau zu erstellen (vgl. Schaible 2008, 45). Ein solcher Unterricht hätte dann allerdings stets die Voraussetzung, dass dem Lehrenden ein Whiteboard zur Verfügung stehen müsste, wodurch die infrastrukturelle Frage wieder in den Vordergrund kommt. Untersuchungen bescheinigen Moodle einen ausreichenden Standard in der Barrierefreiheit (vgl. Weber/ Voegler 2014, 14). Jedoch gilt ein barrierefreies Angebot schon als erfüllt, wenn es für eine bestimmte Zielgruppe, wie zum Beispiel Gehörlose, genügt (vgl. Patzer/ Sell/ Pinkwart 2016, 258). Moodle oder Adobe Connect sind allerdings für die Mehrheit der Nutzenden mit Handicap nicht barrierefrei (vgl. ebd.).
Die einfache Bedienung gilt als Schlüsselfaktor, der über das Gelingen von erfolgreicher digitaler Bildungsarbeit entscheidet: Die Gerätebedienung für Sehbeeinträchtigte ist ein großes Problem, wenn Medienpädagogen die Benutzbarkeit von Adobe Connect selbst bei nichtgehandicapten Nutzenden kritisch hinterfragen (vgl. Bosse/ Hasebrink 2016, 113). Die Einfachheit der Bedienung wird daher zum jetzigen Zeitpunkt als noch nicht zufriedenstellend in Hinblick auf die inklusiven Herausforderungen bezeichnet (vgl. Patzer et al. 2016, 266). Softwareingenieurwissenschaftler haben 2016 bereits die Anforderungen einer inklusive E-Learning-Software vorgestellt, deren Vorschläge bisher nicht vollständig umgesetzt worden sind (vgl. ebd.).
In Hinblick auf Inklusion bleibt neben den technischen Möglichkeiten auch die Frage, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen bei Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf für E-Learning überhaupt gegeben sind. Dr. Heike Schaumburg von der Berliner Humboldt-Universität kommt in einer Untersuchung von 2015 zum Schluss, „dass die Nutzung digitaler Medien für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sich nicht grundsätzlich vom schulischen Einsatz bei anderen Schülern unterscheidet“ (Schaumburg 2015, 41). Sie berief sich in ihrer Befragung aber auf Dr. Burkhard Schwier, der in einer Befragung an 15 Förderschulen herausfand, dass digitale Medien, wie auch an den allgemeinbildenden Schulen, für Textverarbeitung und Internetrecherchen verwendet werden und rehabilitative Einsätze deutlich seltener vorkommen (vgl. Schwier 2009, 13). Er bezieht sich allerdings in seiner Forschung lediglich auf die Untersuchung der Förderpädagogik mit dem Schwerpunkt „Lernen“, die anderen sonderpädagogischen Förderschwerpunkte „Sehen“, „körperliche und motorische Entwicklung“, „emotionale und soziale Entwicklung“, „Sprache“, „geistige Entwicklung“ und „Hören“ sind unberücksichtigt, womit Schaumburgs pauschale Schlussfolgerung zu hinterfragen ist (vgl. ebd., 3).
In der Geistigbehindertenpädagogik besitzen die digitalen Medien für Schüler weiterhin einen rehabilitativen Charakter, weil autistische Personen grundsätzliche sonderpädagogische Probleme bei Veränderungen zeigen. Ihren digitalen Alltag, der zum Beispiel durch Talker funktioniert, lässt sich ohne Symptome nicht unmittelbar, wie es in Quarantänezeiten verlangt wird, auf E-Learning umstellen. Zudem wird es als Aufgabe der Sonderpädagogik gesehen, dass über die Erschließung neuer Gerätetypen über das bekannte digitale Arbeitsfeld hinausgegangen und neue pädagogische Handlungsfelder erschlossen werden müssen (vgl. Reber/ Luginbühl 2016, 14). Daraus ist der Auftrag abzuleiten, dass der Fachbereich Sonderpädagogik eigenständig über den Einsatz von E-Learningplattformen entscheiden dürfte, jedoch auch die dafür medienpädagogische Kompetenzen tragen müsste, auf dessen Schwierigkeiten im Kapitel „Digitale Medienkompetenz von Lehrkräften“ ausführlicher eingegangen wird (vgl. ebd.).
4.1.3. Soziales Lernen und soziale Entwicklung
Um sozial lernen zu können, sind Lernplattformen extrem herausgefordert. In der Diskussion über lebenslanges Lernen wird die Bedeutung des sozialen Lernens für Individuen, Organisationen und die Gesellschaft zunehmend erkannt (vgl. Kerres / Hölterhof / Nattland 2011, 3). Im lebenslangen Lernen schließt soziales Lernen die aktive Partizipation an kulturellen Wissensressourcen und gesellschaftlicher Wissenskommunikation ein und bezieht sich zu einem geringen Teil auf Weiterbildung (vgl. ebd.). Bandura hatte in seiner sozialen Lerntheorie aufgezeigt, dass Lernen nicht nur als Folge von Reaktionen der Umwelt stattfindet, sondern auch durch Beobachtung des Verhaltens Anderer (vgl. Bandura 1978, 25). In didaktischen Debatten bezieht sich das soziale Lernen, auf Lernzielvorgaben der Bildungspläne, wie beispielsweise das Erlernen von Sozialverhalten durch Rollenübernahme, Gesprächsführung, Empathie, Respekt, Verantwortung oder Gruppenfähigkeit (vgl. Kerres et al. 2011, 3). Lange Zeit wurde das soziale Lernen mit institutionellen Bildungsangeboten von Schulen eng verknüpft, in welchem die Begegnung eines etwa gleichaltrigen Umfelds stattfindet; welches ähnliche Lernziele verfolgt (vgl. ebd.). Das Besondere an der aktuellen Entwicklung ist, dass sich soziales Lernen auf renommierten Internetseiten und soziale Netzwerke verlagert und junge Menschen zunehmend soziales Lernen ins Internet externalisieren, auf das die institutionellen Ebenen häufig keinen Einfluss nehmen können.
Lernplattformen sehen sich in der Rolle bestätigt, dass sie dem entgegenwirken können, indem sie begründen, dass sie die Sozialziele der Schule erreichen können.
Sie meinen, die oben genannten Fertigkeiten über die Lernplattformen genauso gut ausbilden zu können, in dem die Jugendlichen ihre Mitlernenden als Übungspartner oder auch Rollen-Vorbilder online sehen, von denen man Sozialverhalten erlernen könnte. Eine der wichtigsten Grundvoraussetzung ist erfüllt, da sich die Lerngruppe ja über den Schulalltag in der vorhandenen Klassengemeinschaft kennt. So wurde eine notwendige Vertrauensbasis über die Schule bereits aufgebaut. In neu erstellten Onlinekursen, wie es beispielsweise in Vorbereitungsklassen häufig der Fall ist, würde dagegen Anonymität ein stark hemmender Faktor für das soziale Lernen sein (vgl. Kerres et al. 2011, 10; vgl. Gomolla/ Radtke 2002, 102). In den vorhandenen Klassengemeinschaften würden Arbeitsaufträge in Partner- oder Gruppenkonstellation erhalten bleiben, die gruppenbezogenen Sozialziele könnten nach Ansicht eines Forscherteams mit Lernplattformen erreichbar sein, da Beziehungen zwischen Menschen bestehen bleiben, die den Lernort und das Lernen selbst aufwerten und interessanter machen. Es zeigt sich bereits, dass eben diese Beziehungen die Gefahr des Abbruchs von Lernaktivitäten reduziert. Gleichfalls gelten andere Lernende als Wissensressourcen, die zusätzliche Sichten und unterschiedliche Fertigkeiten für die Bearbeitung von Gruppenaufgaben einbringen. Lernplattformen versprechen die schnelle Vernetzung zwischen Lernenden mit Anderen, was den Zugang zu kulturellem Wissen und gesellschaftlicher Kommunikation verbessere. (vgl. Kerres et al. 2011, 5f.)
Ausgeklammert in der Studie wurden die negativen Seiten dieser Entwicklung. Die am energischsten vertretene Kritik am Nutzen digitaler Lernplattformen für soziales Lernen kommt vom Neurowissenschaftler Prof. Manfred Spitzer von der Universität Ulm. Er vertritt die Ansicht, dass Menschen ein schier unstillbares Bedürfnis am Schicksal anderer Menschen haben (vgl. Spitzer 2016, 9). „Wir haben nicht nur Hunger nach Nahrung, sondern auch nach Informationen, mit denen wir zu gerne unser Gehirn „füttern“, um besser in der Gemeinschaft klarzukommen. Soziale Online-Medien befriedigen diesen Hunger etwa so, wie Popcorn den Hunger nach Nahrung befriedigt: Mit Luft und leeren Kalorien. Wie mehrere Studien zeigen, macht die Nutzung […] sozialer Online-Medien depressiv und unzufrieden, gerade weil unser Bedürfnis nach Nähe und Gemeinschaft durch sie nicht befriedigt wird“ (ebd.). Zugleich verweist er auf Studien, dass die Suchtgefahr durch die Verwendung digitaler Medien ansteigt. Er hält die Lernförderlichkeit für fraglich (vgl. Spitzer 2016, 10; Gentile 2009, 599f.; Fröhlich/Lehmkuhl 2012, 83).
Vor eine durch virtuelle Räume ausgelöste negative soziale Entwicklung warnt auch der Medienpsychologe Prof. Daniel Süss von der Universität Zürich. Die in Lernmodulsysteme stattfindende Chatkommunikation wird meist in Mundart geschrieben und Rechtschreibregeln werden vernachlässigt. Chats müssen schnell laufen und sind eher mit gesprochenen Aussagen vergleichbar, als mit geschriebenen. Abkürzungen und Emojis tragen zur beschleunigten Kommunikation bei. Am problematischsten in Bezug auf soziales Lernen in Chats kann die sogenannte Kanalreduktion der Kommunikation gesehen werden, welches zu einer Enthemmung führt. Man kommuniziert impulsiver, sei dies bei positiven, wie auch bei negativen Stimmungen, zum Beispiel, wenn man sich über etwas oder jemanden ärgert und dem nicht direkt gegenüber steht. Da sämtliche Signale von Autorität, wie Bekleidung oder Besprechungsräume wegfallen, entsteht der Eindruck, dass man mit allen, auch mit der Lehrkraft, auf gleicher Augenhöhe kommunizieren kann. Die Anreden und Formulierungen werden ohne Face-to-Face-Situationen kumpelhafter. Lehrkräfte müssten von Anfang an die Kommunikationsform mit ihrer Klasse dringend klären. Der enthemmende Effekt der Internetkommunikation kann in psychische Gewalt ausarten, weil man die Reaktion des Opfers nicht unmittelbar mitbekommt und daher weniger Empathie entwickelt. Der Chatfunktion ist vorzuwerfen, dass sie antipathisches Verhalten bewirken kann, was ein Gegensatz zu dem vorgegebenen Sozialzielen darstellt und als Extremform dekonstruktiver Kommunikationsformen sich in Cybermobbing zeigt. (vgl. Süss 2013, 4f.)
Diese Enthemmung könnte sich längerfristig durch gestiegene Gewalttaten und Radikalisierungstendenzen auf den realen Alltag auswirken. Inwieweit dabei Enthemmung aber eine Rolle spielt, wird momentan noch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbund „Analyse extremistischer Bestrebungen in sozialen Netzwerken (X-SONAR)“ begutachtet (vgl. Forschungsgruppe X-SONAR 2017, 36).
Die medienpädagogische Forschungsgruppe aus Nordrhein-Westfalen vertritt in Bezug auf soziales Lernen die Ansicht, dass man auf Lernplattformen verzichten könnte (vgl. Kerres et al. 2011, 7). Sie empfehlen den Lehrkräften auf E-Learning jenseits einer Lernsystemsoftware umzusteigen, in dem sie Dokumente auf öffentlich zugänglichen Webseiten hochladen, Literaturlisten über Mail verschicken, eine eigene Homepage erstellen oder eine offene, von allen frei bearbeitbare Seite erstellen (vgl. ebd.). Ein solches Szenario sei gut bei informellen Lernaktivitäten zu realisieren und lässt sich beispielsweise als digitalen offenen Unterricht implementieren, in welchem die Klasse an einem Thema gemeinsam lernen und arbeiten will (vgl. ebd.). Die Organisation von Online-Unterricht erfordere aber auch direkte Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Lehrenden und Teilnehmenden, welche face to face erfolgen soll: Darunter fallen die zuverlässige Vereinbarung von Terminen, Prüfungen und die Notenvergabe (vgl. ebd.). Die Forschungsgruppe wägt auch ab, dass man „ein komplettes Fernstudium“ in dieser Weise nicht organisieren sollte (vgl. ebd.).
Die drei westdeutschen Medienwissenschaftler klammern in ihren Forschungen die Frage nach der momentanen digitalen Medienkompetenz der Lernenden aus. Dass Grundschülerinnen und –schüler sich in dem jungen Alter dem Internet aussetzen sollen, ist also keineswegs Teil der Ausarbeitung gewesen. Auf diese Fragestellung geht diese wissenschaftliche Ausarbeitung im untenstehenden Kapitel ein.
4.2. Fortbildungsbezogene Analyse
E-Learning gehört zu einem Bestandteil von Lehrerfortbildungen, in dem Moodle als Lernplattform betrachtet wird. Bei der Vorstellung der unterrichtsrelevanten Punkten wird zwar angeführt, dass man nicht in, sondern mit Moodle unterrichtet (vgl. Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg 2020a). Der Notsituation geschuldet, mussten tatsächlich reine E-Learning-Phasen mithilfe von Lernplattformen umgesetzt werden.
Das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg (ZSL) hält einen E-Learningkurs für „gut“, wenn er in einer spezifischen Unterrichtssituation für eine bestimmte Lerngruppe von einer Lehrperson mit charakteristischen Eigenschaften genau dafür zusammengestellt wird (vgl. ebd.).
1. Der Kurs soll seine Aufgabe für die Lernenden in einer speziellen Situation erfüllen.
2. Der Kurs soll sinnvoll in den Unterricht eingebettet sein.
3. Die Aufgaben sollen leicht zu bearbeiten sein.
4. Die Arbeit im Kurs soll Freude bereiten.
Im ersten Kriterium wird auf die Vielfältigkeit von Lernsituationen hingewiesen, denen das System Moodle mit seinen zahlreichen Funktionen Rechnung tragen kann (vgl. ebd.). Wie jede Unterrichtsvorbereitung auch, sollte sich ein Moodle-Kurs immer an der spezifischen Lerngruppe orientieren.
Zum einen soll es Transparenz geben, indem die Unterrichtsinhalte für die Lernenden veröffentlicht werden. Dazu zählt unterrichtsrelevantes Material, das rechtzeitige Ankündigen von Lernaufträgen oder ein Zeitplan, der selbst organisiertes Lernen unterstützt (vgl. ebd.). Moodle kann selbstständiges Lernen fördern, indem unabhängig von Zeit und Ort im eigenen Lerntempo gearbeitet wird und indem ein Rahmen für unterschiedliche Sozialformen (Einzelarbeit, Gruppen-/Partnerarbeit, Projekt) zur Verfügung gestellt wird (ebd.). Lehrkräfte sollen daher auch über die Plattform Differenzierung ermöglichen, indem Zusatzmaterial zur Vertiefung, zum nochmaligen Üben oder zur Vorbereitung bereitgestellt wird (vgl. ebd.).
Der zweite Hinweis, der eine sinnvolle Einbettung in den Unterricht einfordert, müsste im Fall eines reinen E-Learning-Unterrichts neu definiert werden.
Das dritte Merkmal richtet sich darauf, wie man als Lehrkraft den Kurs aufbaut. Egal ob mit Moodle oder Adobe Connect, grundsätzlich wird das Prinzip „Weniger ist mehr“ hochgeschrieben (vgl. ebd.). Welche Blöcke außerhalb des Themenblocks werden tatsächlich benötigt und welche sind in der nächsten Kursstunde irrelevant.
Das ZSL schreibt, dass an einem Kurstag nicht über zehn Blöcke hinausgegangen werden sollte. Um die Übersicht zu wahren und unnötiges Scrollen zu vermeiden, empfiehlt das ZSL sogar, die Anzahl der Blöcke auf die Hälfte zu reduzieren. Eine klare Struktur soll das Arbeiten im Moodle-Kursraum erleichtern (vgl. ebd.).
Diese durch das ZSL bereitgestellte Kurzanweisung kann als Einstieg in die E-Learningsphären genutzt werden, da es einige Grundvoraussetzungen für E-Learning anspricht. Dennoch wird im ersten Absatz klar, dass das ZSL Moodle nicht als reinen E-Learning-Unterricht vorstellt, sodass es den Ansprüchen der Pädagoginnen und Pädagogen für die Quarantänesituation nicht genügen kann. Eine direkte Einweisung, wie man als Lehrkraft konkret einen Kurs anlegen kann, Teilnehmende hinzufügt, Noten in die Datenbank einträgt, lässt sich auf dem Fortbildungsserver nicht finden. Um auf die angesprochenen Punkte vertiefend eingehen zu können, bedarf es an Fortbildungen und Schulungen für Lehrerinnen und Lehrer, welche online vorstellbar sind. An dieser Stelle muss die Kritik Schaumburgs angeführt werden, dass Lehrkräfte sich zwar mehr und bessere Fortbildungen dazu auch wünschen, sie jedoch das Angebot dieser Fortbildungen in der Vergangenheit aber kaum genutzt haben (vgl. Schaumburg 2015, 46). Inwieweit sich das dann auf die allgemeine Medienkompetenz der Lehrkräfte auswirkt, wird im nächsten Abschnitt deutlich.
4.3. Medienp ä dagogische Analyse
4.3.1. Infrastrukturelle Voraussetzungen
Schülerinnen und Schülern über das Internet Bildungsangebote anzubieten klappt nur, wenn die Voraussetzungen im häuslichen Umfeld gegeben sind. Es wird vorausgesetzt, dass der Schülerschaft ein leistungsfähiges mobiles Endgerät und ein Internetzugang zuhause bereit steht.
Nur mit dem Besitz dieser digitalen Infrastruktur können Bildungsangebote online funktionieren. Bereits mit 12 Jahren besitzen 97 Prozent aller Jugendlichen in Deutschland ein Smartphone (vgl. Berg 2019, 2). Erstaunlich ist zudem, dass 78 Prozent aller sechs- bis siebenjährigen bereits ein Tablet nutzen (vgl. ebd.). Es gibt den Trend, dass Kinder immer früher ein digitales Endgerät nutzen (vgl. Berg 2019, 3). Diese Studie attestiert den Jugendlichen eine frühe Affinität zu digitalen Geräten, was für eine Entwicklung digitaler Medienkompetenz von Vorteil sein kann. Gleichzeitig muss aber in Betracht gezogen werden, ob es sich um eigenständigen Besitz dieser Endgeräte handelt. Denn in Notsituationen, in denen ein Großteil der Bevölkerung wegen Home-Office auf digitale Medien angewiesen ist, könnten gemeinschaftlich geteilte Endgeräte nur einer Person zur Verfügung stehen. In der repräsentativen Umfrage kann zu keinem Zeitpunkt aus den vorhandenen Daten abgeleitet werden, dass mit zehn Jahren die meisten Kinder ein eigenes Smartphone haben, wie es in der Presseinformation des Digitalverbandes Bitkom suggeriert wird (vgl. Krösmann/ Nietan 2019).
Um digitale Bildungsangebote nutzen zu können, bedarf jede Nutzerin und jeder Nutzer einen funktionierenden und stabilen Zugang ins Internet. Die Aufwertung des Internets durch Breitbandanschlüsse findet in Deutschland überwiegend in Großstädten und Ballungsgebieten statt. In den ländlichen Gebieten ist im Schnitt noch nicht mal jeder zweite Haushalt mit einer 100 MBit-Leitung versorgt, wie aus dem Breitbandatlas der Bundesregierung hervorgeht (vgl. Bundesverkehrsministerium 2020, 11). Bei 50,4 Prozent der Bevölkerung im ländlichen Räumen würde E-Learning damit nur langsam und versetzt funktionieren, was sie vom virtuellen Klassenzimmer und anderen qualitativ höherwertigen Optionen ausschließen würde (vgl. ebd.). In der Stadt dagegen betrifft dieses Problem nur 7,3 Prozent (vgl. ebd.). Es zeigt sich, dass es in der Bundesrepublik Deutschland beim Internetanschluss ein großes Stadt-Land-Gefälle gibt, was eben in Bezug auf digitale Angebote ungleiche Bildungsvoraussetzungen mit sich bringt. Zudem muss berücksichtigt werden, dass in der Quarantänesituation automatisch mehrere Personen im Haushalt auf das Internet zugreifen müssen und es dadurch noch langsamer wird.
Infrastrukturelle Fragestellungen ergeben sich auch aus der Ausstattung der Lehrkräfte. Wie in den oben stehenden Kapiteln bereits erwähnt, könnten Whiteboards E-Learning-Unterricht auch unter inklusiven Gesichtspunkten unterstützen. Nach einer weiteren Bitkom-Studie besitzen 65 Prozent aller Schulen ein Whiteboard (vgl. Rohleder 2019, 2). In Notsituationen könnten 35 Prozent aller Kollegien nicht auf ein Whiteboard zurückgreifen und die restlichen konkurrieren um die wenigen Whiteboards ihrer Schule. Über die Anzahl, wie vielen Lehrkräften privat ein Whiteboard zur Verfügung steht, wurden noch keine Forschungen erhoben. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass Whiteboards keineswegs bei einem E-Learning basierten Schulalltag flächendeckend zum Einsatz kommen können und so die oben genannte Potenziale des E-Learning determiniert.
4.3.2. Digitale Medienkompetenz von Lernenden
Einer der größten für die Gesamtbetrachtung entscheidender Faktor für das E-Learning ist die digitale Medienkompetenz von Lernenden und Lehrenden. In der Medienwissenschaft haben sich drei konkrete Generationenbegriffe etabliert.
Digital natives integrieren das Internet im vollen Umfang in ihren Alltag und bewegen sich mit großer Souveränität und Selbstverständlichkeit in der digitalen Welt (vgl. Büsch 2017, 62). Die Sphären offline und online verschmelzen in diesem Segment zunehmend (ebd.). Nach einer Bundesstudie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit (DIVSI) zählen 41 Prozent zu dieser Gruppe (vgl. Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit 2012, 34).
Digital immigrants bewegen sich zwar regelmäßig, aber nur selektiv im Internet und stehen vielen Entwicklungen skeptisch gegenüber (vgl. ebd.; vgl. Büsch 2017, 62). Sie sind es gewohnt, dass Wissenserwerb langsam und mit Ernsthaftigkeit einhergeht, hauptsächlich, weil sie es in dieser Form gelernt haben (Hartwig 2016, 4). In Deutschland machen sie 20 Prozent aus (vgl. Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit 2012, 34).
Digital outsiders sind vollkommen oder stark verunsichert im Umgang mit dem Internet (vgl. ebd.; vgl. Büsch 2017, 62). Aus diesem Grund nutzen sie das Internet so gut wie gar nicht. 39 Prozent in der Bundesrepublik zählten 2012 in diese Gruppe (vgl. ebd.).
Stark vereinfachend ausgedrückt schürt die Medienwissenschaft die Losung: Je jünger, desto souveräner ist der Umgang mit Medien (vgl. Büsch 2017, 62). Unter die ersten digital natives fallen die Geburtenjahrgänge von 1980 bis 1999, welche auch als Generation Y bezeichnet wird (vgl. ebd.).
Die Medienkompetenz der Lernenden mit allen seinen Facetten, soll in dieser Ausarbeitung nicht vertieft erfolgen, weil dies bereits umfassend in anderen Ausarbeitungen geschehen ist (vgl. Carretero/ Vuorikari/ Punie 2017; vgl. Groeben 2002; vgl. Niesyto 2017; vgl. Lange 2020). Die Ergebnisse waren, dass die junge Generation tatsächlich medienkundig, medieninteressiert und mediengestalterisch aktiv ist. Lediglich zwei wesentliche Faktoren werden als Schwierigkeiten gesehen. Die Medienkritikfähigkeit ist ein Punkt, welcher sich elementar von der sozialen Herkunft entscheidet (vgl. Carretero/ Vuorikari/ Punie 2017, 21; vgl. Niesyto 2017, 5). Die Medienkritik ist in sozial benachteiligten Schichten weniger verbreitet, als in den höheren Schichten. Nach Forschungen von Prof. Horst Niesyto ergibt sich diese soziale Spaltung aus Mittelschichtslastigkeit medienpädagogischer Konzepte, die Fähigkeit zu medienkritischen Denken bleibt Aufgabe (medien-) pädagogischer Fachkräfte (vgl. Niesyto 2017, 5f.). Auch unter altersspezifischer Sicht muss bedacht werden, dass Primarstufenschülerinnen und –schüler nicht völlig unkontrolliert den Einflüssen des freien Netzes ausgesetzt werden, da die Möglichkeiten von Kindern zur Verarbeitung dieser Einflüsse nicht in gleichem Maße gegeben sind, wie bei älteren Schülergruppen (vgl. Irion 2016, 18). Einige Studien legen aber nahe, die Medienkompetenz ab der Grundschule mit Zuhilfenahme von E-Learning-Software zu lehren, da sie den individuellen Lernprozess gerade auch beim Sprach- und Schrifterwerb unterstützen und fördern (vgl. Stary 2007, 103; vgl. Steiner/ Falkensteiner/ Moitzi/ Dilly 2009, 9).
Das schwerwiegendste Problem beim E-Learning in Bezug auf die Medienkompetenz der Lernenden ist, die Konzentration auf die digitalen Schulaufgaben aufrecht zu erhalten. Denn gerade beim E-Learning werden Lernende durch Push-Benachrichtigungen abgelenkt. Eine deutsch-britische Psychologieforschergruppe hat den Zusammenhang zwischen häufiger Ablenkung durch das Smartphone und einer verminderten Produktivität und Effizienz bei der Arbeit aufgedeckt. (vgl. Duke/ Montag 2017, 91f.)
Die Ausarbeitung stellte fest, dass bei abhängigkeitsgefährdeten Teilnehmenden auch negative Auswirkungen auf die gesamte Tagesleistung nachzuweisen waren. Wer häufig durch das Smartphone abgelenkt wird, ist weniger produktiv. E-Learning droht vor allem dann zu scheitern, wenn der Arbeitsfluss, auch workflow genannt, permanent durch Push-Nachrichten und blinkenden Displaylichtern unterbrochen wird. Es gibt auch Tendenzen, dass sich die jungen Menschen während des E-Learnings oft ihrem Smartphone zuwenden, selbst wenn es gar nicht das mobile Arbeitsgerät ist. Laut der Untersuchung liegt dieses Phänomen nicht nur daran, dass die Nutzenden sich unwohl fühlen oder sich nicht in der Lage sehen, effizient zu arbeiten, sondern auch um Stress und Überforderung zu kompensieren. (vgl. ebd., 93f.)
Während im normalen Schulalltag Lehrkräfte die Oberhand haben, Smartphones zu verbieten oder seine Nutzung einzuschränken, sind in der Quarantänesituation die Lernenden auf sich allein gestellt. Ob die Schülerschaft die Mediennutzung adäquat selbst verwalten kann, wird kritisch gesehen. Lernende müssten für das Ablenkungsproblem bereits zu Beginn sensibilisiert werden und könnten aufgefordert werden, die Push-Benachrichtigungen zu deaktivieren. In vielen Fällen reduziert dies Ablenkung, in wenigen Fällen erhöhte sie sich (vgl. Diefenbach/ Ullrich/ Kronseder/ Stockkamp/ Weber 2017, 43).
4.3.3. Digitale Medienkompetenz von Lehrkr ä ften
Der Mainzer Erziehungswissenschaftler Prof. Andreas Büsch stellte sich die Forschungsfrage, ob „Lehrer*innen als digital immigrants bei digitalen Medien ihren Schüler*innen […] technisch unterlegen, mithin weniger medienkompetent“ sind (Büsch 2017, 59). Ein Blick auf die Altersstruktur der Lehrkräfte lässt die Wahrscheinlichkeit von überwiegend medienkompetenzbenachteiligten Kollegien steigen: Deutschland besitzt mit 42 Prozent einen enorm hohen Anteil an Lehrkräften über 49 Jahren und besitzt nach Italien das älteste Lehrerkollegium der ganzen OECD (vgl. OECD 2017, 520). Wenigstens in deutschen Grundschulen kann nach diesem Schema eine hohe Medienkompetenz erwartet werden, da an diesen Schulen überwiegend Junglehrerinnen arbeiten (vgl. ebd.).
Für den Einsatz digitaler Bildungsofferten ist es unverzichtbar, dass Lehrkräfte medienkompetent sind (vgl. Schaumburg 2015, 45). Gerade die Computerkompetenz der Lehrpersonen wird als eine zentrale Voraussetzung für die Implementierung digitalen Unterrichts gesehen (vgl. Prasse 2012, 34). Im deutschsprachigen Raum wurden jedoch keine quantitativen Studien durchgeführt, in welchem die Digitalkompetenz von Lehrkräften mit Testverfahren erforscht wurde. Bisweilen haben nur qualitative Studien dieses Feld in Deutschland untersucht. Lehrkräfte in Deutschland weisen im internationalen Vergleich insgesamt eine positive Selbsteinschätzung zu ihrer Digitalkompetenz auf. So zeigte die International Computer and Information Literacy Study 2013, dass sich die bundesdeutsche Lehrerschaft im Vergleich zu ihren internationalen Kolleginnen und Kollegen in technischer Hinsicht als recht kompetent wahrnimmt (vgl. Gerick/ Schaumburg/ Kahnert/ Eickelmann 2014, 176). Entscheidend für die Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung, inwieweit digitale Bildungsangebote den minimalen Bildungsansprüchen genügen könnten, ist die Grundfertigkeit von Lehrkräften, digitale Medien im Unterricht zu integrieren, sowie fortgeschrittene Kenntnisse, wie das Erstellen von Präsentationen oder Tabellenkalkulationen mit entsprechenden Programmen zu haben. Für das E-Learning von zuhause stellen diese Grundkenntnisse eine erforderliche Mindestvoraussetzung dar.
Das Ergebnis der groß angelegten Forschung gibt daher eine richtungsweisende Antwort: 33 Prozent der deutschen Lehrkräfte fühlen sich nicht imstande, einen Unterricht zu planen, der digitale Medien integriert, was eine der höchsten Werte in Europa darstellt (vgl. Gerick et al. 2014, 181). Gerade bei fortgeschrittenen technischen Kompetenzen hegen die Lehrkräfte Zweifel an ihren Fertigkeiten (vgl. ebd.). Präsentationen zu erstellen, beherrschen nach eigenen Angaben 73,6 Prozent der Lehrkräfte in der Bundesrepublik, bei Tabellenkalkulationen sind es 51,7 Prozent (vgl. ebd.). Auf E-Learning angewandt heißt das, dass nach Selbstauskünften nur jede zweite Lehrkraft in Deutschland eine ausreichende digitale Medienkompetenz verfügt, um E-Learning durchführen zu können. Zu berücksichtigen ist noch, dass Lehrkräfte in der Sonderpädagogik über die Standardkompetenzen hinaus spezifische Digitalkompetenzen verfügen müssten, um den Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarfen mit ihrem Grundrecht auf Bildung gerecht werden zu können. Weil die Herstellerfirmen aktueller Lernmanagementsysteme den Bedarf an Inklusion nicht umgesetzt haben, fehlen die inklusiven Voraussetzungen, die insbesondere sonderpädagogische Fachkräfte in der Krisensituation ausbaden müssen. Es stellt sich in diesem Bereich die berechtigte Frage, ob mit diesem Medienkompetenzdefizit überhaupt die immense Aufgabe gestemmt werden kann oder ob von Anfang an analoge Lernkonzepte versucht werden müssten.
5. Analoge Lernkonzepte f ü r zuhause
Trotz eines Vertrauen in die digitalen Lernplattformen wird von Kultusministerien jedoch die Notwendigkeit gesehen „wenn es gar nicht mehr geht, […] auf die gute, alte Post“ zurückzugreifen (Haupt/ Siebert 2020). Die Aussage ist bemerkenswert, weil es den Eindruck erweckt, dass analoges Lernen von zuhause ein ganz alltägliches Lernkonzept sei. Dies trifft aber nicht zu, weil Schule niemals zu Hause stattfand, sondern stets vordergründig am Lernort Schule. Digitale Lernaufgaben einfach postalisch zu erhalten, lässt die Frage offen, wie analoges Lernen bei Ausgangsbeschränkung funktioniert?
Derzeit werden klassische Hausaufgaben immer unpopulärer, auch weil deutschlandweit die Anzahl der Ganztagsschulen immer stärker ansteigt (vgl. Kultusministerkonferenz 2020, 9).
5.1. Analoge Hausaufgaben
Hausaufgaben rücken als analoge Form des Lernens schnell in den Blickpunkt, wenn die Schulen geschlossen sind. Unter Hausaufgaben werden Aufgaben verstanden, die eine Lehrkraft auf der Grundlage didaktischer und pädagogischer Zielsetzung explizit erteilt und die außerhalb des Unterrichts in mündlicher, schriftlicher oder praktischer Form zu bearbeiten sind (vgl. Kohler 2019, 228).
Hausaufgaben existieren schon so lange, wie es das allgemeinbildende Schulsystem in Deutschland gibt, nämlich seit über 160 Jahren (vgl. Morgenstern 2008, 4). Zu der erzieherischen Funktion der Hausaufgaben sind die Ergebnisse der Bildungsforschung kontrovers. Wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte, dass Hausaufgaben Eltern und Familie positiv beeinflussen können (vgl. Cooper/ Robinson/ Patall 2006, 51). Sofern die Aufgaben verständlich sind, berichten Eltern von Entlastung und wiegen sich in Sicherheit, dass ihr Kind für die Schule arbeiten kann (vgl. ebd.). Modernere Studien relativieren die positive Sicht auf die erzieherische Funktion. Hausaufgaben gelten als Familienkonfliktherd und werden mitunter deswegen auch unehrlich erledigt (vgl. Himmelrath 2015, 79f.). Damit würde man auch das Ziel der Selbständigkeitsförderung verfehlen (vgl. ebd., 82). Zur erzieherischen Funktion von Hausaufgaben hat es allerdings nur qualitative Forschungen gegeben, quantitativ wäre die Bestimmung nur schwer zu untersuchen (vgl. Kohler 2019, 229). Es wird jedoch ein starker Zusammenhang zwischen der erzieherischen Funktion und den familiären Bedingungen und den elterlichen Unterstützungsangebote gesehen (vgl. ebd.).
Die didaktische Funktion von Hausaufgaben besteht insbesondere darin, Übung, Vertiefung, Wiederholung und Anwendung über den Unterricht hinaus zu ermöglichen oder kommenden Unterricht vorzubereiten (vgl. ebd.). In den durchgeführten Studien wurde jedoch nicht mehr von einer didaktischen Funktion, sondern von einer leistungssteigernden Funktion gesprochen (vgl. ebd.). Einige Forschungen weisen darauf hin, dass Hausaufgaben unwirksam sind und keine leistungssteigernde Effekte zeigen (vgl. Wittmann 1970, 37; Fan/ Xu/ Cai/ He/ Fan 2017, 47). Es ist damit nicht von Relevanz, ob man also die Mathe-Hausaufgaben direkt nach der Schule, nachts unter der Bettdecke oder überhaupt nicht macht: Der Effekt auf die Zeugniszensur ist derselbe, nämlich gleich null (Morgenstern 2008, 4). Erziehungswissenschaftler Prof. Hans Gängler erklärt, dass Leistungsstarke durch Hausaufgaben nicht unbedingt besser werden und leistungsschwächere Schüler zuhause durch bloßes Wiederholen noch lange nicht begreifen, was sie schon in der Schule nicht verstanden haben (vgl. ebd.). Nachweislich kann diese Gangart mittelfristig Bildungsungleichheit intensivieren (vgl. Himmelrath 2015, 83). In Gänglers qualitativer Studie zu Hausaufgabenbetreuungsangebote kam er zum Schluss, dass Hausaufgaben keinerlei Effekt in Hinblick auf die Schulleistung haben, (vgl. Morgenstern 2008, 4). Entscheidend ist nicht die Hausaufgabe, sondern die qualifizierte pädagogische Betreuung (vgl. ebd.).
International wurde nur in der Hattie-Studie ein geringer leistungssteigernder Effekt bei Hausaufgaben attestiert, welcher jedoch in der Primarstufe kaum auffindbar ist und sich nur in High schools zeigte (vgl. Köhler 2019, 230). Über die Effektivität von Hausaufgabenkontrollen durch Lehrkräfte lassen sich kaum repräsentative Forschungsergebnisse finden (vgl. ebd., 234).
Weltweit sind die bildungspolitischen Gesetzgebungen zu Hausaufgaben unterschiedlich streng. In neun deutschen Bundesländern sind Hausaufgaben nicht im Schulgesetz verankert, in sieben Bundesländern ist es zweckgebunden. In Baden-Württemberg sind Hausaufgaben seit 2009 zweckgebunden, aber der pädagogische Interpretationsspielraum wurde weit gefasst: „Hausaufgaben sind zur Festigung der im Unterricht vermittelten Kenntnisse, zur Übung, Vertiefung und Anwendung der vom Schüler erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie zur Förderung des selbständigen und eigenverantwortlichen Arbeitens erforderlich“ (vgl. Kultusministerium Baden-Württemberg 2020b, 3). Juristisch gesehen müssten Lehrkräfte nicht zwingend im Unterricht in das Thema eingeführt haben, um es als selbstständige zu erarbeitende Hausaufgabe anzufordern.
In Argentinien ist es dagegen Bedingung, dass Lehrkräfte vor dem Aufgeben von Hausaufgaben aktiv sein müssen: Laut der vom argentinischen Bildungsministerium beauftragten Forschergruppe kann kein Kind wissen, wie man Hausaufgaben erledigt, bevor das Thema in der Schule unterrichtet wurde. Ein allgemeines Kriterium im argentinischen Schulgesetz verpflichtet Lehrkräfte dazu, immer in die zu behandelnden Themen einzuführen und gemeinsam das Thema mit der Schülerschaft zu behandeln, bis sie Hausaufgaben stellen können. (vgl. Helman / Friedman 2019, 3)
In Bezug auf ausgangsbeschränkende Situationen bedeutet dies, dass das Aufgeben und Korrigieren schriftlicher Aufgaben in Deutschland zwar legal ist, aber unter Berücksichtigung erziehungswissenschaftlicher Erkenntnisse keinen nachgewiesenen Bildungsmehrwert hat. Es werden vor unerwünschten Nachteilen gewarnt: Wenn die Hausaufgaben zuhause gemacht werden, haben Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Schichten einen klaren Nachteil (vgl. Morgenstern 2008, 4). Gängler plädiert dafür, Hausaufgaben abzuschaffen und lieber die Strategien zum Wissenserwerb direkt im Unterricht zu vermitteln und durch entsprechende pädagogische Übungs- und Förderangebote zu begleiten (vgl. ebd.). Hausaufgaben tragen dazu bei, soziale Ungerechtigkeiten hervorzuheben und zu verstärken (vgl. Gängler/ Markert 2010, 85).
Besonders überraschend ist, dass Kultusministerien diese Forschungsarbeit explizit im Praxis-Handbuch Ganztagsschulen hervorheben, in Quarantänesituationen aber solche umstrittene Lernpraktiken anwenden (vgl. Kultusministerium Baden-Württemberg 2015, 22; Haupt/ Siebert 2020).
5.2. Freie Arbeit – Ansatz aus der Freinet-P ä dagogik
Ein aus der Reformpädagogik abgeleiteter Bildungsansatz ist die „Freie Arbeit“. Sie ist eine in die Pädagogik eingeführte Form des Offenen Unterrichts. Freiarbeit ist die Aufhebung dessen, was man allgemein unter Unterricht versteht, ein großer Schwerpunkt des Reformpädagogen Célestin Freinet. Sie wird auch im Stundenplan nicht gekennzeichnet, sondern steht als ein eigenständiges Unterrichtsprinzip. Freiarbeit ist die konsequente Verwirklichung differenzierten Unterrichts. Bei der Freiarbeit besteht die Annahme, dass Kinder lernen wollen. Reformpädagogen wie Falko Peschel plädieren dafür, dass man sie doch einfach „lernen lassen“ sollte, was in der Freiarbeit ermöglicht wird. Darin wird vorgesehen, dass Schülerinnen und Schüler ihre Themen nach ihren eigenen Interessen wählen und in ihrer eigenen Lernstruktur bearbeiten (vgl. Peschel 2007, 38). Ihnen sollte dabei Freiheiten gewährt werden: Sie dürfen frei entscheiden, wann, wo, mit wem, wie und was sie arbeiten (vgl. ebd.). Es werden dabei weder inhaltsgleich noch zeitgleich Bildungsziele verfolgt (vgl. ebd.). Weil alle unterschiedlich arbeiten, sind die Lernziele auch individuell. In der Freiarbeit verzichten Lehrkräfte auf das Lehren und sind stattdessen lernberatend. Die Pädagoginnen und Pädagogen müssten sich dann mit einer passiven Rolle anfreunden: „Der Lehrer hält sich nicht aus dem Prozess heraus und billigt stillschweigend alles was passiert, sondern er ist als Person anwesend, die sehr wohl eine wichtige Rolle spielt, sich einmischt, provoziert, in Frage stellt, Impulse gibt – allerdings ohne die Freiheit und das Recht des Einzelnen auf eigene Meinung und Entscheidungen zu berühren“ (Peschel 2007, 206).
Empirische Forschungsstudien zum offenen Unterricht zeigen, dass mit Freiarbeit die Schülerinnen und Schüler in ihren sozialen Kompetenzen gefördert werden und auch der Lernzuwachs vergleichbar mit fachbezogenem konventionellem Unterricht ist (vgl. Lähnemann 2010, 134).
Die Freie Arbeit könnte in seiner „radikalen Form“ theoretisch ohne Schule umgesetzt werden, wenn auch mit den Ausgangsbeschränkungen in begrenzter Form. Die eingeschränkte Form würde bedeuten, dass die Schülerinnen sich nicht treffen können, bzw. Anregungen aus der Schule, (Schul-)Bücherei oder Museen holen können. Dies senkt natürlich die Erfolgschancen.
Am Schwierigsten ist das vorhandene Vertrauen von Eltern, Lehrkräften und Bildungspolitiken in die Freinet-Pädagogik, welche trotz langsamer Verbesserung immer noch ein zu geringes Niveau hat, da es oftmals im Sprachjargon mit einer Bildungspolitik für Leistungsverweigerer gleichgesetzt. Diese nicht nachweisbare Behauptung ist eine der größten Hürden, weswegen die Freiarbeit-Lernformen von Freinet tatsächlich großflächig in der Notsituation umgesetzt werden.
Aber auch aus erziehungswissenschaftlicher Sicht gibt es Stellen, an welchen die Freiarbeit an ihre Grenzen stößt. So können Schülergruppen bei der Freiarbeit benachteiligt sein, die nicht auf Strukturen verzichten können und Probleme haben, wenn sie sich eigenständig bestimmte Aufgaben suchen sollen (vgl. Longhino 2018, 10). Um Möglichkeiten zu schaffen, diesen Schülergruppen gerecht zu werden, wurde beispielsweise ein für die Geistigbehindertenpädagogik abgestimmtes Konzept ausgearbeitet, welcher der Freiarbeit einen straffer strukturierten Rahmen gibt (vgl. Felten 2004, 46). Ob die engere versuchte Planung jedoch auch in Quarantänesituationen umgesetzt werden kann, ist fraglich. Die Anregungsfähigkeit von Schülergruppen, besonders in sozial benachteiligten Lebenslagen, ist sehr gering, weswegen Lehrkräfte selbst Anregungen geben sollten, in dem sie den betroffenen Schülergruppen Material zukommen lassen (vgl. Longhino 2018, 8). Mit genügend Anregungsmöglichkeiten könnte verhindert werden, dass die Schülerinnen und Schüler kein Thema finden und möglicherweise solche offenen Unterrichtsituationen ausnutzen können. Normalerweise führen die Schülerinnen und Schüler Protokoll, an was sie gerade arbeiten, sodass Lehrkräfte eine Orientierung haben. Die Gefahr, dass die Lernenden in Quarantäne einfach nur behaupten, etwas getan zu haben, erst recht, wenn die Lehrkraft nicht physisch anwesend ist, ist natürlich gegeben. Lehrkräfte könnten dem entgegenwirken, in dem sie jeden Schultag zu ihren Schülerinnen und Schüler Kontakt aufnehmen und um einen kurzen Lagebericht bitten. Der ursprüngliche Freinet-Freiheitsgedanke, die Kinder machen zu lassen, würde mit dieser Kontrollfähigkeit allerdings eingeschränkt werden.
6. Fazit
Die wissenschaftliche Ausarbeitung verfolgte das Ziel, einen Überblick über verschiedene digitale und analoge Lernmöglichkeiten zu untersuchen, die auch von zuhause aus möglich sind, um das Recht auf Bildung umzusetzen.
Man erkennt dabei, dass mit dem derzeitigen technischen Stand von Lernplattformen ein erfolgreicher Unterricht möglich wäre. Die Einstellung eines Kurses wäre für Lehrkräfte zwar extrem zeitintensiv, jedoch wird unabhängig vom Lernmanagementsystem eine Vielzahl von Aufgaben angeboten, die mit dem Schulalltag vergleichbar sind. Ein echtes virtuelles Klassenzimmer ist beispielsweise mit Adobe Connect möglich, was auch das räumliche Umfeld gruppenbezogener und persönlicher gestaltet und so die Hineinversetzung in schulische Strukturen erhöhen kann. Die Ausarbeitung hat in Bezug auf die gesundheitliche und soziale Entwicklung beim längerfristigen Anwenden von digitalem Lernen hingewiesen. Im mehrwöchentlichen Zeitraum lässt sich keine Studie finden, die E-Learning als soziales und gesundheitliches Risiko einschätzt. Da die Bildungsmöglichkeiten in Quarantänesituationen temporär sind, kann E-Learning-Unterricht als kurzfristig einsetzbares Mittel gesehen werden. Interessant ist auch, dass ein zweckbedingter minimalistischer Unterricht auch ohne Lernmanagementsysteme digital auch möglich wäre, der nach Einschätzung von Experten Bildungsansprüchen in ausreichender Form genügen könnte (vgl. Kerres et al. 2011, 7).
Die größten Herausforderungen beim Einsatz von den Lernplattformen sind, dass weder Moodle noch Adobe Connect barrierefrei für alle gestaltet wurde. Zum anderen erschwert die komplexe Bedienungsform des Adobe-Programms erfolgreiches E-Learning, obwohl das Programm mit seinen Videochat- und Transkriptionsfunktionen Grundvoraussetzungen für das virtuelle Klassenzimmer besitzt.
Da jedoch nur die Hälfte aller Lehrenden eine ausreichende Medienkompetenz für die Nutzung der Lernplattformen derzeit erreicht und auf dem Land über 50 Prozent aller Internetanschlüsse von Grund auf verlangsamt funktionieren, braucht es neben der Nutzung von sofortigen Fortbildungsmöglichkeiten immer noch einen analogen Plan B in solchen Ausnahmesituationen. Doch etwas überraschend kam die Ausarbeitung zum Resultat, dass in vielen Studien das Aufgeben und Korrigieren von analogen Hausaufgaben keine leistungsförderliche Funktion erfüllt und dieser Praxis daher skeptisch gegenübergestanden werden sollte. Anders verhält es sich mit dem Lernkonzept der „Freien Arbeit“, welches für viele Schülergruppen Lernsteigerungen erzeugen kann. Die eingeschränkte Form der Freiarbeit, dass die Schülerschaften sich nicht treffen können, bzw. Anregungen aus der Schule, (Schul-)Bücherei oder Museen holen können, senkt natürlich die Erfolgschancen während der Corona-Ausgangsbeschränkungen. Selbstverständlich bringt diese Lernform auch andere Grenzen mit sich: Zum einen sind Schülergruppen betroffen, die nicht auf Strukturen verzichten können und zum anderen gibt es Lernende ohne ein anregendes häusliches Umfeld, was in sozial benachteiligten Lebenslagen häufig der Fall ist. Außerdem ist ein erhöhtes Risiko des Betrugs in den offenen Unterrichtsformen ohne Kontrollfunktion der Lehrkraft gegeben. Mit einem erhöhten Aufwand könnten Lehrkräfte durch Kontaktaufnahme und Materialbereitstellungen mit ihrer angedachten lernbegleitenden Funktion etwas mehr Einsicht über den Lernprozess hinzugewinnen.
Die dargebotene erziehungswissenschaftliche Analyse bietet einen sofortigen Anlass, weitere wissenschaftliche Forschungen durchzuführen, inwieweit das Lernen in bundesdeutschen Schulen bei den Ausgangsbeschränkungen, digital und analog, tatsächlich funktioniert und inwieweit digitales Lernen als längerfristige Option funktioniert. Die Resultate dieser Ausarbeitung könnten für die nachfolgenden Untersuchungen als Fundament gesehen werden.
Abbildungsverzeichnis
Alle Abbildungen wurden auf ihre Funktionalität am 30. April 2020 überprüft.
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Abb. 2: Fünfstufenmodell nach Gilly Salmon. Aus: Klante, Sonja/ Gundermann, Angelika (2019). Handlungsanleitung. Das aktive Online-Lernen und -Lehren – Das Stufenmodell von Gilly Salmon. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung. Leibniz-Zentrum für lebenslanges Lernen. Bonn. S. 2. URL: https://wb-web.de/material/methoden/das-aktive-online-lernen-und-lehren-das-stufenmodell-von-gilly-salmon.html
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- Arbeit zitieren
- Florian Wondratschek (Autor:in), 2020, Recht auf Bildung in Notsituationen. Erziehungswissenschaftliche Konzepte für deutsche Schulen in Ausnahmesituationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/593642
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