Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Methode
2 Der Mythos der Heldenreise
2.1 Der moderne Mythos
2.2 Definition Held
2.3 Entwicklungsstadien des Helden nach Joseph Campbell
2.4 Modelle von Christopher Vogler und Michaela Krützen
2.4.1 Archetypen
2.4.2 Heldenreise
2.4.2.1 Trennung
2.4.2.2 Prüfungen
2.4.2.3 Ankunft
3 Die Helden Analyse
3.1 Peter Pan
3.1.1 Film Zusammenfassung
3.1.2 Dramaturgische Heldenreise
3.1.3 Nebenfiguren mit heroischer Qualität
3.2 Harry Potter
3.2.1 Film Zusammenfassung
3.2.2 Dramaturgische Heldenreise
3.2.3 Nebenfiguren mit heroischer Qualität
3.3 Gegenüberstellung
4.. Fazit
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Internetverzeichnis
Filmverzeichnis
1. Einleitung
„Ablegen muB er seinen Stolz, seine Tüchtigkeit, seine Schönheit, sein Leben und sich dem gänzlich Unerträglichen beugen.”1
Exakt diese Charaktereigenschaft in Form von Opferbereitschaft muss ein Held nach dem Mythenforscher Joseph Campbell mit sich bringen, um seine Reise mit einer erfolgreichen Selbstentwicklung abschlieBen zu können. Campbells Modell der Heldenreise ist von vielen erweitert und unter anderem auf den Film übertragen worden. In jeder Geschichte muss der Held bestimmte Phasen erreichen, um die Reise zu bestehen und als Held anerkannt zu werden. Erst wenn ein bestimmter Punkt erreicht ist, kann sich die Figur als Held bezeichnen. Diesbezüglich existieren mehrere Anmerkungen, die sowohl das Aussehen, als auch die Leistungen, die ein Held erfüllen muss, beschreiben. Durch die Heranziehung zweier bekannter und sich ähnelnder Helden Filme können die einzelnen Stufen der Heldenreise und die Qualität des heroischen Charakters analysiert werden. Vor diesem Hintergrund gilt es zunächst die Forschungsfrage für diese Bachelorarbeit zu bestimmen, inwiefern die ausgewählten Filmfiguren mit dem Muster der Heldenreise korrespondieren. Es soll herausgearbeitet werden, welchen Status die jeweilige Figur trägt. Dies erfolgt mittels einer Analyse der Abläufe der Heldenreise, wobei untersucht wird, ob einzelne Phasen und Stadien befolgt, übersprungen oder gar ausgelassen werden. Die These, dass nicht alle Stadien der Reise erfüllt werden müssen, um als Held bezeichnet zu werden, soll hiermit aufgestellt und anhand dieser Arbeit bewiesen werden.
Die vorliegende Bachelorarbeit wird zur Klärung der Forschungsfrage in vier Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel beginnt mit der Einleitung und der Erläuterung zu der methodischen Vorgehensweise der Arbeit. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Definitionen des Mythos und des Helden. AnschlieBend folgt eine genaue Betrachtung der Modelle der Heldenreise und eine detaillierte Beschreibung zu den Archetypen. Im Hauptteil der Arbeit werden dann zwei Heldenfiguren mit gleichen Merkmalen analysiert und gegenübergestellt. Dabei wird ein genauer Fokus auf die einzelnen Stadien und die Archetypen der Heldenreise gesetzt. Der Schwerpunkt der Analyse des Helden liegt unterdessen auf den dramaturgischen und visuellen Aspekten. Zum besseren Verständnis wird auBerdem die heroische Qualität von Nebencharakteren beschrieben. Im vierten Kapitel werden letztlich alle Resultate der Arbeit zusammengefasst und die Forschungsfrage beantwortet.
1.1 Methode
Die methodische Herangehensweise, die während dieser Arbeit angewandt wird, ist die Theorie der Figurenanalyse. Jens Eder hat sich dazu in seinem Werk Die Figur im Film ausführlich mit den Theorien anderer Filmwissenschaftler beschäftigt und aus diesen Forschungsergebnissen ein Grundmodell entwickelt. Die Figuren sind schon seit Jahrtausenden wichtiger Bestandteil einer Erzählung, da sie Träger der Handlung sind. Aristoteles‘ Entwurf in seinem Buch Poetik von 335 v. Chr. ist die erste bekannte Publikation, in der eine Theorie zur Figur festzustellen ist. Seit dem 20. Jahrhundert werden die Theorien ausdifferenziert und spezialisiert.2 Für Eder ist die Figur nicht nur das Abbild des Menschen, „schlieBlich umfasst das Figurenspektrum auch andere Gestalten: Tiere, Monster, Götter, Geister, AuBerirdische, Roboter, Computer, künstliche und magische Wesen.“3 Genauer definiert der Filmanalytiker die Figur im Film folgenderweise: „Eine Figur ist ein wiedererkennbares fiktives Wesen mit einem Innenleben - genauer: mit der Fähigkeit zu mentaler Intentionalität.“4 Die Figur muss demnach in der Lage sein, etwas zu fühlen oder wahrzunehmen. In seinem Kernmodell Die Uhr der Figur (siehe Abb. 1) unterscheidet er zwischen der Figur als Artefakt, der Figur als fiktives Wesen, der Figur als Symbol und der Figur als Symptom, die auch gemischt werden können. Das Modell soll dem Zusammenhang von Figuren, Kommunikation und Rezeption gerecht werden. Für die Analyse der Heldenreise der Figuren wird die Komponente des Symbols als Erklärungsansatz und theoretisches Fundament verwendet. Die Figur als Symbol steht „als Träger indirekter oder höherstufiger Bedeutungen jeglicher Art.“5 Die symbolischen Figuren können sich nach bestimmten Arten unterscheiden, dazu zählen unter anderem auch die Archetypen und mythischen oder religiösen Figuren. Darüber hinaus wird sich in dieser Arbeit aufgrund der Archetypen nicht nur auf eine einzelne Figur konzentriert, sondern auf die Figurenkonstellation. Aus diesem Grund werden konflikthafte Interaktionen von Protagonist mit Antagonist und Nebenfiguren unter die Lupe genommen.6
Diese Schemata dienen als Analyseparameter für die Erfassung der wichtigsten Figurenmerkmale. Die methodische Anwendung der flexiblen Heuristik wird der Analyse und Figurenkonstellation der Heldenreise gerecht.
2. Der Mythos der Heldenreise
„So weit die bewohnte Welt reicht, zu allen Zeiten und unter den verschiedensten Umständen haben die Mythen der Menschheit geblüht.“7
Schon seit Beginn der Erzählungen gibt es Mythen, welche die Mythentheorien mit sich bringen. Seit dem 19. Jahrhundert werden die Mythentheorien auch in anderen Disziplinen Sozialwissenschaften, Philosophie und Literaturwissenschaften thematisiert. „Es gibt keine Theorie zum Mythos selbst, weil es auch keine Disziplin gibt, die sich ausschlieBlich mit Mythen befassen würden.“8 Somit behandeln Wissenschaftler aus allen Bereichen die Mythologie mit verschiedenen Auffassungen. Sämtliche Mythen können unter dem Gesichtspunkt einer Heldenreise betrachtet werden, die uns auch noch in der gegenwärtigen Zeit begegnen. Mythen spielen seither eine wichtige Rolle in der Literatur und im Film. Das mythische Denken wird beispielsweise in den magischen Wesen wie Drachen, Kobolden und Meerjungfrauen wiedergespiegelt. Da jeder einzelne Mythos eine eigene Theorie braucht9 wird sich im folgenden Kapitel mit der Definition vom Mythos des US-amerikanischen Professors Joseph Campbells und von den Archetypen des Psychologen C.G. Jung befasst. Daraufhin wird der Begriff des Helden definiert. AnschlieBend folgt eine ausführliche Schilderung des Modells der Heldenreise nach Campbells. Zu guter Letzt wird die weiterentwickelte Heldenreise von Christopher Vogler und Michaela Krützen auf den Film bezogen vorgestellt, die zur Orientierung der späteren Analyse dient.
2.1 Der moderne Mythos
Der Begriff des Mythos wird in jedem Buch, welches zur Mythologie geschrieben worden ist, anders definiert und kann dabei stark voneinander abweichen. Dies steht im Zusammenhang mit der jeweiligen Zeitepoche, an die sich der Autor wendet, und aus welcher Perspektive geschrieben wird. Erst seit dem 20. Jahrhundert wird die Mythologie nicht mehr als Gegenstück der Wissenschaft betrachtet.10 Das Wort Mythos ist ein griechischer Begriff und bedeutet allgemein Fabel, Sage, Rede oder Erzählung, die mündlich vermittelt werden.11 Es stellt „die bildhafte Erzählung eines Volkes über wunderbare Ereignisse und Begebenheiten“12 dar. In den Geschichten geht es um etwas Bedeutsames und die handelnden Figuren sind oft übernatürliche Geschöpfe. Mythen vermitteln das Unerklärliche und werden im heutigen Sprachgebrauch mit der Unwahrheit gleichgesetzt.
Man kann eine Erzählung als antiken Mythos oder modernen Mythos kategorisieren. Typische antike Mythen sind die Göttergeschichten der Griechen wie Odysseus und Prometheus. Sowohl damals wie heute beeinflusst mythisches Denken die gesamte Kultur des Menschen und ist somit zeitlos. Viele verschiedene Versionen von einem Mythos belegen die Formbarkeit der Mythen.13 Mythen sind auch noch heute gegenwärtig, da sie in unseren Köpfen tief verwurzelt sind. Dies kann man daran erkennen, dass heute noch neue moderne Mythen, wie zum Beispiel die Film Saga Star Wars, erschaffen werden. Denn hier lassen sich bekannte mythische Strukturen wie der Kampf zwischen Gut und Böse ausfindig machen.14 Den Gegensatz zwischen der hellen und dunklen Seite entdeckt man in allen Mythen als Grundstruktur, besonders in den religiösen Mythen.15
Trotz der sehr vielfältigen Mythen und Sagen, hat sich bei einem Mythos ein einheitliches Grundmuster entwickelt.
„In ihrer Gesamtheit sind Mythen viel zu unterschiedlich, als dass sie eine grundlegende Handlungsstruktur teilen könnten, doch für bestimmte Untergruppen, insbesondere Heldenmythen, wurden bereits häufig Handlungsstrukturen ausgemacht.“16
Sämtliche Mythen kann man unter dem Gesichtspunkt einer Heldenreise betrachten, welcher als nachweisbares Muster in der Mythologie besteht. Neben Otto Rank und Lord Raglan sind die wichtigsten Vertreter des Heldenmythos der US-amerikanische Professor Joseph Campbell und der Schweizer Psychiater C.G. Jung. Campbells Heldenmythos ist stark von den Jungianern, den Anhängern von Jung, beeinflusst worden. Bis zu einem gewissen Punkt stimmt Jungs psychoanalytische Ansicht mit den Theorien von Sigmund Freud überein.17
In Jungs Theorie wird die Psyche in drei Einheiten unterteilt (siehe Abb. 2). Die erste Einheit wird als Ich bezeichnet, das man mit dem Bewusstsein gleichsetzen kann. Darin eingeschlossen befindet sich das persönliche Unbewusste, welches die Erinnerungen und Erfahrungen der eigenen Person umfasst. Die Einführung des dritten Teils, des kollektiven Unbewussten, grenzt Jung von anderen Psychoanalytikern ab.18 Jung erklärt das kollektive Unbewusste folgendermaBen:
„Das kollektive UnbewulJte ist ein Teil der Psyche, der von einem persönlichen UnbewulJten dadurch negativ unterschieden werden kann, daB er seine Existenz nicht persönlicher Erfahrung verdankt und daher keine persönliche Erwerbung ist.“19
Nach Jung finden wir in einer tieferen Schicht, als der des persönlichen Unbewussten, das kollektive Unbewusste, welches weit in die Vergangenheit der gesamten Evolution zurückreicht. In dieser tiefen Schicht sind wir mit der ganzen Menschheit verbunden und so finden wir in den Mythen, Märchen und Legenden aller Kulturen vergleichbare Gestalten, Motive oder Situationen.20 Den Inhalt des kollektiven Unbewussten bezeichnet Jung als sogenannte Archetypen. In Jungs Modell gehören die Archetypen zum Grundstein seiner analytischen Psychologie. Archetypen sind die Urbilder der kollektiven Seele, die als Elemente immer wiederkehren. Sie erscheinen uns laut Jung symbolisch und verschlüsselt im Traum. Zugänglich sind die Archetypen nur durch den Traum, da dieser eine Brücke zum Unbewussten bildet. Sie repräsentieren in einer Erzählung nicht nur verschiedene Figuren, sondern auch bestimmte Persönlichkeitsteile des Selbst.21 Somit stellt Jung mit den Archetypen eine Verbindung zwischen den überlieferten Mythen und der Psyche des Menschen her. Denn es erscheinen „die Archetypen in den Mythen und Märchen, [genauso] wie im Traum und in psychotischen Phantasieprodukten“.22 Die Archetypen überschneiden sich und gehen ineinander über, weswegen der Psychoanalytiker sich auf keine bestimmte Anzahl von Strukturtypen begrenzt. Trotzdem stellt er in seinen Werken einige Archetypen vor. Jungs bekanntesten Archetypen lauten Held, Schatten, Mutter, Kind, Anima und Animus. Beispielweise bezeichnet die Anima laut Jung das weibliche Element des männlichen Unbewussten und der Animus das männliche Element des weiblichen Unbewussten.23 Die weiteren Archetypen werden in Kapitel 2.4.1 ausführlicher beschrieben.
Joseph Campbell lehnt sich bei seiner Analyse von Mythen und Sagen stark an die Theorien der Jungianer an. Der Professor glaubt ebenfalls an die Existenz der vorgestellten Archetypen von C.G. Jung und die Verbindung von Traum und Mythos, denn er schreibt: „Das UnbewuBte sendet alle möglichen Dünste, Fratzenwesen, Schrecken und beirrenden Bilder ins BewuBtsein, im Traum [.]."24 Er sieht die mythischen Symbole aus dem Traum als „spontane Hervorbringungen der Psyche, und jedes trägt in sich, als unbeschädigten Keim, die Kraft seines Ursprungs.“25 Die Mythen haben als Aufgabe, den Menschen mit Symbolen zu versorgen und die Gesellschaft voranzutreiben.26 Alle Geschichten können nach Campbell anhand der Heldenreise verstanden werden. Mithilfe der Vorführung diverser Sagen, Märchen und Riten aus aller Welt bestimmt Campbell ein gemeinsames kreisförmiges Modell, in dem sich alle Mythen wiederfinden können. Das Schema der mythischen Abenteuerfahrt des Helden definiert er in drei Abschnitten: „Trennung - Initiation - Rückkehr, einer Formel, die der einheitliche Kern des Monomythos genannt werden kann.“27 Das Modell des Monomythos wird in einem Kreis angelegt und verläuft linksdrehend. Die Trennung des Helden von seiner Umwelt bezeichnet Campbell als X, seine Initiation mit Y und die Rückkehr mit Z (siehe Abb. 3). Die Grundstruktur des Monomythos ist hierbei die Figur des Helden.
2.2 Definition Held
Die Heldenfigur hat ihren Ursprung im antiken Heros. Der mythologische Held wird als einen „durch groBe und kühne Taten besonders in Kampf und Krieg sich auszeichnende[n] Mann edler Abkunft“28 beschrieben. Jedoch zeigt sich in der Literatur, dass man dieser Definition nicht unbedingt folgen muss. Viele bedienen sich auch eines anderen Heldenbildes. Man kann ihn als einen realen Helden im Alltag wie beispielsweise die eigenen Eltern oder als einen fiktiven Helden, wie er in Mythen, Märchen, Filmen und Büchern zu finden ist, betrachten.
Campbell beschreibt den Heldenbegriff sehr einfach: „Der Heros, wie er im zusammengesetzten Monomythos erscheint, ist eine Gestalt von auBergewöhnlichen Gaben.“29 Die Taten des Helden spielen sich auf der Heldenreise im Mythos ab. Für Campbell sind die Aktionen des Heros, unerheblich welcher Abstammung er ist oder welche Gestalt er annimmt, gleich. Somit liegt der Fokus nicht auf das Aussehen des Helden, sondern auf die gemeisterten Aufgaben der Reise. Denn „der wesentliche UmriB seiner Abenteuer variiert kaum“.30 Diese Verbindung der Charaktereigenschaften und Handlungen des Helden in allen Märchen und Sagen nennt Campbell Monomythos.31 Campbell und Jung sind sich einig, dass die Heldenfahrt mit dem Reifeprozess unseres Ichs und unserer weiteren Seelenentwicklung einhergeht. „Der Held, der Erwecker seiner eigenen Seele, ist selber nur das Werkzeug und Mittel zu seiner eigenen Auflösung.“32 Campbell benennt diese Selbstwerdung nach seiner zweiten Phase, der Initiation. Der Psychiater Jung hingegen erfindet für die Ichentwicklung zum Selbst einen ganz neuen Begriff, welcher Individuation lautet.33
Joachim Hammann schlieBt sich in seinem Werk Die Heldenreise im Film aus dem Jahr 2007 der Meinung von Campbell und Jung an. Nach Hammann erreicht der Held nach der Heldenfahrt ein Paradies. „Das Paradies ist keine zeitliche oder geographisch bestimmbare Wirklichkeit, sondern ein Seelenbild.“34 Das bedeutet, dass sowohl der Reifeprozess als auch der Individuationsprozess nach dem Abenteuer abgeschlossen sind und der Held nun das Leben akzeptieren und genieBen kann. Ebenso sieht Hammann den Prozess nicht als Heldwerdung, sondern als Heil-Werdung und Mensch- Werdung.35 Somit spiegelt sich die Reise des Helden als eine Art Heilung des Charakters wieder, die ihm dabei hilft das zerstörte Innere wieder zu korrigieren. Die heroische Qualität kann laut Hamann auf vier Ebenen zerstört werden oder verloren gehen: Körper, Geist, Herz und Seele. Die Kategorie des Körpers spiegelt die Willenskraft, den Mut und das Durchhaltevermögen des Protagonisten wieder. Dieser gibt auch bei hohem Druck nicht auf. Auf der Stufe des Geistes können sich die heroischen Qualitäten in Cleverness und logischem Denken zeigen. Die Ebene des Herzens ist die Funktion von Gefühl. Der Held ist in der Lage eine Beziehung zu führen, mitzufühlen oder auch die Wahrheit zu erkennen. Der letzte Teil, die Seele, repräsentiert die Fähigkeiten von Intuition und Kreativität. Diese heroische Qualität zeigt sich in vielfältiger Weise, z.B. Einfallsreichtum, Originalität, Humor und Witz. In einer Erzählung tritt die Hauptfigur schwierigen Aufgaben meist mit einer Leichtigkeit entgegen.36 Wenn eine dieser vier Funktionen gestört wird, werden auch gleichzeitig die anderen drei Ebenen beeinträchtig. Diese Störung lässt die dunkle Seite des Helden hervorkommen und wird nach Hammann als inadäquates Verhalten bezeichnet. In der Geschichte zeigt sich dieses Verhalten darin, dass die Hauptfigur unfähig ist, eine einfache Aufgabe zu lösen. Der Held muss zunächst die Tapferkeit aufbringen, seine „unbewussten Dämonen zu jagen, aufzuspüren, zu stellen und zu vernichten“37, denn nur wenn alle Funktionen vereint sind, kann der Held einen Zustand des Friedens erreichen.38
2.3 Entwicklungsstadien des Helden nach Campbell
Der Held läuft während seiner Entwicklung verschiedene Stationen auf seiner Reise ab. Joseph Campbell hat schon vor sechzig Jahren in seinem Werk Der Heros in tausend Gestalten die Mythologie behandelt und gilt heutzutage als Entdecker der Heldenreise. Die Feststellung von ähnlichen Strukturen und Symbolen in Geschichten aller Welt nennt er Monomythos. Die Grundstruktur des Monomythos ist der Held. Er kennzeichnet drei groBe Phasen namens Aufbruch, Initiation und Rückkehr, die weiter in siebzehn Stadien unterteilt worden sind.39 Die mythische Heldenreise stellt er in einem Modell (siehe Abb. 4) dar, in dem die Welt des Reisenden nicht nur in Phasen unterteilt wird, sondern auch in zwei Welten. Der Held verlässt die gewohnte Welt, in die er zurückkehrt, nachdem er die Aufgaben in der fremden Welt gemeistert hat. Campbell betont, dass es so viele Variationen vom Monomythos gibt, dass man diese nicht aufzählen kann. Verdopplungen, Abwandelungen und Verschmelzungen von verschiedenen Stadien sind möglich. Auch kann ein Mythos auf ein bestimmtes Motiv konzentriert sein.40 Die einzelnen Stadien werden im Folgenden aufgeführt.
In der ersten Phase des Aufbruchs wird der Held zum Abenteuer gerufen. Diese Berufung tritt durch einen erfahrenen Mangel oder eine plötzliche Aufgabe auf. Nach Erhalt seiner Aufgabe muss sich der Held in unbekannte Gebiete begeben, die voller Gefahren sind.41 Das zweite Stadium wird Weigerung genannt. „In der Wirklichkeit oft und in Mythen und Märchen nicht selten kommt es vor, daB der Ruf auf taube Ohren stöBt und die Antwort ausbleibt.“42 Auf dieser Stufe zögert der Held, seinem Ruf zu folgen. Die Hauptfigur stöBt dann auf einen oder mehrere Mentoren. Diese Übernatürliche Hilfe taucht auf, wenn der Held sich entschlossen hat, seiner Berufung zu folgen. Dieser übergibt dem Helden einen schützenden Gegenstand für die Reise.43 Das Überschreiten der ersten Schwelle ist der Schritt von der realen in die irreale Welt. Der Held überwindet seine Unentschlossenheit und „so geht der Heros [...] durch die Mauern der Welt“44. Der Horizont des Protagonisten verlagert sich und er gelangt zum Eingang der neuen Welt, der in Mythen und Sagen von einem Torhüter bewacht wird.45 Die letzte Stufe dieser Phase Der Bauch des Walfisches tritt als eine Art Metapher auf. „Dieses Motiv bezeigt die Lehre, daB die Überschreitung der Schwelle einer Selbstvernichtung gleichkommt.“46 Das Stadium steht symbolisch für den MutterschoB. Die bevorstehenden Probleme werden dem Auserwählten bewusst und er erfährt eine sinnbildliche Widergeburt. Der Held begegnet somit seinem innersten Selbst, die er während der Heldenfahrt neu formen muss.47
Die zweite Phase betitelt Campbell mit Initiation. Die tragende Figur muss sich in der unbekannten Welt Den Weg der Prüfungen stellen. „Der Held wird insgeheim gelenkt von den Ratschlägen, Amuletten und verborgenen Kräften des mystischen Helfers [.].“48 Diese Macht des Mentors schützt den Protagonisten während der ganzen Abenteuerfahrt. Der Held muss dabei immer wieder aufs Neue Prüfungen bestehen und gelangt somit an neues Bewusstsein. Die Prüfungen können in verschiedenen Formen wie einem klassischen Kampf, innerem Widerstand oder einem Rätsel auftreten.49 Die Begegnung mit der Göttin tritt am Ende der Prüfungen auf, in der die Göttin die gegengeschlechtliche Macht repräsentiert. Nachdem alle Prüfungen bestanden sind, erfährt der Held eine „mystische Hochzeit (íepóç Yápoç) der siegreichen Heldenseele mit der göttlichen Weltmutter“50. Die Göttin steht für die höchste Offenbarung. Sie ist die Schöpferin, die Zerstörerin und die Weltmutter, die wir heute als Mutter Natur oder Mutter Erde bezeichnen. Wenn der Held über sich hinausgewachsen ist und er seine innere Ruhe gefunden hat, wird ihm zu diesem universellen Wissen Zutritt gewährt. Der Held kann nun mit alten und schlechten Erinnerungen ins Reine kommen.51 Der Held erfährt auf der nächsten Stufe eine mystische Vereinigung mit der Königin des Universums. Das Weib als Verführerin steht als Symbol und kann den Heros von seinem Weg ablenken. Dem Held gilt es, den Versuchungen durch seine vorher erlangte Erleuchtung zu widerstehen.52 In der neunten Station lernt der Held die Seite der gleichgeschlechtlichen Macht kennen, sie nennt sich die Versöhnung mit dem Vater. Der Held erlangt das Bedürfnis erwachsen zu werden und benötigt mindestens eine Vaterfigur für diesen Vorgang. Doch häufig macht die Heldenfigur die Erfahrung des abwesenden schrecklichen Vaters und der Urkonflikt aller Konkurrenzkämpfe Sohn gegen Vater tritt auf. Die Heilung dieser Rivalität zeigt, dass nicht die Vaterfigur der Gegenspieler des Helden ist, sondern in Wahrheit er selbst. Der Held muss aus der beschränkten Sicht heraustreten, um eine Versöhnung zu erfahren. Der zumeist zornige Vater zeigt positive Eigenschaften wie Wärme und das Geschenk des Lebens auf.53 Der Held erfährt durch die Vereinigung der Lehren der Mutter mit den Lehren des Vaters eine Offenbarung der Vergöttlichung. Diese sogenannte Apotheose zeigt ihm, dass er göttliches Potenzial in sich trägt. Ihm werden Geheimnisse der Schöpfung offen gelegt werden und er erlangt den Zustand der Ganzheit und der Einheit allen Lebens.54 Die endgültige Segnung erhält der Held in der letzten Station der Initiation, die für die bevorstehende Rückkehr des Helden von Bedeutung ist. Er empfängt das selbst verdiente Elixier, welches zur Rettung seiner gewohnten Welt beitragen soll. Für diesen Segen muss der Protagonist geistliche Reife erlangt haben. Das Elixier muss nicht zwanghaft ein Schwert sein. Es kann auch eine Erfahrung des Inneren sein, die sich durch ein äuBerliches Element abbildet.55
Die dritte und letzte Phase der mystischen Heldenfahrt ist die Rückkehr. Der Held zögert in die Welt des Alltags zurückzukehren, weswegen die erste Stufe Verweigerung der Rückkehr genannt wird.
„Wenn der Held seine Aufgabe gelöst hat, zur Quelle vorgedrungen ist oder den Beistand einer männlichen oder weiblichen, menschlichen oder tierischen Personifikation gefunden hat, bleibt ihm noch der Rückweg mit der Trophäe, die das Leben verwandeln soll.“56
Der erfolgreiche Antritt der Rückkehr mit der Trophäe unter dem Arm „schlieBt erst den Kreis, wie die Norm des Monomythos es fordert“57. Die magische Flucht tritt ein, wenn der Held durch innere Beweggründe oder äuBeren Zwang zur Rückkehr bewegt wird. Grund für die Flucht kann eine innere Einsicht des Helden oder eine Bedrohung durch den Gegner sein. Wenn der Held die Trophäe unehrenhaft an sich gerissen hat oder in der fremden Welt verbleiben will, werden ihn laut Campbell viele magische Aufgaben auf dem Rückweg erwarten.58 Die Flucht gelingt, wenn die Rettung von aussen erscheint. Diese zeichnet sich durch eine Tat oder einen Gedankengang des Helden oder eine unbekannten übernatürliche Kraft aus. Häufig verkörpert der Mentor die äuBerliche Rettung, indem er Fallen für die Gegner stellt oder den Reisenden magisch ausstattet. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Held „von auBen gerettet, von innen getrieben oder sanft von den lenkenden Gottheiten geleitet [wird].“59 Dank der Hilfe kann der Held nun in die normale Welt zurückkehren. Der folgende Schritt ist demnach die Rückkehr über die Schwelle. Die in der ersten Phase übertretene Schwelle wird erneut passiert. Der Held kehrt in seine Alltagswelt, aus der er ursprünglich aufgebrochen war, zurück. Die Schwierigkeit liegt nun darin, das gewonnene Wissen der Heldenreise in die irdische Welt zu integrieren. Er stöBt bei dieser Aufgabe jedoch auf viel Widerstand und Unverständnis, die er überwinden muss, indem er die menschliche und die göttliche Welt als eine Einheit ansieht.60 Ist diese schwierige Phase überwunden, so ist der Heros der Herr der zwei Welten. Das bedeutet, der Protagonist kann sowohl präsent in beiden Welten sein als auch sein Inneres mit den äuBeren Anforderungen im neuen Alltagsleben vereinen. Er verbindet beide Welten ohne die Prinzipen der jeweils anderen zu verändern. Die verschiedenen Welten stehen hier sinnbildlich für die innere und äuBere Welt des Helden, der nun sein eigenes Leben gemeistert hat.61 Der Held erreicht dann die letzte Stufe der Abenteuerfahrt und kann auf das Resultat seiner Reise blicken. Sein Elixier, sei es Wissen oder eine Waffe, hat die reale Welt positiv verändert. „Mächtig in seiner Erkenntnis, gelassen und frei im Handeln, erhoben in dem BewuBtsein, [...] ist der Held das bewuBte Werkzeug des schrecklichen, wunderbaren Gesetzes.“62 Er hat der Gesellschaft durch seine Erfahrungen neue Freiheit zum Leben gebracht und kann nun selbst befreit von allen Ängsten sein eigenes Leben führen. „Dennoch aber - und darin liegt der groBe Schlüssel für das Verständnis der Mythen und Symbole - sind die beiden in Wahrheit eins.“63 Obgleich die normale und die übernatürliche Welt unterschiedlicher nicht sein könnten, betrachtet Campbell sie als Einheit und so sollte sie auch der Held sehen.
2.4 Modelle von Christopher Vogler und Michaela Krützen
An dieser Stelle werden unterdessen die Autoren Christopher Vogler und Michaela Krützen herangezogen, da sich diese Arbeit mit dem Medium Film beschäftigt und die beiden Autoren die Heldenreise auf den Film beziehen. In Voglers Werk Die Odyssee der Drehbuchschreiber, Romanautoren und Dramatiker von 1998 und Krützens Werk Dramaturgie des Films von 2004 entwickeln beide die Reise des Helden aus den Mythosstudien von Joseph Campbell und der Tiefenpsychologie von C. G. Jung. Beide behandeln die Methoden kritisch und stellen die Heldenreise für den Film in eigenen Modellen dar. So erweitert beispielsweise Vogler die Archetypen, während Krützen einen dramaturgischen Rahmen für die Grundstruktur setzt. Daher ist es von Bedeutung diese kritischen Ansichten mit in die Arbeit einzubinden und für die Heldenanalyse zu verwenden. Die Kapitel werden in die verschiedenen Archetypen und die Reise des Helden unterteilt.
2.4.1 Archetypen
Archetypen sind stets wiederkehrende Figuren, Symbole und Beziehungen und dienen der Figurenzeichnung in dieser Arbeit. Sie sind die wesentlichen dramaturgischen Funktionen der Heldenreise und müssen daher ausführlich beschrieben werden. Vogler bezieht sich wie Jung auf die Traumebene des Menschen und behauptet, dass das kollektive Unbewusste einer gesamten Kultur aus Mythen und Sagen besteht. Sie lassen sich also sowohl im Individuum, als auch in der Gruppe finden und haben damit eine Beständigkeit durch alle Kulturen und Zeiten. Die archetypischen Figuren sind universell verständlich und dienen daher als eine Funktion des Verstehens. Der Zuschauer kann den Charakter innerhalb einer Geschichte schnell emotional erfassen, da er diesen aufgrund des universalen Musters erkennt. Sie sind also ein unverzichtbares dramaturgisches Werkzeug. „Wir können uns die Archetypen allerdings auch noch auf eine andere Weise vorstellen: als Facetten der Persönlichkeit des Helden [,..].“64 Die Archetypen können nach Vogler auch als einzelne Persönlichkeitsbilder erkannt werden und auf den Heldenmythos bezogen bestimmte Emanationen, also hervorgehende Ausdrücke, repräsentieren. Der Held kann sich somit gute und schlechte Eigenschaften anderer Figuren zu eigen machen und von ihnen lernen, indem er ihre Gestalt annimmt. Auch definiert Vogler den Archetyp als einen flexiblen Funktionsträger, der als eine Art Maske verstanden werden kann. Ein Charakter kann demnach mehrere Archetypen übernehmen, um die Geschichte voranzutreiben. Auch wenn es insgesamt sehr viele Archetypen gibt und in modernen Geschichten neue Varianten und Weiterentwicklungen auftreten, legt sich Vogler auf sieben Archetypen fest. Er nennt Held, Mentor, Schwellenhüter, Herold, Gestaltwandler, Schatten und Trickster als die am häufigsten verwendeten Archetypen.65
[...]
1 Campbell, J. (2018): Der Heros in tausend Gestalten, S. 119.
2 Vgl. Eder, J. (2008): Die Figur im Film, S. 30; S. 45ff.
3 Ebd., S. 63.
4 Ebd., S. 64.
5 Ebd., S. 137.
6 Vgl. ebd., S. 537; S. 464.
7 Campbell, J. (2018): Der Heros in tausend Gestalten, S. 17.
8 Segal, R. A. (2007): Mythos. Eine kleine Einführung, S. 8.
9 Vgl. ebd., S. 16.
10 Vgl. ebd., S. 8f.
11 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Mythos.
12 Bellinger, G. (1996): Lexikon der Mythologie, S. 328f.
13 Vgl. Segal, R. A. (2007): Mythos. Eine kleine Einführung, S. 11ff.
14 Vgl. https://philomag.de/star-wars-der-mythos-unserer-zeit/.
15 Dowden, K. (1992): The uses of Greek mythology, S. 34f.
16 Segal, R. A. (2007): Eine kleine Einführung, S. 117.
17 Vgl. ebd., S.117ff.
18 Vgl. Jung, C. G. (1976): Die Archetypen und das kollektive Unbewusste, S. 165ff.
19 Ebd., S.55.
20 Vgl. ebd., S. 169.
21 Vgl. ebd., S. 50ff.
22 Ebd., S. 167.
23 Vgl. ebd., S. 34f.
24 Campbell, J. (2018): Der Heros in tausend Gestalten, S. 21.
25 Ebd., S. 18.
26 Vgl. ebd., S. 24.
27 Ebd., S. 42.
28 https://www.duden.de/rechtschreibung/Held_Held_Recke.
29 Campbell, J. (2018): Der Heros in tausend Gestalten, S. 50.
30 Ebd., S. 50.
31 Vgl. ebd., S. 42.
32 Ebd., S. 278.
33 Hamann, J. (2015): Die Heldenreise im Film, S. 39.
34 Ebd. S. 56.
35 Vgl. ebd., S. 2.
36 Vgl. ebd., S. 51ff.
37 Ebd. S. 93.
38 Vgl. ebd. S. 91.
39 Campbell, Joseph (2018): Der Heros in tausend Gestalten, S. 42ff.
40 Vgl. ebd. S. 265.
41 Vgl. ebd. S. 71.
42 Ebd. S. 72.
43 Vgl. ebd. S. 83.
44 Ebd. S. 103.
45 Vgl. ebd. S. 91.
46 Ebd. S. 105.
47 Vgl. ebd. S. 1103ff.
48 Ebd. S. 109.
49 Vgl. ebd. S. 109f.
50 Ebd. S. 120.
51 Vgl. ebd. S. 126f.
52 Vgl. ebd. S. 131f.
53 Vgl. ebd. S. 142ff.
54 Vgl. ebd., S. 163ff.
55 Vgl. ebd. S. 184ff.
56 Ebd., S. 210.
57 Ebd., S. 210.
58 Vgl. ebd. S. 213.
59 Ebd., S. 232.
60 Vgl. ebd., S. 232f.
61 Vgl. ebd., S. 247.
62 Ebd., S. 257.
63 Ebd., S. 233.
64 Vogler, C. (2018): Die Odyssee der Drehbuchschreiber, Romanautoren und Dramatiker, S.67.
65 Vgl. ebd., S. 65ff.