Die soziologische Systemtheorie nach Niklas Luhmann


Seminararbeit, 2006

27 Seiten, Note: 16 (sehr gut)


Leseprobe


Gliederung

Die soziologische Systemtheorie nach Niklas Luhmann

1. Einführung

2. Zur Person von Niklas Luhmann

3. Geschichte der Systemtheorie
a) Begriff der Autopoiesis
b) Verwendung der Systemtheorie in der Soziologie

4. Systemtheorie nach Luhmann
a) Der Begriff des Systems
(1) Autopoiesis eines Systems
(2) Differenz System/Umwelt
(3) Komplexität
b) Kommunikationsbegriff
(1) Allgemeines
(2) Verhältnis Kommunikation – Bewusstsein
(3) Bausteine der Kommunikation

5. Das Rechtssystem
a) Gesellschaftliche Evolution
b) Funktionssysteme
(1) Differenzierungsformen
(2) Operationsweise der Funktionssysteme am Beispiel vom Rechtssystem

6. Schlusswort

Literaturliste

Die soziologische Systemtheorie nach Niklas Luhmann

1. Einführung

Die Systemtheorie von Niklas Luhmann hat einen völlig neuen Blick auf die vormoderne und moderne europäische Gesellschaft geworfen. Ihre Bedeutung für Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft ist heute unbestritten. Für Luhmann gelten nicht länger die sozialen Unterschiede als bestimmende Strukturprinzipien der Gesellschaft, sondern die verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche, in denen nach je eigenen Logiken unabhängig von den jeweils anderen Systemen gehandelt bzw. kommuniziert wird. Mit dieser Arbeit soll eine Einführung in die Systemtheorie von Niklas Luhmann gegeben werden und der Begriff der Kommunikation erklärt werden. Insbesondere wird hier auf die Funktion und die Struktur des Rechtssystems eingegangen. Doch zunächst müsste geklärt werden, wer Niklas Luhmann überhaupt ist und welche Rolle er in seinem Leben spielte. Unabdinglich ist auch eine Darstellung der Geschichte der Systemtheorie.

2. Zur Person von Niklas Luhmann

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Niklas Luhmann wurde am 8. Dezember 1927 in Lüneburg geboren. Nach dem Krieg studiert er von 1946 bis 1949 Rechtswissenschaften an der Universität Freiburg i.Br., woran sich eine Mehrjährige Tätigkeit als Verwaltungsbeamter am Oberverwaltungsgericht Lüneburg und später als Landtagsreferent im niedersächsischen Kultusministerium anschließt.[1] Schon als Verwaltungsbeamter beschäftigt sich Luhmann intensiv mit soziologischen und philosophischen Texten. 1960/1961 geht er an die Harvard University und studiert dort Soziologie bei Talcott Parsons, mit dem er auch einen engen persönlichen Kontakt pflegt.[2] Nach der Rückkehr beschäftigt sich Luhmann weiterhin intensiv mit dem struktur-funktionalen systemtheoretischen Ansatz von Parsons. Er verfasst 1964 sein erstes Buch „Funktionen und Folgen formaler Organisation“, das später als Dissertation anerkannt wird. 1966 folgt dann die Habilitation und 1967 die Gastprofessur in Münster.[3] Ein Jahr später wir Luhmann zum Professor für Soziologie an der damals neu gegründeten Universität Bielefeld, wo Luhmann bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1993 bleibt und wesentlichen Anteil an der theoretischen Ausrichtung der Fakultät hat.[4] Am 6. November 1998 ist Niklas Luhmann in Oerlinghausen bei Bielefeld gestorben.

Niklas Luhmann gilt heute als wohl einflussreichster Soziologe auf deutschsprachigem Gebiet. Überschaut man das umfangreiche Werk Luhmanns, dann fällt neben der hohen Abstraktionslage der Theorie vor allem die Vielfalt der Themen und Bereiche auf, mit denen er sich beschäftigt hat. Es liegen umfangreiche Arbeiten vor zur Soziologie des rechts, der Politik, der Erziehung, der Wirtschaft, der Organisation und Verwaltung, etc. Luhmann selbst aber hat sein Buch „Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie“ als sein eigentliches Hauptwerk bezeichnet. Darin wird der Versuch unternommen, neuere Entwicklungen in der allgemeinen Systemtheorie in die soziologische Theoriebildung einzuarbeiten.[5] Das Ziel solcher Einarbeitung ist, eine fachuniversale Theorie zu schaffen, was Luhmann auch gelingt. Er gilt heutzutage zu Recht als der deutsche Vertreter und Begründer der Systemtheorie.

3. Geschichte der Systemtheorie

In diesem Abschnitt wird versucht, die Geschichte der Systemtheorie darzustellen. Die Systemtheorie von Niklas Luhmann wurde durch zwei wichtige Ansätze geprägt: den Begriff der Autopoiesis und die Übertragung dieses auf die Soziologie durch Parsons.

a) Begriff der Autopoiesis

Die entscheidenden Schlüsse zu diesem Begriff in der allgemeinen Systemtheorie gehen auf die beiden chilenischen Biologen und Neurophysiologen Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela zurück, die bereits in den sechziger und siebziger Jahren die Grundlagen der neuen Konzeption entwickelt haben. Das Kunstwort Autopoiesis, das sich aus den griechischen Worten autos (= selbst) und poiein (= machen) zusammensetzt, wurde auch von Maturana selbst geprägt und meint soviel wie Selbsterzeugung, Selbstherstellung.[6] Die Wissenschaftler beziehen dabei das Prinzip autopoietischer Systeme auf alle Lebewesen. Der Organismus ist nach dieser Theorie eine Ganzheit, dessen Teile (Zellen) in einer Wechselbeziehung zueinander stehen.

Autopoietische Systeme sind an sich geschlossen. Aufgrund ihrer Geschlossenheit beziehen sie sich ausschließlich auf sich selbst. Insofern operieren sie selbstbezüglich und selbstreferentiell. Das heißt, sie kennen in Bezug auf ihre Organisationsweise weder einen Input noch einen Output. Alles, was sie zur Erhaltung ihrer Organisation benötigen, erzeugen sie selbst. Zugleich sind autopoietische Systeme aber auch offene Systeme. So nehmen Lebewesen in Form von Nahrungsmitteln ständige Substanzen auf. Das hört sich zunächst widersprüchlich an, ist aber nach Luhmann nicht. Denn die Geschlossenheit darf „nicht als Abgeschlossenheit verstanden werden. Sie bestreitet nicht, ja betont auf ihre Weise, dass intensive Kausalbeziehungen zwischen Systemen und ihren Umwelten bestehen und dass Interdependenzen kausaler Art für das System strukturell notwendig sind.“[7] Das Ganze wird weiter mit einem Bedingungsverhältnis erklärt: Die Geschlossenheit der autopoietischen Organisation ist die Voraussetzung für ihre Offenheit. Denn die Formen des Austausches zwischen System und Umwelt werden nicht von der Umwelt, sondern von der geschlossenen Organisationsweise des autopoietisches Systems festgelegt.

b) Verwendung der Systemtheorie in der Soziologie

Einer der ersten Systemtheoretiker war der Amerikaner Talcott Parsons, der in den 30er Jahren seine strukturell-funktionale Theorie entwickelte. Man tangiert bereits mit seinem strukturell-funktionalen Ansatz bei der Übertragung der (aus der Biologie stammender) Organismusvorstellung auf den Sozialbereich. Parsons geht aus systematischer Überlegung davon aus, dass Strukturen, Funktionen und Wirkungszusammenhänge der Konstruktionskern einer soziologischen Theorie der Gesellschaft sind. Danach sind nicht das Individuum und sein Handeln, sondern die Strukturen, in denen es handelt, das eigentlich interessante.[8] Man begreift die Gesellschaft also als ein soziales Handlungssystem bzw. als die Summe bestimmter Sozialsysteme, welche nach Bestandserhaltung strebt. Soziale Systeme sind danach eine Menge von Elementen menschlicher Handlungen, zwischen denen Beziehungen bestehen. Hauptziel ist die Erhaltung der Systeme, deren Bestand nach Parsons durch die Ermittlung und Differenzierung bestimmter Leistungen und Funktionen gesichert werden. Die Existenz bestimmter Funktionen wird hier gewissermaßen als natürliches Erfordernis vorausgesetzt.[9]

4. Systemtheorie nach Luhmann

Die Auseinandersetzung mit der parsonnschen Theorie steht auch am Beginn von Luhmanns eigener Theorieentwicklung. Jedoch ist Luhmann nicht bereit, alle Annahmen und Vorschläge von Parsons zu übernehmen. Im Gegenteil: Bereits Mitte der sechziger Jahre entwickelt Luhmann erste Schritte eines eigenen Ansatzes, den er in scharfer Abgrenzung gegenüber der struktur-funktionalistischen Theorie von Parsons vorträgt. Die strukturell-funktionale Systemtheorie Parsons setzt soziale Systeme mit bestimmten Strukturen voraus und fragt nach den funktionalen Leistungen, die erbracht werden müssen, um den Fortbestand des sozialen Gebildes zu gewährleisten. Der dieser Auffassung zugrunde liegende Systembegriff sieht Systeme noch als selbstgenügsame Einheiten; er isoliert sie auf deren interne Beziehungen, vernachlässigt ihre Umwelt und bringt nach Luhmann deshalb auch kaum zur Sprache, dass der Bestand eines Systems in einer sich veränderten Umwelt ja stets problematisch ist.[10] Abgesehen davon wird die Kritik ausgesprochen, dass Parsons Theorie sehr konservativ ist und Prozesse des sozialen Wandels und des Konflikts nicht angemessen behandelt.[11] An diesem Punkt setzt Luhmann an. Er greift die Kritik auf, ohne sich allerdings allen Einwänden im Einzelnen auszuschließen. „Es hat sicherlich keinen Sinn, schlicht zu sagen, die parsonssche Theorie sei gescheitert, oder es seien grundlegende Fehler in die Theorie eingebaut, die man heute erkennen könne, aber sie war in gewisser Weise doch eine Sackgasse in der Entwicklung einer spezifisch soziologischen Systemtheorie“.[12] Luhmanns Theorie soll nun einerseits nicht unterkomplex werden, sondern die Gesellschaft in ihrer ganzen Fülle kognitiv erfassen und die Frage beantworten, wie trotz aller gesellschaftlicher Probleme soziale Ordnung möglich sein kann. Andererseits soll sie dem begrenzten Erkenntnisvermögen des Menschen Rechnung tragen.[13] Dabei pflegt Luhmann einen offenen Theoriestil kombinatorischer Relationierung, der insbesondere eine allgemeine Systemtheorie, Evolutionstheorie, Differenzierungstheorie und Kommunikationstheorie in seiner soziologischen Theorie zusammenführt und sich aus so unterschiedlichen Wissenschaften und Forschungskontexten wie etwa Biologie, Kybernetik, Neurophysiologie, Distinktionslogik und Erkenntnistheorie bedient.[14] So führte es zur Entstehung einer Theorie, die für die gesamte Soziologie sowie für die benachbarten Sozial-wissenschaften einheitlich ist. Dabei liegt dieser Theorieeinheit ein ganz wichtiger Begriff zu Grunde, und zwar der Begriff des Systems.

a) Der Begriff des Systems

(1) Autopoiesis eines Systems

Entgegen den Empfehlungen von Maturana und Varela, die davon ausgehen, dass nur die Lebewesen autopoietisch organisiert sind, benutzt Luhmann für seine Theorie den Autopoiesis-Begriff. Er begreift soziale Systeme als selbstreferentielle, autopoietische Systeme. Der Begriff der Autopiesis wird allerdings nicht in seiner ursprünglichen Form einfach übernommen, sondern vielmehr generalisiert. So verwendet Luhmann einen allgemeinen, ein-heitlichen Autopoiesis-Begriff zur Beschreibung unterschiedlicher Systemarten. Er sagt, dass Organismen, Bewusstseinssysteme und soziale Systeme ihre je eigene Weise der Autopoiesis auf verschiedene Weise zustande bringen.[15]

Aus diesen grundlegenden Bestimmungen lassen sich zwei Charakteristika ableiten, die in der Luhmannschen Theorie eine durchgehende Bedeutung spielen: Da wir es im nun definierten Sinne mit Systemen zu tun haben, die quasi selbst bestimmen, aus welchen Elementen sie sich aufbauen und zu welchen Strukturen diese vernetzt werden, kann eine Systemtheorie nicht wie bei Parsons analytisch konzipiert werden. Das heißt es geht nicht nur um gedankliche Abstraktionen und daraus folgende Systembildungen, sondern um reale Systeme.

[...]


[1] Krallmann/Ziemann S. 309

[2] Kneer/Nassehi S. 10

[3] Reese-Schäfer S. 178

[4] Krallmann/Ziemann . 310

[5] Staubmann in Morel/Bauer S. 218

[6] Kneer/Nassehi S. 48

[7] Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 43 f.

[8] Korte S. 82

[9] vgl. Kneer/Nassehi S. 36

[10] Burkart S. 430 f.

[11] Kneer/Nassehi S. 37

[12] Luhmann, Einführung in die Systemtheorie S. 40

[13] Horster S. 52

[14] Krallmann/Ziemann S. 311

[15] Kneer/Nassehi S. 58

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die soziologische Systemtheorie nach Niklas Luhmann
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Rechtswissenschaften)
Veranstaltung
Einführung in die Kommunikation für Juristen
Note
16 (sehr gut)
Autor
Jahr
2006
Seiten
27
Katalognummer
V59623
ISBN (eBook)
9783638535076
ISBN (Buch)
9783638666343
Dateigröße
589 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Systemtheorie, Niklas, Luhmann, Einführung, Kommunikation, Juristen
Arbeit zitieren
Natallia Dabergott, geb. Bilyk (Autor:in), 2006, Die soziologische Systemtheorie nach Niklas Luhmann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59623

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