Marina Abramović und Ulay. Die Betrachtung einer performativen Beziehung durch die Werke


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Marina Abramovic - davor

2. Ulay - davor

3. Der Geburtstag

4. Relation in Space

5. Relation in Time

6. ART VITAL

7. Nightsea crossing

8. Der Mond, die Sonne

9. The Lovers - The Great Wall Walk

10. Danach - Marina Abramovic

11. Danach - Ulay

12. Und wieder - Der Geburtstag

13. The artists are present

14. Literaturverzeichnis

[Die Abbildungen in dieser Arbeit mussten aus urheberrechtlichen Gründen von der Redaktion entfernt werden]

Einleitung

Von dem Künstlerpaar Marina Abramovic und Ulay geht eine nicht zu negierende Faszinati­on aus. Ihre gemeinsame Schaffensphase liest sich wie eine Legende von Katharsis und Liebe. Jeder Moment ihrer Lebensläufe, jede Performance und jedes Zitat ist Teil eines um­fassenden Gesamtkunstwerkes, möchte man es als solches betrachten. Über mehr als ein Jahrzehnt Zeit und fünf Kontinente Raum spannt sich eine einzigartige künstlerische Bezie­hung, die einen konzeptuell starken und emotional fordernden Werkkomplex der Perfor­mance Kunst hervorbrachte.

Es mutet nicht gerade einfach an, ein solch ganzheitliches Bild aufzubrechen, um spezifi­schen Fragen nachzugehen. Ein Unterfangen, das nicht einfach ist, sich aber als lohnens­wert erweisen wird.

Den Gesamtkomplex durchzieht die Dualität des Männlich - Weiblichen. Immer wieder wer­den Fragen nach der Trennung der Geschlechter und deren Verschmelzung zu einer Entität gestellt. Der Weg der Wahl ist ein nahezu biographischer, dessen Wegweiser einzelne Per­formances sind, durch die immer wieder das Verhältnis zwischen Mann und Frau neu defi­niert und bereichert wird.

Die gemeinsamen Werke des Künstlerpaares sind formal-ästhetisch äußerst aussagekräftig, was ich mir insofern zunutze mache, als dass ich durch deren Betrachtung immer wieder Fragen auf der Beziehungsebene durch die künstlerische Ebene und die der öffentlichen Rezeption zu beantworten suche.

1. Marina Abramovic - davor

„ Was ist passiert? Kunst ist passiert. “

(Abramovic 2016, S. 45)

Die Frage dieses Kapitels ist wahrscheinlich, wie es dazu kam, dass Marina und Ulay sich am 30. November 1974 am Flughafen in Amsterdam trafen. Und natürlich, wie die Reise gemeinsam weiter ging.

Die neunundzwanzigjährige Serbin Marina lebte seinerzeit in Belgrad bei ihrer Mutter. Marina ist die Tochter zweier hohe Ämter bekleidenden Kriegshelden der damaligen Sowjetunion, der Vater war Teil von Titos Leibgarde, die Mutter spätere Direktorin des Revolutionsmuse­ums (vgl. Abramovic 2016, S. 11). Nach eigener Aussage war die Ehe der Eltern „von An­fang an schwierig gewesen“ (ebd. S. 14), wenngleich deren Geschichte des Kennenlernens im Krieg märchenhafte Züge aufweist. Ihr Vater Vojo sei ein Schürzenjäger gewesen, der später auch eine sehr junge Frau heiratete. Die Mutter Danica träumte in der Nacht von Ma­rinas Geburt, sie gebäre eine Schlange, was der späteren Selbstmystifizierung Abramovics Vorschub leistete. Die ersten sechs Jahre, bis zur Geburt ihres Bruders Velimir, lebt Marina bei ihrer Großmutter Milica, bei der sie sich sehr geborgen fühlte (vgl. ebd. S. 15). Ihre Ju­gendjahre beschreibt Marina als „verstörende, unglückliche Zeit“ (ebd. S. 35). Nach eigener Aussage machte ihr das eigene Aussehen, das eigene Auftreten zu schaffen, was nicht zu­letzt mit den permanenten Interventionsversuchen der pedantischen Mutter zusammenhing. Orthopädische Schuhe, Aberglaube, ein Suizidversuch, ein Vater, der im Bordell seine Tage fristet, Schamgefühle, anhaltender Streit in der Familie und nagende Eifersucht auf ihren jüngeren Bruder, all das sind negative Schlaglichter, in die Abramovic selbst die Schilderung ihres jungen Lebens stellt. Natürlich stellt sich die Frage, wie sie zu der selbstbewussten Frau wurde, die Millionen Menschen direkt ins Gesicht sieht. „Was ist passiert? Kunst ist passiert.“ (ebd. S. 45). Während ihres Malereistudiums, das sie bis 1970 absolvierte, began­nen in Belgrad 1968 die Studentenproteste, auch Marina ist Teil dieser Bewegung. Sie ver­liebt sich in ihren Kommilitonen, um nicht zu sagen ihren Genossen Nesa, den sie später auch heiratet, „um frei zu sein“ (ebd. S. 71). Mit fünfundzwanzig Jahren lebt die verheiratete Marina nach wie vor bei ihrer Mutter, rebelliert gegen sie und verfolgt gierig die Entwicklung in der Welt der Kunst, von der sie schon bald ein Teil werden sollte. Marina schreibt: „Je län­ger ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir bewusst, wie grenzenlos Kunst sein konnte“ (ebd. S. 76). In Edinburgh lernt sie auf einem Kunstfestival u. a. Joseph Beuys, Tom Marioni und Günter Brus kennen, seinerzeit bedeutende Konzept- bzw. Performance- Künstler. Die Konzeption von Rhythym 10, einer einstündigen Performance, bei der Abramo- vic im strukturellen Rahmen eines russischen Trinkspiels, mit einem Messer möglichst schnell zwischen die Finger ihrer Hand sticht, basiert auf einem Zitat von Bruce Nauman: „In der Kunst geht es um Leben oder Tod“, eine Feststellung wie ein Programm bereits für die junge Abramovic (ebd. S. 82). Das Gefühl bei einer Performance beschreibt Marina als „tota­le Freiheit, die Grenzenlosigkeit des Körpers (...), berauschend“ (ebd. S. 84), ein Gefühl, das sie zeitlebens suchen würde. Über weitere Rhythym-Performances entsteht Thomas Lips. Thomas Lips hat Abramovic vermutlich u. a. durch die Drastik (ein mit Scherben in den Bauch geritztes Pentagramm, Auspeitschen und Ertragen von Eiseskälte) abermals eine starke, öffentliche Wirkung eingebracht. Abramovic wird nach Amsterdam geladen, um Thomas Lips in einer örtlichen Galerie aufzuführen. So gelangen wir an den Punkt, an dem Marina und Ulay sich am Flughafen Schiphol treffen.

2. Ulay - davor

Ulay wird als Uwe Frank Laysiepen 1943 in Solingen geboren. Solingen hat eine lange Tradi­tion im Bereich medizintechnischer Produktion, deren Fabriken zur Waffenproduktion genutzt und folglich im Zweiten Weltkrieg ein bedeutendes Ziel für Luftangriffe wurden. Ulays Mutter Hildegarde Maria Siepmann-Laysiepen gebar ihren Sohn während eines Luftangriffes in ei­nem Bunker. Zu der Zeit war sein Vater Wilhelm in Stalingrad. Der Vater hatte das Schicksal jener Männer, die in beiden Weltkriegen an der Front kämpfen mussten. Ulay beschreibt sei­ne Mutter als schwer traumatisiert, eine Frau, die wenig lachte und zu lachen hatte. Ulays Vater Wilhelm kehrt aus dem Krieg zurück, hat schwere Atemprobleme und ist traumatisiert. 1943-1953 lebt die Familie bei Solingen in einem Landhaus, 1954 folgt ein Umzug in den Westerwald, hauptsächlich aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Vaters. Nach Aussage der Mutter ist Uwe gern in der Natur und bei den Bauern in der Umgebung des Dorfes zu Besuch. 1958 verstirbt Wilhelm, Uwe ist gerade fünfzehn Jahre alt. Daraufhin zieht sich seine Mutter gänzlich aus ihrem sozialen Leben zurück, sodass Uwe mit sechzehn nach Skandinavien flieht, um dem Waisenhaus zu entgehen. Hildegarde Maria lebt zwanzig weitere Jahre. 1961 beginnt Uwe ein Ingenieursstudium in Burglahr. Mit Freunden trifft er sich häufig in einer italienischen Bar, wo er 1963 seine zukünftige Frau Uschi Schmitt-Zell kennen lernt (vgl. McEvilley 2010, S. 175). Die beiden heiraten ein Jahr später und be­kommen einen Sohn, Marc Alexander Laysiepen. Uwe Laysiepen eröffnet eine rentable Farbfotografie-Druckerei. Uwe arbeitet sehr viel, später wird er sagen: sein Beitrag, um über drei Jahre in der deutschen Gesellschaft zu bestehen, in der er sich zu der Zeit nur über Geld und Fleiß behaupten konnte. In Neuwied lernt er Jürgen Klauke kennen, mit dem er später eng zusammenarbeiten wird. 1968 verlässt er seine Frau Uschi, überlässt ihr die Fir­ma und bricht zunächst in Richtung Prag auf. Die Slowakei war zu der Zeit unter russischer Besatzung, Uwe Laysiepen änderte seinen Plan um und fuhr nach Amsterdam. Im Gepäck hatte er eine Kamera, eine Schreibmaschine, ein paar Kleider. Er interessiert sich für die „Provos“ in Amsterdam, Provos von Provokateure, junge Anarchisten und Anarchistinnen, die gleichsam provokant und konstruktiv waren und unter anderem ökologische Missstände anprangerten (vgl. ebd. S. 180). Ulays Bedürfnis, so betrachtet er retrospektiv, sei es bereits seit Beginn gewesen, zu revoltieren (vgl. Film The Story of Marina Abramovic and Ulay). 1968 beginnt er auch, sich zum ersten Mal bewusst für Kunst zu interessieren. Die Hand­werkskunst des Fotografierens begann er nun zuerst zu Dokumentationszwecken der Provo- Bewegung zu nutzen, später aber auch, um Identitätsfragen zu stellen. Er beginnt ein Studi­um der Fotografie in Köln, das er nach knapp zwei Jahren beendet, da er alle Techniken erlernt habe, die er brauchte (vgl. McEvilley 2010, S. 184). In der Kölner Schule trifft er er­neut auf Jürgen Klauke, mit dem er eine intensive Zusammenarbeit beginnt, später auch ein Buch erstellt. Klauke ist es auch, der ihn in die Travestie-Szene führt. Unter dem Einfluss von Pierre Molinier, einem französischen Fotografen, beginnt Ulay eine Reihe Selbstportraits, die ihn als Mann-Frau zeigen. Er sagt später, er sei ein „guest transvestite“ (ebd. S. 191) in Ams­terdam gewesen. Hier beginnt er auch, sich mehr und mehr mit dem Thema sexueller Dua­lismen zu beschäftigen. 1970 lernt er Henny Löwensteyn kennen, mit der er ein Jahr später einen Sohn bekommt. Bemerkenswert ist, dass Henny in den Aufzeichnungen von oder über Ulay kaum eine bedeutende Rolle spielt. 1972 stirbt ein guter Freund bei einem Autounfall, Ulay beginnt die prägnante Fotoreihe Ultima Ratio, bei der er sich ein Tattoo, das seinem Freund gewidmet ist, aus der Haut schneidet. Im selben Jahr lernt er Paula Frangoise Piso kennen, eine verheiratete Frau, mit der er eine intensive, sexuelle Liebesaffäre beginnt. Pau­la arbeitet mit Ulay und Klauke zusammen. In der Fotoserie Renais sense (1972-1975) arbei­tet Ulay mit Collagen zu Körpermixturen und schreibt Aphorismen. „Identität durch Wandel“, so das Prinzip, das seine Kunst bereits seit dieser Zeit durchzieht (Bojan et al. 2014, S. 134). Ulay gilt auch als Begründer der performativen Fotografie. Mit dem Prinzip der Seriali- tät, wie beispielsweise mit Renais sense, wird der prozessuale, performative Aspekt nur ver­deutlicht.

3. Der Geburtstag

„Das kann nicht dein Geburtstag sein“, sagte er. „Das ist mein Geburtstag.“

(Abramovic 2016, S. 106)

Marina beschreibt ihren ersten Eindruck von Ulay wie folgt: „Je nachdem, von welcher Seite man ihn ansah, bekam man einen vollkommen anderen Eindruck - mal männlich mal weib­lich (...). So einem Menschen war ich noch nie begegnet“ (Abramovic 2016, S. 104). Ulay, der sowohl performativ wie auch als Fotograf in der Nachtszene Amsterdams zuhause war und laut Marinas Aussage damals äußerst frei und experimentell dachte, übte nicht zuletzt als janusköpfiger Hermaphrodit eine unweigerliche Faszination auf Abramovic aus, die als Tochter aus gutem Hause eine akademische Ausbildung .genossen' hatte (Film The Story of Marina Abramovic and Ulay). So verhieß der ,queer man' Ulay Marina die Entdeckung einer völlig neuen Welt. Insofern kann man die Ebenen, auf denen beide Künstler agieren, als Ge­fälle betrachten: Der Mann weist das unbedarfte Mädchen in eine neue Welt ein. Gleichwohl wird der literarische Topos der Frau, die sich der Wunden des versehrten Kriegshelden an­nimmt, radikal umgekehrt, indem Ulay Marinas Wunden nach der Performance von Thomas Lips versorgt. Beide bezeichnen diesen Akt des Versorgens als den Beginn ihrer emotiona­len und sexuellen Beziehung. Ulay betont im Gegenzug, dass er Marina von Beginn an bal- kanesques Temperament, spürbare Stärke wahrnahm und sie als fatalistisch und .whitchy' empfand. In Bourdieus „Herrschaft des Mannes“ findet sich eine soziologische Darstellung der Polarität des Männlichen und Weiblichen, hierbei wird der Frau das Attribut der tücki­schen Zauberin verliehen (vgl. BOURDIEU 2005, S. 24).

Beide stellten auf Anhieb fest, dass viele Elemente sie verbinden, angefangen natürlich mit demselben Geburtsdatum, aus dem Kalender gerissen. Was bereits vor dem ersten Treffen an persönlichen, wie Ulay es nennt, „Marotten“ entstanden ist, kreiert eine unweigerliche Verbindung, die im Versuch der Fusion zweier Menschen (nicht im sexuellen Sinne der Be­fruchtung!) gipfelt.

Das Treffen sollte der Beginn einer intensiven, künstlerischen und sog-artigen Liebesbezie­hung werden, an deren Anfang die sexuelle Beziehung stand (vgl. Abramovic 2016, S. 106). Beide sind verheiratet, Ulay hat bereits einen Sohn. Beziehungen zu anderen Menschen bleiben über die gesamte Dauer des Zusammenlebens der beiden ein bedeutendes Thema. Ein erstes Machtgefälle wird dadurch deutlich, dass Ulay Marina offenbar dazu brachte, von dem Thema Familiengründung abzusehen, da er „alle Menschen, die er liebte, irgendwann verließ“ (ebd. S. 115), zuletzt vermutlich auch darin begründet, dass Ulay bereits zu der Zeit verschiedene Partnerschaften unterhielt. Als die beiden sich kennenlernen, ist ein Unter­schied in Bezug auf den jeweiligen Bekanntheitsgrad als Künstler/in nicht erkennbar, beide sind verhältnismäßig jung und stehen am Beginn ihrer künstlerischen Lebensphase.

In Amsterdam verbrachten beide zwei Wochen miteinander, in denen sie begannen, „im Traum miteinander zu reden, dieselbe Luft zu atmen und die Sätze des anderen zu vervoll­ständigen“ (ebd.). Kurz: ab diesem Zeitpunkt waren Abramovic und Ulay unzertrennlich, hiel­ten intensiv Kontakt und zeichneten ihre gemeinsame Geschichte detailliert auf, z. B. mithilfe erster Selfies (vgl. ebd. S. 109). Um die Beziehung selbst und das Konzept, das beide von ihr hatten, besser verstehen zu können: Die beiden trafen sich darauf für kurze Zeit in Prag wieder, ein Ort auf der geografischen Mitte zwischen Amsterdam und Belgrad (vgl. Film The Story of Marina Abramovic and Ulay).

Auf Dauer wollten beide nicht getrennt bleiben, Marina ließ ein Album fertigen, eine Art Rei­sepass auf ihre beiden Namen ausstellen, sie verrät weder ihrem Mann Nesa, noch ihrer Mutter ihren Plan, lässt Belgrad schließlich hinter sich, um nach Amsterdam zu ziehen. Sie „habe es nie bereut“ (Abramovic 2016, S. 112).

4. Relation in Space

„Manche Paare kaufen Töpfe und Pfannen, wenn sie zusammenziehen. Ulay und ich über­legten stattdessen, wie wir zusammen Kunst machen konnten. “

(Abramovic 2016, S. 115)

Um die beide Künstler kreisen die Themen Einsamkeit, Schmerz und Grenzüberschreitung. Es ist Marina, die 1975 zur Biennale in Venedig geladen wird und Ulay um eine gemeinsame Performance bittet. Allerdings bleibt zu betonen, dass es sich hierbei nicht um eine Arbeits­beziehung im Sinne der Frage danach, wer bei wem mit arbeitet handeln soll, sondern um eine ganzheitlich gemeinsame Arbeitsweise, wie wir später sehen werden (vgl. Film The Sto­ry of Marina Abramovic and Ulay). Von Ulay kommt der Ideenanstoß (im wahrsten Wortsinn) zu Relation in Space. Später werden beide Künstler betonen, dass sie ihre Ideen immer ge­meinsam generierten und kaum sagen könnten oder wollten, welcher Impuls originär von wem kam.

Die nackten Körper der beiden Künstler bewegen sich langsam im Raum, streifen sich immer wieder flüchtig und kollidieren schließlich. Die Kollision erzeugt kein „reines sauberes Klack“ (Abramovic 2016, S. 117) wie jene der Silberkugeln eines Kugelstoßpendels. Fleisch prallt auf Fleisch, ein Rhythmus entsteht. Etwas Minimalistischeres als zwei nackte Körper in ei­nem Raum gibt es nicht. Das Publikum konnte die Beziehung der beiden spüren, wusste jedoch bisher so wenig, sodass beide zur Projektionsfläche gerieten. Der Ausdruck, der in der Performance liegt, ist nicht klar gerichtet, er bleibt letztlich enigmatisch. Im starken Bild der Kollision ist auch zu lesen, was es bedeutet, wenn zwei Atome aufeinandertreffen, wie es bei den Künstlern der Fall gewesen ist und wie es dazu kommt, dass manche Treffen die atomare Konstellation so drastisch verändern können. Dazu sagte Ulay: „Wir hatten das Be­dürfnis, uns zu treffen, zu verschmelzen“ (vgl. Film The Story of Marina Abramovic and Ulay).

Die Beziehung der beiden Künstler ist unter anderem auch deswegen so interessant, weil sich beide, bereits vor ihrer gemeinsamen Schaffensphase mit der sexuellen Dualität männ­lich - weiblich auseinandersetzten und dies gemeinsam fortführten. Abramovics Arbeiten prägt ein soziologisch betrachtet stark männlicher Ansatz - totaler Einsatz, Heldentum, „im­mer bestand die Möglichkeit, darin umzukommen“ (Mc Evilley 2010, S. 16) aber auch totale Ergebenheit in der Tortur, ein eher weibliches Attribut. Ulay setzte sich mit seiner weiblichen Seite auseinander, indem er für zwei Jahre in die transsexuelle Szene eintauchte und bis zum Treffen mit Marina diese Dualität unübersehbar verkörperte (vgl. Abb. 3). Ulay themati­sierte mit seinen Aktionen bereits die Idee, dass das biologische Geschlecht, nicht unbedingt dem gender, dem sozialen Geschlecht, entsprechen muss und dass allen Menschen diese Polarität immanent ist.

5. Relation in Time

„ We became a kind of polarity. He presented the male energy and I presented the female energy, and we tried to combine them. “

( Bojan et al. 2014, S. 167)

Relation in Space - die Beziehung zweier Körper im Raum oder die Beziehung im Raum. Den nächsten Parameter bildet die Zeit bei Relation in Time von 1977 mit einer Dauer von 17 Stunden. Diesmal sind beide Künstler nicht face-to-face gerichtet, sondern sitzen Rücken an Rücken vor einer weißen Wand. Die Köpfe sind durch einen schwarzen, straffen Zopf miteinander verbunden, fast aneinander gekettet. Beider Blicke schweifen ziellos in die Fer­ne oder in das innere Selbst. Ulay sagte zu den Haaren später: „Haare sind wie eine Anten­ne, wie die Äste eines Baumes“ (Film The Story of Marina Abramovic and Ulay). In dieser Position verharrten beide über 17 Stunden. Die vergehende Zeit erkennt man einzig am Zopf, der immer lockerer wird. Er lässt Schmerz, Ausdauer und die daraus entstehenden Spannungen der Situation optisch nachvollziehen (vgl. TAUT 2003: 4).

[...]

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Marina Abramović und Ulay. Die Betrachtung einer performativen Beziehung durch die Werke
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau  (Institut der bildenden Künste)
Veranstaltung
Künstlerpaare
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
27
Katalognummer
V595153
ISBN (eBook)
9783346246790
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Abramovic, Ulay, Performance, Künstlerpaar, MoMa
Arbeit zitieren
Julia Bernard (Autor:in), 2018, Marina Abramović und Ulay. Die Betrachtung einer performativen Beziehung durch die Werke, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/595153

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