Folgen des Personalabbaus auf das verbleibende Personal


Diplomarbeit, 2005

53 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1. Personalabbau in den Unternehmen – aktuelle Situation
1.2. Die Survivors
1.3. Problematische Übertragung der Forschungsergebnisse
1.4. Überblick ausgewählter Survivormodelle

2. Typologische und strukturelle Betrachtung der Survivorreaktionen
2.1. Das Modell von Mishra und Spreitzer
2.2. Das Modell von Brockner
2.2.1. Emotionale Reaktionen der Survivors
2.2.1.1 Angst und Arbeitsunsicherheit
2.2.1.2 Schuldgefühle
2.2.1.3 Wut
2.2.1.4 Erleichterung
2.2.2. Einfluss auf die Einstellungen und das Verhalten
2.2.2.1 Arbeitszufriedenheit
2.2.2.2 Commitment
2.2.2.3 Vertrauen und Bruch des alten psychologischen Vertrages
2.2.2.4 Motivation
2.2.2.5 Arbeitsleistung, Risiko- und Innovationsverhalten
2.2.3 Reaktionsbeeinflussende Faktoren
2.2.3.1 Individuelle Unterschiede
2.2.3.2 Umwelteinwirkungen
2.2.3.3 Fairness des Personalabbaus
2.2.3.4 Veränderungen der Arbeitsbedingungen

3. Prozessuale Betrachtung der Survivorreaktionen und Interventionsmöglichkeiten
3.1. Das Modell von Bridges
3.2. Das Prozessmodell und das Interventionsmodell von Noer

4. Schlussbetrachtung

1. Einleitung

1.1. Personalabbau in den Unternehmen – aktuelle Situation

Fast jeden Tag ist in der Zeitung zu Lesen, dass große wie auch kleine Unternehmen in Deutschland massiv Stellen abbauen. Als momentane Beispiele sind der Automobilkonzern Daimler Chrysler mit einem geplanten Stellenabbau von 8.500 Arbeitsplätzen[1] oder die Personalreduktion von 10.000 bis 15.000 Stellen pro Jahr bis zum Jahr 2008 bei T-Com, der Festnetzsparte der Deutschen Telekom, zu nennen.[2] Nach Angaben des neuesten Konjunkturtests des Münchner Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung ist in naher Zukunft kein Ende des Stellenabbaus bei den deutschen Unternehmen in Sicht.[3] Somit stellt sich die Frage nach den vorliegenden Gründen für den Stellenabbau der Unternehmen. Durch die Globalisierung der Wirtschaft entsteht weltweit ein erhöhter Wettbewerbsdruck zwischen den Unternehmen, wodurch sie gezwungen sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Zu den angewandten Unternehmensstrategien im Kampf um das Überleben zählen beispielsweise Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer, Outsourcing oder Übernahme von Mitbewerbern. Aus diesen Strategien heraus resultieren zahlreiche Streichungen von Arbeitsplätzen in den deutschen Produktionsstätten der Unternehmen. Eine weitere Unternehmensstrategie, um den harten Konkurrenzkampf zu überstehen, bildet das so genannte Downsizing. Dabei wird zur Einsparung von Kosten das Unternehmen durch einen planmäßigen Abbau von Personal verschlankt. Dieser Trend kommt aus den USA und wird dort bereits seit den 80er Jahren eingesetzt. In Europa werden seit den 90er Jahren verstärkt gezielte Personalabbaumaßnahmen durchgeführt.[4] Entlässt ein Unternehmen mehr als 20 % seiner Mitarbeiter, so wird dies als „betriebswirtschaftliche Anorexia“ bezeichnet.[5] Neben den Gründen für einen durchgeführten Personalabbau sind insbesondere die verfolgten Ziele des Unternehmens von großem Interesse, denn durch eine Formulierung konkreter Ziele kann mit einer anschließenden Überprüfung des Zielerreichungsgrades der Erfolg der entsprechenden Maßnahme beurteilt werden.[6] Interessante Ergebnisse liefert dazu eine Befragung in über 1.000 amerikanischen Unternehmen, die zeigt, dass viele der anvisierten Ziele der Unternehmen nicht erreicht werden. Über 90 % der Unternehmen haben durch den Stellenabbau eine Kostenreduktion angestrebt, wobei weniger als die Hälfte der Unternehmen dies tatsächlich erreicht hat. 75 % der Unternehmen haben sich durch den Stellenabbau eine Produktivitätssteigerung erhofft, allerdings haben dies nur 22 % erreicht. Die Hälfte der Unternehmen hat eine Erhöhung ihres Cash Flows oder ihres Aktienwertes beabsichtigt, doch dieses Ziel haben weniger als 25 % erreicht. Weiter haben 50 % der Unternehmen einen Bürokratieabbau sowie kürzere Entscheidungswege geplant und nur 15 % haben dies durch die Personalreduktion tatsächlich erzielt. Viele Unternehmen haben durch den Personalabbau als Umstrukturierungsmaßnahme eine Erhöhung ihrer Kundenzufriedenheit und Produktqualität, einen Ausbau ihrer Innovationskraft oder die bessere Nutzung von neuen Technologien angestrebt. Hierbei waren nur 15 % der Unternehmen erfolgreich. Meist tätigen die Unternehmen derartige Umstrukturierungsmaßnahmen um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern. Aber insgesamt haben nur 191 von 1.000 Unternehmen ihren Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Mitbewerbern ausgebaut.[7] Wenn nur wenige Unternehmen ihre erhofften Ziele tatsächlich erreichen, stellt sich die Frage, worin die Ursachen für die niedrige Zielerreichung liegen.

Bei einem Personalabbau steht insbesondere das Schicksal der zu entlassenden Mitarbeiter im Vordergrund. Doch auch für die Mitarbeiter, die im Unternehmen verbleiben, die so genannten Survivors oder Überlebenden, sind die Entlassungen ihrer Kollegen eine schmerzliche Erfahrung.[8] Sie arbeiten nicht unbeeindruckt weiter, sondern antworten auf den Stellenabbau mit vielfältigen, meist negativen Reaktionen.[9] In dieser Arbeit werden die unterschiedlichen Reaktionen der verbleibenden Mitarbeiter nach einem Stellenabbau anhand ausgewählter Modelle und Forschungsergebnisse dargestellt sowie negative Folgewirkungen für die Unternehmen aufgezeigt. Anschließend werden verschiedene Interventionsmöglichkeiten zur Minimierung der negativen Reaktionen erläutert.

1.2. Die Survivors

Nach einem Personalabbau zählen die Mitarbeiter, die nicht entlassen worden sind, zu den vermeintlich Glücklichen. Sie besitzen weiter ihren Arbeitsplatz und somit erwartet das Management von ihnen, dass sie motiviert weiterarbeiten, als wäre nichts geschehen.[10] Allerdings reagieren die Survivors in vielen Fällen mit negativen Reaktionen auf einen durchgeführten Stellenabbau. Diese Folgewirkungen von Entlassungen auf die Survivors werden Survivor Syndrom[11] oder Survivor Sickness genannt.[12] Ursprünglich steht dieser Begriff für die Reaktionen der Überlebenden von Katastrophen, wie beispielsweise die Atombombenabwürfe über Japan oder nach einem Flugzeugabsturz. Die Reaktionen der Survivors sind von ihrer Stärke her nicht mit den Katastrophenüberlebenden zu vergleichen, jedoch weisen beide Gruppen recht ähnliche Reaktionsmuster auf, wie beispielsweise Angst oder Schuldgefühle.[13] Meist schenkt die Unternehmensführung ihre volle Aufmerksamkeit den Entlassenen und kümmert sich kaum um die Survivors, wobei gerade sie die erfolgreiche Zukunft des Unternehmens gestalten.[14] Oftmals ist sich die Unternehmensleitung diesen starken Survivorreaktionen gar nicht bewusst und wundert sich, wenn sie ihre durch einen Personalabbau erhofften Ziele nicht erreicht. Eine Studie der Managementberatung Dr. Stoebe, Kern & Partner hat ergeben, dass viele Unternehmen nicht alle Kosten berücksichtigen, die ein Personalabbau mit sich bringt. Die Unternehmensberater führen das „Eisberg-Modell" an, bei dem unter der sichtbaren Spitze mit den eingeplanten Ausgaben ein großer Block von weiteren Kosten verdeckt ist, der durch Demotivation, Verunsicherung, geringere Arbeitsleistung, Loyalitäts- und Vertrauensverluste bei den verbleibenden Mitarbeitern entsteht. 65 % der deutschen Unternehmen ignorieren diese Kosten bzw. sind sich diesen nicht bewusst.[15] Allerdings ist anzumerken, dass die negativen Konsequenzen durch die Reaktionen der verbleibenden Mitarbeiter monetär nicht vollständig bewertbar sind.[16] Ziel dieser Arbeit ist es vielmehr die möglichen Reaktionsarten aufzuzeigen und entsprechende Gegenmaßnahmen darzustellen.

1.3. Problematische Übertragung der Forschungsergebnisse

In der deutschsprachigen Literatur gibt es nur vereinzelt Forschungsprojekte, die sich mit der Survivorproblematik befassen. In den USA sind bereits Mitte der 80er Jahre erste wissenschaftliche Untersuchungen im Hinblick auf die Reaktionen der verbleibenden Mitarbeiter durchgeführt worden. Auch heutzutage überwiegen die angelsächsischen Forschungen, weshalb in der vorliegenden Diplomarbeit hauptsächlich auf angelsächsische Literatur zurückgegriffen wird. Allerdings ist die strikte Übertragung der meist aus den USA stammenden Untersuchungsergebnisse auf deutsche Verhältnisse mit Vorsicht zu genießen, da einige Unterschiede zwischen dem deutschen und angelsächsischen Raum bestehen. In den USA informieren beispielsweise die Unternehmen meist kurz nach Bekanntgabe über einen Personalabbau ihre Mitarbeiter genau darüber, wer von den Entlassungen betroffen ist. In Deutschland hingegen werden die Mitarbeiter erst einige Zeit im Ungewissen gelassen, bevor sie erfahren wer entlassen wird. In den USA haben schon einige Unternehmen die Brisanz der Survivorproblematik erkannt und arbeiten aktiv an der Bekämpfung der negativen Survivorreaktionen. In Deutschland ist diese Problematik noch weitgehend unerkannt, folglich reagieren wenige Unternehmen mit geeigneten Maßnahmen.[17] Doch nicht nur die Unternehmen können die Survivorreaktionen beeinflussen, sondern auch staatliche und politische Einflussfaktoren wirken auf die Survivors ein. Die USA und Deutschland weisen beispielsweise unterschiedliche Rahmenbedingungen bezüglich ihres Rechtssystems auf. Das in Deutschland bestehende Kündigungsschutzgesetz existiert in den USA nicht.[18] Weiter verfolgen die USA und Deutschland unterschiedliche Arbeitsmarktstrategien. Während in Deutschland zum Arbeitsmarktausgleich auf eine Produktivitätsniveau- und Produktivitätsstrukturanpassung gesetzt wird, verfolgen die Amerikaner hingegen eine Anpassung des Reallohnniveaus und der Reallohnstruktur an die bestehende Arbeitsproduktivität. Dies hat zur Folge, dass im Gegensatz zu den USA in Deutschland vermehrt aktive Beschäftigungsinstrumente, wie beispielsweise Qualifizierungsmaßnahmen zum Einsatz kommen und passive Beschäftigungspolitik in Form von Transferzahlungen betrieben wird. Die Ausgestaltung der länderspezifischen Arbeitsmarktstrategien hat erhebliche Auswirkungen auf die Wahl der entsprechenden Personalabbaumaßnahmen eines Unternehmens und somit auch Effekte auf die Folgewirkungen.[19] Darüber hinaus bestehen zwischen den USA und Deutschland erhebliche kulturelle Unterschiede. So unterscheidet sich die deutsche Kultur von der amerikanischen deutlich durch eine geringere Risikobereitschaft und einen geringeren Individualismus.[20] Diese Faktoren prägen maßgeblich die Personalabbaumaßnahmen der Unternehmen und somit die Reaktionsweisen und -stärke der Survivors. Folglich ist eine unreflektierte Übertragung der angelsächsischen Forschungsergebnisse auf deutsche Verhältnisse problematisch.

1.4. Überblick ausgewählter Survivormodelle

Die Survivorreaktionen können auf zwei verschiedene Arten betrachtet werden. Bei der strukturellen Sichtweise werden die durch einen Personalabbau hervorgerufenen Emotionen und Reaktionsweisen der Survivors genau analysiert. Dabei stehen die möglichen Veränderungen in der Einstellung und im Verhalten bezüglich ihres Unternehmens und ihres Arbeitsplatzes im Vordergrund. Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werden zwei verschiedene strukturelle Modelle dargestellt. Zum einen das typologische Modell von Aneil Mishra und Gretchen Spreitzer aus dem Jahr 2000, zum anderen das strukturelle Modell von Joel Brockner, das bereits im Jahr 1988 entwickelt wurde. Im typologischen Modell werden die Survivors anhand ihrer gezeigten Emotionen und Reaktionsweisen in vier verschiedene Typen unterteilt. Anhand ihrer Kategorisierung reagieren die Survivors mit unterschiedlichen Bewältigungsstrategien. Durch die Einteilung der Mitarbeiter in die Typenklassen kann das Management seine Mitarbeiter je nach Typ spezifisch behandeln. Das strukturelle Modell von Brockner stellt die Emotionen und Änderungen im Verhalten und in den Einstellungen der Survivors nach einem Personalabbau dar. Zusätzlich gibt es Faktoren, die entweder in den Survivors selbst oder in deren Umwelt liegen, die wiederum einen bedeutsamen Einfluss auf die Reaktionsweise der Survivors ausüben. Die strukturelle Sichtweise kann durch die prozessuale Betrachtungsweise ergänzt werden. David Noer und William Bridges haben hierzu jeweils ein Modell entwickelt, dass die Survivorreaktionen in einzelnen Phasenabläufen betrachtet. Während im Modell von Bridges, das im Jahr 1991 entstanden ist, die Survivorreaktionen drei verschiedenen Phasen zugeordnet werden, unterteilt Noer in seinem Modell aus dem Jahr 1993 den Trauerprozess der Survivors in fünf Phasen. Noer hat im Anschluss an sein Prozessmodell ein entsprechendes Interventionsmodell entworfen, das Vorschläge zur Eingrenzung der negativen Reaktionen der verbleibenden Mitarbeiter liefert.[21] Der Unterschied beider Modellarten liegt darin, dass bei der strukturellen Sichtweise dem Unternehmen die am häufigsten auftretenden Reaktionsarten aufgezeigt werden, wodurch eine strukturierte Vorbereitung und Durchführung des Unternehmen im Zuge des Personalabbaus erreicht werden kann. Der Vorteil der prozessualen Modelle liegt in der Beschreibung der einzelnen Phasen, die die Survivors durchlaufen, wodurch ein gezieltes Eingreifen des Unternehmens in den verschiedenen Survivorphasen mit entsprechenden Maßnahmen möglich ist. In dieser Diplomarbeit werden alle in der Literatur momentan vorhandenen Modelle, die sich mit der Survivorthematik befassen, dargestellt.

2. Typologische und strukturelle Betrachtung der Survivorreaktionen

In diesem Kapitel wird zum einen das typologische Modell von Mishra und Spreitzer dargestellt, zum anderen das strukturelle Modell von Brockner. Das Hauptaugenmerk beider Modelle liegt dabei auf den einzelnen auftretenden Reaktionsarten der Survivors und bestehenden Einflussfaktoren. Während bei Mishra und Spreitzer die Survivors verschiedenen Typenklassen zugeordnet werden, zeigt Brockner in seinem Modell die möglichen Emotionen durch einen Personalabbau auf, die weitreichende Auswirkungen auf die Einstellung und das Verhalten der Survivors ausüben.

2.1. Das Modell von Mishra und Spreitzer

Im typologischen Modell von Mishra und Spreitzer werden die Survivorreaktionen in vier verschiedene Archetypen unterteilt. Die Grundlage hierfür bildet das Stress-Bewältigungs-Modell von Lazarus und Folkman.[22] In diesem Gliederungspunkt werden zuerst die vier verschiedenen Reaktionstypen vorgestellt. Anschließend wird das Modell von Lazarus und Folkman erläutert. Daran anlehnend werden die möglichen Situationen während eines Personalabbaus geschildert, die die Survivors zu den unterschiedlichen Reaktionsweisen veranlassen. Die Reaktionen der Survivors werden in zwei Verhaltensdimensionen mit den Merkmalsausprägungen konstruktiv und destruktiv sowie aktiv und passiv unterteilt. Somit entstehen folgende vier Reaktionsmöglichkeiten: ängstlich, verbunden, zynisch und hoffnungsvoll. Die folgende Abbildung verdeutlicht diese vier Reaktionstypen.

Abbildung 1: Archetypische Reaktionen der Survivors

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: in Anlehnung an Mishra, Aneil K./Spreitzer, Gretchen M. (1998), a. a. O., S. 569

Die Reaktionen der „Treuen Folgsamen" sind konstruktiv und passiv. Sie bleiben ruhig, da sie keine persönlichen Bedrohungsgefühle durch den Personalabbau empfinden und sind dadurch bereit mit dem Management zu kooperieren. Sie befolgen die ihnen auferlegten Regeln, da sie der Ansicht sind, dass sie so am wenigsten persönlichen Schaden erleiden. Allerdings zweifeln sie am Bewältigen der Gesamtsituation und zeigen somit wenig Eigeninitiative. Die Aktiven Befürworter“ sind ebenfalls konstruktiv eingestellt. Sie sind voller Hoffnung und unterstützen aktiv das Management. Sie fühlen sich durch den Personalabbau nicht bedroht. Im Gegensatz zu den „Treuen Folgsamen“, die sich strikt an die Regeln halten, scheuen sie sich nicht, Risiken einzugehen und Verbesserungen zu entwickeln. Die „Nörgelnden Kritiker“ zeigen zynische Reaktionen, da sie in dem Personalabbau eine persönliche Bedrohung sehen. Dies äußert sich durch ein aktives und destruktives Verhalten. Sie empfinden Wut und Empörung und entwickeln eine Abneigung gegenüber dem Management. Sie reagieren mit üblen Nachreden, Vandalismus, Sabotage und Vergeltungsmaßnahmen. Die „Gekränkten“ sehen in der Personalreduzierung eine Bedrohung und glauben nicht an die Bewältigung der Situation. Geleitet von ihrem Pessimismus reagieren sie destruktiv und passiv. Sie empfinden Angst, sind sehr besorgt und leiden in vielen Fällen an Depressionen. Sie fühlen sich hilflos und ziehen sich lieber zurück, anstatt sich der neuen Situation zu stellen. Zu beachten ist allerdings, dass nicht jeder Survivor alle Verhaltensweisen seines jeweiligen Reaktionstyps zeigen muss. Weiter müssen die Reaktionen nicht strikt den Archetypen entsprechen. So kann beispielsweise ein Mitarbeiter zynische und zugleich hoffnungsvolle Eigenschaften zeigen, indem er sich sehr kritisch gegenüber der Unternehmensführung zeigt, seine Kritik jedoch konstruktiv ist. Falls das Management einen falschen Weg einschlägt, kann ein solch kritisch und konstruktiv eingestellter Survivor durchaus nützlich sein. Da die Reaktionen der Survivors dynamisch sind, können sie sich während eines Personalabbaus innerhalb der vier Quadranten verändern. So können beispielsweise durch einen fairen Personalabbauprozess die Sorgen des ängstlichen Survivors gemindert werden wodurch der Mitarbeiter mehr konstruktives Verhalten zeigt. Somit wird der ehemals „Gekränkte“ zum „Treuen Folgsamen“. Gleichermaßen kann ein hoffnungsvoll eingestellter Survivor zum destruktiven Nörgler werden, indem der Mitarbeiter von der Unternehmensleitung enttäuscht wird, wenn diese beispielsweise die abgegebenen Versprechen nicht einhält.[23]

Anlehnend an das Stress-Bewältigungsmodell von Lazarus und Folkman haben Mishra und Spreitzer untersucht, wie die vier verschiedenen Archetypen entstehen. Nach Lazarus und Folkman wird Stress maßgeblich durch die Einschätzung der Umgebung geprägt. Das Individuum beurteilt seine Umwelt und je nachdem welche Stresssituation vorliegt reagiert es mit dementsprechenden Bewältigungsreaktionen. Das Individuum schätzt danach seine Umwelt nach zwei Arten ein. Durch die erste Situationsabwägung beurteilt das Individuum seinen Bedrohungsgrad durch den Stressfaktor. Mit einer zweiten Einschätzung bewertet das Individuum seine eigenen Ressourcen und Kapazitäten in Hinsicht zur Situation, um damit den Stress zu bewältigen. Je nach Wahrnehmung der Umwelt entstehen somit unterschiedliche Bewältigungsreaktionen, so genannte Coping-Strategien.[24]

Übertragen auf den Personalabbau bedeutet dies, dass die Survivors durch die erste Einschätzung den bestehenden Bedrohungsgrad durch den Personalabbau für sich messen. Hierbei spielen vor allem das Vertrauen in das Management und die empfundene Gerechtigkeit während des Personalabbaus eine wichtige Rolle. Der Glaube, dass die Unternehmensführung nur das Beste für ihre Mitarbeiter will und nicht nur in ihrem eigenen Interesse agiert, führt zu einer geringeren Bedrohungseinschätzung durch die Survivors. Genauso reduziert die Zuversicht in ein kompetentes Management, dass die Situation voraussichtlich gut meistern wird, die Bedrohungsgefühle. Weiter wird durch ein offenes und ehrliches Handeln des Managements die Unsicherheit seitens der Survivors gemindert. Je größer das Vertrauen in das Management ist, desto geringer fallen die Bedrohungsgefühle aus und die Survivors zeigen vermehrt konstruktives Verhalten. Neben dem Vertrauen in die Unternehmensführung besitzt auch die Gerechtigkeit während des Personalabbauprozesses einen bedeutenden Einfluss auf das Verhalten der Survivors. Dabei gibt es folgende drei verschiedene Arten von Gerechtigkeit: Verteilungsgerechtigkeit, Verfahrensgerechtigkeit und Interaktionsgerechtigkeit. Diese verschiedenen Dimensionen von Gerechtigkeit lassen sich neben vielfältigen Einsatzbereichen auch auf Entlassungen übertragen. Bei der Verteilungsgerechtigkeit betrachten die Survivors wie sich das Management gegenüber den Entlassenen verhält. Dabei achten sie beispielsweise auf eine angemessene Outplacementberatung für die Entlassenen oder eine gerechte Abfindungszahlung. Dies hat Auswirkungen auf die Bedrohungseinschätzung der verbleibenden Mitarbeiter durch den Personalabbau. Erfahren die entlassenen Mitarbeiter eine hilfreiche Unterstützung seitens des Managements, so fühlen sich die Survivors weniger von einem Personalabbau bedroht, da sie im Falle ihrer eigenen Entlassung auf ähnliche Hilfe hoffen. Die Verbleibenden fühlen sich dagegen vermehrt bedroht, wenn sie bemerken, dass einige Mitarbeiter der oberen Hierarchiestufen hohe Prämienzahlungen erhalten, während zur selben Zeit die entlassenen Mitarbeiter auf einer niedrigeren Hierarchiestufe nur minimale Kompensationsleistungen bekommen.[25] Bei der Entscheidung welche Mitarbeiter entlassen werden greift die Verfahrensgerechtigkeit. Wird der Personalabbau anhand einer bestimmten Regel durchgeführt, beispielsweise basierend auf der individuellen Arbeitsleistung der Mitarbeiter oder deren Betriebszugehörigkeitsdauer, so empfinden dies die Mitarbeiter als fair und vorhersehbar und fühlen sich dadurch wenig bedroht. Sind die Mitarbeiter allerdings der Ansicht, dass die zu entlassenden Mitarbeiter vom Management willkürlich ausgewählt werden, sehen die Survivors die Durchführung des Personalabbaus als unfair an und es besteht eher die Gefahr, dass sie sich an dem ungerechten System rächen. Bei der Interaktionsgerechtigkeit stehen die Art und Weise der Informationsweitergabe an die Mitarbeiter für die Gründe des Personalabbaus und der zwischenmenschliche Umgang des Managements mit den zu entlassenden Mitarbeitern im Vordergrund. Erklärt die Unternehmensführung seinen Mitarbeitern klar und ausführlich die Gründe für den Personalabbau, so fördert dies die Annahme unter der Belegschaft, dass die Handlungen des Managements fair und wohl bedacht sind. Gibt das Management seinen verbleibenden Mitarbeitern eine genaue Vorstellung davon, inwiefern der Personalabbau für das Unternehmen und dessen erfolgreiche Zukunft notwendig ist, so wird dadurch das Bedrohungsgefühl unter den Survivors gemindert, da diese Hoffnungen in die Zukunft ihres Unternehmens aufbauen. Zusätzlich ist die Behandlung der Entlassenen von großer Bedeutung. Werden sie von der Unternehmensführung mit Würde und Respekt behandelt, so zeigen die verbleibenden Mitarbeiter vermehrt konstruktives Verhalten.[26]

Durch eine zweite Einschätzung bewerten die Survivors ihre persönliche Situation und gleichen diese mit ihren individuell zur Verfügung stehenden Ressourcen ab. Die Mitarbeiter prüfen dabei was getan werden kann, um den möglichen persönlichen Schaden zu mindern oder gänzlich zu verhindern. Dabei gibt es zwei Faktoren, die eine positive Einschätzung der Situation fördern und zu einer aktiven Reaktionsweise beitragen: Empowerment und Neugestaltung des Arbeitsplatzes.[27] Beim Empowerment wird den Mitarbeitern durch Übertragung von Kompetenzen, Befugnissen und Wissen mehr Autonomie und Selbstverantwortung verliehen. Ziele dieses Organisationsmodells sind u. a. die Delegation von Verantwortung und die Erhöhung der Mitarbeitermotivation.[28] Empowerment trägt dazu bei, die Situationseinschätzung der Survivors während eines Personalabbaus positiv zu beeinflussen. Je mehr die Mitarbeiter davon überzeugt sind, dass sie über die notwendigen Kompetenzen verfügen in einer veränderten Arbeitsumwelt zurechtzukommen, desto mehr sehen sie sich in der Lage, die Probleme während eines Personalabbaus zu bewältigen. Durch das Empowerment wird den Survivors eine gesteigerte persönliche Kontrolle verliehen und sie fühlen sich dadurch sicherer, da sie selbst in der veränderten Unternehmenssituation mitwirken können. Die Mitarbeiter, die durch Empowerment vermehrt in die Unternehmensprozesse miteinbezogen werden, tendieren somit eher zu einer aktiven Haltung während des Personalabbaus. Die Survivors haben durch die Kompetenzübertragung ein verstärktes Selbstvertrauen und sind somit eher bereit Risiken einzugehen und zeigen vermehrt innovatives Verhalten.[29] Diejenigen Mitarbeiter, die einen starken persönlichen Bezug zu ihrer Arbeit aufgebaut haben, sind eher dazu bereit aktiv für ihr Unternehmen zu kämpfen, als Mitarbeiter die sich mit ihrer Arbeit wenig identifizieren.[30] Neben dem Empowerment beeinflusst die Neugestaltung der Arbeitsplätze im Zuge des Personalabbaus die Situationseinschätzung der Survivors und folglich ihre Reaktionen.[31] Nach dem Job Characteristics Model von Hackman und Oldham umfasst ein Arbeitsplatz folgende fünf Kerndimensionen: Tätigkeitsvielfalt, Ganzheitlichkeit der Aufgabe, Wichtigkeit bzw. Bedeutung der Aufgabe, Autonomie und Rückkopplung der Arbeitsergebnisse. Diese Aufgabenmerkmale sind beim Aufbau oder der Neugestaltung eines Arbeitsplatzes mittels entsprechender Gestaltungsprinzipien zu beachten. Das Modell geht davon aus, dass je nach Ausprägung der verschiedenen Aufgabenmerkmale unterschiedliche psychologische Zustände bei den Mitarbeitern ausgelöst werden, beispielsweise der empfundene Sinn der Arbeit.[32] Diese psychologischen Zustände haben einen Einfluss auf die intrinsische Arbeitsmotivation der Mitarbeiter, den Grad der Arbeitsleistung und die Arbeitszufriedenheit.[33] Im Kontext des Personalabbaus bedeutet dies, dass Veränderungen in der Arbeit, die die intrinsische Motivation der Survivors steigern, ihnen ermöglichen, besser mit dem Personalabbau zurechtzukommen. Auf diese Weise werden sie zu einer aktiven Reaktionsweise motiviert.[34]

[...]


[1] Vgl. http://www.faz.net/s/RubC8BA5576CDEE4A05AF8DFEC92E288D64/Doc~ECA911894F2C04E44B

89752E1A37C704D~ATpl~Ecommon~Sspezial.html; Zugriff am 06.10.2005

[2] Vgl. http://www.golem.de/0509/40625.html; Zugriff am 06.10.2005

[3] Vgl. http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4809198_REF1,00.html; Zugriff am 06.10.2005

[4] Vgl. Weiss, Vera / Udris, Ivars: Downsizing und Survivors, in: Arbeit, 10(2001)2, S. 103 f.

[5] Vgl. Hilb, Martin: Management der Human-Ressourcen, Neuwied u. a. (1998), S. 233

[6] Vgl. Marr, Rainer / Steiner, Karin: Personalabbau in deutschen Unternehmen, Wiesbaden 2003, S. 148

[7] Vgl. Tomasko, Robert M.: Rethinking the corporation: the architecture of change, New York 1993, S. 23 f.

[8] Vgl. Schmidt-Braße, Ute: Wenn Unternehmen Trauer tragen, in: Personalführung, 6(2002), S. 68

[9] Vgl. Jaeger, Michael: Personalabbau human gestalten, in: Personalwirtschaft, 5(2001), S. 30

[10] Vgl. Berner, Samuel: Reaktionen der Verbleibenden auf einen Personalabbau, Bamberg 1999, S. 3

[11] Vgl. Seisl, Petra: Der Abbau personeller Überkapazitäten: unternehmerische Handlungsspielräume – Folgewirkungen – Implikationen für ein Trennungsmanagement, München 1998, S. 78

[12] Vgl. Noer, David M.: Healing the wounds: overcoming the trauma of layoffs and revitalizing downsized organizations, San Francisco 1993, S. 89

[13] Vgl. ebenda, S. 38 ff.

[14] Vgl. Volk, Hartmut: Wenn der psychologische Vertrag zerbricht, in: Management Berater, 3(2000), S. 48

[15] Vgl. o.V.: Verdeckte Kosten des Personalabbaus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.05.2005, S. 51

[16] Vgl. Seisl, Petra (1998), a. a. O., S. 95

[17] Vgl. Weiss, Vera / Udris, Ivars (2001), a. a. O., S. 106 f.

[18] Vgl. Seisl, Petra (1998), a. a. O., S. 84

[19] Vgl. Marr, Rainer / Steiner, Karin (2003), a. a. O., S. 51

[20] Vgl. Hofstede, Geert: Culture`s consequences: international differences in work-related values, Newbury Park u. a. 2000, S. 158

[21] Vgl. Andrzejewski, Laurenz: Trennungskultur, Neuwied u. a. 2002, S. 184 f.

[22] Vgl. Mishra, Aneil K. / Spreitzer, Gretchen M.: Explaining how survivors respond to donwsizing: the roles of trust, empowerment, justice, and work redesign, in: Academy of Management Review, 23(1998)3, S. 567 f.

[23] Vgl. Mishra, Aneil K. / Spreitzer, Gretchen M. (1998), a. a. O., S. 570 ff.

[24] Vgl. Lazarus, Richard S. / Folkman, Susan: Stress, appraisal, and coping, New York 1984, S. 31 ff.

[25] Vgl. Mishra, Aneil K. / Spreitzer, Gretchen M.: a. a. O., S. 574 ff.

[26] Vgl. Brockner, Joel: Scope of justice in the workplace: how survivors react to co-worker layoffs, in: Journal of Social Issues, 46(1990)1, S. 9

[27] Vgl. Mishra, Aneil K. / Spreitzer, Gretchen M.: a. a. O., S. 577

[28] Vgl. Schreyögg, Georg: Organisation, 3. Aufl., Wiesbaden 1999, S. 274

[29] Vgl. Spreitzer, Gretchen M.: Psychological empowerment in the workplace: dimensions, measurement, and validation, in: Academy of Management Journal, 38(1995)5, S. 1444 ff.

[30] Vgl. Mishra, Aneil K. / Spreitzer, Gretchen M.: a. a. O., S. 578

[31] Vgl. Brockner, Joel u. a.: Interactive Effect of Job Content and Context on the Reactions of Layoff Survivors, in: Journal of Personality and Social Psychology, 64(1993)2, S. 187

[32] Vgl. Hackman, J. Richard / Oldham, Greg R.: Work Redesign, Reading u. a. 1980, S. 77

[33] Vgl. Weinert, Ansfried B.: Organisationspsychologie, 4. Aufl., Weinheim 1998, S. 189

[34] Vgl. Mishra, Aneil K. / Spreitzer, Gretchen M.: a. a. O., S. 579

Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
Folgen des Personalabbaus auf das verbleibende Personal
Hochschule
Universität Trier
Note
2,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
53
Katalognummer
V59849
ISBN (eBook)
9783638536769
ISBN (Buch)
9783638727051
Dateigröße
585 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Folgen, Personalabbaus, Unternehmen, Personal
Arbeit zitieren
Janine Foltyn (Autor:in), 2005, Folgen des Personalabbaus auf das verbleibende Personal, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59849

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