Auch heute noch, fast achthundert Jahre nach seinem Tod, übt die Person Joachims von Fiore eine solche Faszination aus, dass heute, wie zur Zeit Dantes, sogar die literarische Welt auf ihn aufmerksam wird. Hierbei ist es besonders Umberto Ecos meisterhafte Zeichnung mittelalterlicher Mentalitätsgeschichte "Der Name der Rose", die den Namen Joachim von Fiore tief im Bewusstsein des modernen Menschen verwurzelt hat. Doch wenigen der Leser Ecos wird bewusst sein, dass es sich bei Joachim von Fiore um einen der größten Mönchstheologen seiner Zeit handelte, um einen Mann, der im Alter von siebzig Jahren auf eine beeindruckende Reihe von Schriften aus seiner Hand zurückblicken konnte, welche die Geschichtstheologie in eine neue Ära führten. Manchem Zeitgenossen mag die Bedeutung des Namens Joachim von Fiore ebenso fremd gewesen sein, denn bemerkenswerterweise nahm der Ruhm Joachims von Fiore erst nach seinem Tod im einsamen Silagebirge Gestalt an. Obgleich der Kalabreser bereits zu Lebzeiten mit einigen Großen seiner Zeit in Berührung gekommen war, entstanden seine Werke in der Einsamkeit der Klostermauern und nicht im regen geistigen Austausch mit der gelehrten Welt des 12. Jahrhunderts. Trotz eines knappen halben Jahrhunderts intensiver und fruchtbarer Forschungsarbeit, besteht also noch immer Forschungs- und Aufklärungsbedarf, was die Person und geschichtstheologische Lehre des sogenannte kalabresische "Seherabts" - ein Terminus, der dem Selbstverständnis des Kalabresers völlig zuwider läuft - betrifft. Wie so oft ist das Quellenproblem auch im Falle Joachim von Fiore nicht zu umgehen. Eine zufriedenstellende kritische Edierung seiner Hauptwerke existiert bis zum heutigen Tag nicht, obgleich einige Versuche, sich wissenschaftlich kleineren Texten wie derGenealogiazu nähern, bereits unternommen wurden. Bis zur Publikation der von Kurt-Victor Selge begonnenen Gesamtausgabe der joachitischen Werke wird man unwillkürlich auf die Nutzung der einzigen Druckausgaben der Hauptwerke aus dem Venedig der Renaissance zurückgeworfen, die dort in den Jahren 1519 und 1527 durch Augustinereremiten entstanden. Dabei ist es ein geringer Trost, dass die venezianischen Drucke dem Vergleich mit den Protokollen der päpstlichen Kommission von Anagni, die 1255 auf Geheiß Alexanders VI. Joachims Schriften auf häretisches Gedankengut hin untersuchte, von einigen Druck- und Orthographiefehlern abgesehen, standhalten. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Tradition: Joachim von Fiore und das apokalyptische Erbe seiner Zeit
- Lebenswelten: Pilger. Prediger. Asket. Mönch.
- Schöpferwelten: Werk, exegetische Methode und Selbstverständnis
- Gedankenwelten: Mittelalterlicher Geschichtsbegriff und apokalyptisches Erbe
- Die Entwicklung: Grundzüge und Evolutionsstufen der Geschichtstheologie Joachims von Fiore.
- Wurzeln und Fundament - Die Genealogia
- Veredelung und Blüte - Die großen Werke
- Die Innovation: Bahnbrechende Lehre oder romfeindliche Häresie? Zur Originalität der joachitischen Lehre
- Resumée und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit beleuchtet die Person Joachim von Fiore und sein Werk, das in der Geschichte der abendländischen Geschichtstheologie eine besondere Rolle spielt. Sie untersucht den Einfluss der Tradition, insbesondere des apokalyptischen Erbes, auf Joachims Denken und analysiert die Entwicklung seiner eigenen geschichtstheologischen Konzeption. Darüber hinaus befasst sich die Arbeit mit der Frage nach der Originalität der joachitischen Lehre und ihrer Bedeutung für die spätere Geschichte des christlichen Denkens.
- Die Tradition des apokalyptischen Denkens im Mittelalter
- Die Entwicklung und Eigenheiten von Joachims Geschichtstheologie
- Die Rezeption und Kritik an Joachims Lehre im Mittelalter
- Die Bedeutung des Werkes Joachims von Fiore für die spätere Geschichte des christlichen Denkens
- Die Frage nach der Originalität der joachitischen Lehre
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung stellt den historischen und wissenschaftlichen Kontext des Werkes Joachim von Fiore dar und behandelt wichtige Forschungsfragen.
- Das erste Kapitel untersucht die Traditionen, auf die sich Joachim von Fiore in seinem Werk bezieht, insbesondere das apokalyptische Erbe seiner Zeit.
- Das zweite Kapitel analysiert die Entwicklung der Geschichtstheologie Joachims von Fiore, von den frühen Schriften bis zu seinen großen Werken.
- Das dritte Kapitel befasst sich mit der Frage nach der Originalität der joachitischen Lehre und stellt diese in Bezug zu zeitgenössischen Strömungen und Kritikpunkten.
Schlüsselwörter
Joachim von Fiore, Geschichtstheologie, Apokalyptik, Mittelalter, Exegese, Originalität, Tradition, Innovation, Häresie, Mönchstheologie, Liber Figurarum, Genealogia, Concordia Novi ac Veteris Testamenti, Expositio in Apocalypsim, Psalterium Decem Chordarum.
- Arbeit zitieren
- M.A. Isabel Blumenroth (Autor:in), 2005, Zwischen Tradition und Innovation - Betrachtungen zur Entwicklung und Originalität der Geschichtstheologie Joachims von Fiore, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60238