Gefährdet die Digitalisierung unsere Demokratie? Eine handlungsorientierte Analyse zur Diskrepanz zwischen der digitalen und der politischen Welt


Facharbeit (Schule), 2020

52 Seiten, Note: 1,2

Anonym


Leseprobe


Ist die Demokratie noch zeitgem äß?

1. Begründung der Themenauswahl

2. Begriffsklärung
2.1 die Demokratie
2.2 die Digitalisierung

3. Aufmerksamkeitsökonomie

4. gefährliche Einflüsse der Digitalisierung auf die Demokratie
4.1 Social Bots
4.2 Fake News
4.3 Filter Bubbles
4.4 Hate Speech

5. Folgen für die Demokratie
5.1 Relativierung
5.2 Demokratieförderung
5.3 Demokratieabschaffung

6. Bewertung

7. Lösungsansätze
7.1 e-democracy
7.2 Algokratie

8. praktische Anwendung
8.1 das Projekt
8.1.1 Motivation
8.1.2 Projektvorstellung
8.1.3 Entwicklung
8.2 Begründung
8.2.1 Begründung der Methode
8.2.2 Begründung der Orte

9. Ausblick

10. Fazit

11. Literaturverzeichnis

Anhang

1. Begr ündung der Themenwahl

Die Tagesschau berichtet über Waldbrände in Australien, die Eskalation im Streit zwischen dem Iran und den USA, den Verletzungen der Menschenrechte in China und seit wenigen Tagen auch über den Corona Virus. Gleichzeitig erlässt der deutsche Bundestag nach monatelangen Beratungen ein Gesetz zur Bonpflicht. Das Gefühl, dass die Welt sich durch Globalisierung und Digitalisierung schneller entwickelt als die Politik arbeiten kann, wird bei mir immer präsenter. Oder existiert das Problem schon länger und ich bekomme es erst jetzt durch Twitter, Facebook und weitere soziale Netzwerke mit? ,,Während die Demokratie zunehmend in eine Diskussion über ihren Liberalismus verfällt, streben autoritär regierte Staaten weltweit auf“ (Harari, 2018). China verzeichnet ein Rekordwachstum, gefolgt von Nordkorea, einem neuen Militärstaat. Weltweit werden 3,3 Milliarden Menschen autoritär regiert (Berliner Morgenpost, 2018). Dass aber der Weg in den Faschismus die Antwort auf die Digitalisierung zu sein mag, erscheint mir falsch. In dieser Facharbeit möchte ich mich daher mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Demokratie beschäftigen. Das Thema umfasst auch die Diskrepanz zwischen unserer Gesellschaft, die Themen innerhalb einer Stunde entscheiden kann und unserem politischen System, welches dazu oft mehrere Monate bis Jahre braucht. Es gilt zu überprüfen ob die liberale Demokratie, wie wir sie im Grundgesetz als unser höchstes Gut behandeln, noch zeitgemäß ist.

2. Begriffskl ärung

2.1 die Demokratie

Die Demokratie ist sowohl eine Herrschafts-, als auch eine Gesellschafts- und Lebensform (vgl. Himmelmann, 2004). Allgemein definiert ist sie als die Herrschaft des Volkes. Sie setzt Werte wie Gleichberechtigung, Freiheit, Toleranz und Partizipation voraus. Somit geht die Macht von unten, vom Volk, aus. Das bedeutet in der Praxis, dass die Demokratie von Streit und Kompromiss, also von einem Miteinander, lebt.

Trotz der Vielfalt der demokratischen Systeme, lassen sich zentrale Gemeinsamkeiten finden. So kennt jede moderne Demokratie die Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative. Sie basiert auf einer Verfassung, welche die Grundrechte der Bürger*innen sichert sowie den einzelnen staatlichen Organen ihre Pflichten und Befugnisse zuteilt. In Deutschland ist dies im Grundgesetz fest geschrieben. Ergänzt wird die Verfassung durch Gesetze, welche alle Einzelheiten festlegen und Verordnungen mit Anweisungen enthalten, wie die Regierung die besagten Gesetze umsetzen muss. So gibt es beispielsweise in Deutschland das Strafgesetzbuch, das Zivilgesetzbuch und eine Vielzahl von Gesetzen zur Regelung der staatlichen Tätigkeiten. Dazu zählt neben dem Steuergesetz auch die Strafprozessordnung. Zuletzt sind Gesetze zu einzelnen Themenbereichen wie dem Umweltschutz, der Landwirtschaft und so weiter zu nennen.

Das bekannteste Merkmal der Demokratie sind die Wahlen. Die Wahlen zum Bundestag sind gemäß Artikel 38 des Grundgesetzes allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim. Jede Form von Demokratie versucht demnach auf ihre Weise, den Willen des Volkes zu ermitteln und die Tätigkeiten des Staates danach auszurichten.

Allgemein lässt sich die Demokratie in drei verschiedene Formen einteilen.

In der direkten Demokratie, auch plebiszitäre Demokratie genannt, versucht man den allgemeinen Volkswillen nach Rousseau bestmöglich umzusetzen. Aktuell herrscht diese Form in der Schweiz vor. Es gibt durch eine Vielzahl von Volksabstimmungen und Volksentscheiden eine zentrale Stellung der Bürger*innen. Das hat den Vorteil, dass diese sich je nach Thema einer anderen Partei zuordnen können. Die Umsetzung der Entscheidungen liegt in der Verantwortung von Parlament und Regierung. Beide werden in ein oder zwei Wahlen auf eine Amtszeit fest gewählt. Dabei ist das Parlament nicht auflösbar und die Regierung nur im Extremfall von einer Amtsenthebung bedroht. Das auf ein Jahr gewählte Staatsoberhaupt ist ein Regierungsmitglied und hat eher repräsentative als machtinstrumentelle Aufgaben. So wird garantiert, dass niemand direkt über dem Volk steht. Kritiker der direkten Demokratie bemängeln, dass zwischen dem gesellschaftlichen Diskurs zum Thema und der entsprechenden Volksabstimmung oft viel Zeit vergeht.

Dies ist bei der Präsidialdemokratie, wie sie aktuell in den USA vorherrscht, nicht der Fall. Hier kommt dem/ der Präsidenten/ in, welche/r gleichzeitig Staats- und Regierungschef*in ist, eine zentrale Machtposition zu. Das Volk wird lediglich bei der Wahl zum/r Präsidenten/in nach der Meinung gefragt. Die Wahl der Regierung übernimmt diese*r dann in Eigenverantwortung. So soll die Balance zwischen Kontrolle und Machtgleichgewicht hergestellt werden. Amtsenthebungen des Präsidenten, beziehungsweise ihr Versuch, treten in dieser Form der Demokratie zwar häufiger auf als in der direkten, doch sind nur bei nachweisbar strafbaren Handeln eines/r Präsidenten/in möglich. Das Vorschlagen von Gesetzen ist alleinige Aufgabe des Parlaments. Der/ Die Präsident*in selbst kann keine Gesetze einbringen, diese aber durch sein Veto-Recht blockieren. Kritiker*innen bemängeln, dass wenn der Präsident im Parlament keine Mehrheit hat, sich die Kontrolle in eine Blockade verwandelt. Das Erlassen von Gesetzen wird so schwieriger. Zudem ist die Machtkonzentration auf wenige Personen ein Faktor, welcher die Anfälligkeit des Systems für Korruption erhöht. Frankreich beispielsweise hat zusätzlich zum Präsidenten einen, wenn auch wenig machtvollen, Premierminister, um dieser Tendenz entgegenzuwirken.

Die dritte Form der Demokratie ist die Parlamentarische Demokratie. Sie herrscht aktuell in Deutschland vor und fokussiert sich auf den Aspekt der Repräsentation, indem auch kleine Parteien Einflussmöglichkeiten haben. Man erhofft sich dadurch, den Wettbewerb zwischen den Parteien fruchtbarer zu machen. Sie sind es, die bei diesem Typ der Demokratie eine zentrale Stellung haben. Das Parlament wird in einer Wahl vom Volk bestimmt. Andere plebiszitäre Elemente sind in dieser Staatsform nicht vorgesehen. Unklare Machtverhältnisse können zu wechselnden Koalitionen oder Minderheitenregierungen führen. Mitglieder der Regierung müssen gewählte Mitglieder des Parlaments sein. Dabei entstehen zwingend Oppositionen. Sie stellen die wichtigste Kontrollinstanz gegenüber der Regierung dar. Das Staatsoberhaupt ist in den meisten Fällen der/ die Regierungschef*in, kann aber auch wie in Großbritannien eine Königin sein und somit nur repräsentative Aufgaben übernehmen. Da in der parlamentarischen Demokratie jeder etwas zu sagen hat, dauern die Diskussionen über neue Gesetze im Parlament entsprechend lange. Es wird folglich oft kritisiert, dass die Effizienz dieser Form der Demokratie nicht mehr ausreichend ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Formen der Demokratie (Hübner, 1993)

In der Theorie lässt sich die Demokratie also in drei verschiedene Typen einteilen. Real existieren aber Mischformen. In der Analyse einzelner Regierungssysteme zeigt sich, dass die Anpassung der idealen Demokratiemodelle notwendig ist, um als Staat angemessen auf die historischen, gesellschaftlichen und spezifischen Bedingungen eines Landes reagieren zu können.

2.2 die Digitalisierung

Da es für den Begriff der Digitalisierung zahlreiche Synonyme wie ,,Industrie 4.0“ oder ,,Computerisierung“ gibt, weiten sich die Assoziationen mit dem Wort immer mehr aus. Im Grunde bezeichnet die Digitalisierung die Nutzung digitaler Medien und somit die Verlagerung einzelner Abläufe der Datenverarbeitung in das Internet. Wichtige Bestandteile der Digitalisierung sind neben der Hard- und der Software auch die Konsumenten beziehungsweise Produzenten.

Insgesamt lassen sich vier Strömungen unterscheiden, anhand derer sich die Digitalisierung charakterisieren lässt.

Die Basis wird von der Hardware gebildet. Sie liefert die zwingend notwendigen mobilen Endgeräte und somit die digitale Abbildung der Sinne. Die notwendigen Chips und Sensoren sind minimal klein, speichern aber maximal viele Daten. Eine Effektivität, die den Nutzer*innen gefällt. Sie profitieren von der Einfachheit und der Schnelligkeit der Datenverarbeitung. Durch die mobilen Endgeräte sind sie in ihrem Privatleben, sowie zunehmend auch im Berufsalltag, flexibler. Sie nutzen immer mehr Anwendungen und geben somit immer mehr Daten von sich preis.

Die neue Währung des Internets sind in der Folge die Spuren der Nutzer. Die Unternehmen der Digitalindustrie haben in den letzten Jahren eine starke Datenökonomie aufgebaut. Dieser Markt ist der erste, an dem jeder Mensch barrierefrei teilnehmen kann, denn jeder Mensch hat persönliche Daten. Unternehmer bezeichnen die erschlossene Marktlücke daher als Shared Economy, wo jeder Konsument auch ein Anbieter sein kann. Das datengetragene Kundenverständnis aus dieser Shared Economy verkaufen die Unternehmen weiter und finanzieren somit ihre Kooperationspartner, die Softwareanbieter.

Diese sind es, die den Prozess der Digitalisierung vorantreiben. Die zunehmende Appisierung ist charakteristisch für den gesamten Vorgang. Software- Unternehmen nutzen Plattformen und Apps um analoge Strukturen in das Internet zu bringen. Mit Erfolg. Dank der Daten von Analyseunternehmen können sie kundenorientiert arbeiten. Die Digitalisierung prägt somit eine Entwicklung, nah an den Nutzer*innen. Diese wiederum fühlen sich verstanden und gehört, so dass sich der Kreislauf verstärkt.

Zusammengefasst treibt die Konsumgüterindustrie die Innovationen voran. Es existiert nicht nur ein Markt, sondern eine Vielzahl von Märkten. Die verschiedenen Akteure der Digitalisierung ermöglichen es, dass bei der Sättigung eines alten Marktes, direkt wieder ein neuer gebildet wird. Somit entsteht eine Dynamik, welche für alle Beteiligten von Vorteil ist. Die in sich agilen und sich selbst korrigierenden Regelkreise ermöglichen eine schnelle Entwicklung von Ideen. Die Digitalisierung stellt also einen unendlichen Prozess dar. Ihr Einfluss auf Kommunikation, Industrie und Dienstleistungsgewerbe ist groß und wird mit der Zeit immer größer. Die Implikationen der Digitalisierung kennen keine Grenzen.

3. Aufmerksamkeits ökonomie

Die Digitalisierung übt keinen direkten Einfluss auf die Arbeit Regierung aus. Sie beeinflusst die Demokratie stattdessen durch die Einwirkung auf die Bürger*innen und gleichzeitig Internetnutzer*innen. Das Mittel dazu ist der Journalismus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: eigene Darstellung des Journalismus als Bindeglied

Er hat drei zentrale Aufgaben: die Vermittlung von Informationen, die Kontrolle der Regierung und das Schaffen von Möglichkeiten zur Meinungsbildung (vgl. Russ-Mohl, 2017). Im Zuge der Digitalisierung bricht die Kontrollfunktion immer mehr weg. Der Vorwurf der ,,Lügenpresse“ erschwert die Arbeit sehr. Stattdessen wird mehr auf die Meinungsbildung geachtet. Hier schneiden sich die Digitalisierung und die Demokratie. Alle Ideen, die im Internet entstehen, alle Meinungen, die dort gebildet werden, beeinflussen sowohl das Wahlergebnis und somit die Gestaltung der Demokratie, als auch die persönliche Haltung dieser Staatsform gegenüber. Rechte Redaktionen sorgen beispielsweise für eine Zunahme der Demokratiefeindlichkeit. Das Unternehmen Alto analysierte in Zusammenarbeit mit dem NDR und dem WDR in einer 2019 veröffentlichten Studie etwa 9,65 Millionen deutschsprachige Beiträge von 756.000 Nutzern aus den Sozialen Netzwerken. 47 Prozent der politischen Diskussionen thematisierten die AfD. Je präsenter ein Thema ist, so besagt die Aufmerksamkeitsökonomie, desto wichtiger wird es für die Demokratie. Die Ergebnisse dieser Aufmerksamkeit finden sich auch in den Wahlergebnissen der Partei wieder. Somit ist bewiesen, dass die Digitalisierung die Demokratie beeinflusst, indem der Journalismus eine neue Funktion als Mittel zur Transformation einer Meinung vom Internet in die Politik zugesprochen bekommt. Welche Folgen diese Verbindung zweier Arten der Meinungsverkündigung hat, wird im folgenden Abschnitt thematisiert.

4. gef ährliche Einflüsse der Digitalisierung auf die Demokratie

4.1 Social Bots

Social Bots sind von Algorithmen gesteuerte Accounts im Internet, vor allem in den sozialen Medien, die menschliches Verhalten simulieren. Dabei sind sie immer zu einem bestimmten Zweck programmiert. Auf Basis der Funktion eines Social Bots, kann man ihn einer Gruppe zuordnen. Dabei unterscheidet man zwischen den guten und den schlechten Social Bots.

Zu den guten Bots gehören jene, die versuchen Nutzer*innen im Internet zu helfen. Sie sind oft zu finden auf Websiten um den Kundendienst zu unterstützen. Auf eine bestimmte Frage geben sie dann eine zuvor festgelegte Antwort. Auch Entwicklungen wie Tay von Microsoft zählen zu dieser Gruppe. Es handelt sich um einen Social Bot, der menschliches Verhalten imitieren soll. Nutzer*innen können mit dem Bot chatten, wenn sie niemanden sonst zum Reden haben. Auf Basis von Erfahrungen entwickeln sich die sogenannten ,,Chatbots“ immer weiter. Sie registrieren häufige Gesprächsmuster und passen sich somit immer weiter der Kommunikationsfähigkeit eines Menschen an. Je besser die Bots werden, desto mehr ähneln sie einer künstlichen Intelligenz. Der einzige Nachteil besteht darin, dass ein Bot nicht zwischen Beleidigungen und Äußerungen unterscheidet. Reagieren Nutzer*innen auf eine Frage oft unangemessen, so tut dies der Bot ebenfalls. Darin liegt auch die Begründung Microsofts, wieso das Unternehmen Thay vorzeitig abschaltete.

Während gute Bots in der Regel von ihren Entwicklern als Bots gekennzeichnet werden, agieren schlechte Bots ohne Markierung im Internet. Sie dienen sowohl politischen als auch wirtschaftlichen Interessen. So gilt die vergangene Präsidentschaftswahl in den USA als der große Durchbruch der Social Bots. Sowohl Clintons, als auch Trumps Team kaufte eine unbekannte, aber große Menge Social Bots um für sich in den sozialen Netzwerken zu werben. Expert*innen gehen davon aus, dass jeder dritte Unterstützer-Tweet Trumps und jeder vierte Clintons von Social Bots gestammt hat (Fischer, 2016). Die Bots sollen in erster Linie Trends verstärken. Aus den Forschungen ist bekannt, dass Menschen sich seltener trauen, ihre Meinung zu sagen, wenn sie glauben, mit dieser in der Minderheit zu sein (Hasebrink, 2006). Ein Phänomen, welches den Namen ,,Schweigespirale“ trägt. Ein Team der Universität Duisburg-Essen fand nun heraus, dass schon zwei bis vier Prozent Bots in einer Diskussion ausreichen können, um diese Spirale in Gang zu setzen. In einer Diskussion mit 50 Menschen der Meinung A und 50 Menschen der Meinung B gewinnen nun mit einer ca. 67 prozentigen Wahrscheinlichkeit die mit der Meinung, welche durch Social Bots unterstützt wurde (Fischer, 2016). Diese Zahl variiert je nach Qualität der Bots. Je zentraler sie platziert sind, desto mehr Kontakte sie haben und je authentischer sie handeln, desto mehr wächst ihr Einfluss. Eine Erkenntnis, die sich nicht ausschließlich die Politik zum Nutzen macht. Insbesondere Unternehmen an der Börse versuchen mit Social Bots Profit zu machen. Sie kaufen Social Bots um ein erhöhtes Interesse an ihrem Unternehmen zu simulieren und somit die Aktienwerte zu steigern. Dabei nutzen sie nicht wie die Politiker*innen Social Bots als Follower oder Informanten, sondern auch um Interaktionen vorzunehmen. Die Social Bots werden so programmiert, dass sie die Postings des entsprechenden Unternehmens liken, kommentieren und teilen. Journalistische Institutionen nutzen diese Art von Bots um ihren Umsatz zu steigern. Insbesondere dann, wenn Fake News produziert werden. Es wird versucht, die Internetnutzer*innen durch provokante Aussagen von Social Bots zur Diskussion zu bringen und somit durch die Interaktion der Leute mit dem Posting Geld von den Werbeagenturen zu erhalten. Hier braucht es in der Regel weniger Bots, bis die Diskussion so populär ist, dass sie Menschen wieder übernehmen.

Niemand weiß, wie viele Bots aktuell im Internet existieren. Gegenmaßnahmen sind schwierig, da sich die Programmierer*innen der Bots stets neue Algorithmen einfallen lassen. Statt die Social Bots also abzuschalten, setzen die Institutionen alles daran, die Hersteller ausfindig zu machen. Doch auch das ist wenig effektiv. Social Bots sind nicht verboten, auch ihre Verbreitung ist nicht illegal. Es handelt sich lediglich um eine moralische Frage. Strafrechtliche Konsequenzen tragen weder Produzent*in, noch Käufer*in davon.

Im Anschluss an die, von Social Bots überschattete Debatte zum UN-Migrationspakt, erstellte das Justizministerium eine Anleitung zum Erkennen von Social Bots. Demnach ist eine vierteilige Analyse notwendig.

1. Ist der Account-Name authentisch und passt er mit dem Profilbild zusammen?

Social Bots haben oft Fantasienamen oder bedienen sich an den häufigsten Namen der Gesellschaft. Fragt man sie im Privatchat nach ihrem Namen, so können sie die Frage nicht beantworten oder weichen in ihrer Antwort der Frage aus.

2. Ist die Aktivit ät des Profils realistisch?

Diese Frage ist auf Twitter besonders gut überprüfbar. Twittert ein Account mehr als 50 Nachrichten pro Tag, so ist er in den meisten Fällen programmiert. Auch eine Aktivität rund um die Uhr ohne Pausenzeiten von mindestens sechs Stunden sind auffällig.

3. Welche Merkmale weisen die Postings auf?

Social Bots äußern sich meistens nur zu einem Thema. Sie haben einen kleinen Wortschatz und machen oft Grammatikfehler. Auch häufig verwendete Hashtags können ein Anzeichen sein, dass der Account nicht echt ist.

4. Wie schnell reagiert der Account?

Fake Profile sind auf Schlagwörter programmiert. Sie antworten auf entsprechende Postings in dem Moment, indem sie das Schlagwort dort finden. Antwortet ein Account also immer zuerst auf andere Postings oder verfasst er Antworten auf mehrere Tweets gleichzeitig, handelt es sich sicher um einen Social Bot.

Diese vier Schritte dienen in erster Linie der Identifizierung von Bots in sozialen Netzwerken. Die Bekämpfung sei Aufgabe der Unternehmen, so die Politik. Sie sehe zwar die Problematik, doch sei das Erzeugen von Aufmerksamkeit kein direkter Angriff auf die Demokratie (Prof. Dr. Strohmaier, 2017).

4.2 Fake News

Fake News sind nichts weiter als Falschinformationen. Die Verbreitung von Informationen ist die Aufgabe der Medien. Um die Entstehung von Fake News nachvollziehen zu können, muss man daher die Veränderungen im Journalismus verstehen.

Die Digitalisierung ermöglicht es jedem/r Nutzer*in des Internets, selbst als Redakteur*in tätig zu werden. Informationen können somit von Nutzer*innen nicht nur konsumiert, sondern auch erstellt und verbreitet werden. In der Umstellung vom analogen zum digitalen Journalismus ist die neue Niederschwelligkeit die gravierendste Veränderung. Immer mehr Informationen werden kostenfrei ins Netz gestellt. Parallel dazu sinkt auch die Zahlungsbereitschaft für seriösen Journalismus.

Um als klassische Redaktion weiterhin bestehen zu können, müssen die sinkenden Einnahmen aus Abonnements, Zeitungsannoncen und Printwerbung durch steigende Einnahmen im Bereich der PR gedeckt werden. Dazu schalten die Online-Zeitungen Werbebanner. Anders als bei Printwerbung, bringen diese nicht einen pauschalen Gewinn ein. In der digitalen Medienwelt berechnet sich dieser nämlich über die Anzahl der Klicks. Sobald ein*e Nutzer*in das Werbebanner anklickt, verdient der/ die Betreiber*in der Seite daran. Je mehr Aufmerksamkeit ein Artikel bekommt, desto höher demnach die Einnahmen. Die neue Aufmerksamkeitsökonomie existiert also auch im Journalismus. Dieser lebte früher von der Informationsökonomie. Informationen wurden an Journalist*innen herangetragen. Diese selektierten sie, bereiteten sie auf und verkauften sie weiter. Heute haben sich die Verhältnisse gewandelt. Journalisten müssen sich die Informationen selbst beschaffen. Im Gegenzug für Informationen, versprechen sie den Lieferanten eine gesteigerte mediale Reichweite. Damit ist der Journalismus, die eigentliche Kontrollinstanz der Gesellschaft, nun von dieser abhängig. Der Tausch von Information und Unterhaltung gegen Aufmerksamkeit findet sowohl auf der Vorderbühne zwischen Journalismus und Publika, als auch auf der Hinterbühne zwischen der PR-Branche und dem Journalismus statt (vgl. Russ-Mohl, 2017). Während damals sich die Bereiche noch durch den Geldfluss auf der Vorderbühne klar voneinander trennen ließen, gehen sie durch die Digitalisierung immer weiter ineinander über.

Am besten funktioniert der Tausch von Informationen gegen Aufmerksamkeit, wenn das behandelte Thema die Leser emotionalisiert. ,,The most powerful predictor of what spreads online is anger“ (Ryan Holiday, 2012). Je populistischer die Schlagzeile, desto höher die Klickzahlen. Einen Beweis für diese These bieten die Twitter Charts. Flüchtlinge, Trump und Merkel sind unschlagbare Spitzenreiter und weichen nur selten von den Top Ten.

Hinzu kommt der Zeitdruck, dem Redaktionen ausgesetzt sind. Wer zuerst kommt, erhält die meiste Aufmerksamkeit, so lautet die Zauberformel. Ein Grundsatz, der ausgiebige Recherchen und Prüfungen der Fakten nahezu unmöglich macht. Beispielhaft dafür ist die Verbreitung der Schlagzeile, Trump wolle Muslimen den Führerschein entziehen. Sowohl die Augsburger Allgemeine Zeitung, als auch die Bild-Zeitung und Spiegel Online betitelten so ihre Artikel. Dabei ist die Information schlichtweg falsch. In der Eile, den ersten Artikel zu Trumps Pressekonferenz zu veröffentlichen, ereignete sich ein Übersetzungsfehler, der aus den IS-Terroristen, die der US-Präsident ansprach, Muslime machte und somit eine Welle der Empörung auslöste. Der Fehler fiel auf, als die Artikel bereits tausende Male geteilt und über Kontinente verbreitet waren.

Dieses Eklat war vor allem deshalb möglich, da Redaktionen nun vermehrt Online publizieren. Die Zeit bis zum Redaktionsschluss ist nicht mehr aktuell, stattdessen folgt der Artikel direkt auf das Ereignis. Nun spielt vor allem die Medienvielfalt einen entscheidenden Einfluss. Jede Privatperson kann ein eigenes Online-Magazin herausbringen und in diesem nur halbe oder sogar gar keine Wahrheiten schreiben.

Neben unbewusst produzierten Desinformationen der unter Druck stehenden Journalist*innen, wird das Internet also auch für die bewusste Verbreitung von Fake News genutzt. Von den Fehlern der Online-Medien inspiriert, verbreiten auch zunehmend private Nutzer*innen Postings mit belegbar falschen Inhalten. Laut Statista.com schätzen die deutschen Bürger*innen das Risiko der Desinformationen auf Social Media mit 5,3 mehr als doppelt so hoch ein wie in überregionalen Zeitungen (2,3) und macht dafür die Digitalisierung verantwortlich (Rabe, 2017).

Auffällig bei der Betrachtung von Fake News ist der klassische Aufbau. Zunächst ist ein stark emotionalisiertes Bild wie beispielsweise leidende Kinder in Flüchtlingscamps der Blickfang. Dazu gibt es eine reißerische Überschrift, die meistens mit dem eigentlichen Text wenig zu tun hat. Forscher der Universität Stanford fanden bei der Analyse der Seite heftig.co heraus, dass Überschriften, die Neugier erwecken, indem sie eine Sensation ankündigen, diese aber nicht nennen, zur Ausschüttung von Dopamin führen. Ebenfalls fördernd sind Nummern und Listen. Diese geben uns vorab ein Gefühl davon, wie viel Zeit wir in den Artikel investieren müssen und lassen auf eine allgemeine Proportionierung der Informationen hoffen (Silberstein, 2018). Damit signalisieren sie dem Gehirn, das wenig Leistung verlangt wird. Diese angeborene Faulheit möchten wir uns nur selten eingestehen, schließlich handelt es sich um eine negative Eigenschaft. Bei Überschriften mit Affirmation klicken wir daher besonders häufig auf den Artikel. Wird uns von außen ein bestätigendes Gefühl gegeben, bleibt uns die Seite zudem in

Erinnerung. Benutzt werden bei Fake News häufig Hauptfiguren, mit denen man sich identifiziert. Für Empörung sollen Geschichten sorgen, die zeigen, was passiert, wenn das ,,Böse“ gewinnt. Dazu findet sich in nahezu jeder Desinformationskampagne mehrere Aufforderungen, das Gelesene auf möglichst allen Social Media Kanälen zu verbreiten. Die Schlagzeile ,,Angela Merkel (CDU) erneut zur deutschen Bundeskanzlerin gewählt!“, wie sie 2005 in vielen Zeitungen zu finden war, würde heute also lauten: ,,Diese 10 Vorhaben Merkels machen dich richtig wütend!“.

Allgemein unterscheidet man zwischen sieben Formen von Desinformationen, die auf die Recherchen von Claire Wardle, einer Mitarbeiterin der Organisation First Draft zurückgehen (Ruß-Mohl, 2017):

Typ 1 - Die Satire: Desinformationen werden hier bewusst und offensichtlich dargestellt um Kritik zu üben. Satire darf gesellschaftliche Konventionen durchbrechen um die Offensichtlichkeit der Fehlinformationen zu verdeutlichen. Dass dieses Privileg missbraucht werden kann, stellt ein Risiko dar.

Typ 2 - Falsche Verkn üpfungen: Desinformationen sind hier nicht schriftlich verfasst, sondern entstehen in den Köpfen der Konsument*innen. Indem beispielsweise das Bild einer muslimischen Putzfrau mit einem Artikel über die steigende Anzahl illegaler Beschäftigungsverhältnisse kombiniert wird, entsteht der Eindruck, Muslim*innen arbeiteten vermehrt schwarz und würden somit dem deutschen Staat schaden. Dass dies gar nicht das Thema des Artikels ist, bleibt unbeachtet. Bei Falschen Verknüpfungen liegt die Besonderheit der Desinformation darin, dass sie nicht zwingend bewusst verbreitet wird. Viele Assoziationen entstehen im Unterbewusstsein nach den Prinzipien der Aufmerksamkeitsökonomie.

Typ 3 - Irref ührende Inhalte: Wie auch bei Typ 2 werden hier keine falschen Fakten aufgeschrieben. Stattdessen versucht man die Desinformation dadurch zu formen, dass man Informationen weglässt. Die Konsument*innen bilden sich scheinbar schlüssige Zusammenhänge aus den gegebenen Informationen, welche leider häufig in eine falsche Richtung lenken. Besonders schwierig sind Fälle dieser Art, da kein Verstoß gegen ein Gesetz vorliegt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Gefährdet die Digitalisierung unsere Demokratie? Eine handlungsorientierte Analyse zur Diskrepanz zwischen der digitalen und der politischen Welt
Note
1,2
Jahr
2020
Seiten
52
Katalognummer
V594294
ISBN (eBook)
9783346187383
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demokratie, Digitalisierung, Journalismus
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Gefährdet die Digitalisierung unsere Demokratie? Eine handlungsorientierte Analyse zur Diskrepanz zwischen der digitalen und der politischen Welt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/594294

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