Psychologische Elemente des Antisemitismus in der Dialektik der Aufklärung


Seminararbeit, 1998

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Elemente des Antisemitismus / Grenzen der Aufklärung
2.1. Das Verhältnis der Juden zur bestehenden Ordnung
2.2. Antisemitismus als Ideologie eines "dynamischen Idealismus"
2.3. Die sozio-ökonomischen Ursachen des Antisemitismus
2.4. Die religiösen Motive des Antisemitismus
2.5. Die Ursachen der Idiosynkrasie als Konstituens des Antisemitismus
2.6. Die pathische Projektion und paranoische Reaktionsform
2.7 Die psychologische Enteignung der Triebökonomie der Subjekte und die „Ticketmentalität“ als Resultat des Wirtschaftsprozesses

3. Abschlußbemerkung

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, der Machtübernahme der National-sozialisten im Deutschen Reich am 30.1.1933 und dem Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933, scheiterte der Versuch einer parlamentarische Demokratie in Deutschland. Die Weimarer Republik erlebte ihren Untergang mit dem Aufstieg des Dritten Reiches und des Faschismus. Mit dem Nazismus folgte die planmäßige Verfolgung und Vernichtung von 6 Millionen Juden und Hunderttausenden slawischen „Untermenschen“, Sinti und Roma, „Asozialen“, Behinderten, Angehörigen von religiösen Minderheiten, politisch Andersdenkenden und Intellektuellen. Diese Terrorherrschaft endete im Zweiten Weltkrieg mit mehr als 55 Millionen Toten.

Überraschend war die geringe politische Weitsichtigkeit von Intellektuellen und Akademikern in Deutschland, welche die Ziele und Dynamik der nationalsozialistischen Bewegung von Anfang an unterschätzten. Auch in Frankfurt, dem Sitz des Institutes für Sozialforschung, schienen die Sozialwissenschaftler, Historiker und Sozialphilosophen in ihrem „universitären Elfenbeinturm“ derart weltfremd und vergeistigt, daß sie die Gefahr des aufkommenden Faschismus nicht wahrnahmen. Nach Hitlers Wahl zum Reichskanzler wurde dieses Institut geschlossen und die dort Beschäftigen waren gezwungen ins Exil zu gehen, um dadurch der eigenen Verfolgung und Liquidation zu entgehen, sowie die Arbeit des Institutes aufrecht zu erhalten.

Das Institut für Sozialforschung (IfS), deren drei wichtigsten Gründungsmitglieder Felix Weil (1898 - 1975), Friedrich Pollock (1894 - 1970) und Max Horkheimer (1895 - 1973) waren, wurde am 3. Februar 1923 in Frankfurt am Main gegründet und sollte ein Forum für marxistische Studien sein. Der erste Direktor und Ordinarius des Institutes war Carl Grünberg (1861-1940). Es war das erste Mal, daß in Deutschland ein erklärter Marxist auf einen Lehrstuhl an einer Universität berufen wurde. 1933 wurde das Institut von den Nazis geschlossen und nach New York verlegt, von wo aus es seine Arbeit fortführte. Im Exil und unter den Erfahrungen des deutschen Faschismus entstanden die radikalsten und kritischsten Werke der später sogenannten Frankfurter Schule, des Arbeitskreises unter Max Horkheimers Führung. Die Bezeichnung Frankfurter Schule hat sich erst in den 60er Jahren eingebürgert und diente der Abgrenzung gegenüber der Münsteraner Schule um Helmut Schelsky, der Kölner Schule um Rene König und der Marburger Schule um Wolfgang Abendroth. Die von der Frankfurter Schule betriebene „klassische“ kritische Theorie hatte die Kritik an der okzidentalen Vernunfttradition, der instrumentalen Vernunft, zum Gegenstand. Der Aufklärungsprozeß wurde von ihr nicht als Fortschritt der Menschheit, sondern als deren Verfallsgeschichte angesehen. In der Anfangsphase (von 1923-1930) arbeiteten u.a. Max Horkheimer, Karl August Wittvogel, Friedrich Pollock, Hendrik Großmann, Franz Borkenau, Leo Löwenthal und Erich Fromm am IfS. Theodor Wiesengrund Adorno wurde erst 1938 Mitglied des Institutes, avancierte dafür aber zu einem seiner bedeutendsten Mitarbeiter. Nach dem Tod Grünbergs 1927 durch einen Schlaganfall, trat 1929 Max Horkheimer als zweiter Institutsdirektor seine Nachfolge an und besetzte den neu gegründeten Lehrstuhl für Sozialphilosophie an der Universität Frankfurt. In seiner Antrittsrede vom 24.1.1931 vertrat er die Auffassung, daß nur die wissenschaftliche Disziplin der Sozialphilosophie in der Lage sei, die sowohl in der Philosophie als auch in den Sozialwissenschaften entstandenen Defizite zu beheben und dadurch die Gegensätzlichkeit von philosophischer Theorie einerseits und einzelwissenschaftlicher Praxis andererseits zu kompensieren..

Die Sozialphilosophie übt Kritik an der „klassischen“ Philosophie des Idealismus, die seit Immanuel Kant (1724-1804) als eine Leistung der Einzelpersönlichkeit angesehen wurde, deren Medium die Selbstbesinnung ist. Für Georg Friedrich Wilhlem Hegel (1770-1831), welcher sie zur Sozialphilosophie weitergedacht hat, stellt das Individuum zwar weiterhin den Ausgangsort dar, aber es ist nicht länger der Ort, in dem Wissenschaft und Gegenstände zusammenfallen, sondern der Sinn des Seins liegt nun in der Vernunft des Ganzen. Mit Horkheimer und der auf Hegel basierenden Sozialphilosophie trat ein Perspektivenwechsel ein; es ist nicht länger die Person allein, die den Sinn des Lebens aus allgemeinen Regeln ableiten muß, sondern das individuelle Streben nach Glück steht in einem dialektischen Verhältnis zum Ganzen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wurden zum Gegenstand philosophischer Reflexion. Diese Ortsbestimmung einer modernen Sozialphilosophie ist zum einen ein Plädoyer für Interdisziplinarität, während auf der anderen Seite eine Verschiebung der zentralen Aufgaben von der Analyse der ökonomischen Gesamtsituation auf die sogenannten Überbauprobleme, insbesondere der kulturellen Phänomene evident wird.

Im Exil formuliert Horkheimer 1937, in dem Aufsatz „Traditionelle und kritische Theorie“[1], erschienen in der Zeitschrift für Sozialforschung, eine Kritik über die politisch-ökonomischen Verhältnisse, welcher die Marxsche historisch-materialistische Geschichtsauffassung zugrunde lag. Darin wurde die noch 1931 propagierte interdisziplinäre Zusammenarbeit, ebenso wie die positivistischen Forschungsmethoden abgelehnt. Der traditionellen Theorie liegt die Vorstellung zugrunde, daß es möglich sei, die Welt der Tatsachen und die Arbeit des Wissenschaftlers, das gedanklich formulierte Wissen einerseits und den Sachverhalt unter den es subsumiert werden soll andererseits trennen zu können. Nach Horkheimer gilt diese Theorie, deren Apologeten u.a. Emile Durkheim, Ferdinand Tönnies, Alfred und Max Weber sind, als Instrument der Reproduktion der herrschenden bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Ihre Hoffnung der Objektivitätswahrung, während sie gleichzeitig dem menschlichen Fortschritt dienen wollen, sei eine Illusion. Horkheimer fordert indes eine Repolitisierung der Soziologie und erteilt dem Postulat der Werturteilsfreiheit, sowie einem an naturwissenschaftlichen Denken orientierten Positivismus eine deutliche Absage.[2] Die marxistisch ausgerichtete kritische Theorie versteht sich hingegen nicht länger als eine akademische Übung, sondern als ein bestimmtes Verhalten der Menschen innerhalb der Gesellschaft, welches der Selbsterhaltung des gesellschaftlichen Apparates entgegenwirkt (Stichwort Klassenkampf).

Diese historisch-materialistische Geschichtsauffassung stellt einen deutlichen Trennungs-versuch zur gesamten Soziologie seit Marx dar und verwirft die verschiedenen Versuche, Soziologie als relativ autonome Einzeldisziplin im Wissenschaftsbetrieb zu etablieren. Die wichtigste Differenzierung zu Marx liegt in der Umorientierung von den ökonomischen Bedingungen hin zu den Phänomenen des Überbaus. Von den anderen Wissenschafts-disziplinen wird in diesem Zusammenhang lediglich die Psychoanalyse akzeptiert, da sie als der Schlüssel zur Bearbeitung der Überbauphänomene gilt. Ein zentrales Thema für die im Exil lebenden Mitglieder der Frankfurter Schule war die nicht zu leugnende schnelle Anpassung der deutschen Arbeiterschaft an das nationalsozialistische Herrschaftssystem. Hier drängte sich eine Verbindung von sozio-ökonomischen Strukturen und sozialpsychologischen Dispositionen geradezu auf. Ein Großteil der im Exil verfaßten Werke, hatten den Nazismus, Antisemitismus und allgemein Autoritätsunterwürfigkeit zum Gegenstand.

Ganz in dieser Tradition der Frankfurter Schule erschien 1944 das Werk die „Dialektik der Aufklärung“[3] von Horkheimer und Adorno, die beide im Exil existentiell am Holocaust gelitten hatten. In diesem Buch wird die von Ohnmachtsgefühlen begleitete Skepsis und der tiefe Pessimismus in den Analysen besonders deutlich. Wie in allen im Exil entstandenen Werken, zeugt auch dieses von der Überzeugung der Autoren, daß das Schicksal der Menschengesellschaft ein schlimmes Ende nehmen wird. Es geht nicht länger um die Verhinderung des Schlimmsten, um die Befreiung der Menschen, sondern nur noch um die Verhinderung des Schlimmsten, nämlich eine Verhinderung des Holocaust in einer faschistischen Welt. In der „Dialektik der Aufklärung“ wird von beiden Autoren ein Versuch unternommen, die psychologischen Elemente des Antisemitismus zu bestimmen und zu analysieren. Im Verlauf ihrer Analyse kommen beide Autoren zu dem Schluß, daß sich das Postulat der Aufklärung (Autonomie und Freiheit durch logischen Rationalismus) als dem „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ mittels der Devise „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ (Kant) als Trugschluß erwiesen hat. „Die rastlose Selbstzerstörung der Aufklärung zwingt Denken dazu, sich auch die letzte Arglosigkeit gegenüber den Gewohnheiten und Richtungen des Zeitgeistes zu verbieten.“ (Vgl. Horkheimer u. Adorno (1944), die Dialektik der Aufklärung; S.16f.). Aus dem „stahlharten Gehäuse“ (Max Weber) der Moderne war eine „Wirklichkeit als Hölle“ geworden.

2. Elemente des Antisemitismus Grenzen der Aufklärung

2.1. Das Verhältnis der Juden zur bestehenden Ordnung

Nach Horkheimer und Adorno ist der Antisemitismus, die Idiosynkrasie des jüdischen Volkes und Glaubens durch die Faschisten, sowie der damit einhergehende Vernichtungswille, das Produkt der falschen gesellschaftlichen Ordnung. Im Faschismus verkörpern die Juden nicht bloß eine Minorität, sondern die Gegenrasse, das negative Prinzip als solches, von deren Vernichtung das Schicksal der Menschheit, insbesondere das des eigenen Volkes abhängt. Die Juden werden als das absolute Objekt der Herrschaft definiert, mit dem nur noch verfahren werden soll. Dadurch werden sie tatsächlich zum auserwählten Volk im negativen Sinne. In dem, von den Antisemiten konstruierten Klischee des „ewigen Juden“ (Ahasver: der ewig herumirrende Jude), reproduziert sich ihr eigenes Wesen; die skrupellose Gier nach Besitz, Aneignung und grenzenloser Macht, welche sie als die eigentlichen geheimen Herrscher erscheinen läßt. “Den Juden, mit dieser ihrer Schuld beladen, als Herrscher verhöhnt, schlagen sie ans Kreuz, endlos das Opfer wiederholend, an dessen Kraft sie nicht glauben können“. (Vgl. Horkheimer und Adorno; a.a.O.; S.151).

Die dieser Doktrin entgegengesetzte liberale Sicht, sieht die Einheit der Menschen als prinzipiell verwirklicht an und hilft dadurch das Bestehende zu rechtfertigen. Die Apologie erfolgt durch die Annahme, daß die Juden lediglich aufgrund ihrer kulturell-religiösen Tradition eine Gemeinschaft bilden und somit frei von nationalen oder Rassenmerkmalen sind. Jüdische Merkmale beziehen sich lediglich auf die nicht assimilierten Ostjuden.

Dieser These liegt das durchaus positive Ideal einer Gesellschaft zugrunde, in welcher sich Haß und Gewalt nicht länger reproduzieren und Objekte suchen, an denen sie sich betätigen können.

Die Existenz der Juden erregt bei der bestehenden Allgemeinheit Anstoß durch deren mangelnde Anpassung. Aufgrund ihres konservativ-orthodoxen Festhaltens an eigenen Traditionen und Ordnungen des Lebens, war das Verhältnis der Juden zu den Herrschenden immer geprägt von Gier und Furcht. Sie wurden immer beherrscht und waren abhängig von der Willkür oder der Güte der Mächtigen. Zu Erfolg kamen nur jene, die ihre Identität leugneten, die Differenzen zur herrschenden Ordnung aufgaben und den Charakter übernahmen, den die Gesellschaft bis heute den Menschen aufzwingt. Im Wesen der Assimilierten wurde die Dialektik von Aufklärung und Herrschaft, das Doppelverhältnis des Fortschritts zu Grausamkeit und Befreiung, besonders evident. Durch die Anpassung überwanden die Arrivierten die Beherrschung durch andere und konnten in das neuzeitliche Bürgertum aufsteigen, welches allerdings im Begriff war sich regressiv auf das völkische, die Rasse als deren Konstituens, zurück zu besinnen. Rasse bedeutet nicht unmittelbar das naturhaft partikulare, sie ist vielmehr die Reduktion auf das Naturhafte, auf bloße Gewalt, die Besonderheit, die im Bestehenden gerade das allgemeine ist. Sie ist die Selbstbehauptung des bürgerlichen Individuums im Kollektiv. Die liberale Idee der „Harmonie der Gesellschaft“, zu der sich die angepaßten Juden bekannten, mußten sie als die der Volksgemeinschaft gegen sie selbst erfahren.

Der Antisemitismus entstellt nicht die Ordnung, sie bedarf seiner, wie der Verfolgung überhaupt, deren Wesen die Gewalt ist.

2.2. Antisemitismus als Ideologie eines „dynamischen Idealismus“

Der Vorteil des Antisemitismus als Volksbewegung liegt in der Ideologie; diejenigen, die ihn ausüben, vergessen ihre ökonomische Vergeblichkeit und Nichtigkeit dadurch, daß die Unterdrückten ihnen gleichgestellt werden und somit auch nicht mehr besitzen als sie. Er hilft nicht den Menschen, sondern ihrem Vernichtungsdrang; der Gewinn liegt in der Sanktionierung durch das Kollektiv. Seine Zweckmäßigkeit für die Herrschenden liegt in der Ablenkung und seiner Funktion als Korruptionsmittel und terroristischem Exempel. Propagiert wird er von den Mächtigen, ausgeübt von den Ohnmächtigen, den der Subjektivität beraubten Subjekte, dem Volk. Rational, ökonomisch oder politisch können antisemitische Verhaltensweisen nicht erklärt werden, da die mit Herrschaft verknüpfte Rationalität ihrerseits Schuld daran trägt. „Der Antisemitismus ist ein eingeschliffenes Schema, ja ein Ritual der Zivilisation, und die Progrome sind die wahren Ritualmorde. In ihnen wird die Ohnmacht dessen demonstriert, was ihnen Einhalt gebieten könnte, der Besinnung, des Bedeutens, schließlich der Wahrheit.“ (Cf. Horkheimer u. Adorno; op. cit.; S. 153). Aufgrund seiner Intentionslosigkeit ist der Antisemitismus ein Ventil der Ohnmacht; Opfer, wie auch die Täter - sobald sie sich als Norm fühlen - sind untereinander beliebig auswechselbar, je nach der Konstellation können es Vagabunden, Juden, Katholiken oder Protestanten sein. Es gibt keinen genuinen Antisemitismus und keine geborenen Antisemiten, vielmehr ist ein „ dynamischer Idealismus “ verantwortlich für die Ideologisierung von Rettung der Familie, des Vaterlandes und der Menschheit. Die Gefolgschaft der Apologeten, die weder ökonomisch noch sexuell auf ihre Kosten kommt, hat den Haß internalisiert ohne zu wissen warum; sie wollen keine Entspannung, da sie keine Erfüllung kennen. Dadurch, daß der Judenhasser den Betrug an sich bemerkt, wird die Rationalisierung des Motivs, wider Willen, zu einem vermeintlich echten. Die Tat wird schließlich zum autonomen Selbstzweck, der die eigene Zwecklosigkeit überdeckt; die Verzweifelten sehen sich als die einzigen Verteidiger der Wahrheit, als Erneuerer der Erde, die auch den letzten Winkel noch reformieren müssen. „Zwischen Antisemitismus und Totalität bestand von Anbeginn der innigste Zusammenhang. Blindheit erfaßt alles, weil sie nichts begreift.“ (Siehe Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S.154).

Der Liberalismus versprach den Menschen Glück, auch dort wo keine Macht ist und gewährte den Juden Besitz ohne Befehlsgewalt. Doch die Massen fühlten sich betrogen, da dieses allgemeine Versprechen eine Farce bleibt solange soziale Klassen existent sind. Durch die prinzipielle Versagung muß die Unterdrückung der Verwirklichung dieser Idee, welche die eigene Sehnsucht reflektiert, ständig wiederholt werden. Der Haß und die Zerstörungslust der Zivilisierten, die den schmerzhaften Zivilisationsprozeß nie ganz vollziehen konnten, richtet sich gegen das Fremde, den Juden. Der Gedanke an Glück ohne Macht erscheint dem Einzelnen unerträglich, da diese Verbindung erst Glück bedeuten würde. Das Konstrukt einer Verschwörung lüsterner jüdischer Bankiers, die den Bolschewismus finanzieren, ist bezeichnend für die eingeborenen Ohnmacht. Das gute Leben ist ein Zeichen von Glück, wie es dem Intellektuellen möglich ist, der das Privileg hat sich Gedanken zu machen und nicht durch Mühsal und Körperkraft Schweiß vergießen muß um sich zu ernähren. „Der Bankier wie der Intellektuelle, Geld und Geist, die Exponenten der Zirkulation, sind das verleugnete Wunschbild der durch Herrschaft Verstümmelten, dessen sich die Herrschaft zu ihrer eigenen Verewigung bedient.“ (Zit. n. Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S.155).

2.3. Die sozio-ökonomischen Ursachen des Antisemitismus

Der bürgerliche Antisemitismus besitzt eine spezifisch ökonomische Ursache; die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise. Mit dem Übergang des Feudalismus in den Merkantilismus, jener Frühform des Kapitalismus, vollzog sich auch ein Wechsel im Ansehen der bis dato geringgeschätzten Arbeit („Arbeit schändet nicht“). Produktion wurde hoffähig und aus den absoluten Monarchen und Fürsten wurden Manufakturherren und Fabrikanten, deren Handeln geprägt war von rationaler Kalkulation, Disposition, Kauf und Verkauf von Waren. Durch ihr Monopol über die Produktionsmittel, waren jene Produzenten in der (Macht-) Position die expropriierte, formell freie Lohnarbeiterschaft - welche der einzig Mehrwert schaffende Faktor in der kapitalistischen Produktionsweise ist - auszubeuten und den Mehrwert zu appropriieren. Die vermeintlich produktive Arbeit der Kapitalisten bildete jene Ideologie, welche den Bezug ihres Gehaltes rechtfertigte, sowie das Wesen des Arbeits- vertrags und die Natur dieses Wirtschaftssystems überdeckte. In dieser Gesellschaft ist die Politik nicht mehr ein Geschäft, sondern das Geschäft die ganze Politik, indem den Juden das ganze ökonomische Unrecht der Klassen aufgebürdet wird. Ihnen war seit jeher der Zugang zum Ursprung des Mehrwertes verwehrt geblieben, so daß sie notwendigerweise in den Handel- und Finanzbereich, die Zirkulationssphäre, ausweichen mußten.

Durch die Exploitation erkannten die Proletarier, deren Entlohnung auf Grundlage des kulturellen Minimums stattfand, wie wenig Güter auf dem Markt auf sie entfielen und vor allem welche Güter sie sich nicht leisten konnten. Im Verhältnis des Lohns zu den Preisen drückt sich erst aus, was den Arbeitern vorenthalten wird und was sie unfreiwillig mit dem Prinzip der Entlohnung angenommen haben. Den jüdischen Kaufmännern und Händlern wird nun die Schuld des ganzen Systems zugeschrieben; sie werden als die Materialisten, Schacherer und Wucherer diffamiert. „Die Verantwortlichkeit der Zirkulationssphäre für die Ausbeutung ist gesellschaftlich notwendiger Schein“. (Horkheimer u. Adorno; ebd.; S.156).

Brachten es Juden zu hohen Positionen in Industrie und Verwaltung, dann nur über das Opfer der Taufe - der Selbstverleugnung und der stillschweigenden Übernahme der allgemeinen Meinung über die Juden -, sowie doppelter Ergebenheit und doppeltem Fleiß. Durch die Geschichte hindurch wurden die Juden niemals in die Völker Europas integriert. Sie befanden sich stets, als Schutzjuden, in einem Abhängigkeitsverhältnis, als Objekt der Gnade, den Monarchen und dem absoluten Staat ausgeliefert. Die Mächtigen taten dies nur solange sie einen Nutzen daraus ziehen konnten, auch wenn die Juden auf ihren Bürgerrechten und ihrem Individualismus bestanden. Gerade weil sie die kapitalistische Existenzform und die römische Zivilisation in Europa verbreiten halfen, sie im Einklang mit ihrer patriarchalen Religion die Vertreter städtischer, bürgerlicher und schließlich industrieller Verhältnisse waren, so zogen sie den Haß derer auf sich, die darunter zu leiden hatten. „Seinen ausschließenden, partikularen Charakter erfahren sie nun an sich selbst.“ (Siehe Horkheimer u. Adorno; op. cit.; S.157).

2.4. Die religiösen Motive des Antisemitismus

Die Behauptung, daß der völkische Antisemitismus frei von religiösen Motiven sei („es geht nur um die Reinheit des Volkes und der Nation“), ist eine Rationalisierung und verleugnet seine ihm immanente religiöse Tradition. „Das Bündnis von Aufklärung und Herrschaft hat dem Moment ihrer Wahrheit den Zugang zum Bewußtsein abgeschnitten und ihre verdinglichten Formen konserviert.“ (Cf. Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S.158). Der fanatische Glaube, die unbeherrschte Sehnsucht (nach Erlösung), ist die inhaltlich abgeänderte Form des religiösen Fundamentalismus, die als völkische Rebellion kanalisiert wird. Bei den deutschen Christen blieb von der Religion der Liebe nur der Antisemitismus, der Haß gegen die, die den Glauben nicht teilen, übrig.

Der jüdische Gott, der als Schöpfer und Beherrscher die Natur vollends unterwirft, geht aus der Gestalt eines Naturdämons in den Zustand des absoluten Selbst über. Die in dieser Entfremdung begründete, unbeschreibliche Macht und Herrlichkeit, die Erhöhung auf eine universale, transzendentale Ebene - welche nur durch den Gedanken erreicht werden kann -, läßt ihn als den Geist, das andere Prinzip erscheinen, der das Individuum aus dem Naturkreislauf befreien kann (im Gegensatz zu den mythischen Göttern). In seiner Abstraktheit und Metaphysik potenziert sich zugleich der Schrecken von der unmeßbaren Gnadenlosigkeit, was Ausdruck findet in Verstrickung von Schuld und Verdienst; es gibt kein Heilsversprechen. Der vorchristlich-jüdische Glaube war kongruent mit der allgemeinen Selbsterhaltung. Der heidnische Opferritus, welcher eine wichtige Funktion für die theokratische Herrschaftspraxis hatte, vollzog eine Entwicklung von der unmittelbaren Furchtbefreiung zur geheiligten Tradition des familiären und staatlichen Lebens. Im Christentum sublimierte er hingegen in die rationale Regelung des Arbeitsprozesses. Durch den menschlichen (Opfer-) Tod Jesus, dem göttlichen Mittler, wird das Moment der Gnade hervorgehoben; der Schrecken vor dem Absoluten wird durch das Wiederfinden des Einzelnen in der Gottheit gemildert. Es ist die menschliche Selbstreflexion im Absoluten, die Vermenschlichung Gottes. Durch dieses reflektive Moment wird der Fortschritt gegenüber dem Judentum begründet. Da das Absolute dem Endlichen angenähert wird, wird das Endliche verabsolutiert. Es wird als das geistige Wesen deklariert, was sich vor dem Geist als natürliches Wesen erweist. In der Entfaltung des Widerspruchs gegen diese Anmaßung besteht der Geist. Das Christentum wird durch die gedankliche Bindung ans gedanklich Suspekte zur Religion. Das der Profanität überlassene, entwertete Dasein (d. Individuums) bekommt das Postulat der Überwindung der Selbsterhaltung, durch die Nachahmung Christi, aufoktroyiert. Diese affirmative Sinngebung des Selbstvergessens ist insofern trügerisch, als das der (katholische oder protestantische) Erlösungsweg doch nicht das Ziel garantieren kann (e. g. die calvinistische Prädestinationslehre). Die Unverbindlichkeit des geistlichen Heilsversprechens ist das jüdische und negative Element in der christlichen Doktrin, was von den Gläubigen verdrängt wird. Die Ahnung dieser Verdrängung kann ihrerseits nur dadurch verdrängt werden, indem sich die Christen ihr ewiges Heil am weltlichen Unheil derer bestätigen, die dieses Opfer der Vernunft nicht vollbrachten. Darin liegt der religiöse Ursprung des Antisemitismus. Die Anhänger der Vaterreligion werden von den eigenen Söhnen gehaßt, welche denken, daß sie es besser wüßten. „Das Ärgernis für die christlichen Judenfeinde ist die Wahrheit, die dem Unheil standhält, ohne es zu rationalisieren und die Idee der unverdienten Seligkeit gegen Weltlauf und Heilsordnung festhält, die sie angeblich bewirken sollen. Der Antisemitismus soll bestätigen, daß das Ritual von Glaube und Geschichte recht hat, indem er es an jenen vollstreckt, die solches Recht verneinen.“ (Vgl. Horkheimer u. Adorno; ed. cit.; S.161).

2.5. Die Ursachen der Idiosynkrasie als Konstituens des Antisemitismus

Der Antisemitismus beruft sich auf die Idiosynkrasie des Besonderen, des Nonkonformen, was nicht dem gesellschaftlichen Fortschritt entspricht. Die Norm ist das Allgemeine, das sich in die Zweckzusammenhänge der Gesellschaft einfügt. Diese Aversion und Hypersensibilität gegenüber dem Fremden, von deren Überwindung die Emanzipation der Gesellschaft vom Antisemitismus abhängt, sind Rudimente der biologischen Urgeschichte, archaische Schemata der Selbsterhaltung. Es sind biologische Reaktionen, denen eine autonome Dynamik immanent ist; in ihnen vollzieht sich die Angleichung an die unbewegte Natur. „Indem aber das Bewegte dem Unbewegten, das entfaltetere Leben bloßer Natur sich nähert, entfremdet es sich ihr zugleich (...).“ (Cf. Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S. 161).

Im Laufe der Zivilisation wurde das eigentlich mimetische (nachahmende) Verhalten, das organische Anschmiegen an das Andere - in der magischen, prähistorischen Phase - durch die organisierte Handhabung der Mimesis und in der historischen Epoche durch die rationale Praxis, die Arbeit ersetzt. In der Verhinderung des Rückfalls in mimetische Daseinsweisen liegt die Bedingung der Zivilisation. Durch soziale und individuelle Erziehung werden die Menschen in ihrer objektivierenden Verhaltensweise von Arbeitenden und somit vor einer Regression, einer Angleichung an die Natur, bewahrt. In der Konstitution des Ichs manifestiert sich der Übergang von reflektorischer Mimesis zu beherrschter Reflexion. „Anstelle der leiblichen Angleichung an Natur tritt die >>Rekognition im Begriff<<, die Befassung des Verschiedenen unter Gleiches.“ (Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S. 162). Gleichheit entsteht unter der Bedingung der Angleichung ans Ding im blinden Vollzug des Lebens, oder der Vergleichung des Verdinglichten in der wissenschaftlichen Begriffsbildung. Dadurch entsteht der Zwang zur gesellschaftlichen Herrschaft über die Natur, der sich in den Individuen als konsequente Selbsterhaltung reproduziert. Wissenschaft und Technik bewerkstelligen dies durch in Stereotypen aufbewahrte Regelmäßigkeiten bzw. Wiederholungen und die Automatisierung der Prozesse; durch ihre Umwandlung von geistigen in blinde Prozesse.

Dem, in der bürgerlich-rationalisierten Produktionsweise zivilisatorisch geblendeten, Individuum begegnen die eigenen verdrängten und tabuisierten mimetischen Verhaltens-weisen, in Gestalt rudimetärer Züge, bei anderen oder fremden wieder und es begründet dadurch seine Aversion derselben. Diese undisziplinierte Mimik kommt in den obsolet erscheinenden, verdinglichten menschlichen Beziehungen zum Vorschein, deren Attribute Drohen, Flehen oder Schmeicheln sind und in denen sich persönliche Machtverhältnisse reflektieren. Die bloße Existenz des Anderen ist das Ärgernis. Die Idiosynkrasie, welche der Antisemitismus als Motiv vorgibt, richtet sich gegen die Unfähigkeit der Beherrschung des eigene mimetischen Impulses. Der eigentliche Sinn des faschistischen Formelwesens - der rituellen Disziplin, der Uniformen und der gesamten Apparatur - ist es mimetisches Verhalten (z.B. die Imitation des Jüdischen) zu ermöglichen, ohne offenkundig das Realitätsprinzip zu verletzen. Die Nase des Juden ist das principium individuationis, das dem Einzelnen den besonderen Charakter ins Gesicht schreibt. Im Geruch vollzieht sich die Einheit von Wahrnehmung, als auch des Wahrgenommenen und zeugt von dem Drang sich ans Andere zu verlieren. In der Zivilisation gilt Geruch als Schmach, als Zeichen niederer sozialer Schichten, minderer Rassen und unedler Tiere, deren Hingabe es dem Zivilisierten nur erlaubt ist, insoweit es rationalisiert wird; d.h. solange außer Frage steht, daß es der Ausrottung dieses Triebes gilt. „Indem der Zivilisierte die versagte Regung durch seine unbedingte Identifikation mit der zu versagenden Instanz desinfiziert, wird sie durchlassen. Wenn sie die Schwelle passiert, stellt Lachen sich ein. Das ist das Schema der antisemitischen Reaktionsweise.“ (Siehe Horkheimer u. Adorno; ebd.; S. 165).

Um den Augenblick der autoritären Freigabe des Verbotenen zu zelebrieren, versammeln sich die Antisemiten; der Antisemitismus allein macht sie zum Kollektiv und konstituiert die Gemeinschaft der Art- Volksgenossen. Alle konterrevolutionären Symbole sind die Nachahmung magischer Praktiken, die Mimesis der Mimesis. Der Totalitarismus des Faschismus liegt darin begründet, daß er die Rebellion der unterdrückten Natur und somit die der Triebe unmittelbar für die Herrschaft zunutze macht. Dafür bedarf es des Juden, um den Differenzen und dadurch der eigenen „Menschlichkeit und Gleichheit“ gewahr zu werden. Dies geschieht unabhängig davon, ob die Juden als Individuen tatsächlich jene mimetischen Züge tragen, oder ob sie ihnen lediglich unterstellt werden. Auf diese Weise werden die tabuisierten, die der Arbeit in ihrer herrschenden Ordnung zuwiderlaufenden Regungen in konformierende Idiosynkrasien umgesetzt. Durch die Projektion unterschwelliger Gelüste auf die Juden - denen der Vorwurf der mimetischen Opferpraxis, des blutigen Rituals gemacht wird -, werden die eigenen Handlungen als rationales Interesse rehabilitiert und rationalisiert. Es kann vollstreckt werden, was projiziert wird. Meist übertrifft die Vollstreckung des Bösen noch den bösen Inhalt der Projektion. „Die völkischen Phantasien jüdischer Verbrechen, der Kindermorde und sadistischen Exzesse, der Volksvergiftung und internationalen Verschwörung definieren genau den antisemitischen Wunschtraum und bleiben hinter seiner Verwirklichung zurück.“ (Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S. 166f.). An dem Sieg der Gesellschaft über die Natur, dem Aufstieg der Zivilisation, waren die Juden maßgeblich mitbeteiligt, sowohl durch Aufklärung als auch Zynismus. Ihnen, als dem ältesten überlebenden Patriachat, der Inkarnation des Monotheismus, ist das gelungen, worum sich das Christentum vergebens bemühte; die Umwandlung der Tabus in zivilisatorische Maximen, die Entmächtigung der Magie durch ihre eigene Kraft. Die mimetische Angleichung an die Natur wird durch die Pflichten des Rituals aufgehoben, ohne durch das Symbol in die Mythologie zu verfallen. Von den Antisemiten, den Vollstreckern des alten Testamentes, welche vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, werden sie dessen beschuldigt, was sie als erste überwunden hatten; die Verführbarkeit durch das Untere, des Dranges zu Tier und Erde, sowie der Idolatrie durch das Ritual und den Begriff des Koscheren.

2.6. Die pathische Projektion und paranoische Reaktionsform

Der Antisemitismus beruht auf falscher Projektion. Geschlechtliche Regungen, die vom Subjekt als dessen eigene nicht zugelassen bzw. verdrängt werden, werden dem Objekt, dem prospektiven Opfer, zugeschrieben. Der Faschismus politisiert dieses Verhalten; das Objekt der Krankheit wird realitätsgerecht bestimmt, das Wahnsystem zur vernünftigen Norm erhoben und Abweichungen zur Neurose gemacht. Der als Feind Auserwählte wird schon als solcher wahrgenommen. Die Störung liegt in der mangelnden Differenzierung des Subjektes zwischen dem eigenen und fremden Anteil an der Projektion. Der zugrundeliegende Mechanismus der Projektion von Sinneseindrücken ist so alt wie die Zivilisation und diente dem ursprünglichen Zweck von Schutz und Fraß. In gewisser Weise ist jede Wahrnehmung Projektion. Im Menschen wurde die Projektion automatisiert und wie andere Schutz- und Angriffsleistungen in Reflexe umgewandelt. Es fand eine Sublimation oder Vergeistigung zu den wissenschaftlichen Methoden der Naturbeherrschung statt. Analog der kantischen Erkenntniskritik bedeutet dies, daß das Universum, das System der Dinge, von dem die Wissenschaft lediglich den abstrakten Begriff bildet, das anthropologisch unbewußte Erzeugnis jener selbsttätigen Projektion ist. Mit der Herausbildung des Individuums, im Rahmen des Vergesellschaftungsprozesses, differenziert sich das affektive vom intellektuellen Leben; der Einzelne muß lernen seine Projektion zu kontrollieren. „Indem er unter ökonomischen Zwang zwischen fremden und eigenen Gedanken und Gefühlen unterscheiden lernt, entsteht der Unterschied von außen und innen, die Möglichkeit von Distanzierung und Identifikation, das Selbstbewußtsein und das Gewissen.“ (Vgl. Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S. 168).

- Wie vollzieht sich die Entartung der kontrollierten zur falschen Projektion, die zum Wesen des Antisemitismus gehört?

Die physiologische, naiv-realistische, Lehre von der Wahrnehmung gilt seit dem Kantianismus als obsoleter Zirkelschluß. Die allgemein anerkannte Position des repräsentativen (indirekten) Realismus erklärt die subjektive Wahrnehmung als ein Produkt des Gehirns: Durch die gelenkte Projektion der Sinnesdaten und der Anordnung der perzipierten Eindrücke und punktuellen Indizes durch den Verstand, kommt es zu einem induktiven Analogieschluß, einem Urteilsschluß (Assoziation) über die Existenz eines physischen Phänomens bzw. der Externalität selbst. Dies geschieht auf der Grundlage der unmittelbaren Evidenz des Bewußtseinsereignisses von Sinnesdaten. Diese Hypothesen, über das mögliche Erscheinungsbild der Außenwelt, erlauben uns in den alltäglichen Aktionen und Reaktionen zu bestehen. Nach Schopenhauer und Helmholtz besteht eine verschränkte Beziehung von Subjekt und Objekt; das Wahrnehmungsbild enthält tatsächlich Begriffe und Urteile. Weil zwischen dem wahrhaften Objekt und dem unbezweifelbaren Sinnesdatum[4] ein Abgrund besteht, da nur ein kleiner Ausschnitt aus der Mannigfaltigkeit von Vorgängen in der Externalität erfahren werden kann, muß das Subjekt diesen auf eigene Gefahr überbrücken.[5] Um den Gegenstand zu reflektieren wie er ist, muß das Subjekt die Einheit des Dinges in seinen mannigfaltigen Eigenschaften und Zuständen erneut - durch Erinnerung - erschaffen.[6] Durch die synthetische Einheit von äußeren und inneren Eindrücken konstituiert sich rückwirkend das Ich. Das identische Ich ist das späteste konstante Projektionsprodukt. Es hat sich als einheitliche und zugleich exzentrische Funktion in einem Prozeß entfaltet, der sich historisch erst mit den sich entfaltenden Kräften der menschlichen physiologischen Konstitution vollziehen konnte. „Auch als selbständig objektiviertes freilich ist es nur, was ihm die Objektwelt ist. (...). Nur in der Vermittlung, in der das nichtige Sinnesdatum den Gedanken zur ganzen Produktivität bringt, deren er fähig ist, und andererseits der Gedanke vorbehaltlos dem übermächtigen Eindruck sich hingibt, wird die kranke Einsamkeit überwunden, in der die ganze Natur befangen ist.“ (Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S.169). Nicht in der vorbegrifflichen Einheit von Wahrnehmung und Gegenstand, sondern in ihrem reflektierten Antagonismus besteht die Möglichkeit zur Aussöhnung. Die Differenzierung vollzieht sich im Subjekt, das die Außenwelt im eigenen Bewußtsein hat und gleichzeitig als anderes erkennt. Daher vollzieht sich jenes Reflektieren, das Leben der Vernunft, als bewußte Projektion.

Das pathologische am Antisemitismus ist nicht das projektive Verhalten als solches, sondern der Ausfall der Reflexion darin: da das Subjekt nicht mehr den Gegenstand reflektiert, reflektiert es nicht mehr auf sich selbst und verliert dadurch die Fähigkeit zur Differenz. Das Mittel der Herrschaft - auch der absoluten - wird in der hemmungslosen Projektion zum eigenen und zugleich fremden Zweck, zum Zweck überhaupt erhoben. Mit der regressiv feindseligen Ausrichtung dieses Projektionsmechanismus gegen Menschen, tritt das kranke Individuum dem anderen im Größen- oder Verfolgungswahn gegenüber. Bei beiden Möglichkeiten steht das Subjekt im Zentrum einer Welt, die zum ohnmächtigen oder allmächtigen Inbegriff des auf sie Projizierten wird. Der Paranoiker perzipiert die Außenwelt nur wie es seinen Zwecken entspricht; sie ist lediglich Gelegenheit für seinen Wahn, die Wiederholung seines zur abstrakten Sucht entäußerten Selbst.

Die Menschen unterwerfen sich dem Faschismus, da er sie nicht als Subjekte ansieht, sondern monadologisch degradiert. Weil dem Blick des Irren die Reflexion fehlt, fühlen sich die Reflexionslosen davon angezogen. „Das zwangshaft projizierende Selbst kann nichts projizieren als das eigene Unglück, von dessen ihm selbst einwohnendem Grund es doch in seiner Reflexionslosigkeit abgeschnitten ist. Daher sind die Produkte der falschen Projektion, die stereotypen Schemata des Gedankens und der Realität, solche des Unheils.“

(Cf. Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S.172).

Entsprechend der psychoanalytischen Theorie projiziert das Ich, unter dem starken Druck eines rigiden Über-Ichs, die vom Es ausgehenden - aufgrund ihrer Stärke dem Individuum selbst gefährlichen - Aggressionsgelüste als böse Intentionen in die Außenwelt. Da die in Aggressionen transformierten Triebe meist homosexueller Natur sind, werden diese vom Subjekt als der Feind in der Welt erfahren, was ihm einen besseren Umgang damit ermöglicht.[7] „Aus Angst vor der Kastration wurde der Gehorsam gegen den Vater bis zu deren Vorwegnahme in der Angleichung des bewußten Gefühlslebens ans kleine Mädchen getrieben und der Vaterhaß als ewige Ranküne verdrängt. In der Paranoia treibt dieser Haß zur Kastrationslust als allgemeinem Zerstörungsdrang. Der Erkrankte regrediert auf die archaische Ungeschiedenheit von Liebe und Überwältigung. Ihm kommt es auf psychische Nähe, Beschlagnahmen, schließlich auf die Beziehung um jeden Preis an. Da er sich die Begierde nicht zugestehen darf, rückt er dem anderen als Eifersüchtiger oder Verfolger auf den Leib (...).“ (Vgl. Horkheimer u. Adorno; op. cit.; S.172). Dabei sind die Objekte der Fixierung, wie die Vaterfigur in der Kindheit, substituierbar.

Jede Wahrnehmung enthält unbewußt begriffliche und jedes Urteil phänomenalistische Elemente. Da zur Wahrheit Einbildungskraft gehört, kann es dem daran mangelnden Paranoiker passieren, daß er die Wahrheit für Illusion und die Phantasie für Realität hält. Das der Wahrheit, dem objektivierden Akt, immanente Element der Imagination wird dauerhaft exponiert; der unbedingte Realismus der zivilisierten Welt kulminiert in Faschismus. Der Paranoiker insistiert auf der Emanzipation seines Wahns, in dem Wahrheit und Sophistik identisch sind. Perzeption - die nur möglich ist, insofern ein Ding als bestimmtes, z.B. als Fall einer Gattung angenommen wird - ist vermittelte Unmittelbarkeit, in welcher Subjektives der scheinbaren Selbstgegebenheit des Objekts zugeschrieben wird. Dem Leibnizschen und Hegelschen Idealismus zufolge, vermag lediglich die Philosophie - die ihrer selbst bewußte Arbeit des Gedankens - die in der Wahrnehmung unmittelbar gesetzten und daher stringenten Begriffsmomente als begriffliche zu identifizieren, sie ins Subjekt zurück zunehmen und ihrer anschaulichen Gewalt zu entkleiden. „Der naiv Verabsolutierende, (...) ist ein Leidender, er unterliegt der verblendenden Macht falscher Unmittelbarkeit.“ (Horkheimer u. Adorno; ed. cit.; S.174). Diese Verblendung ist ein konstitutives Element des Urteils, dessen formulierter Inhalt das Behauptete nicht als isoliert oder relativ erscheinen lassen darf. Jedes Urteil, auch das negative, ist seinem Wesen nach versichernd. Das paranoische liegt in der Unfähigkeit des Gedankens das eigene Urteil zu negieren, es nimmt sich selbst für wahr. In dem perpetuieren des immergleichen Urteils wird der Mangel an Konsequenz im Denken evident. Das gesamte Denken tritt in den Dienst des partikularen Urteils, da das Subjekt unfähig ist das Scheitern des absoluten Anspruchs gedanklich zu vollziehen und somit sein Urteil zu modifizieren. Diese Positivität ist die Schwäche des Paranoikers. Beim Gesunden, dem zur Negation und Reflexion Fähigen, wird die Macht der den Schein begründenden Unmittelbarkeit gebrochen. Dieser Vorgang entbehrt jeglicher Aggression, welche dem Paranoiker immanent ist. Da die psychische Energie der Paranoia aus jener libidinösen Dynamik entspringt - wie von der Psychoanalyse erkannt wurde -, so bedeutet dies, daß ihre objektive Immunität in der Vieldeutigkeit begründet liegt, welche vom hypostasierten Akt nicht trennbar ist. Selektionstheoretisch ließe sich sagen, daß während der Evolution des menschlichen Bewußtseins diejenigen Individuen überlebt haben, bei denen die Kraft der Projektionsmechanismen am weitesten in die rudimentären logischen Fähigkeiten hinein reichten oder am wenigsten durch allzu frühe Ansätze der Reflexion gemindert waren. In der Wissenschaft wird dies an dem Hang zu Definitionen deutlich. Dort wird ein bestimmtes Gebiet durch gesellschaftliche Bedürfnisse bestimmt, gedanklich abgegrenzt und bis ins kleinste Detail untersucht, ohne es zu transzendieren.[8] Durch sein psychologisches Schicksal vermag der Paranoiker nicht seinen designierten Interessenskomplex zu überschreiten. Die Paranoia ist der Schatten der Erkenntnis, in dem sich die menschliche Begabung und Erfindungskraft im Bann der technischen Zivilisation selbst liquidiert.

Die falsche Projektion, das isolierte Schema der Selbsterhaltung, usurpiert selbst den Bereich der Kultur; das Reich der Freiheit und Bildung. Paranoia ist das Symptom der Halbgebildeten, deren Wahnsystem - als Versuch der Welt gewalttätig einen Sinn zu geben - sie selber sinnlos macht. Das Individuum diffamiert den Geist und die Erfahrung von denen es ausgeschlossen ist und bürdet anderen die Schuld auf, welche eigentlich die Gesellschaft trägt. Die Halbbildung hypostatiert, im Gegensatz zur bloßen Unbildung, das beschränkte Wissen als Wahrheit und kann den Bruch von innen und außen, von individuellem Schicksal und gesellschaftlichen Imperativen nicht aushalten.[9] Die paranoiden Bewußtseinsformen streben die Bildung von Bünden und Sekten an, deren Glaubenssysteme die fetischisierten Formelwesen von Wissenschaft und Religion (Akademien, Hierarchien und Fachsprachen) widerspiegeln. Die rational durchgestalteten und bestimmten Glaubenssysteme der Vergangenheit, die von den Völkern als geschlossen paranoide Formen aufgenommen wurden, ließen Freiraum für Bildung und Geist, und wirkten dadurch in gewisser Weise der Paranoia entgegen. Das Moment der Entlastung von der Paranoia wird in der Kollekivität sozialisiert; das Mitglied löst seine Paranoia durch die Teilnahme an der kollektiven ab, und klammert sich leidenschaftlich an die objektivierten, kollektivierten und bestätigten Formen des Wahns. Dadurch überwindet der Einzelne die Angst seinen Wahn allein erleben zu müssen. Möglicherweise war das einer der großen Beiträge der Religion zur Erhaltung der Art.

Heute allerdings wird Bildung, welche mit dem bürgerlichen Eigentum Verbreitung fand, unter das Primat der ökonomischen Verwertbarkeit subsumiert und erschafft somit in ungeahntem Ausmaß neue Bedingungen für die Paranoia der Massen. Das gebildete Bewußtsein unterliegt selbst einem Prozeß der Verdinglichung, da die reale Emanzipation der Menschen nicht simultan mit der Aufklärung des Geistes erfolgte. Kultur wurde zur informatorisch verbreiteten Ware, das Denken auf die Erfassung des isoliert Faktischen reduziert und gedankliche Zusammenhänge als unbequeme und unnütze Anstrengungen abgelehnt. „Der aufs Wissen abgezogene Gedanke wird neutralisiert, zur bloßen Qualifikation auf spezifischen Arbeitsmärkten und zur Steigerung des Warenwertes der Persönlichkeit eingespannt.(...). Schließlich ist unter den Bedingungen des Spätkapitalismus die Halbbildung zum objektiven Geist geworden.“ (Vgl. Horkheimer u. Adorno; a.a.O.; S. 177).[10]

In der totalitären Phase der Herrschaft wird das paranoische Wahnsystem zur ultima ratio erhoben und den, durch die Kulturindustrie verblendeten, Beherrschten aufoktroyiert. Herrschaft bedarf des kranken Bewußtseins um sich am Leben zu erhalten und nur Paranoide lassen sich die Verfolgung gefallen, in welche Herrschaft übergehen muß, in der sie andere verfolgen dürfen. Im Faschismus erstirbt das Gewissen und mit ihm die Fähigkeit zur Reflexion im Sinne der Durchdringung von Aufnahmefähigkeit und Einbildungskraft. Indem die Industrie der moralischen Entscheidung des unabhängigen ökonomischen Subjekts den wirtschaftlichen Boden entzieht, verkümmert die Reflexion. Das Gewissen, die Verantwortung des Individuums für sich und die Seinen, die Hingabe des Ichs an das substantielle Draußen, die Fähigkeit das Anliegen der anderen zum eigenen zu machen, wird gegenstandslos und durch die Leistungen des Einzelnen für den Apparat substituiert. Es kommt nicht mehr zur Austragung des eigenen Triebkonflikts, aus dem sich die Gewissensinstanz herausbildet. Anstatt der Internalisierung des gesellschaftlichen Gebotes, erfolgt die unmittelbare Identifikation mit der stereotypen Werteskala des faschistoiden Systems. Aufgrund der Dominanz, dieses so offenkundig bösartigen Herrschaftssystems, ist das ohnmächtige Individuum nur durch blinde Fügsamkeit in der Lage sein Schicksal zu ertragen. In dieser Situation bedarf es Seitens der Mächtigen eines Sündenbockes, auf den die Schuld geschoben werden kann; die Juden. Sie verkörpern jene Eigenschaften, die von der totalitär gewordene Herrschaft diffamiert werden: das Glück ohne Macht, der Lohn ohne Arbeit, die Heimat ohne Grenzen und die Religion ohne Mythos. Die herrschaftliche Aversion dieser Züge beruht auf dem Verlangen nach denselben in den Köpfen der Beherrschten. Herrschaft kann nur solange bestehen, wie die Beherrschten das Ersehnte zum Verhaßten machen. Dies gelingt durch die pathische Projektion, denn auch der Haß führt zur Vereinigung mit dem Objekt; in der Zerstörung, den Negativum der Versöhnung. Aus der Unfähigkeit zur Versöhnung, welche der höchste Begriff des Judentums und dessen ganzer Sinn die Erwartung ist, entspringt die paranoische Reaktionsform. Erst in der Befreiung und Immunität des Gedankens gegen Herrschaft und in der Abschaffung der Gewalt wäre die ideelle Emanzipation der Juden als Menschen, sowie der Schritt aus einer antisemitischen in eine humanistische Gesellschaft möglich. „Mit der Überwindung der Krankheit des Geistes, die auf dem Nährboden der durch Reflexion ungebrochenen Selbstbehauptung wuchert, würde die Menschheit aus der allgemeinen Gegenrasse zu der Gattung, die als Natur doch mehr ist als bloße Natur, indem sie ihres eigenen Bildes innewird. Die individuelle und gesellschaftliche Emanzipation ist die Gegenbewegung zur falschen Projektion, (...).“ (Horkheimer u. Adorno; ebd.; S.179).

2.7 Die psychologische Enteignung der Triebökonomie der Subjekte und die „Ticketmentalität“ als Resultat des Wirtschaftsprozesses

Lange Zeit galten in Deutschland antisemitische Gesinnung und völkisches Vokabular lediglich als Attribute bürgerlich-aufsässiger, konservativ-liberaler oder bloß reaktionärer Haltung. Doch in ihr war bereits der Keim des Chauvinismus und des universalen Mordes, des Genozids, angelegt. Ursprünglich zeugte das antisemitische Urteil von einer Stereotypie des Denkens, doch heute ist sie allein davon übriggeblieben. Wer den Faschismus eine Chance einräumt, erklärt sich einverstanden bzw. verpflichtet sich geradezu, mit der Zerschlagung der Gewerkschaften und der Verfolgung der Kommunisten auch die Juden zu vernichten. Im Faschismus entfalten sich spezifische soziale Mechanismen, bei denen die tatsächliche Erfahrung der Einzelnen mit den Juden keine Rolle spielt; an die Stelle der Erfahrung tritt das Klischee (die Reduktion auf Freund-Feind-Denken) und an die der Phantasie das der Rezeption. Die kategoriale Arbeit wird in der Ära der Serienproduktion durch deren Schema, die Stereotypie, ersetzt. Das Urteil beruht nicht mehr auf dem wirklichen Vollzug der dialektischen Synthesis, sondern auf blinder Subsumtion. In der spätindustriellen Gesellschaft erfolgt der Rückgriff auf den urteilslosen Vollzug des Urteils; der Rezipient ist im Prozeß der Wahrnehmung nicht mehr gegenwärtig. In den Denkmodellen, wie der Erlebniswelt des Einzelnen werden blinde Anschauungen und leere Begriffe unvermittelt vereint; das Individuum verliert die Fähigkeit zur Anstrengung des Urteilens und damit zur Unterscheidung von Wahrheit und Falschheit.

Da die technische Entwicklung körperliche Arbeit weitestgehend überflüssig macht und diese Entwicklung auch auf die geistige Arbeit übertragen wird, wird Denken als obsoleter Luxus abgelehnt, sofern es nicht in höchst spezialisierter Form, in manchen Bereichen der Arbeitsteilung, der berufliche Ausbildung oder Ausübung dient. Darin liegt das Geheimnis der Verdummung, die dem Antisemitismus zugute kommt. Die Gleichgültigkeit gegen das Individuum folgt aus dem Wirtschaftsprozeß, da es zum Hemmnis der Produktion wurde. Weil die fortschrittlichste Form notwendigerweise zur vorherrschenden wird, formt das Prinzip der ökonomischen Rationalität auch die letzten Einheiten der Wirtschaft um; den Betrieb ebenso wie den Menschen. Im Konkurrenzkampf ersetzte das Warenhaus das Spezialgeschäft alten Stils und das von der Bevormundung in früheren Wirtschaftszeiten emanzipierte Individuum (im Rahmen der Individuation aus tradierten Verhältnissen)[11] verdingt sich als Proletarier auf dem Arbeitsmarkt, oder strebt als Unternehmer die Verwirklichung des Idealtyps des homo oecomomicus an.

Der psychische Apparat repräsentiert die diffizile Dynamik von Unbewußtem und Bewußtem, von Es, Ich und Über-Ich. In ihm findet die Auseinandersetzung mit dem Über-Ich, der gesellschaftlichen Kontrollinstanz im Individuum, dem Gewissen, statt, das dem Ich schließlich erlaubt die Triebe in den Grenzen der Selbsterhaltung zu halten. Als Resultat der fehlerhaften Bewältigung dieser Triebökonomie werden die Neurosen angesehen, deren Symptome als Herstellungsversuch eines „Kompromisses“ zwischen Wunsch und Abwehr interpretiert werden. Sie helfen die durch Konflikte ausgelösten Ängste zu bewältigen und eine Ersatzbefriedigung (entstellte oder abwegige Erreichung des Triebziels) zu ermöglichen. Erst dieser Prozeß ermöglichte das einigermaßen freie Zusammenspiel der Subjekte, in welchem die Marktwirtschaft bestand. In den Zeiten der Weltkriege und des Monopolkapitalismus werden die Subjekte der Triebökonomie psychologisch enteignet und von der Gesellschaft bevormundet, da sie diese schneller betreibt. Der Einzelne braucht seine Handlungen nicht mehr in einer inneren Dialektik von Gewissen, Trieben und Selbsterhaltung zu begründen, sondern ihm werden die Entscheidungen von den Verbänden, der Verwaltung und der Kulturindustrie abgenommen. „Gehörte im Liberalismus Individuation eines Teils der Bevölkerung zur Anpassung der Gesamtgesellschaft an den Stand der Technik, so fordert heute das Funktionieren der wirtschaftlichen Apparatur die durch Individuation unbehinderte Direktion der Massen.“ (Cf. Horkheimer u. Adorno; ed. cit.; S. 182). Durch die ökonomisch bestimmte Richtung der gesellschaftlichen Totalität verkümmern im Individuum jene Organe, die im Sinne der autonomen Entwicklung seiner Existenz wirkten. Im Fortschreiten der Industriegesellschaft wird der Mensch, als Träger der Vernunft, zum Objekt der Repression; die Irrationalität der Anpassung an die Realität wird für den Einzelnen vernünftiger als die Vernunft. Die Dialektik der Aufklärung schlägt somit objektiv in den Wahnsinn der politischen Realität um.

Die Menschheit teilt sich in wenige bewaffnete Machtblöcke auf, die sich feindlich gegenüberstehen. Der von den Politikern propagierte ideologische Antagonismus ist dabei selbst nur eine Ideologie der blinden Machtkonstellation, bei der es nebensächlich bleibt, ob es nun eine faschistische oder kommunistische Doktrin ist. Beide Denkmodelle sind Produkte der Industrialisierung und überlassen dem apathischen Einzelnen im wesentlichen nur vorentschiedene Pseudoentscheidungen. Erst die Passivität der Massen ermöglicht diese Machtstrukturen, deren Verdinglichung die Vorstellung vom wahren Sachverhalt verschleiert. Mit der Wahl des „Tickets “ (für eine der Seiten) vollzieht sich die Anpassung an den zur Wirklichkeit erstarrten Schein, der sich dadurch selbst reproduziert. „Realitätsgerechtigkeit, Anpassung an die Macht, ist nicht mehr Resultat eines dialektischen Prozesses zwischen Subjekt und Realität, sondern wird unmittelbar vom Räderwerk der Industrie hergestellt. Der Vorgang ist einer der Liquidation anstatt der Aufhebung, der formalen anstatt der bestimmten Negation. Nicht indem sie ihm die ganze Befriedigung gewährten, haben die losgelassenen Produktionskolosse das Individuum überwunden, sondern indem sie es als Subjekt auslöschten. Eben darin besteht ihre vollendete Rationalität, die mit ihrer Verrücktheit zusammenfällt.“ (Horkheimer u. Adorno; ibid.; S. 185). In dem Mißverhältnis zwischen dem Individuum und dem Kollektiv verbirgt sich der Widerspruch von Ohnmacht und Allmacht, der absolute Gegensatz der Versöhnung. Allerdings verschwinden mit der Überwindung des Subjekts nicht auch jene psychologischen Determinanten, auf welche sich die falsche Gesellschaft stützt. Vielmehr fügen sich die Charaktertypen dadurch präzise in das Räderwerk ein; das System bedarf jener zwanghaften, unfreien und irrationalen psychologischen Mechanismen der Individuen. Der dem reaktionären Ticket inhärente Antisemitismus entspricht dem destruktiv-konventionellem Syndrom, dessen Haß sich nicht ursprünglich gegen die Juden richtet und nicht auf einer gegen sie ausgebildeten Triebrichtung beruht. Vielmehr werden die empirischen Elemente der Antisemitismus durch das Ticketdenken potenziert.

Der Antisemitismus erhält sein undurchdringliches Wesen dadurch, daß sich die Psychologie des Einzelnen und deren Inhalte nur noch durch die gesellschaftlich vorgegebenen synthetischen Schemata herstellen lassen. Die antisemitischen Exekutanten wie die „verantwortungsfreien“ Zuschauer, die Administration totalitärer Herrschaftssysteme wie der einfache Familienvater, das Parteimitglied wie der (Zyklon B-) Fabrikarbeiter führen lediglich die von der Wirtschaft verhängten Urteile aus. All dies geschieht, obwohl die typisch jüdischen Eigenschaften gar nicht mehr existent sind. Unter dem nivellierenden Druck der spätindustriellen Gesellschaft wurden die den einstigen Unterschied konstituierenden Religionen, durch erfolgreiche Assimilation, in Kulturgüter umgewandelt. Ökonomisch gab es den Juden nicht mehr. Der faschistische Antisemitismus muß in gewisser Weise sein Objekt erst erfinden, an dem er sich betätigen kann. Die zum gesellschaftlichen Existenzial erhobene Paranoia muß sich ihr Ziel selbst setzen. Aufgrund derselben Ursachen und Determinanten - der Reduktion auf die abstrakte Arbeitsform -, deren dynamische Entwicklung zum Ticktdenken jeglicher ideologischer Richtung führt, erscheinen die Tickets als untereinander auswechselbar. Nicht erst das antisemitische Ticket ist antisemitisch, sondern die Ticketmentalität selbst. Auch wenn die „psychologisch humaneren“ Individuen vom progressiven Ticket angezogen werden, so verwandelt die Absenz der Erfahrung auch deren Anhänger in Feinde der Differenz; die der Progressivität immanente Freiheit wird sukzessiv unter die der machtpolitischen Strukturen subsumiert. In der Wut auf die Differenz werden die Ressentiments der beherrschten Subjekte gegen die Minoritäten evident. Selbst die Juden unterliegen dem Ticketdenken ebenso wie die faschistoiden Jugendverbände. Im Nebel der Verhältnisse von Eigentum, Besitz, Verfügung und Management entzieht sich die gesellschaftlich verantwortliche Elite als Minderheit der theoretischen Bestimmung. Von der Diskrepanz zwischen rassischer Ideologie und der Wirklichkeit der Klassen bleibt lediglich der Unterschied gegenüber der Majorität übrig. „Wenn aber das fortschrittliche Ticket dem zustrebt, was schlechter ist als sein Inhalt, so ist der Inhalt der faschistischen so nichtig, daß er als Ersatz des Besseren nur noch durch verzweifelte Anstrengung der Betrogenen aufrecht erhalten werden kann.(...). Während es keine Wahrheit zuläßt, an der es gemessen werden könnte, tritt im Unmaß seines Widersinns die Wahrheit negativ zum Greifen nahe, von der die Urteilslosen einzig durch die volle Einbuße des Denkens getrennt zu halten sind. Die ihrer selbst mächtige, zur Gewalt werdende Aufklärung selbst vermöchte die Grenzen der Aufklärung zu durchbrechen.“ (Horkheimer u. Adorno; op. cit.; S. 186).

3. Abschlußbemerkung

Methodologische Kritik:

Meiner Meinung nach haben Horkheimer und Adorno die Rolle des Individuationsprozesses zu sehr vernachlässigt, welcher als eine wichtige Determinante für die ideologischen Präferenzen der Subjekte angesehen werden kann. Wie bereits Erich Fromm 1941 in seiner Monographie „Die Furcht vor der Freiheit“[12] darstellte, beschreibt dieser (sowohl historische, als auch ahistorische) Prozeß die Loslösung des Individuums von seinen ursprünglichen Bindungen. Diese „primären“ Bindungen (z.B. ökonomischer, politischer, familiärer, religiöser oder emotionaler Art) implizieren Sicherheit und mögliche Orientierung bei gleichzeitigem Mangel an Individualität; sie behindern die Entwicklung zu einem freien, produktiven, autonomen und sich seiner kritischen Vernunft zu bedienen fähigen Subjekt. Durch die völlige Individuation, der Freisetzung aus tradierten Verhältnissen (z.B. der feudalistischen Produktionsweise), sieht sich der Betroffene vor das Problem der Neuorientierung gestellt; der Notwendigkeit den Ohnmachts-, Unsicherheits- und Einsamkeitsgefühlen adäquat zu begegnen. Bieten nun die ökonomischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen keine adäquate Grundlage für die o.g. positive Entwicklung, so ist das Individuum gezwungen neue, ihm Sicherheit versprechende, Bindungen einzugehen. Dies geschieht durch die Unterwerfung unter „sekundäre“ Bindungen (z.B. dem Faschismus) als Fluchtmechanismus, auf Kosten der Stärke und Integrität des Selbst. Die historische Dimension des Individualisierungsprozesses verdeutlicht die fundamentalen Veränderungen der Gesellschaftsstruktur und der Persönlichkeit des Menschen bis in die Moderne hinein.[13] „Der Einzelne wird von wirtschaftlichen und politischen Fesseln frei (...). Aber gleichzeitig wird er auch von jene Bindungen frei, die ihm zuvor Sicherheit und ein Gefühl der Dazugehörigkeit gaben.“ (Cf. Fromm, E.; a.a.O.; S.51). Die dadurch neugewonnene Freiheit erweckt in ihm ein tiefes Gefühl der Ohnmacht und Unsicherheit, des Zweifels, der Angst und Verlassenheit. Befriedigung kann dieses entstandene Bedürfnis unter anderem in der Unterwerfung unter einen faschistoiden Führer finden.

Der düster-pessimistische Grundtenor, welcher sich durch das ganze Werk hindurch zieht, veranschaulicht wie sehr die, zum Teil jüdischen, Autoren durch das Exil und die nationalsozialistische Terrorherrschaft tangiert wurden. Nach der Rückkehr nach Deutschland hat Horkheimer nichts mehr geschrieben was die Radikalität seiner früheren Schriften, implizit der Dialektik der Aufklärung, erreichte. Auch Adorno veröffentlichte im ersten Jahrzehnt nach seiner Rückkehr im wesentlichen nur Arbeiten, die er während des Exils verfaßt hatte.

Die Nachhaltigkeit, mit welcher die mit Herrschaft und Ökonomie verknüpfte Rationalisierung als Ursache antisemitischer Verhaltensweisen benannt wird, zeugt von der Überzeugung der Autoren, daß sich die Aufklärung in ihr Gegenteil verkehrt hat. Durch die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise, mit all ihren immanenten Begleit-erscheinungen, wird den Individuen ihre Fähigkeit zur kritischen Reflexion und Vernunft genommen. Die ohnmächtigen Subjekte werden ihrer Subjektivität beraubt und entfremden sich dadurch nicht nur von dem Arbeitsprozeß, sondern vor allem von einander.

Offen bleiben nun die Fragen, wie die Überwindung der Idiosynkrasie bewerkstelligt werden kann, von der die Emanzipation der Gesellschaft vom Antisemitismus abhängt und wie die selbstverschuldete Unmündigkeit der Menschen überwunden werden kann?

Die tatsächliche Unmündigkeit scheint in unseren heutigen, sowohl familiären als auch den institutionellen, Erziehungsmethoden begründet zu liegen. Bereits in den Anfängen der menschlichen Sozialisation finden sich jene Bedingungen, welche die Fähigkeit zum kritischen Denken und selbständigen Entscheiden unterbinden und dadurch den Grundstein für die allgemeine Konformität legen, in welcher Anpassung prämiert und Widerspruch sanktioniert wird.

Angesichts der Prämisse, daß Autoritätsunterwürfigkeit als Charaktereigenschaft, sowohl aus der Erziehung, den sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen, als auch der spezifischen ödipalen Konfliktsituationslösung resultiert[14], scheint der Schwerpunkt einer formativen Prophylaxe gegen Faschismus und Antisemitismus, auf die familiäre und institutionelle, pädagogische-edukative Aufklärung gesetzt werden zu müssen.

Notwendig wäre eine weitreichende Bildungsreform hin zu einer Erziehung zum Widerstand und Widerspruch und nicht zu Konformität und Gehorsam. Die Bedeutung von Bildung müßte, unabhängig von deren ökonomischer Verwertbarkeit, neu bewertete werden. Es müßte ein Bewußtsein geschaffen werden, daß Bildung der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und kognitiven Fähigkeiten dient und somit für alle erstrebenswert sei („Wissen ist Macht“). Angesichts der Tatsache, daß aufgeklärte Menschen mit einem hohen Bildungsniveau (implizit eine höhere moralische Entwicklungsstufe) häufiger Ungehorsam sind als „Ungebildete“[15], brauchen wir ein differenziertes Schulwesen, „in dem die Breite der Angebote entsprechende Lernmotivation erzeugt, in der nicht Auslese nach falschen Begabungsbegriffen erfolgt, sondern eine Förderung unter Überwindung entsprechender sozialer Hindernisse durch kompensatorische Erziehung (...)“ ermöglicht. (Vgl. Becker, H.; In: Adorno, Th.W.; Erziehung zur Mündigkeit; S.147)[16]. Auf diese Art und Weise könnten die ersten Grundvoraussetzungen für den Schritt aus der Unmündigkeit gelegt werden.

4. Literaturverzeichnis

- Adorno, Th.W. (1950); Studien zum autoritären Charakter; Suhrkamp, Frankfurt/M. 1973.
- Adorno, Th.W.; Erziehung zur Mündigkeit, Vorträge und Gespräche mit H. Becker 1959-1969; ed. Gerd Kadelbach; Frankfurt/M. 1970.
- Adorno, Th.W.; Theorie der Halbbildung, In: Soziologische Schriften Bd.1; Gesammelte Schriften; Suhrkamp, Frankfurt/M. 1972.
- Adorno, Th.W.; Soziologie und Empirische Forschung, In: Adorno, Th.W. et al.; Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie; Luchterhand, Neumied 1969.
- Beck, Ulrich; Risikogesellschaft – auf dem Weg in eine andere Moderne; Suhrkamp, Frankfurt/M. 1986.
- Fromm, Erich (1941); Die Furcht vor der Freiheit; dtv, München 1990.
- Fuchs-Heinritz, Werner (Hrsg.) et al.; Lexikon zur Soziologie; Westdeutscher Verlag, Opladen 1994.
- Horkheimer, Max (1972); Traditionelle und kritische Theorie; Fünf Aufsätze; Erweiterte Neuausgabe; Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/M. 1992.
- Horkheimer, Max u. Adorno, Th.W. (1944); Dialektik der Aufklärung, Philosophische Fragmente; Gesammelte Schriften, Bd.3; Suhrkamp, Frankfurt/M. 1973.
- Meyers Lexikonredaktion (Hrsg.); Meyers großes Taschenlexikon; Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus, Mannheim 1995.
- Milgram, Stanley; Das Milgram-Experiment zur Gehorsamkeitsbereitschaft gegenüber Autoritäten; Rowohlt, Reinbeck bei München 1982.
- Korte, Hermann; Einführung in die Geschichte der Soziologie; UTB/Leske&Budrich, Opladen 1995.

[...]


[1] Horkheimer, Max; Traditionelle und kritische Theorie; Fünf Aufsätze, Erweiterte Neuausgabe; Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/M., 1992; S. 205-259, sowie Nachtrag S.261-269.

[2] Schon hier wird die ablehnende Haltung der Frankfurter Schule gegenüber dem Positivismus deutlich. Unter der Bezeichnung des „Positivismusstreites“ wurde die 1961 von Th.W. Adorno und K.R. Popper, auf der Tübinger Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, begonnene Grundsatzdiskussion über die Logik der Sozialwissenschaft, explizit deren Forschung, bekannt. Diesem Dissens liegen zwei unterschiedliche erkenntnis -theoretische Positionen; die des (kritischen) Begriffsrealismus (z.B. Hegel, Marx u. Adorno) einerseits und die des Nominalismus (z.B. Kant u. Weber) andererseits, zugrunde. In diesem Kontext wurde auch der sogenannte „Werturteilsstreit“, der bis in die Zeiten Max Webers zurückreicht, wiederaufgenommen. Vergleiche Adorno Th.W.; Soziologie und empirische Forschung, In: Th.W. Adorno et alt.; Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie; Luchterhand, Neuwied 1969.

[3] Horkheimer, Max u. Adorno, Th. W. (1944); Dialektik der Aufklärung, Philosophische Fragmente; Gesammelte Schriften, Bd. 3; Suhrkamp, Frankfurt/M. 1973.

[4] Nach Descartes ist die Existenz der Wirklichkeit, einer externalen Außenwelt, nicht beweisbar: von der Empfindung, deren Bewußtseinsereignis - in Form von Sinnesdaten - unmittelbar evident ist, kann nicht auf etwas empfindungsunabhängiges geschlossen werden. Es gibt keine Beweismöglichkeit dafür (Position des „hypothetischen Realismus“). Man kann an allem zweifeln, außer am Zweifel selbst.

[5] Physisches Dingsein entspricht einem Komplex von aktuellen und möglichen Sinnesdaten (Berkeley).

[6] Das Gedächtnis ist die Voraussetzung von Bewußtsein; ohne es ist Erfahrung nicht möglich.

[7] Nach Freud kann die Charakterstruktur auf Grundlage der spezifischen Lösung der ödipalen Konfliktsituation erklärt werden. Der psychoanalytischen Auffassung zufolge sind in der ödipalen (der der Latenz vorausgehenden infantilen) Entwicklungsphase inzestuöse, aus der libidinösen Bindung an den jeweils gegen-geschlechtlichen Elternteil herzuleitenden, Triebregungen vorherrschend. Die (Un-) Befriedigung dieser Triebe bzw. die Abnabelung von den Eltern, im Rahmen der Adsoleszenzphase (Morartorium), werden oft als Ursachen später auftretender Neurosen, Perversionen oder der sexuellen Inversion betrachtet. Diese ödipale Komponente entwickelt sich im Alter zwischen 3-6 Jahren, wobei die anfänglich diadische (Mutter-Kind) von der triadischen (Vater-Mutter-Kind) Interaktion abgelöst wird.

[8] In dieser Haltung wird Kritik an dem Positivismus geübt. Der Positivismus ist eine philosophische Anschauung, deren Forschung auf das Positive, Tatsächliche, Wirkliche und Zweifellose beschränkt, sich allein auf Erfahrung beruft und jegliche Metaphysik als theoretisch unmöglich und praktisch nutzlos ablehnt. Auguste Comte (1798-1857) gilt als einer der ersten Vertreter dieser philosophischen Richtung. Er verwandte auch das erste Mal den Begriff der „Soziologie“ und hatte eine äußerst elitäre Auffassung von dieser Wissenschafts-disziplin.

[9] Nach Adorno impliziert die Halbbildung auf der kognitiven Seite die Eigenschaft der Subsumtion unter Oberbegriffe; die Realität wird durch Schemata und Vorurteile erfahren. Für die affektive Seite ist die fehlende Entwicklung von Phantasie und Kreativität, und damit verbunden das Abgeschnittensein vom eigenen Erleben charakteristisch. Der Glaube alles zu wissen; die oberflächliche Aneignung von - unter anderem durch die Medien verbreitetem - Wissen, unterscheidet die Halbbildung von der Unbildung. Signifikant für die Unbildung ist eine gewisse Naivität und Nichtwissen auf der einen Seite, zugleich aber die Offenheit für neue Erfahrung der Realität auf der anderen Seite. (Vergleiche: Adorno, Th. W.; Theorie der Halbbildung; In: Soziologische Schriften, Bd. 1; Frankfurt/M. 1972; S. 93-121). Das Kernstück von Adornos Kritik ist die mangelnde Bildung von Studenten!

[10] Horkheimer und Adorno scheinen auch nach 54 Jahren, bezüglich der wirtschaftlichen Verwertbarkeit von Wissen, nichts an Aktualität eingebüßt zu haben. Der Bezug zur momentanen Bildungs- und Globalisierungsdebatte, wird in dem Versuch selbst die letzten gesellschaftlichen Bereiche unter das Primat des Neo-Liberalismus zu subsumieren, besonders deutlich.

[11] Zum Thema Individualisierung siehe auch Seite 17.

[12] Fromm, Erich (1941); Die Furcht vor der Freiheit; dtv, München 1990.

[13] Zur Problematik der Individualisierung vergleiche auch die „Individualisierungsthese“ von Ulrich Beck; Individualisierung, Institutionalisierung und Standardisierung von Lebenslagen und Biographiemustern (Kap. 5), In: Riskogesellschaft – Auf dem Weg in eine andere Moderne; Suhrkamp, Frankfurt/M. 1986; S. 206 f..

[14] Vergleiche: Adorno, Th.W. (1950); Studien zum autoritären Charakter; Suhrkamp, Frankfurt/M. 1973.

[15] Zu Erkenntnissen bezüglich des Gehorsams vergleiche Milgram, Stanley; Das Migram-Experiment zur Gehorsamkeitsbereitschaft gegenüber Autoritäten; Rowohlt, Reinbeck bei München 1982.

[16] Adorno, Th.W.; Erziehung zur Mündigkeit, Vorträge und Gespräche mit H. Becker 1959-1969; Herausgeber: Gerd Kadelbach; Frankfurt/M. 1970.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Psychologische Elemente des Antisemitismus in der Dialektik der Aufklärung
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Gesellschaftswissenschaften)
Veranstaltung
Proseminar: Psychoanalyse und Antisemitismus (G/SPsy/5E)
Note
1,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
27
Katalognummer
V6023
ISBN (eBook)
9783638137188
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Arbeit zitieren
Sebastian Muthig (Autor:in), 1998, Psychologische Elemente des Antisemitismus in der Dialektik der Aufklärung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6023

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