Die Funktionen des lyrischen Ichs in den Minneliedern Walthers von der Vogelweide


Hausarbeit, 2004

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Interpretationsansätze zum lyrischen Ich bei Walther

3 Zum Rollenverständnis im Minnesang
3.1 Das Ich im Sinne eines Rollenbekenntnisses
3.2 Ich- Aussagen zur Etablierung seines Renommees
3.3 Spruchdichtung im Kleid des Minnesang
3.4 Das lyrische Ich im Dienst der Literatur

4 Schlusswort

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit thematisiert die Bedeutung des lyrischen Ichs in den Minneliedern Walthers von der Vogelweide. Schwerpunktmäßig sollen die verschiedenen Funktionen des lyrischen Ichs analysiert werden.

Die Auseinandersetzung mit den Interpretationsansätzen zu den verschiedenen Funktionen des lyrischen Ichs stellen den Kern der Arbeit dar. Anhand ausgewählter Gedichte soll es darum gehen, die Bedeutung der Sängerrolle und seiner Ich- Aussagen herauszuarbeiten und in einen systematischen Kontext zu bringen.

Es gilt zu klären, in welchem Maße Ich- Aussagen in Walthers Minneliedern auftreten, welche Rollen durch das lyrische Ich verkörpert werden und wie diese charakterisiert sind. Ausgehend von den einzelnen Rollentypen bietet sich die Möglichkeit, die verschiedenen Funktionen des lyrischen Ichs zu differenzieren und für eine Gesamtinterpretation der waltherschen Ich- Aussagen nutzbar zu machen.

Es bestünde die Möglichkeit, die Ich- Aussagen in Walthers Minneliedern in Bezug auf ihre historisch, autobiographische Dimension zu betrachten. Es hat sich allerdings gezeigt, dass eine derartige Analyse dem Anspruch Walthers nicht gerecht wird.

Denn:

„Der reale Autor verschwindet hinter seinen Figuren, [...]. Der Autor als Rolle, als gesellschaftliche Funktion und der Autor als Person sind nicht kongruent“[1].

Die vorliegende Arbeit verfolgt daher das Ziel, die Minnelieder Walthers aus der Perspektive des lyrischen Ichs zu erschließen. Es geht darum, die verschiedenen Funktionen der Ich- Aussagen als Zeugnisse der künstlerischen Vielfalt Walthers zu präsentieren.

2. Interpretationsansätze zum lyrischen Ich bei Walther

Um die verschiedenen Ich- Aussagen in Walthers Minneliedern zu erschließen, gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Zum Einen existieren Meinungen, die den Ich- Aussagen bei Walther eine Sonderrolle zusprechen. Diese angebliche Sonderrolle manifestiere sich in der Quantität der Ich- Aussagen in Walthers Liedern.

„Zahlenmäßig ist das Pronomen ‚ich’ mit seinem obliquen Kasus das häufigste Wort bei Walther.“[2]

Die Ergebnisse A. Mundhenks basieren auf der Auswertung von:

„100 Sprüchen Walthers sowie Verweis auf den Word-Index von HEFFNER/LEHMANN (2. Aufl. 1950), wo das Wort „ich“ mit vier Spalten als eines der häufigsten nachgewiesen wird.“[3]

Dass diese Untersuchung unzulänglich ist, wird rasch offenkundig, beachtet man, dass die Auswahl der 100 Sprüche nicht näher spezifiziert ist und eine Relation zu anderen Dichtern seiner Zeit nicht unternommen wurde. Überdies weist die Zahl der „Ich“- Belege nicht die Häufigkeit der Ich- Aussagen in den einzelnen Strophen aus, bemerkt Knape und rät daher als „Meßgröße das Strophen- Ich“[4] zu wählen. Beachtet man das Pronomen der ersten Person Singular mit all seinen obliquen Kasus: „mich“, „mir“, „mîner“ sowie das Possessivpronomen „mîn“ mit seinen Formen, ergibt sich für eine Auswertung, in der jede Strophe untersucht wird, dass der prozentuale Anteil der Ich- Aussagen bei Walther nur minimal über dem bei anderen Dichtern wie beispielsweise bei Moser liegt.[5]

Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern es zweckmäßig ist, Aufschluss über die Bedeutung und die Funktion des lyrischen Ichs in Walthers Liedern an Hand der quantitativen, mathematisch ermittelbaren Verwendung des Pronomens ‚ich’ und seiner obliquen Erscheinungsformen zu gewinnen. Eine diesbezügliche Herangehensweise muss oberflächlich bleiben und kann nur ergänzenden Charakter haben.

Sinnvoller erscheint es daher zunächst Informationen über den Kontext und die Rahmenbedingungen des Minnesängers im Mittelalter zusammenzutragen. Elisabeth Lienert thematisiert in ihrem Aufsatz: „Hoerâ Walther, wie ez mir stât. Autorschaft und Sängerrolle im Minnesang bis Neidhart“, die Frage, wie die Autorschaft in Relation zum Vortragenden Sänger im Zeitalter des Minnesangs verstanden wurde. Spricht der Autor via Vortragendem oder ist der Vortragende selbst der Autor oder sind Autor und Vortragender völlig different. Diese und weitere Fragen, die sich aus der Problematik der Autorschaft ergeben, werden analysiert und diskutiert. Lienert kommt zu der Einsicht, dass eine ‚externe’ Annäherung an den Autor für den Minnesang nicht weit führt. ‚Extern’ bedeutet in diesem Zusammenhang eine Liedinterpretation vor dem Hintergrund der „Aufführungssituation“, über die es jedoch viel zu wenig Information gibt.

„Über die Bedeutung des wohl zumeist mit dem Vortragenden identischen realen Autor in der konkreten Aufführungssituation wissen wir praktisch nichts.“[6]

Aus dieser Erkenntnis heraus ergibt sich für Lienert der Ansatz, eine Annäherung zum Autor über die textinterne Sängerrolle zu finden. Denn:

„Methodisch sind autopoetische Aussagen des Sängers [...] Kunstaussagen auf der Ebene der liedinternen Rollen, [die] nicht mit Autoraussagen gleichzusetzen [sind].“[7]

Lienert vertritt die These, es gebe keine direkten Autoraussagen im Minnesang, vielmehr könne man aber vom „Autor- Aspekt der Sängerrolle“[8] sprechen. Autor und Vortragender fallen ihrer Meinung nach im Sänger-Ich zusammen, es sei denn, das Motiv des Liedes sei der Vortrag an eine Geliebte durch einen Boten oder die umworbene Dame lese selbst die ihr überbrachte Botschaft.[9] Lienert ist der Ansicht, der Autor verschwinde zumeist hinter dem Vortragenden, Spuren hinterlasse er allenfalls in sogenannten „autorspezifischen Merkmalen“, die sich aus der Charakterisierung und Ausgestaltung der Sängerrollen ergeben.[10] Auch Gerhard Hahn spricht diesbezüglich von „Stellen und Merkmalen, die als kennzeichnend für Walthers Minnesang gelten.“[11] Entscheidend ist also die künstlerische Leistung des Dichters, sein Stil. Es ist nach dem Typus waltherscher Dichtung gefragt, nicht nach der Person Walther.

In diesem Zusammenhang wird jedoch auch die These vertreten, eine Abweichung fiktionaler Normen, d. h. durchgängige Ausgestaltung der Rollen, indiziere Realität, habe also faktische, autobiographische Relevanz. Lienert wehrt sich gegen diese These, da ihrer Meinung nach ein Herausfallen aus dem Rahmen fiktionaler Normen nur einen Bezug zur Realität des Autors unterstellen, jedoch nicht schlüssig beweisen könne. „Generell wird kaum festzustellen sein, inwieweit Abweichung von fiktionalen Normen tatsächlich Realität indiziert.“[12]

Aus Respekt vor dem Dichter und aus dem Interesse heraus, möglichst fruchtbar zu analysieren, bietet es sich an, den Ansatz Lienerts für die Auseinandersetzung mit den Ich- Aussagen in Walthers Minneliedern zu übernehmen und weiterzudenken.

Es steht nicht die Frage im Raum, inwieweit und ob die Ich- Aussagen in Walthers Minneliedern überhaupt Realitätsbezug aufweisen. Es gilt die Rollen zu entdecken, durch welche Walther sein lyrisches Ich sprechen lässt.

[...]


[1]LIENERT, ELISABETH: Hoerâ Walther, wie ez mir stât. Autorschaft und Sängerrolle im Minnesang bis Neidhart. In: Autor und Autorenschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995. Hrsg. Elisabeth Andersen. Tübingen 1998 S. 127

[2]A. MUNDHENK: Walthers Selbstbewusstsein. In: DVjS 37. 1963. S.406-438; zit. n.: KNAPE, JOACHIM: Rolle und lyrisches Ich bei Walther. In: Walther von der Vogelweide. Hrsg. von H.-D. Mück. Stuttgart 1989 S.171-190

[3]KNAPE, JOACHIM: a.a.O. S.171

[4] Vgl.KNAPE, JOACHIM: a.a.O. S.171

[5]KNAPE, JOACHIM: a.a.O. S.171

[6] LIENERT,ELISABETH: a.a.O. S.115

[7] Ebd. S.115

[8] LIENERT, ELISABETH: a.a.O. S.116

[9] Vgl. Ebd. S.116

[10] Vgl. LIENERT , ELISABETH: a.a.O. S.118

[11]HAHN, GERHARD: Zu den Ich - Aussagen in Walthers Minnesang. In: Walther von der Vogelweide. Hrsg. von Jan Dirk Müller und F. J. Worstbrock. Stuttgart 1989 S. 98

[12]LIENERT, ELISABETH. a.a.O. S.118

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Funktionen des lyrischen Ichs in den Minneliedern Walthers von der Vogelweide
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Institut für Ältere Deutsche Literatur)
Veranstaltung
Proseminar II: Walther von der Vogelweide
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V60361
ISBN (eBook)
9783638540612
ISBN (Buch)
9783638667401
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Funktionen, Ichs, Minneliedern, Walthers, Vogelweide, Proseminar, Walther, Vogelweide
Arbeit zitieren
Vera Fischer (Autor:in), 2004, Die Funktionen des lyrischen Ichs in den Minneliedern Walthers von der Vogelweide, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60361

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