Der Wandel des besonderen Gewaltverhältnisses von verfassungsrechtlicher zu verwaltungsrechtlicher Kategorie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

15 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Methodisches Vorgehen

3. Literatur und Forschungsstand

4. Geschichte und Entwicklung des besonderen Gewaltverhältnisses
4.1 Das besondere Gewaltverhältnis vor dem 14.03.1972
4.2 Das besondere Gewaltverhältnis nach dem 14.03.1972
4.3 Entwicklungen und Tendenzen

5. Schluss
5.1 Zusammenfassung in Thesen

6. Literaturverzeichnis

7. Selbstständigkeitserklärung

1. Einleitung

Wer sich mit dem „besonderen Gewaltverhältnis“ befasst, wird sich schnell die Frage stellen, ob Beschäftigung mit dem „besonderen Gewaltverhältnis“ eher eine historische Fragestellung ist, oder ob diese Rechtsfigur noch die Gegenwart prägt. Vor und nach dem 14.3.1972[1] stellte sich diese Frage weniger: vor 1972 wurde, trotz einer bestehenden Diskussion über das Thema, die Rechtsfigur des „besonderen Gewaltverhältnisses“ selbst nicht in Frage gestellt. Nach dem 14.3.1972, an dem das BVerfGE Grundrechte und Gesetzmäßigkeitsprinzip auch innerhalb des „besonderen Gewaltverhältnisses“ am Beispiel eines Strafgefangenen[2] für uneingeschränkt wirksam erklärte, setzte sich schnell die Auffassung durch, die Rechtsfigur sei „erledigt“.

Schon einige Titel der in der Folgezeit veröffentlichten Literatur zu diesem Thema zeigten, das dem nicht so war, am deutlichsten Ronellenfitschs „Das besondere Gewaltverhältnis- ein zu früh totgesagtes Rechtsinstitut“ aus dem Jahr 1981[3].

Anstelle der vor 1972 recht einheitlichen Verwendung des Begriffs „besonderes Gewaltverhältnis“ ist nun eine Fülle neuer Begriffe getreten, wie Sonderrechtsstatus, verwaltungsrechtliches Sonderverhältnis, öffentlich- rechtliche Sonderbindung oder Sonderrechtsverhältnis.

Die Hartnäckigkeit des „besonderen Gewaltverhältnisses“, bzw. seiner diversen Synonyme, liegt allerdings nicht nur in seiner langen Tradition und historischen Entwicklung begründet, sondern auch darin, dass das BVerfGE zwar einer gewohnheitsrechtsmäßigen Interpretation des besonderen Gewaltverhältnisses seit 1972 nicht mehr folgen wollte, die Verwaltung für ihr Funktionieren aber auf diese Rechtsfigur oder ähnliche Konstrukte angewiesen ist.

Neben Überlegungen und Argumentationen, ob ein besonderes Gewaltverhältnis wünschenswert, oder hinter Grundrechten und Gesetzesmäßigkeitsprinzip zweitrangig ist, muss also auch stets berücksichtigt werden, wie ein sachgerechtes (und damit verfassungsgemäßes) Funktionieren der Verwaltung, ob nun Leistungs- oder Eingriffsverwaltung, gewährleistet werden kann.

Das generelle Problem ist also, wie weit die Grundrechte der innerhalb des besonderen Gewaltverhältnis befindlichen Personen zum Funktionieren der Verwaltung eingeschränkt werden dürfen und sollen, und ob die Existenz eines besondern Gewaltverhältnisses allein zur Begründung der Grundrechtsbeschränkung ausreicht.

2. Methodisches Vorgehen

Um ein genaues Verständnis der Rechtsfigur „besonderes Gewaltverhältnis“ zu gewinnen, ist es zunächst angebracht, sich einen Überblick über Geschichte und Wurzeln des „besonderen Gewaltverhältnisses“ zu verschaffen. Hier genügt eine überblicksartige Darstellung. Es hilft die moderne Problematik und Diskussion zu verstehen, wenn Beginn und Wandel des „besonderen Gewaltverhältnisses“ unter diversen staatlichen und gesellschaftlichen Bedingungen und interpretatorischen Prämissen betrachtet werden.

Da eine Rechtsfigur wie das besondere Gewaltverhältnis in besonderem Maße von der juristischen Interpretation und Sichtweise abhängig ist, wird auch eine Darstellung der existierenden Fachliteratur mit Kontroversen und Diskussionen unumgänglich, da ein historisches Verständnis der Rechtsfigur „besonderes Gewaltverhältnis“ auch durch ein Verständnis des um sie existierenden Diskurses möglich wird.[4]

Nach der Darstellung von Literatur und Forschungsstand sowie dem geschichtlichen Werdegang des „besonderen Gewaltverhältnisses“ sollen auch benachbarte Problemzonen Erwähnung finden. So berührt z.B. die Einschränkung des besonderen Gewaltverhältnisses zugunsten des Gesetzesvorbehalts das Problem der Verwaltung als eigenständige Staatsmacht, sowie die richterliche Kontrolle des Verwaltungshandelns durchaus als Eingriff in die Trias der Staatsgewalten gesehen werden kann, da sie den Ermessensfreiraum der Exekutive zu minimieren geneigt ist.

Nicht zu vergessen ist auch, dass der einheitlich wirkende Begriff „besonderes Gewaltverhältnis“, bzw. seine modernen Synonyme, ein recht breites Feld unterschiedlichster Unterordnungsverhältnisse umfasst. Die Unterschiede im rechtlichen Status zwischen Lehrern, Militärdienstleistenden, Schülern und Zöglingen sowie zwischen Internierten, Verwahrten oder Häftlingen sind beträchtlich. Hierbei ist nicht nur die unterschiedliche Ausprägung der Unterworfenheit sowie ein unterschiedlicher Umfang gewährter Freiheiten in Rechnung zu stellen, sondern auch die Freiwilligkeit der Unterwerfung ins „besondere Gewaltverhältnis“, die ja bei Lehrern, Militärdienstleistenden und Beamten gegeben ist[5]. Der Begriff „besonderes Gewaltverhältnis“ und seine Verwendung und Aussagegehalt im historischen Kontext lohnen durchaus einer näheren Betrachtung.

Dies kann man nicht über die gegen den Begriff erhobenen Einwände sagen, die das Wort „Gewaltverhältnis“ ablehnen, weil „Gewalt“ darin vorkommt[6]. Auch wenn auf den ersten Blick eine Konnotation mit Begriffen wie „gewalttätig“ erkannt werden kann, so irrt man doch gewaltig, wenn man hieraus sofort eine Anrüchigkeit des Begriffes an sich herleiten möchte: niemand empfindet schließlich die Lehre vom demokratischen Prinzip der „Gewaltenteilung“ als anstößig, nur weil auch hierin das Wort „Gewalt“ zu finden ist[7]. Zudem sind solche Überlegungen einer sprachlich eindeutigen Regelung der Materie eher abträglich: seit dem 14.03.1972 existieren, wie bereits erwähnt, eine Vielzahl von Synonymen, die teilweise nur von einzelnen Autoren oder Autorengruppen verwendet werden. Eine weitere sprachliche Zersplitterung wäre also auch der wissenschaftlichen Diskussion nicht zuträglich.

Überlegungen und Einwände zur Verwendung des Begriffs „besonderes Gewaltverhältnis“ sollen also nur dort Beachtung finden, wo sie von einem Wandel des Sprachverständnisses Zeugnis geben und zur Klärung beitragen, nicht dort, wo sie nur aus modernen Strömungen („political correctness“, „gewaltfreies Sprechen“, etc.) erhoben werden.

Zum Schluss eine Sprachregelung in eigener Sache: ich vermag oben erwähnten Einwänden gegen den Begriff des besonderen Gewaltverhältnisses nicht zu folgen. Auch viele der Neologismen erwecken den Eindruck, hauptsächlich aus der Überlegung entstanden zu sein, nach dem 14.03.1972 müsse „etwas Neues“ kommen.

Um nicht eine Einheit vorzutäuschen, wo durch die vielfältigen Ausformungen besonderer Gewaltverhältnisse Unterschiede bestehen, werde ich nicht von dem besonderen Gewaltverhältnis sprechen, sondern von besonderen Gewaltverhältnissen. Die Plural umfasst alle Unterscheidungsmerkmale und Unterschiede besonderer Gewaltverhältnisse: von der freiwilligen bzw. unfreiwilligen Gewaltunterworfenheit[8] bis hin zu der Feststellung, auf „welcher Seite des Zauns der Gewaltunterworfene steht“[9], ob Häftling oder Vollzugsbeamter.

3. Literatur und Forschungsstand

Als Einstieg in das Thema bieten sich die Standartwerke zum „Allgemeinen Verwaltungsrecht“ von Maurer[10] und Erichsen[11] an. Diese liefern, zwar stichwortartig und verstreut[12], Definitionen und thematische Überblicke, sowie weiterführende Literatur und eine Zusammenfassung der für das Thema wichtigen Urteile der Gerichte und des BVerfGE. Als Beispiel für die hier zu findende weiterführende Literatur sei die Dissertation von Ingo von Münch genannt[13]. Obwohl aus dem Jahre 1957, sind hier bereits erste Wurzeln für die Entscheidung des Jahres 1972 angelegt: So wird z.B. das besondere Gewaltverhältnis als verfassungsrechtliche Instanz und einzige Begründung zur Beschränkung der Grundrechtsausübung abgelehnt. Statt dessen wird die Frage nach dem Zweck eines besonderen Gewaltverhältnisses gestellt, und eine Beschränkung der Grundrechtsausübung nur in dem Maße befürwortet, wie es der Zweck des besonderen Gewaltverhältnisses fordert. In einigen Passagen ist von Münch 1957 schon weiter als einige Autoren nach 1972: er sieht in der Funktionsfähigkeit der Exekutive eine verfassungsmäßige Forderung,[14] und spricht sich gegen eine Ausdehnung der individuellen Freiheitsrechte aus, die diese gefährden könnte.

[...]


[1] 14.03.1972 war der Tag, an dem ein Urteil des BVerfGE (BVerfGE 33,1,10 f.) das „besondere Gewaltverhältnis“ zu erledigen schien.

[2] Ein Strafgefangener schrieb an eine außerhalb der Anstalt befindliche Person einen Brief mit abfälligen und beleidigenden Äußerungen über den Leiter der Anstalt, einige Vollzugsbeamte und die Verhältnisse innerhalb der Anstalt. Der Brief wurde- wie üblich- kontrolliert, und wegen seines beleidigenden Inhalts angehalten. Kontrolle und Anhalten des Briefes stützten sich auf die Dienst- und Vollzugsordnung, die den Charakter einer verwaltungsinternen Verwaltungsvorschrift hatte. Der Strafgefangene klagte dagegen beim damals zuständigen OLG, welches die Maßnahme mit der Begründung bestätigte, die Grundrechte des Gefangenen seien von vornherein soweit beschränkt, wie dies der Anstaltszweck erfordere. Eine weitere gesetzliche Grundlage sei nicht erforderlich. Das BVerfGE stellte in seiner Entscheidung (BVerfGE 33,1,10 f.) fest, dass die Grundrechte auch im Strafvollzug gelten, und auch hier nur aufgrund eines formellen Gesetzes beschränkt werden dürfen. Das „besondere Gewaltverhältnis“ wurde somit als rechtfertigende Grundlage zur Grundrechtsbeschränkung abgelehnt.

[3] Ronellenfitsch: „Das besondere Gewaltverhältnis- ein zu früh totgesagtes Rechtsinstitut“ DÖV 1981, 933 Fn1, 937 Fn. 38.

[4] Hiermit soll keinem „streng“ strukturalistischem bzw. positivistischem Geschichtsbild im Sinne M. Foucaults/ P. Veynes gefolgt werden, es ist andererseits jedoch kaum zu leugnen, dass ein Rechtsgegenstand wie das „besondere Gewaltverhältnis“ von der gesellschaftlichen Praktik bedingt wird, sowie seinerseits diese bedingt. Eine Betrachtung der Kategorien „Diskurs“ und „Praktik“ im foucaultschem Sinne kann für das Verständnis von Wandel und Problematik einer Rechtsfigur also durchaus von Interesse sein.

[5] Eine Einverständniserklärung in die Beschneidung der Grundrechtsausübung nach dem Grundsatz „volenti non fit iniuria“ lässt sich aber daraus nicht ableiten: philosophisch betrachtet befindet sich letzten Endes auch der Strafgefangene freiwillig im besonderen Gewaltverhältnis, da er, mit Rousseau sprechend, wissentlich gegen den Gesellschaftsvertrag verstoßen hat.

[6] Einige Autoren sprechen hier schon von einer „Gewalt- Phobie“. Insb.: Merten. D.: Grundrechte und besonderes Gewaltverhältnis. In: Merten, D (Hrsg.).: Das besondere Gewaltverhältnis. Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 97. Berlin 1985. S. 53- 77. Hier S. 53f.

[7] M. Ronellenfitsch: Das besondere Gewaltverhältnis als verwaltungsrechtliches Institut. In: Merten, D (Hrsg.).: Das besondere Gewaltverhältnis. Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 97. Berlin 1985. S. 33- 53. Hier S.37.

[8] Ronellenfitsch, wie Anm. 7, S. 40.

[9] Ebd. S.. 40.

[10] Maurer, H.: Allgemeines Verwaltungsrecht. 13. Aufl., München 2000.

[11] Erichsen, H. E. u. Martens, W. (Hrsg.): Allgemeines Verwaltungsrecht. 11., neubearbeitete Auflage, Berlin 1998.

[12] Maurer, wie Anm. 10: § 6, 17; § 8, 26ff, § 9, 29; § 23, 54; § 24, 14; Erichsen, wie Anm. 10: § 4, 20; § 6,31, 58f; § 9, 17; § 12, 25, 40f; § 15, 16.

[13] von Münch, I.: Freie Meinungsäußerung und besonderes Gewaltverhältnis. Diss. Jur., Frankfurt am Main 1957.

[14] von Münch, wie Anm. 13, S. 35f.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Der Wandel des besonderen Gewaltverhältnisses von verfassungsrechtlicher zu verwaltungsrechtlicher Kategorie
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Note
2,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
15
Katalognummer
V60102
ISBN (eBook)
9783638538602
ISBN (Buch)
9783638766562
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wandel, Gewaltverhältnisses, Kategorie
Arbeit zitieren
M. A. Simon Reimann (Autor:in), 2004, Der Wandel des besonderen Gewaltverhältnisses von verfassungsrechtlicher zu verwaltungsrechtlicher Kategorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60102

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